10.4.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 107/1


DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) Nr. 357/2014 DER KOMMISSION

vom 3. Februar 2014

zur Ergänzung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Situationen, in denen Wirksamkeitsstudien nach der Zulassung verlangt werden können

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (1), insbesondere auf Artikel 22b,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (2), insbesondere auf Artikel 10b,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Über die Zulassung (Genehmigung für das Inverkehrbringen) von Arzneimitteln sollte nur auf der Grundlage der objektive Kriterien Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels entschieden werden, damit ausschließlich hochwertige Arzneimittel in Verkehr gebracht und an Patienten verabreicht werden. Folglich müssen neue Arzneimittel vor ihrer Zulassung ausführlichen Studien, auch klinischen Wirksamkeitsprüfungen, unterzogen werden.

(2)

Gemäß Artikel 21a Buchstabe f der Richtlinie 2001/83/EG und Artikel 9 Absatz 4 Buchstabe cc der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 kann es in bestimmten Situationen erforderlich sein, die zum Zeitpunkt der Zulassung verfügbaren Daten durch weitere Angaben zur Wirksamkeit eines Arzneimittels zu ergänzen, wenn Bedenken bestehen, die vor der Erteilung der Zulassung nicht beseitigt werden konnten. Gemäß Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG und Artikel 10a Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 können nach der Zulassung verfügbare Informationen nahelegen, dass frühere Bewertungen der Wirksamkeit erheblich korrigiert und bestätigende Wirksamkeitsdaten vorgelegt werden müssen, ohne dass die Zulassung ausgesetzt wird. In beiden Situationen können die nationalen zuständigen Behörden, die Europäische Arzneimittel-Agentur und die Kommission (im Folgenden „die zuständigen Behörden“) den Zulassungsinhaber verpflichten, eine Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung durchzuführen.

(3)

Die Verpflichtung zur Durchführung einer Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung sollte aufgrund bestimmter fundierter wissenschaftlicher Bedenken erfolgen, die direkte Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung der Zulassung haben könnten. Sie sollte nicht als Rechtfertigung für eine vorzeitige Erteilung einer Zulassung dienen. Gemäß Artikel 22a Absatz 1 der Richtlinie 2001/83/EG und Artikel 10a Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 sollte die Verpflichtung zur Durchführung einer solchen Studie unter Berücksichtigung der Eigenschaften eines Arzneimittels und der verfügbaren Daten von Fall zu Fall begründet werden. Die Studie sollte den zuständigen Behörden und dem Zulassungsinhaber ausreichende Informationen liefern, um entweder die anfänglichen Beweise zu ergänzen oder auf der Grundlage neuer Daten aus der Studie überprüfen zu können, ob die Zulassung unverändert aufrechterhalten, geändert, ausgesetzt oder widerrufen werden sollte.

(4)

Gemäß Artikel 22b der Richtlinie 2001/83/EG und Artikel 10b der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 ist die Kommission befugt, die Situationen festzulegen, in denen Wirksamkeitsstudien nach der Genehmigung verlangt werden können. Im Interesse der Transparenz und der Rechtssicherheit und im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sollte eine Liste der besonderen Situationen und der möglicherweise zu berücksichtigenden Umstände erstellt werden.

(5)

In verschiedenen therapeutischen Bereichen wurden Surrogat-Endpunkte wie etwa Biomarker oder die Schrumpfung von Tumorgewebe (Onkologie) verwendet, um bei exploratorischen oder konfirmatorischen klinischen Studien die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu bestimmen. Um die Bewertung aufgrund dieser Endpunkte zu unterfüttern, kann es von Belang sein, in der Phase nach der Zulassung weitere Wirksamkeitsdaten zu generieren, um die Auswirkungen der Maßnahme auf das klinische Ergebnis oder den Krankheitsverlauf zu überprüfen. Eventuell muss auch überprüft werden, ob die Überlebensdaten in der Phase nach der Zulassung insgesamt vom Ergebnis des Surrogat-Endpunkts abweichen oder ob sie es bestätigen.

(6)

Einige Arzneimittel werden möglicherweise regelmäßig mit anderen Arzneimitteln kombiniert. Wer eine Zulassung beantragt, soll zwar die Wirkung solcher Kombinationen in klinischen Studien untersuchen, aber oft ist es weder erforderlich noch angemessen, alle Kombinationen, die mit der Zulassung allgemein möglich sind, vor der Zulassung erschöpfend zu untersuchen. Die wissenschaftliche Bewertung kann sich vielmehr zum Teil auf eine Extrapolation vorhandener Daten stützen. In einigen Fällen kann es von Belang sein, nach der Zulassung weitere klinische Daten für bestimmte Kombinationen zu erheben, wenn dadurch eine noch bestehende Unsicherheit geklärt werden kann. Dies gilt vor allem, wenn solche Kombinationen in der täglichen medizinischen Praxis eingesetzt werden oder eingesetzt werden sollen.

(7)

In den vor Erteilung der Zulassung durchgeführten klinischen Pivot-Studien gelingt es unter Umständen nur schwer, die verschiedenen Subpopulationen, denen das Arzneimittel verschrieben werden kann, verlässlich repräsentativ abzudecken. Dies schließt nicht unbedingt eine insgesamt positive Nutzen-Risiko-Bilanz zum Zeitpunkt der Zulassung aus. Bei bestimmten Subpopulationen, bei denen Zweifel im Hinblick auf den Nutzen aufgekommen sind, kann es jedoch erforderlich sein, die Wirksamkeit durch gezielte klinische Studien nach der Zulassung durch weitere Daten zu belegen.

(8)

Unter normalen Umständen muss die Wirksamkeit von Arzneimitteln im Rahmen der Überwachung nach der Genehmigung langfristig nicht unbedingt verfolgt werden, auch nicht bei Arzneimitteln, die für die Verwendung bei chronischen Krankheiten zugelassen wurden. In vielen Fällen verliert ein Arzneimittel mit der Zeit an Wirkung, und die Therapie muss neu festgelegt werden. Dies beeinträchtigt jedoch nicht unbedingt die Nutzen-Risiko-Bilanz des Arzneimittels und die Würdigung seiner bis zu diesem Zeitpunkt erzielten positiven Wirkung. In Ausnahmefällen, wenn ein möglicher Wirkungsverlust langfristig die positive Nutzen-Risiko-Bilanz der Maßnahme in Frage stellen kann, sollten Studien nach der Zulassung verlangt werden. Dies könnte bei innovativen Therapien der Fall sein, mit denen der Verlauf einer Krankheit verändert werden soll.

(9)

In Ausnahmesituationen könnten in der alltäglichen medizinischen Praxis Studien verlangt werden, wenn es klare Nachweise dafür gibt, dass der in randomisierten kontrollierten klinischen Prüfungen nachgewiesene Nutzen eines Arzneimittels durch die tatsächlichen Verwendungsbedingungen beeinträchtigt wird oder wenn bestimmte wissenschaftliche Bedenken am besten anhand von Daten untersucht werden, die in der alltäglichen medizinischen Praxis erhoben wurden. Zudem sind Studien über die Schutzwirkung von Impfstoffen nicht immer durchführbar. Als Alternative könnten Wirksamkeitsschätzungen aus prospektiven Studien, die während Impfkampagnen nach der Zulassung durchgeführt wurden, hinzugezogen werden, um weitere Erkenntnisse über das kurz- oder langfristige Schutzvermögen eines Impfstoffs zu gewinnen.

(10)

Während der Lebensdauer eines zugelassenen Arzneimittels kann sich die Standardversorgung im Hinblick auf Diagnose, Behandlung oder Verhütung einer Krankheit erheblich ändern, so dass die etablierte Nutzen-Risiko-Bilanz des Arzneimittels neu diskutiert werden muss. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass ein geänderter Konsens unter Medizinern im Hinblick auf die geeigneten Beurteilungskriterien für die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels konkrete und objektive Gesichtspunkte darstellen kann, die als Grundlage für die Feststellung eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses bei dem betreffenden Arzneimittel herangezogen werden können (3). Um ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufrechtzuerhalten kann es daher erforderlich sein, die Wirksamkeit des Arzneimittels neu zu belegen. Ebenso können zusätzliche Studien erwogen werden, wenn ein besseres Verständnis der Krankheit oder der Pharmakologie eines Arzneimittels die Kriterien infrage gestellt hat, anhand deren die Wirksamkeit des Arzneimittels zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung festgestellt wurde.

(11)

Um aussagekräftigen Daten zu erhalten, muss die Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung so konzipiert sein, dass die wissenschaftliche Frage, die mit der Studie geklärt werden sollte, beantwortet werden kann.

(12)

Die zuständigen Behörden können Verpflichtungen bezüglich der Gewährleistung oder Bestätigung der Wirksamkeit eines Humanarzneimittels auferlegen, für das eine bedingte Zulassung erteilt wurde oder für das die Zulassung unter besonderen Bedingungen oder als Ergebnis einer Befassung gemäß Artikel 31 und 107i der Richtlinie 2001/83/EG oder Artikel 20 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt wurde. Die Inhaber der Zulassung eines Arzneimittels für neuartige Therapien oder eines Kinderarzneimittels müssen unter Umständen zusätzlich bestimmte Maßnahmen befolgen, um ein Follow-up der Wirksamkeit zu gewährleisten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, eine Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung durchzuführen. Die Notwendigkeit einer solchen Studie sollte im Zusammenhang mit diesen Verfahren und unabhängig von den in der vorliegenden Verordnung genannten besonderen Situationen und Umständen bewertet werden.

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

(1)   Die nationalen zuständigen Behörden, die Europäische Arzneimittel-Agentur oder die Kommission können verlangen, dass der Zulassungsinhaber eine Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung gemäß Artikel 21a Buchstabe f und Artikel 22a Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG sowie Artikel 9 Absatz 4 Buchstabe cc und Artikel 10a Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 durchführt,

a)

wenn Bedenken in Bezug auf einige Aspekte der Wirksamkeit des Arzneimittels bestehen und erst nach Inverkehrbringen des Arzneimittels beseitigt werden können;

b)

wenn das Verständnis der Krankheit, die klinische Methodik oder die Verwendung des Arzneimittels unter tatsächlichen Bedingungen nahelegen, dass frühere Wirksamkeitsbewertungen unter Umständen erheblich überarbeitet werden müssen.

(2)   Die nationalen zuständigen Behörden, die Europäische Arzneimittel-Agentur oder die Kommission wenden Absatz 1 nur an, wenn einer oder mehrere der folgenden Fälle eintreten:

a)

Eine auf Surrogat-Endpunkten beruhende erste Wirksamkeitsbewertung bedarf der Überprüfung der Auswirkung der Maßnahme auf klinische Ergebnisse oder auf den Krankheitsverlauf oder aber der Bestätigung früherer Wirksamkeitsvermutungen;

b)

bei Arzneimitteln, die mit anderen Arzneimitteln kombiniert werden, sind weitere Wirksamkeitsdaten erforderlich, um Unsicherheiten zu klären, die bei Zulassung des Arzneimittels nicht geklärt waren;

c)

es bestehen Unsicherheiten in Bezug auf die Wirksamkeit eines Arzneimittels bei bestimmten Subpopulationen, die vor der Zulassung nicht beseitigt werden konnten und weiterer klinischer Nachweise bedürfen;

d)

es besteht langfristig die Möglichkeit eines Wirksamkeitsverlustes, was Bedenken in Bezug auf die Aufrechterhaltung einer positiven Nutzen-Risiko-Bilanz des Arzneimittels verursacht;

e)

der in klinischen Prüfungen nachgewiesene Nutzen eines Arzneimittels wird durch seine Verwendung unter tatsächlichen Bedingungen erheblich beeinträchtigt oder — im Falle von Impfstoffen — es waren keine Studien über die Schutzwirkung möglich;

f)

ein geändertes Verständnis der Standardversorgung einer Krankheit oder der Pharmakologie eines Arzneimittels erfordert weitere Belege für dessen Wirksamkeit;

g)

es gibt neue konkrete und objektive wissenschaftliche Gesichtspunkte, die Anlass zu der Erkenntnis geben könnten, dass frühere Wirksamkeitsbewertungen erheblich überarbeitet werden müssen.

(3)   Unabhängig von den in den Absätzen 1 und 2 genannten Situationen kann der Zulassungsinhaber verpflichtet werden, im Zusammenhang mit einer der folgenden Situationen Wirksamkeitsstudien nach der Zulassung durchzuführen:

a)

Es handelt sich um eine bedingte Zulassung gemäß Artikel 14 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004;

b)

es handelt sich um eine Zulassung unter besonderen Bedingungen gemäß Artikel 14 Absatz 8 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 oder Artikel 22 der Richtlinie 2001/83/EG, die bestimmten Bedingungen unterliegt;

c)

es handelt sich um eine Zulassung für ein Arzneimittel für neuartige Therapien gemäß Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates (4);

d)

es handelt sich um die pädiatrischen Verwendung eines Arzneimittels gemäß Artikel 34 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (5);

e)

es wurde ein Befassungsverfahren gemäß Artikel 31 bzw. 107i der Richtlinie 2001/83/EG oder Artikel 20 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 eingeleitet.

Artikel 2

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 3. Februar 2014

Für die Kommission

Der Präsident

José Manuel BARROSO


(1)  ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67.

(2)  ABl. L 136 vom 30.4.2004, S. 1.

(3)  Rechtssache C-221/10P Artegodan gegen Kommission, noch nicht veröffentlicht, Randnummern 100-103.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 121).

(5)  Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1).