23.11.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 306/1


VERORDNUNG (EU) Nr. 1173/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

vom 16. November 2011

über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 136 in Verbindung mit Artikel 121 Absatz 6,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

nach Stellungnahme der Europäischen Zentralbank (1),

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),

nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, haben ein besonderes Interesse daran bzw. tragen eine besondere Verantwortung dafür, eine Wirtschaftspolitik zu verfolgen, durch die das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion gefördert wird, und Maßnahmen zu vermeiden, durch die dieses Funktionieren gefährdet wird.

(2)

Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) können im Euro-Währungsgebiet besondere, über die für alle Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen hinausgehende Maßnahmen ergriffen werden, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion zu gewährleisten.

(3)

Die Erfahrungen und Fehler, die während des ersten Jahrzehnts der Wirtschafts- und Währungsunion gemacht wurden, haben gezeigt, dass die wirtschaftspolitische Steuerung in der Union verbessert werden muss und auf einer größeren nationalen Eigenverantwortung für die gemeinsam beschlossenen Regeln und Strategien sowie auf einem solideren Rahmen auf Unionsebene zur Überwachung der nationalen Wirtschaftspolitiken beruhen sollte.

(4)

Der verbesserte Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung sollte sich auf mehrere miteinander verknüpfte und ineinandergreifende Politiken für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung stützen, insbesondere eine Unionsstrategie für Wachstum und Beschäftigung, wobei besonderer Wert auf den Ausbau und die Stärkung des Binnenmarkts, die Förderung des internationalen Handels und der Wettbewerbsfähigkeit, ein Europäisches Semester für die verstärkte Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik, einen wirksamen Rahmen zur Vermeidung und Korrektur übermäßiger Staatsdefizite (Stabilitäts- und Wachstumspakt), einen soliden Rahmen zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, Mindestanforderungen an die nationalen Haushaltsrahmen sowie eine verstärkte Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte einschließlich der Aufsicht auf Makroebene durch den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken zu legen ist.

(5)

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt und der Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung insgesamt sollten die Strategie der Union für Wachstum und Beschäftigung ergänzen und mit ihr in Einklang stehen. Die Verflechtungen zwischen unterschiedlichen Schwerpunkten sollten nicht zu Ausnahmen von den Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes führen.

(6)

Die Verwirklichung und Aufrechterhaltung eines dynamischen Binnenmarkts sollten als Bestandteil eines ordnungsgemäßen und reibungslosen Funktionierens der Wirtschafts- und Währungsunion angesehen werden.

(7)

Die Kommission sollte in dem Verfahren der verstärkten Überwachung in Bezug auf für jeden Mitgliedstaat spezifische Bewertungen, Überwachungsmaßnahmen, Missionen vor Ort, Empfehlungen und Warnungen eine gewichtigere Rolle wahrnehmen. Bei Beschlüssen über Sanktionen sollte die Rolle des Rates eingeschränkt sein und die umgekehrte Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit angewendet werden.

(8)

Im Hinblick auf einen ständigen Dialog mit den Mitgliedstaaten, der darauf abzielt, die Ziele dieser Verordnung zu erreichen, sollte die Kommission Überwachungsmissionen durchführen.

(9)

Die Kommission sollte die Verfahren der wirtschaftspolitischen Steuerung und insbesondere die Wirksamkeit und Angemessenheit der Sanktionen regelmäßig in großen Zügen bewerten. Diese Bewertungen sollten gegebenenfalls durch einschlägige Vorschläge ergänzt werden.

(10)

Bei der Durchführung dieser Verordnung sollte die Kommission die aktuelle Wirtschaftslage der betreffenden Mitgliedstaaten berücksichtigen.

(11)

Die Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung sollte eine engere und rechtzeitigere Einbindung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente einschließen.

(12)

Ein wirtschaftspolitischer Dialog mit dem Europäischen Parlament kann vorgesehen werden, der der Kommission die Möglichkeit bietet, ihre Analysen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und dem Vorsitzenden des Rates, der Kommission und gegebenenfalls dem Präsidenten des Europäischen Rates oder dem Präsidenten der Euro-Gruppe die Möglichkeit zu Diskussionen gibt. Eine solche öffentliche Debatte könnte eine Erörterung der Nebenwirkungen der nationalen Entscheidungen und öffentlichen Druck seitens der Partner auf die jeweiligen Akteure ermöglichen. Zwar wird anerkannt, dass die Verhandlungspartner des Europäischen Parlaments im Rahmen dieses Dialogs die jeweiligen Organe der Union und ihre Vertreter sind, doch kann der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments einem Mitgliedstaat, an den der Rat einen Beschluss gemäß Artikel 4, 5 und 6 dieser Verordnung gerichtet hat, die Gelegenheit bieten, an einer Aussprache teilzunehmen. Die Teilnahme des Mitgliedstaats an einer solchen Aussprache ist freiwillig.

(13)

Es sind zusätzliche Sanktionen erforderlich, um die Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet wirksamer zu machen. Durch diese Sanktionen sollte die Glaubwürdigkeit des Rahmens für die fiskalpolitische Überwachung der Union erhöht werden.

(14)

Durch die Bestimmungen dieser Verordnung sollten faire, zeitnahe, abgestufte und wirksame Mechanismen geschaffen werden für die Einhaltung sowohl der präventiven als auch der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (4) und der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (5), wobei die Einhaltung der Haushaltsdisziplin anhand der Kriterien des öffentlichen Defizits und des öffentlichen Schuldenstands geprüft wird.

(15)

Die auf Grundlage der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts gemäß dieser Verordnung vorgesehenen Sanktionen für Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, sollten einen Anreiz für die Anpassung an das mittelfristige Haushaltsziel und dessen Aufrechterhaltung schaffen.

(16)

Um von einer absichtlich oder aufgrund schwerwiegender Nachlässigkeit falschen Darstellung der öffentlichen Defizit- und Schuldendaten, die einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftspolitischen Koordination in der Union darstellen, abzuschrecken, sollte gegen die verantwortlichen Mitgliedstaaten eine Geldbuße verhängt werden.

(17)

Zur Ergänzung der Bestimmungen über die Berechnung der Geldbußen wegen der Manipulation von Statistiken und der Bestimmungen über das von der Kommission anzuwendende Verfahren zur Ermittlung derartiger Vorgänge sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV Rechtsakte hinsichtlich der ausführlichen Kriterien zur Bestimmung der Höhe der Geldbuße und der Durchführung der Untersuchungen durch die Kommission zu erlassen. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Kommission im Zuge ihrer Vorbereitungsarbeit angemessene Konsultationen, auch auf der Ebene von Sachverständigen, durchführt. Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollte die Kommission gewährleisten, dass die einschlägigen Dokumente dem Europäischen Parlament und dem Rat gleichzeitig, rechtzeitig und auf angemessene Weise übermittelt werden.

(18)

Im Rahmen der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts sollte die Anpassung an das mittelfristige Haushaltsziel und dessen Einhaltung dadurch sichergestellt werden, dass einem Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist und der unzureichende Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung erzielt, eine Verpflichtung zur vorübergehenden Hinterlegung einer verzinslichen Einlage auferlegt wird. Dies sollte der Fall sein, wenn ein Mitgliedstaat, auch dann, wenn es sich um einen Mitgliedstaat mit einem Defizit unterhalb des Referenzwerts von 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) handelt, erheblich von dem mittelfristigen Haushaltsziel oder dem angemessenen Anpassungspfad in Richtung auf dieses Ziel abweicht und die Abweichung nicht korrigiert.

(19)

Die vorgeschriebene verzinsliche Einlage zuzüglich der aufgelaufenen Zinsen sollte an den betreffenden Mitgliedstaat freigegeben werden, sobald der Rat sich davon überzeugt hat, dass der zugrunde liegenden Situation abgeholfen wurde.

(20)

Im Hinblick auf die korrektive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts sollten Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, in einer Verpflichtung zur Hinterlegung einer unverzinslichen Einlage in Verbindung mit einem Beschluss des Rates über das Vorliegen eines übermäßigen Defizits bestehen, wenn der betreffende Mitgliedstaat bereits im Rahmen der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Hinterlegung einer verzinslichen Einlage verpflichtet wurde oder wenn Fälle von besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten haushaltspolitischen Verpflichtungen vorliegen, oder sie sollten in der Verpflichtung zur Entrichtung einer Geldbuße bestehen, wenn einer Empfehlung des Rates zur Korrektur eines übermäßigen öffentlichen Defizits nicht nachgekommen wird.

(21)

Um eine rückwirkende Verhängung der in dieser Verordnung vorgesehenen Sanktionen der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu vermeiden, sollten sie nur in Bezug auf die einschlägigen Beschlüsse gelten, die der Rat gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung angenommen hat. Um ferner die rückwirkende Verhängung der in dieser Verordnung vorgesehenen Sanktionen der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu vermeiden, sollten diese nur in Bezug auf die einschlägigen Empfehlungen und Beschlüsse zur Korrektur eines übermäßigen öffentlichen Defizits gelten, die der Rat nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung angenommen hat.

(22)

Der Betrag der in dieser Verordnung vorgesehenen verzinslichen Einlagen, der unverzinslichen Einlagen und der Geldbußen sollte so bemessen sein, dass eine gerechte Abstufung der Sanktionen in der präventiven und der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfolgt und den Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, ausreichende Anreize zur Einhaltung des haushaltspolitischen Rahmens der Union geboten werden. Geldbußen gemäß Artikel 126 Absatz 11 AEUV setzen sich gemäß Artikel 12 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 aus einer festen Komponente in Höhe von 0,2 % des BIP und einer variablen Komponente zusammen. Somit sind die Abstufung und die Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten sichergestellt, wenn die Höhe der in dieser Verordnung festgelegten verzinslichen Einlage, der unverzinslichen Einlage und der Geldbuße 0,2 % des BIP entspricht, da dies der Betrag der festen Komponente der Geldbuße nach Artikel 126 Absatz 11 AEUV ist.

(23)

Der Rat sollte die Möglichkeit haben, die gegen Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, verhängten Sanktionen auf Empfehlung der Kommission nach einem mit Gründen versehenen Antrag des betreffenden Mitgliedstaats zu verringern oder aufzuheben. Im Rahmen der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts sollte die Kommission ferner aufgrund außergewöhnlicher wirtschaftlicher Umstände eine Verringerung des Betrags einer Sanktion oder deren Aufhebung empfehlen können.

(24)

Die unverzinsliche Einlage sollte nach der Korrektur des übermäßigen Defizits freigegeben werden, während die Zinsen auf solche Einlagen und die vereinnahmten Geldbußen Stabilitätsmechanismen für die Bereitstellung von Finanzhilfe zugewiesen werden sollten, die von Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zur Wahrung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt eingerichtet wurden.

(25)

Die Befugnis zur Annahme von einzelnen Beschlüssen zur Anwendung der in dieser Verordnung festgelegten Sanktionen sollte dem Rat übertragen werden. Als Bestandteil der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten im Rat gemäß Artikel 121 Absatz 1 AEUV sind diese einzelnen Beschlüsse untrennbare Folgemaßnahmen der vom Rat gemäß den Artikeln 121 und 126 AEUV und den Verordnungen (EG) Nr. 1466/97 und (EG) Nr. 1467/97 beschlossenen Maßnahmen.

(26)

Da diese Verordnung allgemeine Vorschriften für die effektive Durchsetzung der Verordnungen (EG) Nr. 1466/97 und (EG) Nr. 1467/97 enthält, sollte sie gemäß dem in Artikel 121 Absatz 6 AEUV vorgesehenen ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.

(27)

Da das Ziel dieser Verordnung, nämlich die Schaffung eines einheitlichen Sanktionssystems zur besseren Durchsetzung der präventiven und der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Euro-Währungsgebiet, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht hinreichend verwirklicht werden kann, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

KAPITEL I

GEGENSTAND, ANWENDUNGSBEREICH UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

Artikel 1

Gegenstand und Anwendungsbereich

(1)   Mit dieser Verordnung wird ein Sanktionssystem zur besseren Durchsetzung der präventiven und der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Euro-Währungsgebiet festgelegt.

(2)   Diese Verordnung gilt für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

1.

„präventive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ das gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 aufgebaute System der multilateralen Überwachung,

2.

„korrektive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ das durch Artikel 126 AEUV und die Verordnung (EG) Nr. 1467/97 geregelte Verfahren zur Vermeidung übermäßiger Defizite der Mitgliedstaaten,

3.

„außergewöhnliche wirtschaftliche Umstände“ Umstände, unter denen der Referenzwert für das öffentliche Defizit im Sinne von Artikel 126 Absatz 2 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich AEUV und der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 als ausnahmsweise überschritten angesehen wird.

KAPITEL II

WIRTSCHAFTSPOLITISCHER DIALOG

Artikel 3

Wirtschaftspolitischer Dialog

Um den Dialog zwischen den Organen der Union, insbesondere zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission, zu fördern und ein höheres Maß an Transparenz und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, kann der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments den Präsidenten des Rates, die Kommission und gegebenenfalls den Präsidenten des Europäischen Rates oder den Präsidenten der Euro-Gruppe einladen, vor dem Ausschuss zu erscheinen, um die nach den Artikeln 4, 5 und 6 dieser Verordnung gefassten Beschlüsse zu erörtern.

Der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments kann dem von solchen Beschlüssen betroffenen Mitgliedstaat die Gelegenheit bieten, an einer Aussprache teilzunehmen.

KAPITEL III

SANKTIONEN IM RAHMEN DER PRÄVENTIVEN KOMPONENTE DES STABILITÄTS- UND WACHSTUMSPAKTS

Artikel 4

Verzinsliche Einlagen

(1)   Nimmt der Rat einen Beschluss an, mit dem festgestellt wird, dass ein Mitgliedstaat es unterlassen hat, aufgrund der nach Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 ergangenen Empfehlung des Rates Maßnahmen zu ergreifen, so empfiehlt die Kommission dem Rat innerhalb von 20 Tagen nach Annahme des Beschlusses des Rates, dass der Rat mit einem weiteren Beschluss von dem betreffenden Mitgliedstaat verlangt, bei der Kommission eine verzinsliche Einlage in Höhe von 0,2 % des BIP des Vorjahres zu hinterlegen.

(2)   Wird die Empfehlung der Kommission nicht innerhalb von zehn Tagen nach ihrer Annahme durch die Kommission vom Rat mit qualifizierter Mehrheit abgelehnt, so gilt der Beschluss, die Hinterlegung zu verlangen, als vom Rat angenommen.

(3)   Der Rat kann die Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern und den so geänderten Text als Beschluss des Rates annehmen.

(4)   Die Kommission kann auf mit Gründen versehenen Antrag des betreffenden Mitgliedstaats, der binnen zehn Tagen nach Annahme des in Absatz 1 genannten Beschlusses des Rates mit der Feststellung der Unterlassung an die Kommission gerichtet wird, dem Rat die Verringerung der verzinslichen Einlage oder deren Aufhebung empfehlen.

(5)   Für die verzinsliche Einlage gilt der dem Kreditrisiko der Kommission und dem betreffenden Investitionszeitraum entsprechende Zinssatz.

(6)   Besteht die Situation, durch die die in Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 genannte Empfehlung veranlasst wurde, nicht mehr fort, so beschließt der Rat auf eine weitere Empfehlung der Kommission hin, dass dem betreffenden Mitgliedstaat die Einlage und die aufgelaufenen Zinsen rückerstattet werden. Der Rat kann die weitere Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern.

KAPITEL IV

SANKTIONEN IM RAHMEN DER KORREKTIVEN KOMPONENTE DES STABILITÄTS- UND WACHSTUMSPAKTS

Artikel 5

Unverzinsliche Einlagen

(1)   Beschließt der Rat im Verfahren gemäß Artikel 126 Absatz 6 AEUV, dass in einem Mitgliedstaat, der gemäß Artikel 4 Absatz 1 der vorliegenden Verordnung eine verzinsliche Einlage bei der Kommission hinterlegt hat, ein übermäßiges Defizit besteht, oder hat die Kommission besonders schwerwiegende Verstöße gegen die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten haushaltspolitischen Verpflichtungen festgestellt, so empfiehlt die Kommission dem Rat innerhalb von 20 Tagen nach Annahme des Beschlusses des Rates, dass der Rat mit einem weiteren Beschluss von dem betreffenden Mitgliedstaat verlangt, bei der Kommission eine unverzinsliche Einlage in Höhe von 0,2 % des BIP des Vorjahres zu hinterlegen.

(2)   Der Beschluss zur Verhängung einer Geldbuße gilt als vom Rat angenommen, sofern nicht der Rat die Empfehlung der Kommission binnen zehn Tagen nach der Annahme der Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ablehnt.

(3)   Der Rat kann die Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern und den so geänderten Text als Beschluss des Rates annehmen.

(4)   Die Kommission kann aufgrund außergewöhnlicher wirtschaftlicher Umstände oder auf mit Gründen versehenen Antrag des betreffenden Mitgliedstaats, der binnen 10 Tagen nach Annahme des in Absatz 1 genannten Beschlusses des Rates gemäß Artikel 126 Absatz 6 AEUV an die Kommission gerichtet wird, dem Rat die Verringerung der unverzinslichen Einlage oder deren Aufhebung empfehlen

(5)   Die Einlage wird bei der Kommission hinterlegt. Hat der Mitgliedstaat gemäß Artikel 4 eine verzinsliche Einlage bei der Kommission hinterlegt, so wird die verzinsliche in eine unverzinsliche Einlage umgewandelt.

Überschreitet die Höhe der gemäß Artikel 4 hinterlegten verzinslichen Einlage und der aufgelaufenen Zinsen die Höhe der gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels zu hinterlegenden unverzinslichen Einlage, so wird dem Mitgliedstaat der Differenzbetrag rückerstattet.

Überschreitet die Höhe der unverzinslichen Einlage die Höhe der gemäß Artikel 4 hinterlegten verzinslichen Einlage und der aufgelaufenen Zinsen, so zahlt der Mitgliedstaat den Differenzbetrag bei der Hinterlegung der unverzinslichen Einlage.

Artikel 6

Geldbußen

(1)   Beschließt der Rat im Verfahren gemäß Artikel 126 Absatz 8 AEUV, dass ein Mitgliedstaat keine wirksamen Maßnahmen zur Korrektur seines übermäßigen Defizits ergriffen hat, so empfiehlt die Kommission dem Rat binnen 20 Tagen nach Annahme dieses Beschlusses mit einem weiteren Beschluss, eine Geldbuße in Höhe von 0,2 % des BIP dieses Mitgliedstaats im Vorjahr zu verhängen.

(2)   Wird die Empfehlung der Kommission nicht innerhalb von zehn Tagen nach ihrer Annahme durch die Kommission vom Rat mit qualifizierter Mehrheit abgelehnt, so gilt der Beschluss zur Verhängung einer Geldbuße als vom Rat angenommen.

(3)   Der Rat kann die Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern und den so geänderten Text als Beschluss des Rates annehmen.

(4)   Die Kommission kann aufgrund außergewöhnlicher wirtschaftlicher Umstände oder auf mit Gründen versehenen Antrag des betreffenden Mitgliedstaats, der binnen zehn Tagen nach Annahme des in Absatz 1 genannten Beschlusses des Rates gemäß Artikel 126 Absatz 8 AEUV an die Kommission gerichtet wird, dem Rat die Verringerung der Geldbußen oder deren Aufhebung empfehlen.

(5)   Hat der Mitgliedstaat gemäß Artikel 5 eine unverzinsliche Einlage bei der Kommission hinterlegt, so wird die unverzinsliche Einlage in eine Geldbuße umgewandelt.

Überschreitet die Höhe der gemäß Artikel 5 hinterlegten unverzinslichen Einlage die Höhe der verhängten Geldbuße, so wird dem Mitgliedstaat der Differenzbetrag rückerstattet.

Überschreitet die Höhe der verhängten Geldbuße die Höhe der gemäß Artikel 5 hinterlegten unverzinslichen Einlage oder wurde keine unverzinsliche Einlage hinterlegt, so zahlt der Mitgliedstaat den Differenzbetrag zusammen mit der Geldbuße.

Artikel 7

Rückerstattung unverzinslicher Einlagen

Beschließt der Rat im Verfahren gemäß Artikel 126 Absatz 12 AEUV, einige oder sämtliche seiner Beschlüsse aufzuheben, so werden dem betreffenden Mitgliedstaat die bei der Kommission hinterlegten unverzinslichen Einlagen rückerstattet.

KAPITEL V

SANKTIONEN BEI MANIPULATION VON STATISTIKEN

Artikel 8

Sanktionen bei Manipulation von Statistiken

(1)   Der Rat, der auf Empfehlung der Kommission tätig wird, kann beschließen, gegen einen Mitgliedstaat, der Daten über Defizite und Schulden, die für die Anwendung der Artikel 121 oder 126 AEUV oder für die Anwendung des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit von Bedeutung sind, absichtlich oder aufgrund schwerwiegender Nachlässigkeit falsch darstellt, eine Geldbuße zu verhängen.

(2)   Die Geldbußen nach Absatz 1 müssen wirksam, abschreckend und — in Bezug auf Art, Schwere und Dauer der Verfälschung der Darstellung — verhältnismäßig sein. Der Betrag der Geldbuße darf die Höhe von 0,2 % des BIP des betreffenden Mitgliedstaats nicht überschreiten.

(3)   Die Kommission kann alle Untersuchungen durchführen, die zur Feststellung der Verfälschung der Darstellung nach Absatz 1 dieses Artikels erforderlich sind. Sie kann beschließen, eine Untersuchung einzuleiten, wenn sie feststellt, dass ernsthafte Hinweise auf das Vorhandensein von Umständen vorliegen, die vermuten lassen, dass eine solche Verfälschung der Darstellung vorliegt. Die Kommission untersucht die mutmaßliche Verfälschung der Darstellung und berücksichtigt dabei alle Stellungnahmen, die der betreffende Mitgliedstaat vorbringt. Die Kommission kann zur Ausführung ihrer Aufgaben den Mitgliedstaat auffordern, Informationen bereitzustellen und kann Überprüfungen vor Ort durchführen und die Konten aller staatlichen Stellen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie auf der Ebene der Sozialversicherungen einsehen. Verlangt das Recht des betreffenden Mitgliedstaats für Überprüfungen vor Ort eine vorherige gerichtliche Genehmigung, so stellt die Kommission die notwendigen Anträge.

Nach Abschluss ihrer Untersuchung und bevor sie dem Rat einen Vorschlag unterbreitet, gibt die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat die Gelegenheit, sich zum Gegenstand der Untersuchung zu äußern. Die Kommission stützt jedweden Vorschlag an den Rat ausschließlich auf Fakten, zu denen der betreffende Mitgliedstaat Gelegenheit hatte, sich zu äußern.

Die Kommission wahrt die Verteidigungsrechte des betreffenden Mitgliedstaats während der Untersuchungen in vollem Umfang.

(4)   Der Kommission wird die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 11 delegierte Rechtsakte in Bezug auf das Folgende zu erlassen:

a)

ausführliche Kriterien zur Festlegung des Betrags der in Absatz 1 genannten Geldbuße;

b)

ausführliche Bestimmungen über das Verfahren für die Untersuchungen nach Absatz 3, die damit verbundenen Maßnahmen und die Berichterstattung zu den Untersuchungen;

c)

ausführliche Verfahrensregeln zur Gewährleistung der Verteidigungsrechte, des Zugangs zu den Unterlagen, der rechtlichen Vertretung, der Vertraulichkeit und Vorschriften zum zeitlichen Ablauf und der Beitreibung der in Absatz 1 genannten Geldbußen.

(5)   Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die unbeschränkte Befugnis zur Überprüfung der Beschlüsse des Rates, mit denen Geldbußen gemäß Absatz 1 verhängt werden. Er kann die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen.

KAPITEL VI

VERWALTUNGSRECHTLICHER CHARAKTER DER SANKTIONEN UND AUFTEILUNG DER ZINSEN UND GELDBUSSEN

Artikel 9

Verwaltungsrechtlicher Charakter der Sanktionen

Die nach den Artikeln 4 bis 8 verhängten Sanktionen haben den Charakter von Verwaltungsmaßnahmen.

Artikel 10

Aufteilung der Zinsen und Geldbußen

Zinseinnahmen der Kommission aus Einlagen gemäß Artikel 5 sowie vereinnahmte Geldbußen gemäß den Artikeln 6 und 8 stellen sonstige Einnahmen im Sinne von Artikel 311 AEUV dar und werden der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zugewiesen. Richten die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zur Wahrung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt einen anderen Stabilitätsmechanismus für die Bereitstellung von Finanzhilfe ein, werden die Zinsen und die Geldbußen diesem Mechanismus zugewiesen.

KAPITEL VII

ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

Artikel 11

Ausübung der Befugnisübertragung

(1)   Die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte wird der Kommission unter den in diesem Artikel festgelegten Bedingungen übertragen.

(2)   Die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte gemäß Artikel 8 Absatz 4 wird der Kommission für einen Zeitraum von drei Jahren ab vom 13. Dezember 2011 übertragen. Die Kommission erstellt spätestens neun Monate vor Ablauf dieses Zeitraums von drei Jahren einen Bericht über die Befugnisübertragung. Die Befugnisübertragung verlängert sich stillschweigend um Zeiträume gleicher Länge, es sei denn, das Europäische Parlament oder der Rat widersprechen einer solchen Verlängerung spätestens drei Monate vor Ablauf des jeweiligen Zeitraums.

(3)   Die Befugnisübertragung gemäß Artikel 8 Absatz 4 kann vom Europäischen Parlament oder vom Rat jederzeit widerrufen werden. Der Beschluss über den Widerruf beendet die Übertragung der in diesem Beschluss angegebenen Befugnis. Er wird am Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union oder zu einem darin angegebenen späteren Zeitpunkt wirksam. Die Gültigkeit von delegierten Rechtsakten, die bereits in Kraft sind, wird von dem Beschluss über den Widerruf nicht berührt.

(4)   Sobald die Kommission einen delegierten Rechtsakt erlässt, übermittelt sie ihn gleichzeitig dem Europäischen Parlament und dem Rat.

(5)   Ein delegierter Rechtsakt, der gemäß Artikel 8 Absatz 4 erlassen wurde, tritt nur in Kraft, wenn weder das Europäische Parlament noch der Rat innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Übermittlung dieses Rechtsakts an das Europäische Parlament und den Rat Einwände erhoben haben oder wenn vor Ablauf dieser Frist das Europäische Parlament und der Rat beide der Kommission mitgeteilt haben, dass sie keine Einwände erheben werden. Auf Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates wird diese Frist um zwei Monate verlängert.

Artikel 12

Abstimmung im Rat

(1)   Bei den in den Artikeln 4, 5, 6 und 8 genannten Maßnahmen nehmen an der Abstimmung im Rat nur die Vertreter der Mitgliedstaaten teil, deren Währung der Euro ist, und beschließt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme des den betreffenden Mitgliedstaat vertretenden Mitglieds des Rates.

(2)   Die qualifizierte Mehrheit der in Absatz 1 genannten Mitglieder des Rates bestimmt sich nach Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b AEUV.

Artikel 13

Überprüfung

(1)   Bis vom 14. Dezember 2014 und danach alle fünf Jahre veröffentlicht die Kommission einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung.

In diesem Bericht wird unter anderem bewertet:

a)

die Wirksamkeit dieser Verordnung einschließlich der Möglichkeit, den Rat und die Kommission in die Lage zu versetzen, tätig zu werden, um Situationen anzugehen, die Gefahr laufen, das reibungslose Funktionieren der Währungsunion zu gefährden;

b)

die Fortschritte bei der Gewährleistung einer engeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik und einer nachhaltigen Konvergenz der Wirtschaftsleistungen der Mitgliedstaaten gemäß dem AEUV.

(2)   Dem Bericht wird gegebenenfalls ein Vorschlag zur Änderung dieser Verordnung beigefügt.

(3)   Der Bericht wird dem Europäischen Parlament und dem Rat übermittelt.

(4)   Die Kommission legt dem Rat und dem Europäischen Parlament bis Jahresende 2011 einen Bericht über die Möglichkeit der Einführung von „Euro-Wertpapieren“ vor.

Artikel 14

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß den Verträgen unmittelbar in den Mitgliedstaaten.

Geschehen zu Straßburg am 16. November 2011.

Im Namen des Europäischen Parlaments

Der Präsident

J. BUZEK

Im Namen des Rates

Der Präsident

W. SZCZUKA


(1)  ABl. C 150 vom 20.5.2011, S. 1.

(2)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 46.

(3)  Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 28. September 2011 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 8. November 2011.

(4)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.

(5)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 6.