61991J0003

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 10. NOVEMBER 1992. - EXPORTUR SA GEGEN LOR SA UND CONFISERIE DU TECH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR D'APPEL DE MONTPELLIER - FRANKREICH. - FRANZOESISCH-SPANISCHES UEBEREINKOMMEN UEBER DEN SCHUTZ DER HERKUNFTSANGABEN UND URSPRUNGSBEZEICHNUNGEN - VEREINBARKEIT MIT DEN BESTIMMUNGEN UEBER DEN FREIEN WARENVERKEHR. - RECHTSSACHE C-3/91.

Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-05529
Schwedische Sonderausgabe Seite I-00159
Finnische Sonderausgabe Seite I-00161


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


1. Gemeinschaftsrecht - Vorrang - Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und einem später der Gemeinschaft beigetretenen Staat - Mit dem Vertrag unvereinbare Vorschriften - Unanwendbarkeit vom Zeitpunkt des Beitritts an

2. Freier Warenverkehr - Gewerbliches und kommerzielles Eigentum - Schutz der geographischen Bezeichnungen - Umfang

(EWG-Vertrag, Artikel 36)

3. Freier Warenverkehr - Mengenmässige Beschränkungen - Maßnahmen gleicher Wirkung - Vorbehalt der Verwendung von Bezeichnungen, die zuvor für Erzeugnisse beliebiger Herkunft benutzt wurden, für einheimische Erzeugnisse - Unzulässigkeit

(EWG-Vertrag, Artikel 30 und 36)

4. Freier Warenverkehr - Mengenmässige Beschränkungen - Maßnahmen gleicher Wirkung - Einfuhrverbot aufgrund eines Abkommens zwischen zwei Mitgliedstaaten über den Schutz von Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen - Rechtfertigung - Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums - Voraussetzung - Fehlende Umwandlung von Herkunftsangaben in Gattungsbezeichnungen im Herkunftsstaat

(EWG-Vertrag, Artikel 30 und 36)

Leitsätze


1. Ein nach dem 1. Januar 1958 von einem Mitgliedstaat mit einem anderen Staat geschlossenes Abkommen kann vom Zeitpunkt des Beitritts dieses zweiten Staates zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an im Verhältnis zwischen diesen Staaten keine Anwendung finden, wenn es dem EWG-Vertrag widerspricht.

2. Der Schutz der geographischen Bezeichnungen erstreckt sich auf Bezeichnungen, die gemeinhin Herkunftsangaben genannt werden und die für Erzeugnisse verwendet werden, bei denen sich nicht zeigen lässt, daß sie ihrem Herkunftsgebiet besondere geschmackliche Eigenschaften verdanken und daß sie gemäß behördlichen Qualitäts- und Fabrikationsnormen hergestellt worden sind. Solche Bezeichnungen können sich ebenso wie Ursprungsbezeichnungen bei den Verbrauchern einer hohen Wertschätzung erfreuen und für die Erzeuger, die in den jeweiligen Orten ansässig sind, ein wesentliches Mittel zur Schaffung und Erhaltung eines Kundenstamms darstellen; sie bedürfen daher des Schutzes.

3. Ein Mitgliedstaat verstösst gegen Artikel 30 EWG-Vertrag, wenn er einheimischen Erzeugnissen durch Rechtsvorschrift Bezeichnungen vorbehält, die für die Bezeichnung von Erzeugnissen beliebiger Herkunft verwendet wurden, und damit Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten zwingt, unbekannte oder vom Verbraucher weniger geschätzte Bezeichnungen zu verwenden. Aufgrund ihres diskriminierenden Charakters fällt eine solche Regelung nicht unter die Ausnahmevorschrift des Artikels 36.

4. Ein zweiseitiges Abkommen zwischen Mitgliedstaaten über den Schutz von Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen, das, wie das französisch-spanische Abkommen vom 27. Juni 1973, im Ergebnis im Ausfuhrstaat niedergelassenen Unternehmen verbietet, im Einfuhrstaat geschützte Bezeichnungen zu verwenden, wenn ihnen eine solche Verwendung nach ihrem nationalen Recht nicht gestattet ist, und in einem beliebigen anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen verbietet, die in Rede stehenden Bezeichnungen in den beiden Vertragsstaaten zu verwenden, fällt in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag.

Diese Verbote sind jedoch, soweit sie nicht für Bezeichnungen gelten, die beim Inkrafttreten des Abkommens oder später zu Gattungsbezeichnungen geworden sind, gerechtfertigt, denn sie gehören zu den Ausnahmen, die Artikel 36 EWG-Vertrag zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums erlaubt. Ihr Zweck, der darin besteht, die Erzeuger eines Vertragsstaats daran zu hindern, geographische Bezeichnungen eines anderen Staates der Gemeinschaft zu verwenden und damit den Ruf auszunutzen, den die Erzeugnisse der Unternehmen aus den betreffenden Gebieten oder Orten genießen, dient nämlich dem Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs.

Diese Verbote verstossen auch nicht gegen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, lautere Praktiken und herkömmliche Übungen in den anderen Mitgliedstaaten zu achten, denn diese kann nur zugunsten von in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern gelten, die Bezeichnungen verwenden, die sich auf Gebiete oder Orte in einem anderen Staat beziehen.

Entscheidungsgründe


1 Die Cour d' appel Montpellier hat mit Urteil vom 6. November 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30, 34 und 36 EWG-Vertrag im Zusammenhang mit dem Schutz spanischer geographischer Bezeichnungen in Frankreich zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Asociación de Empresas Exportadoras de Turrones de Jijona (Klägerin), Jijona (Provinz Alicante) und den Firmen LOR und Confiserie du Tech (Beklagte), Perpignan, in dem es um die Verwendung der Bezeichnungen Alicante und Jijona - hierbei handelt es sich um Namen spanischer Städte - durch die Beklagten für in Frankreich hergestellte Süßwaren geht.

3 Die Beklagten stellen in Perpignan Süßwaren her, die sie als "Touron Alicante" und "Touron Jijona" bzw. als "Touron catalan type Alicante" und "Touron catalan type Jijona" bezeichnen, und verkaufen sie dort.

4 Nach Artikel 3 des in Madrid am 27. Juni 1973 unterzeichneten Abkommens zwischen der Französischen Republik und dem Spanischen Staat über den Schutz von Ursprungsbezeichnungen, Herkunftsangaben und Bezeichnungen bestimmter Erzeugnisse (Journal officiel de la Republique française vom 18.4.1975, S. 4011; französisch-spanisches Abkommen) sind die Bezeichnungen "Turron de Alicante" und "Turron de Jijona" im Gebiet der Französischen Republik spanischen Erzeugnissen oder Waren vorbehalten und dürfen nur unter den in den Rechtsvorschriften des Spanischen Staates geregelten Voraussetzungen verwendet werden. Nach Artikel 5 Absatz 2 des Abkommens gilt dies auch dann, wenn diese Bezeichnungen von Ausdrücken wie "Art", "Gattung" oder "Typ" begleitet sind.

5 Auf der Grundlage des französisch-spanischen Abkommens beantragte die Klägerin zunächst im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, dann mit Klage beim Tribunal de commerce Perpignan erfolglos, den Beklagten die Verwendung der fraglichen Bezeichnungen zu untersagen. Gegen das Urteil des Tribunal de commerce Perpignan legte sie Berufung zur Cour d' appel Montpellier ein.

6 Angesichts von Zweifeln über die Auslegung der Artikel 30, 34 und 36 EWG-Vertrag hat die Cour d' appel Montpellier das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Sind die Artikel 30 und 34 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß sie die im französisch-spanischen Abkommen vom 27. Juni 1973 festgelegten Maßnahmen zum Schutz von Ursprungs- oder Herkunftsbezeichnungen, insbesondere der Bezeichnungen Alicante oder Jijona für Turron untersagen?

2) Falls die erste Frage bejaht wird, ist dann Artikel 36 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß er zum Schutz der genannten Bezeichnungen ermächtigt?

7 Weitere Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Das vorlegende Gericht geht zu Recht davon aus, daß ein nach dem 1. Januar 1958 von einem Mitgliedstaat mit einem anderen Staat geschlossenes Abkommen vom Zeitpunkt des Beitritts dieses zweiten Staates zur Gemeinschaft an im Verhältnis zwischen diesen Staaten keine Anwendung finden kann, wenn es dem EWG-Vertrag widerspricht. Somit ist zu prüfen, ob das französisch-spanische Abkommen mit den Bestimmungen des EWG-Vertrags über den freien Warenverkehr vereinbar ist.

9 Dabei sind zunächst das französisch-spanische Abkommen, sein Umfeld und seine Bedeutung zu würdigen.

Das französisch-spanische Übereinkommen, sein Umfeld und seine Bedeutung

10 Das französisch-spanische Abkommen soll spanische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen auf französischem Gebiet und entsprechend französische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen auf spanischem Gebiet schützen.

11 Aus einer rechtsvergleichenden Untersuchung ergibt sich, daß Herkunftsangaben den Verbraucher darauf hinweisen sollen, daß das bezeichnete Produkt aus einem bestimmten Ort, einem bestimmten Gebiet oder einem bestimmten Land stammt. Mit dieser geographischen Herkunft kann eine bestimmte Wertschätzung verbunden sein. Die Ursprungsbezeichnung hingegen gewährleistet über die geographische Herkunft des Erzeugnisses hinaus, daß die Ware unter Beachtung von Qualitäts- oder Fabrikationsnormen erzeugt wurde, die von einer Behörde erlassen und von dieser Behörde überwacht werden; sie gewährleistet damit auch bestimmte besondere Eigenschaften (vgl. Urteil vom 9. Juni 1992 in der Rechtssache C-47/90, Delhaize, Slg. 1992, I-3669, Randnrn. 17 und 18). Die Herkunftsangaben unterliegen dem Schutz der Bestimmungen gegen irreführende Werbung und gegen die mißbräuchliche Nutzung des Rufs eines anderen. Die Ursprungsbezeichnungen werden dagegen aufgrund eigener Rechtsvorschriften geschützt. Diese Rechtsvorschriften schließen im allgemeinen auch die Verwendung von Ausdrücken wie "Gattung", "Typ" oder "Art" aus und verhindern für die gesamte Dauer ihrer Regelung, daß die geschützten Bezeichnungen zu Gattungsbezeichnungen werden.

12 Entsprechend dem Territorialitätsprinzip unterliegt der Schutz von Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen dem Recht des Landes, in dem der Schutz begehrt wird (also des Einfuhrlandes), und nicht demjenigen des Ursprungslandes. Dieser Schutz richtet sich damit nach dem Recht des Einfuhrlandes sowie nach den tatsächlichen Umständen und den Auffassungen dieses Landes. Anhand dieser Umstände und Auffassungen ist zu beurteilen, ob die Käufer getäuscht werden oder ob die fragliche Bezeichnung gegebenenfalls ein Gattungsbegriff ist. Da diese Beurteilung unabhängig vom Ursprungsland und den dortigen Umständen erfolgt, kann eine Bezeichnung, die im Ursprungsland als Herkunftsangabe geschützt ist, im Einfuhrland als Gattungsbezeichnung betrachtet werden und umgekehrt.

13 Von diesem Grundsatz der Anwendbarkeit des Rechts des Einfuhrlandes macht das französisch-spanische Abkommen über den Schutz der Ursprungsbezeichnungen, der Herkunftsangaben und der Bezeichnungen bestimmter Erzeugnisse eine Ausnahme.

14 Das französisch-spanische Übereinkommen beruht auf folgenden Grundsätzen:

- Die geschützten Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen sind Erzeugnissen und Waren des Ursprungslandes vorbehalten (Artikel 2 und 3).

- Die geschützten Bezeichnungen sind in zwei Listen in Anhängen zum Abkommen aufgeführt (Artikel 2 und 3).

- Dem Schutz liegt das Recht des Ursprungslandes und nicht das Recht des Landes zugrunde, in dem der Schutz begehrt wird (Artikel 2 und 3).

- Der Schutz der aufgeführten Bezeichnungen wird durch eine Generalklausel ergänzt, die es verbietet, auf den Erzeugnissen oder Waren, ihrer Aufmachung, Ausstattung oder äusseren Verpackung sowie auf Rechnungen, Frachtbriefen oder sonstigen Geschäftspapieren oder in der Werbung falsche oder irreführende Angaben zur Täuschung des Käufers oder Verbrauchers über den wahren Ursprung oder die wahre Herkunft, über die Art und die wesentlichen Eigenschaften der Waren anzubringen (Artikel 6).

- Die Verbote des Abkommens sind auch anzuwenden, wenn die geschützten Bezeichnungen in Übersetzung oder mit dem Hinweis auf die tatsächliche Herkunft oder mit Begriffen wie "Art", "Gattung", "Typ", "Stil", "Nachahmung" oder "ähnlich" benutzt werden (Artikel 5 Absatz 1).

- Schließlich dürfen die Erzeugnisse oder Waren mit Ursprung im Gebiet eines der Vertragsstaaten ebenso wie Verpackungen, Etiketten, Rechnungen, Frachtbriefe und andere Geschäftspapiere, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens herkömmliche Angaben enthalten, deren Benutzung das Abkommen verbietet, noch fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten verkauft oder verwendet werden (Artikel 8 Absatz 1).

15 Das französisch-spanische Abkommen unterscheidet sich dadurch von der Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. März 1883 zum Schutz des gewerblichen Eigentums, zuletzt revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (United Nations Treaties Series, Band 828, Nr. 11851, S. 305), und dem Madrider Übereinkommen vom 14. April 1891 über die Unterdrückung falscher oder irreführender Herkunftsangaben auf Waren, zuletzt revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (United Nations Treaties Series, Band 828, Nr. 11848, S. 163), daß es das Recht des Ursprungslands für anwendbar erklärt. Vom Lissaboner Abkommen über den Schutz der Ursprungsbezeichnungen und ihre internationale Registrierung vom 31. Oktober 1858, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (United Nations Treaties Series, Band 828, Nr. 13172, S. 205), unterscheidet es sich dadurch, daß es sich auch auf Herkunftsangaben erstreckt und nicht auf Ursprungsbezeichnungen beschränkt ist, die als solche im Ursprungsland anerkannt und geschützt sind. In der Tat haben zahlreiche europäische Staaten derartige zweiseitige Abkommen gerade deshalb geschlossen, um den Schwächen der beiden erstgenannten und den Beschränkungen des dritten mehrseitigen Abkommens abzuhelfen.

Die Anwendbarkeit des Verbots von Ein- und Ausfuhrbeschränkungen

16 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuerst das Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5) erfasst das Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen des Artikels 30 EWG-Vertrag jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

17 Das vorlegende Gericht äussert Zweifel an der Anwendbarkeit des Artikels 30. Die Klägerin macht nämlich geltend, das französisch-spanische Abkommen stehe in Frankreich dem Verkauf französischer Erzeugnisse, in Spanien dem Verkauf spanischer Erzeugnisse entgegen. Es stehe hingegen weder der Einfuhr spanischer Erzeugnisse nach Frankreich noch derjenigen französischer Erzeugnisse nach Spanien entgegen. Daher sei es keine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 30; die vom nationalen Gericht begehrte Auslegung sei nicht geeignet, diesem Gesichtspunkte für die Lösung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu liefern.

18 Das trifft nicht zu. Das französisch-spanische Abkommen verbietet im Ergebnis spanischen Unternehmen, in Frankreich geschützte spanische Bezeichnungen zu verwenden, wenn ihnen eine solche Verwendung nach spanischem Recht nicht gestattet ist; es verbietet im Ergebnis französischen Unternehmen, in Spanien geschützte französische Bezeichnungen zu verwenden, wenn deren Verwendung ihnen nach französischem Recht nicht gestattet ist.

19 Im übrigen - darauf haben die Beklagten hingewiesen - stuende einem Unternehmen aus einem dritten Mitgliedstaat, das Erzeugnisse nach Frankreich oder Spanien ausführen und dabei eine in dem Abkommen geschützte Bezeichnung verwenden wollte, in diesen beiden Staaten das Verbot der Verwendung der fraglichen Bezeichnung entgegen.

20 Diese potentiellen Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel genügen, um die Verbote des französisch-spanischen Abkommens in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EWG-Vertrag fallen zu lassen.

21 Das französisch-spanische Abkommen enthält hingegen keine Maßnahmen, die, wie es der Tatbestand des Artikels 34 (vgl. das Urteil vom 8. November 1979 in der Rechtssache 15/79, Grönveld, Slg. 1979, 3409, Randnr. 7) voraussetzt, spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaats und seinen Aussenhandel schaffen, so daß die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt. Wie die Klägerin dargetan hat, betrifft das Abkommen nur die Verwendung geschützter Bezeichnungen auf dem Gebiet der beiden Vertragsstaaten. Der Vertrieb französischer oder spanischer Erzeugnisse in anderen Mitgliedstaaten fällt nicht in seinen Anwendungsbereich. Sieht sich im übrigen ein französisches Unternehmen daran gehindert, nach Spanien Erzeugnisse mit bestimmten, spanischen Erzeugnissen vorbehaltenen Bezeichnungen auszuführen, so ist das nicht Folge des auf französischem Gebiet kraft des französisch-spanischen Abkommens anwendbaren Rechts, sondern Folge des spanischen Rechts, das ohnehin auf Einfuhren nach Spanien anwendbar wäre.

22 Die aufgeworfene Frage ist somit nur im Lichte des Artikels 30 zu untersuchen.

Die Anwendbarkeit des Artikels 36 EWG-Vertrag

Grundsätze

23 Nach Artikel 36 EWG-Vertrag steht Artikel 30 EWG-Vertrag Einfuhr- oder Ausfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind.

24 Als Ausnahme von einem der tragenden Grundsätze des Gemeinsamen Marktes erlaubt Artikel 36 Beschränkungen des freien Warenverkehrs jedoch nur, soweit sie zur Wahrung der Rechte gerechtfertigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen (vgl. Urteil vom 31. November 1974 in der Rechtssache 16/74, Centrafarm, Slg. 1974, 1183, Randnr. 7).

25 Somit ist zu untersuchen, ob die Verbote des französisch-spanischen Abkommens zum Schutz der Rechte gerechtfertigt sind, die den spezifischen Gegenstand der Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen ausmachen.

26 Die Beklagten machen vorab geltend, nach Zusammensetzung und Qualität wiesen die in Alicante und Jijona hergestellten Turron keinen merklichen Unterschied zu den von ihnen in Perpignan hergestellten auf. Qualität und Merkmale dieser Turron hätten mit ihrer geographischen Herkunft nichts zu tun. Nach dem Urteil vom 20. Februar 1975 in der Rechtssache 12/74 (Kommission/Deutschland, Slg. 1975, 181) sei das französisch-spanische Abkommen daher mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

27 Unter Berufung auf dasselbe Urteil legt die Kommission dar, die spezifische Funktion einer geographischen Bezeichnung sei nur dann erfuellt und das Verbot, daß andere Unternehmen diese Bezeichnung verwenden dürften, daher nur dann durch den Schutz des gewerblichen Eigentums gerechtfertigt, wenn das durch die geschützte Bezeichnung gekennzeichnete Erzeugnis Qualitäten und Merkmale besitze, die dem geographischen Ort seiner Herkunft zu verdanken und geeignet seien, es zu individualisieren. Soweit das Erzeugnis seinem Herkunftsgebiet keine besonderen geschmacklichen Eigenschaften verdanke, sei eine Etikettierung mit dem tatsächlichen Ursprungs- oder Herkunftsort gemäß Artikel 3 Absatz 1 Nr. 7 der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 1979, L 33, S. 1) ausreichend, um den Verbraucher vor Irreführung zu schützen.

28 Die Auffassung der Kommission, die sich mit derjenigen der Beklagten trifft, ist irrig. Im Ergebnis würde sie solchen geographischen Bezeichnungen jeden Schutz nehmen, die für Erzeugnisse verwendet werden, bei denen sich nicht zeigen lässt, daß sie ihrem Herkunftsgebiet besondere geschmackliche Eigenschaften verdanken, und die nicht gemäß behördlichen Qualitäts- und Fabrikationsnormen hergestellt sind, also den Bezeichnungen, die gemeinhin Herkunftsangaben genannt werden. Diese Bezeichnungen können sich gleichwohl bei den Verbrauchern einer hohen Wertschätzung erfreuen und für die Erzeuger, die in den jeweiligen Orten ansässig sind, ein wesentliches Mittel zur Schaffung und Erhaltung eines Kundenstamms darstellen. Sie bedürfen daher des Schutzes.

29 Das Urteil in der Rechtssache 12/74 hat nicht die Bedeutung, die ihm die Kommission beimisst. Aus diesem Urteil ergibt sich im wesentlichen, daß ein Mitgliedstaat gegen Artikel 30 verstösst, wenn er einheimischen Erzeugnissen durch Rechtsvorschrift Bezeichnungen vorbehält, die für die Bezeichnung von Erzeugnissen beliebiger Herkunft verwendet wurden, und damit Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten zwingt, unbekannte oder vom Verbraucher weniger geschätzte Bezeichnungen zu verwenden. Aufgrund ihres diskriminierenden Charakters fällt eine solche Regelung nicht unter die Ausnahmevorschrift des Artikels 36.

30 Im übrigen hat der Gerichtshof im Urteil vom 25. April 1985 in der Rechtssache 207/83 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1985, 1201, Randnr. 21) entschieden, daß der EWG-Vertrag Vorschriften, nach denen die Verwendung falscher Ursprungsangaben verboten werden könne, nicht in Frage stelle.

Die weit in die Vergangenheit zurückreichende lautere Praxis und herkömmliche Übung

31 Unter Berufung auf das Urteil vom 13. März 1984 in der Rechtssache 16/83 (Prantl, Slg. 1984, 1299) machen die Beklagten noch geltend, der Schutz geographischer Bezeichnungen sei nur gerechtfertigt, wenn er eine lautere Praxis und herkömmliche Übung Dritter nicht berühre; die Anwendung des französisch-spanischen Abkommens dürfe sie nicht daran hindern, die Bezeichnungen "Turron de Jijona" und "Turron de Alicante" zu verwenden, da sie diese seit jeher ständig und in lauterer Weise benutzt hätten.

32 Dem ist nicht zu folgen. Zwar heisst es im Urteil in der Rechtssache 16/83 zu der Frage, ob eine nationale Regelung zum Schutz einer mittelbaren geographischen Herkunftsangabe und im Interesse des Verbraucherschutzes die Vermarktung eingeführter Weine in einer bestimmten Flaschenart verbieten dürfe, daß im System eines Gemeinsamen Marktes der Verbraucherschutz und die Lauterkeit des Handelsverkehrs in bezug auf die Aufmachung der Weine unter allseitiger Achtung lauterer Praktiken und herkömmlicher Übungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gewährleistet werden müssten.

33 In diesem Urteil ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, daß das durch eine nationale Regelung in einem Mitgliedstaat gewährte ausschließliche Recht zur Verwendung einer Flaschenform nicht der Einfuhr von Weinen mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat entgegengehalten werden dürfe, die nach einer lauteren Praxis und herkömmlicher Übung in diesem Mitgliedstaat in Flaschen identischer oder ähnlicher Form abgefuellt seien.

34 Ohne daß es hier darauf ankäme, ob die Beklagten bereits vor dem französisch-spanischen Abkommen mit der Verwendung der Bezeichnungen Touron Alicante und Touron Jijona begonnen hatten, worüber die Parteien streiten, unterscheidet sich die Ausgangslage in der Rechtssache 16/83 von derjenigen in der vorliegenden Rechtssache. In der Rechtssache 16/83 haben die Erörterungen vor dem Gerichtshof ergeben (vgl. Randnr. 28 jenes Urteils), daß Flaschen, deren Form mit dem Bocksbeutel identisch war oder sich von ihm nur in einer für den Verbraucher kaum wahrnehmbaren Weise unterschied, herkömmlich zur Vermarktung der Weine aus bestimmten Anbaugebieten Italiens verwendet wurden. Diese Flaschenform wurde also bereits ursprünglich im Ausfuhrmitgliedstaat verwendet; es ging also darum, das Nebeneinander einer nationalen und einer ausländischen indirekten Herkunftsangabe zu regeln. Damit unterscheidet sich diese Sachlage grundlegend von der Verwendung spanischer Ortsbezeichnungen durch französische Unternehmen, die nur die Frage des Schutzes der Bezeichnungen eines Staates in einem anderen Staat aufwirft.

Die Zulässigkeit der Ausdehnung der im Ursprungsstaat geltenden Regelung auf den Staat, in dem der Schutz verlangt wird

35 Die Beklagten machen schließlich noch geltend, die Bezeichnungen Touron Alicante und Touron Jijona seien Gattungsbezeichnungen, die auf bestimmte Arten von Erzeugnissen hinwiesen und nicht mehr an eine bestimmte geographische Herkunft denken ließen.

36 Dieses Vorbringen ist dahin zu verstehen, das Abkommen habe kraft des Artikels 30 EWG-Vertrag die Verwendung von spanischen Bezeichnungen in Frankreich, die dort zu Gattungsbegriffen geworden seien, nicht verbieten können. Die Frage ist also, ob es dem freien Warenverkehr widerspricht, wenn ein zweiseitiges Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten als Ausnahme vom Territorialitätsprinzip das Recht des Ursprungslandes anstelle des Rechts des Staates, in dem der Schutz begehrt wird, für anwendbar erklärt. Hierauf ist nunmehr einzugehen.

37 Zweck des Abkommens ist es, die Erzeuger eines Vertragsstaats daran zu hindern, geographische Bezeichnungen des anderen Staates zu verwenden und damit den Ruf auszunutzen, den die Erzeugnisse der Unternehmen aus den betreffenden Gebieten oder Orten genießen. Ein solcher Zweck, der dem Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs dient, fällt unter den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne des Artikels 36, soweit die fraglichen Bezeichnungen im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens oder später im Ursprungsland nicht zu Gattungsbezeichnungen geworden waren.

38 Da es im Sinne des Artikels 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt ist, daß ein Staat Bezeichnungen von Gebieten oder Orten in seinem Staatsgebiet schützt, steht diese Bestimmung auch der Erstreckung dieses Schutzes auf das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats nicht entgegen.

39 Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag der Anwendung eines zweiseitigen Abkommens zwischen Mitgliedstaaten über den Schutz von Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen wie des französisch-spanischen Abkommens vom 27. Juni 1973 nicht entgegenstehen, soweit die geschützten Bezeichnungen im Ursprungsland nicht beim Inkrafttreten des Abkommens oder später zu Gattungsbezeichnungen geworden sind.

Kostenentscheidung


Kosten

40 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland, des Königreichs Spanien, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von der Cour d' appel Montpellier mit Urteil vom 6. November 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag stehen der Anwendung eines zweiseitigen Abkommens zwischen Mitgliedstaaten über den Schutz von Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen wie des französisch-spanischen Abkommens vom 27. Juni 1973 nicht entgegen, soweit die geschützten Bezeichnungen im Ursprungsland nicht beim Inkrafttreten des Abkommens oder später zu Gattungsbezeichnungen geworden sind.