31975L0440

Richtlinie 75/440/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten

Amtsblatt Nr. L 194 vom 25/07/1975 S. 0026 - 0031
Griechische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 1 S. 0080
Spanische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 1 S. 0123
Portugiesische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 1 S. 0123
Finnische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 1 S. 0232
Schwedische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 1 S. 0232
DE L 328 25/07/1975 P. 0034-0039


RICHTLINIE DES RATES vom 16. Juni 1975 über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten (75/440/EWG)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 100 und 235,

auf Vorschlag der Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (1),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

Der zunehmende Trinkwasserbedarf macht es notwendig, die Verschmutzung der Gewässer zu verringern und die weitere Verschmutzung der Gewässer zu verhindern.

Zum Schutz der Volksgesundheit ist es erforderlich, das zur Trinkwassergewinnung bestimmte Oberflächenwasser und dessen Aufbereitung zu überwachen.

Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten bereits anwendbar oder in Vorbereitung sind, können zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen und somit unmittelbare Auswirkungen auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes haben. Daher ist für dieses Gebiet die Angleichung der Rechtsvorschriften gemäß Artikel 100 des Vertrages vorzunehmen.

Es erscheint notwendig, diese Angleichung der Rechtsvorschriften durch ein Tätigwerden der Gemeinschaft zu ergänzen, um durch eine umfassendere Regelung eines der Ziele der Gemeinschaft im Bereich des Umweltschutzes und der Verbesserung der Lebensqualität zu verwirklichen. Deshalb sind dafür einige besondere Bestimmungen vorzusehen. Da die hierfür erforderlichen Befugnisse im Vertrag nicht vorgesehen sind, ist auf Artikel 235 des Vertrages zurückzugreifen.

Das Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz (3) sieht die gemeinsame Erarbeitung von Qualitätszielen zur Festlegung der Anforderungen vor, denen ein Umweltmedium genügen muß, insbesondere die Definition der Parameter für Wasser, einschließlich des zur Trinkwassergewinnung bestimmten Oberflächenwassers.

Die gemeinsame Festlegung von Mindestqualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung schließt weder strengere Anforderungen für andere Verwendungszwecke dieses Wassers noch die durch das Leben im Wasser gestellten Anforderungen aus.

Die Werte der Parameter für die Qualität des zur Trinkwassergewinnung verwendeten Oberflächenwassers müssen im Lichte der neuen technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse überprüft werden.

Die Verfahren zur Probenahme und zur Messung der Parameter für die physikalischen, chemischen und mikrobiologischen Merkmale des zur Trinkwassergewinnung bestimmten Oberflächenwassers werden zur Zeit erarbeitet und sollen in einer möglichst bald zu erlassenden Richtlinie festgelegt werden -

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1

(1) Diese Richtlinie betrifft die Qualitätsanforderungen, denen Oberflächensüßwasser, im folgenden Oberflächenwasser genannt, genügen muß, das nach entsprechender Aufbereitung zur Trinkwassergewinnung verwendet wird oder verwendet werden soll. Grundwasser, Brackwasser und zur (1)ABl. Nr. C 62 vom 30.5.1974, S. 7. (2)ABl. Nr. C 109 vom 19.9.1974, S. 41. (3)ABl. Nr. C 112 vom 20.12.1973, S. 3.

Anhebung des Grundwasserspiegels bestimmtes Wasser unterliegen dieser Richtlinie nicht.

(2) Als Trinkwasser im Sinne dieser Richtlinie gilt das für den menschlichen Verbrauch bestimmte, über Verteilernetze für die Allgemeinheit gelieferte Oberflächenwasser.

Artikel 2

Das Oberflächenwasser im Sinne dieser Richtlinie wird in drei Gruppen von Grenzwerten, nämlich A1, A2 und A3 eingeteilt, die den in Anhang I genannten geeigneten Standardaufbereitungsverfahren entsprechen. Diese Gruppen entsprechen drei verschiedenen Oberflächenwasserqualitäten mit den in der Tabelle des Anhangs II angegebenen physikalischen, chemischen und mikrobiologischen Merkmalen.

Artikel 3

(1) Die Mitgliedstaaten legen für alle Entnahmestellen oder für jede einzelne Entnahmestelle die auf Oberflächenwasser anwendbaren Werte für alle in Anhang II aufgeführten Parameter fest.

Hinsichtlich der Parameter, für welche die Tabelle in Anhang II keinen Wert enthält, brauchen die Mitgliedstaaten keine Werte nach Unterabsatz 1 festzusetzen, solange die Zahlen nicht nach dem Verfahren des Artikels 9 festgelegt worden sind.

(2) Die nach Absatz 1 festgelegten Werte dürfen nicht weniger streng sein als die in den Spalten I des Anhangs II angegebenen Werte.

(3) Sind in den Spalten G des Anhangs II Werte mit oder ohne entsprechenden Wert in den Spalten I desselben Anhangs aufgeführt, so bemühen sich die Mitgliedstaaten, sie - unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 6 - als Leitwerte einzuhalten.

Artikel 4

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß das Oberflächenwasser den nach Artikel 3 festgelegten Werten entspricht. Jeder Mitgliedstaat wendet dabei diese Richtlinie gleichermassen auf nationale und grenzueberschreitende Gewässer an.

(2) Im Rahmen der Ziele dieser Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um eine kontinuierliche Verbesserung der Umwelt sicherzustellen. Zu diesem Zweck legen sie einen systematischen Plan mit Zeitplan für die Sanierung von Oberflächenwasser, insbesondere von Wasser der Kategorie A3, fest. Dabei sind in den nächsten zehn Jahren im Rahmen der einzelstaatlichen Programme wesentliche Verbesserungen zu realisieren.

Bei der Festlegung des in Unterabsatz 1 genannten Zeitplans wird berücksichtigt, daß die Qualität der Umwelt, insbesondere die des Wassers, verbessert werden muß ; ferner wird den wirtschaftlichen und technischen Sachzwängen Rechnung getragen, die in den verschiedenen Gebieten der Gemeinschaft bestehen oder sich ergeben können.

Die Kommission prüft eingehend die in Unterabsatz 1 genannten Aktionspläne, einschließlich der Zeitpläne, und legt dem Rat gegebenenfalls geeignete Vorschläge im Zusammenhang damit vor.

(3) Oberflächenwasser, das in seinen physikalischen, chemischen und mikrobiologischen Merkmalen nicht mindestens den vorgeschriebenen Grenzwerten der Standardaufbereitung A3 entspricht, darf nicht zur Trinkwassergewinnung verwendet werden. Wasser von einer solchen geringeren Qualität darf jedoch ausnahmsweise verwendet werden, wenn eine angemessene Aufbereitung - einschließlich einer Mischung - vorgenommen wird, durch die alle Qualitätsmerkmale des Wassers auf ein Niveau gebracht werden, das mit den Gütenormen für Trinkwasser übereinstimmt. Die Begründung für eine derartige Ausnahme, der ein Verwaltungsplan für die Wasservorräte innerhalb der betreffenden Zone zugrunde liegen muß, muß der Kommission bei bestehenden Anlagen unverzueglich und bei neuen Anlagen im voraus bekanntgegeben werden. Die Kommission prüft diese Begründung eingehend und legt dem Rat gegebenenfalls geeignete Vorschläge im Zusammenhang damit vor.

Artikel 5

(1) Im Rahmen der Anwendung des Artikels 4 entspricht Oberflächenwasser den betreffenden Parametern, wenn die in regelmässigen Abständen an ein und derselben Schöpfstelle vorgenommene Probenahme des zur Trinkwassergewinnung verwendeten Wassers erweist, daß die Werte der Parameter für die betreffende Wasserqualität - bei 95 % der Proben im Falle der Parameter, die mit den in den Spalten I des Anhangs II angegebenen Parametern übereinstimmen, bzw.

- bei 90 % der Proben in allen anderen Fällen

erreicht werden, und wenn bei 5 % bzw. 10 % der Proben, die jeweils unter diesen Werten liegen, a) die Meßwerte nicht mehr als 50 % vom Wert der betreffenden Parameter abweichen, mit Ausnahme der Temperatur, des pH-Werts, des gelösten Sauerstoffs und der mikrobiologischen Parameter;

b) sich daraus keine Gefahr für die Volksgesundheit ergeben kann;

c) aufeinanderfolgende Wasserproben, die in statistisch brauchbarer Zeitfolge entnommen werden, nicht von den betreffenden Parametern abweichen.

(2) Bis zur Festlegung einer künftigen Gemeinschaftspolitik auf diesem Gebiet sind die Zeitfolge für die Probenahmen und die Analyse jedes Parameters sowie die Meßmethoden von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden festzulegen, die insbesondere die Menge des entnommenen Wassers, den Umfang der Probenahmen, die zahlenmässige Grösse der versorgten Bevölkerung, den Grad der Gefährdung auf Grund der Wasserqualität und die jahreszeitlich bedingten Schwankungen der Wasserqualität berücksichtigen.

(3) Ein Überschreiten der in Absatz 2 genannten Werte wird bei der Aufstellung der in Absatz 1 genannten Hundertsätze nicht berücksichtigt, wenn es sich aus Überschwemmungen, Naturkatastrophen oder aussergewöhnlichen Wetterbedingungen ergibt.

(4) Unter Schöpfstelle ist der Ort zu verstehen, an dem das Oberflächenwasser vor der Aufbereitung entnommen wird.

Artikel 6

Den Mitgliedstaaten ist es jederzeit freigestellt über die Werte dieser Richtlinie hinausgehende Anforderungen an Oberflächenwasser festzulegen.

Artikel 7

Die Anwendung der auf Grund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen darf weder unmittelbar noch mittelbar eine Verschlechterung der bestehenden Qualität des Oberflächenwassers bewirken.

Artikel 8

Abweichungen von dieser Richtlinie sind nur zulässig: a) bei Überschwemmungen oder Naturkatastrophen,

b) bei bestimmten Parametern, die in Anhang II mit (O) gekennzeichnet sind, wenn aussergewöhnliche meteorologische oder geographische Verhältnisse vorliegen,

c) wenn das Oberflächenwasser eine natürliche Anreicherung mit bestimmten Stoffen über die für die Kategorien A1, A2 und A3 der Tabelle in Anhang II festgelegten Grenzwerte hinaus erfährt,

d) bei Oberflächenwasser von Seen mit geringer Tiefe und praktisch stehendem Wasser für bestimmte in der Tabelle in Anhang II durch ein Sternchen gekennzeichnete Parameter, wobei diese Abweichung nur für Seen mit einer Tiefe von nicht mehr als 20 in gilt, bei denen die Erneuerung des Wassers mehr als ein Jahr in Anspruch nimmt und in die keine Abwässer abfließen.

Unter natürlicher Anreicherung ist der Prozeß zu verstehen, durch den ein bestimmtes Wasservolumen ohne Eingriff des Menschen gewisse im Boden enthaltene Stoffe aufnimmt.

Abweichungen gemäß Absatz 1 entbinden in keinem Falle von den zwingenden Erfordernissen zum Schutz der Volksgesundheit.

Nimmt ein Mitgliedstaat eine Abweichung vor, so teilt er der Kommission dies unverzueglich unter Angabe der Gründe und der Dauer mit.

Artikel 9

Die in der Tabelle in Anhang II angegebenen Zahlenwerte und die Liste der Parameter für die physikalischen, chemischen und mikrobiologischen Merkmale des Oberflächenwassers werden auf Verlangen eines Mitgliedstaats oder auf Vorschlag der Kommission überprüft, wenn neue technische und wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der Aufbereitungsverfahren gewonnen oder die Trinkwassernormen geändert werden.

Artikel 10

Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie und ihren Anhängen binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Sie setzen die Kommission hiervon unverzueglich in Kenntnis.

Artikel 11

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu Luxemburg am 16. Juni 1975.

Im Namen des Rates

Der Präsident

R. RYAN

ANHANG I Definition der Standardaufbereitungsverfahren zur Aufbereitung von Oberflächenwasser der Kategorien A1, A2 und A3 zu Trinkwasser

Kategorie A1:

Einfache physikalische Aufbereitung und Entkeimung, z.B. Schnellfilterung und Entkeimung.

Kategorie A2:

Normale physikalische und chemische Aufbereitung und Entkeimung, z.B. Vorchlorung, Koagulation, Flockung, Dekantierung, Filterung und Entkeimung (Nachchlorung).

Kategorie A3:

Physikalische und verfeinerte chemische Aufbereitung, Oxidation, Adsorption und Entkeimung, z.B. Brechpunkt-Chlorung, Koagulation, Flockung, Dekantierung, Filterung, Oxidation, Adsorption (Aktivkohle), Entkeimung (Ozon, Nachchlorung).

ANHANG II

>PIC FILE= "T0007655""PIC FILE= "T0007656">