32000R0141

Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden

Amtsblatt Nr. L 018 vom 22/01/2000 S. 0001 - 0005


VERORDNUNG (EG) Nr. 141/2000 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

vom 16. Dezember 1999

über Arzneimittel für seltene Leiden

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95,

auf Vorschlag der Kommission(1),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(2),

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Bestimmte Leiden treten so selten auf, daß die Kosten für die Entwicklung und das Inverkehrbringen eines Arzneimittels für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des Leidens durch den zu erwartenden Umsatz des Mittels nicht gedeckt werden würden. Die pharmazeutische Industrie wäre deshalb nicht bereit, das Arzneimittel unter normalen Marktbedingungen zu entwickeln. Diese Arzneimittel werden im englischen Sprachraum als "Orphan medicinal products" (d. h. als "Waisenkinder" unter den Arzneimitteln) bezeichnet.

(2) Patienten mit seltenen Leiden müssen dasselbe Recht auf gute Behandlung haben wie andere Patienten. Daher müssen Erforschung, Entwicklung und Inverkehrbringen geeigneter Arzneimittel durch die pharmazeutische Industrie gefördert werden. Anreize für die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Leiden bestehen in den USA seit 1983 und in Japan seit 1993.

(3) In der Europäischen Union gab es auf einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Ebene bisher nur vereinzelte Maßnahmen, um die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Leiden zu fördern. Solche Maßnahmen sollten vorzugsweise auf Gemeinschaftsebene getroffen werden, um für diese Erzeugnisse einen möglichst großen Markt zu erschließen und eine Aufsplitterung der begrenzten Mittel zu vermeiden. Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene sind unkoordinierten Maßnahmen der Mitgliedstaaten vorzuziehen, die zu Wettbewerbsverzerrungen und Hemmnissen im innergemeinschaftlichen Handel führen können.

(4) Es sollte klare und eindeutige Kriterien dafür geben, welche Arzneimittel für seltene Leiden für Anreize in Frage kommen. Dies dürfte sich am besten durch die Einführung eines offenen und transparenten Gemeinschaftsverfahrens für die Ausweisung potentieller Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden erreichen lassen.

(5) Für die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden sollten objektive Kriterien festgelegt werden. Bei diesen Kriterien sollte man sich auf die Prävalenz des Leidens stützen, für das eine Diagnose, Vorbeugung oder Therapie benötigt wird. Eine Prävalenz von nicht mehr als fünf von zehntausend Personen wird allgemein als geeigneter Schwellenwert angesehen. Ein Arzneimittel für ein lebensbedrohendes, ein zu schwerer Invalidität führendes oder ein schweres und chronisches Leiden sollte auch dann für Anreize in Frage kommen, wenn die Prävalenz bei über fünf von Zehntausend liegt.

(6) Ein Ausschuß von Sachverständigen, die von den Mitgliedstaaten benannt werden, sollte eingesetzt werden, um die Anträge auf Ausweisung von Arzneimitteln als Arzneimittel für seltene Leiden zu prüfen. Diesem Ausschuß sollten außerdem drei von der Kommission benannte Vertreter von Patientenorganisationen und drei weitere ebenfalls von der Kommission auf Empfehlung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (im folgenden: Agentur) benannte Personen angehören. Für die angemessene Koordinierung zwischen dem Ausschuß für Arzneimittel für seltene Leiden und dem Ausschuß für Arzneispezialitäten sollte die Agentur zuständig sein.

(7) Patienten mit solchen Leiden haben denselben Anspruch auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln wie andere Patienten. Arzneimittel für seltene Leiden sollten daher dem normalen Bewertungsverfahren unterliegen. Für Investoren von Arzneimitteln für seltene Leiden sollte die Möglichkeit einer Gemeinschaftsgenehmigung vorgesehen werden. Um die Erteilung oder Aufrechterhaltung einer Gemeinschaftsgenehmigung zu erleichtern, sollte man zumindest teilweise auf die der Agentur zu entrichtenden Gebühren verzichten. Der dadurch für die Agentur entstehende Verlust an Einnahmen sollte durch Mittel aus dem Haushalt der Gemeinschaft ausgeglichen werden.

(8) Die Erfahrungen in den Vereinigten Staaten und Japan haben gezeigt, daß für die Industrie der stärkste Anreiz zu Investitionen in die Entwicklung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln für seltene Leiden die Aussicht auf ein mehrjähriges Marktexklusivitätsrecht ist, wodurch sich die Investitionen möglicherweise teilweise decken lassen. Der Datenschutz gemäß Artikel 4 Nummer 8 Buchstabe a) Ziffer iii) der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel(4) reicht diesbezüglich als Anreiz nicht aus. Die Mitgliedstaaten können von sich aus eine entsprechende Maßnahme nicht ohne gemeinschaftliche Dimension einführen, da dies im Widerspruch zu der Richtlinie 65/65/EWG stuende. Würden die Mitgliedstaaten derartige Maßnahmen ohne Koordinierung ergreifen, so hätte dies Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel zur Folge, die ihrerseits Wettbewerbsverzerrungen nach sich zögen und dem Binnenmarkt entgegenstuenden. Das Marktexklusivitätsrecht sollte jedoch lediglich das therapeutische Anwendungsgebiet betreffen, für das ein Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen wurde, und sollte bereits bestehende Rechte an geistigem Eigentum nicht berühren. Im Interesse der Patienten sollte das für Arzneimittel für seltene Leiden gewährte Marktexklusivitätsrecht nicht ausschließen, daß ein ähnliches Arzneimittel in Verkehr gebracht werden kann, das den von dem Leiden Betroffenen erheblichen Nutzen bringen könnte.

(9) Investoren von nach dieser Verordnung ausgewiesenen Arzneimitteln für seltene Leiden sollten in den vollen Genuß aller Anreize kommen, die von der Gemeinschaft oder den Mitgliedstaaten geschaffen werden, um die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung solcher Leiden, einschließlich seltener Krankheiten, zu fördern.

(10) Durch das spezifische Programm Biomed 2 des Vierten Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung (1994-1998) wurde die Erforschung von Behandlungsmöglichkeiten für seltene Krankheiten gefördert; dazu gehören die Schaffung einer Methodologie für Schnellprogramme für die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Leiden und die Erstellung von Registern der in Europa verfügbaren Arzneimittel für seltene Leiden. Die hierfür bereitgestellten Mittel dienten der Förderung einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung auf dem Gebiet seltener Krankheiten. Die Erforschung seltener Krankheiten bleibt auch weiterhin ein prioritäres Anliegen der Gemeinschaft und wurde in das Fünfte Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung (1998-2002) aufgenommen. Diese Verordnung schafft einen rechtlichen Rahmen, der eine schnelle und wirkungsvolle Umsetzung der Ergebnisse dieser Forschung erlauben wird.

(11) Seltene Krankheiten wurden im Aktionsrahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit als vorrangiges Gebiet für Gemeinschaftsaktionen genannt. Die Kommission teilte in ihrer Mitteilung zu einem Aktionsprogramm der Gemeinschaft für seltene Krankheiten innerhalb des Aktionsrahmens im Bereich der öffentlichen Gesundheit ihre Entscheidung mit, diese Krankheiten innerhalb dieses Aktionsrahmens als vorrangig einzustufen. Mit dem Beschluß Nr. 1295/1999/EG(5) vom 29. April 1999 haben das Europäische Parlament und der Rat ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend seltene Krankheiten innerhalb des Aktionsrahmens im Bereich der öffentlichen Gesundheit (1999-2003) angenommen, das Aktionen zur Beschaffung von Informationen, zur Behandlung von Clustern seltener Krankheiten in einer Bevölkerung und zur Unterstützung einschlägiger Patientenorganisationen umfaßt. Mit dieser Verordnung wird eine der Prioritäten dieses Aktionsprogrammes verwirklicht -

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Zweck

Ziel dieser Verordnung ist es, ein Gemeinschaftsverfahren für die Ausweisung von Arzneimitteln als Arzneimittel für seltene Leiden festzulegen und Anreize für die Erforschung, Entwicklung und das Inverkebrbringen von als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimitteln zu schaffen.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) "Arzneimittel" ein Humanarzneimittel gemäß der Begriffsbestimmung in Artikel 2 der Richtlinie 65/65/EWG;

b) "Arzneimittel für seltene Leiden" ein nach den Bestimmungen dieser Verordnung ausgewiesenes Arzneimittel (Orphan medicinal product);

c) "Investor" eine in der Gemeinschaft niedergelassene juristische oder natürliche Person, die beantragt, daß ein Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen wird, oder diese Ausweisung bereits erhalten hat;

d) "Agentur" die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln.

Artikel 3

Kriterien für die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden

(1) Ein Arzneimittel wird als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen, wenn der Investor nachweisen kann, daß

a) das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines Leidens bestimmt ist, das lebensbedrohend ist oder eine chronische Invalidität nach sich zieht und von dem zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinschaft nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen sind, oder

das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines lebensbedrohenden Leidens, eines zu schwerer Invalidität führenden oder eines schweren und chronischen Leidens in der Gemeinschaft bestimmt ist und daß das Inverkehrbringen des Arzneimittels in der Gemeinschaft ohne Anreize vermutlich nicht genügend Gewinn bringen würde, um die notwendigen Investitionen zu rechtfertigen,

und

b) in der Gemeinschaft noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde oder daß das betreffende Arzneimittel - sofern eine solche Methode besteht - für diejenigen, die von diesem Leiden betroffen sind, von erheblichem Nutzen sein wird.

(2) Die Kommission erläßt die erforderlichen Bestimmungen für die Anwendung dieses Artikels mittels einer Durchführungsverordnung nach dem Verfahren des Artikels 72 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates(6).

Artikel 4

Ausschuß für Arzneimittel für seltene Leiden

(1) Es wird innerhalb der Agentur ein Ausschuß für Arzneimittel für seltene Leiden eingesetzt (im folgenden "Ausschuß" genannt).

(2) Der Ausschuß hat folgende Aufgaben:

a) Prüfung von Anträgen auf Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden, die ihm gemäß dieser Verordnung vorgelegt werden;

b) Beratung der Kommission bei der Ausarbeitung und Festlegung einer Politik der Europäischen Union für Arzneimittel für seltene Leiden;

c) Unterstützung der Kommission bei internationalen Beratungen auf dem Gebiet der Arzneimittel für seltene Leiden und bei ihren Kontakten mit Gruppen zur Unterstützung der Patienten;

d) Unterstützung der Kommission bei der Erarbeitung ausführlicher Leitlinien.

(3) Der Ausschuß setzt sich wie folgt zusammen: Jeder Mitgliedstaat benennt ein Mitglied, die Kommission benennt drei Mitglieder als Vertreter der Patientenorganisationen und drei Mitglieder auf Empfehlung der Agentur. Die Ausschußmitglieder werden für drei Jahre ernannt; eine Wiederernennung ist möglich. Sie können sich von Sachverständigen begleiten lassen.

(4) Der Ausschuß wählt seinen Vorsitzenden für drei Jahre; eine einmalige Wiederwahl ist möglich.

(5) Die Vertreter der Kommission und der Verwaltungsdirektor der Agentur oder dessen Vertreter können an allen Sitzungen des Ausschusses teilnehmen.

(6) Die Agentur übernimmt die Sekretariatsgeschäfte des Ausschusses.

(7) Die Ausschußmitglieder dürfen auch nach Ende ihres Mandats keine Informationen von der Art der Informationen preisgeben, die unter das Berufsgeheimnis fallen.

Artikel 5

Verfahren der Ausweisung und der Streichung aus dem Register

(1) Um die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden zu erhalten, stellt der Investor bei der Agentur in einem beliebigen Stadium der Entwicklung eines Arzneimittels einen entsprechenden Antrag; dies erfolgt vor Stellung des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen.

(2) Dem Antrag sind folgende Angaben und Unterlagen beizufügen:

a) Name oder Finna und ständige Anschrift des Investors,

b) Wirkstoffe des Arzneimittels,

c) vorgeschlagenes therapeutisches Anwendungsgebiet,

d) Begründung, daß die Kriterien des Artikels 3 Absatz I erfuellt sind und Darstellung des Entwicklungsstandes einschließlich der erwarteten Anwendungsgebiete.

(3) Die Kommission erstellt in Konsultation mit den Mitgliedstaaten, der Agentur und den interessierten Parteien ausführliche Leitlinien für Form und Inhalt der Anträge auf Ausweisung von Arzneimitteln als Arzneimittel für seltene Leiden.

(4) Die Agentur prüft die Gültigkeit des Antrags und legt dem Ausschuß die Ergebnisse in Form eines Kurzberichts vor. Sie kann den Investor erforderlichenfalls auffordern, zusätzliche Angaben und Unterlagen bereitzustellen.

(5) Die Agentur stellt sicher, daß der Ausschuß innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt eines gültigen Antrags ein Gutachten abgibt.

(6) Der Ausschuß bemüht sich bei der Erstellung seines Gutachtens darum, einen Konsens zu erzielen. Gelingt dies nicht, wird das Gutachten mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Ausschusses angenommen. Das Gutachten kann im schriftlichen Verfahren erstellt werden.

(7) Entspricht der Antrag nach dem Gutachten des Ausschusses nicht den Kriterien des Artikels 3 Absatz 1, so teilt die Agentur dies dem Investor unverzüglich mit. Der Investor kann innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt des Gutachtens unter Angabe ausführlicher Gründe einen Widerspruch einlegen, den die Agentur an den Ausschuß weiterleitet. Der Ausschuß prüft auf seiner nächsten Sitzung eine etwaige Revision seines Gutachtens.

(8) Die Agentur übermittelt das endgültige Gutachten des Ausschusses unverzüglich der Kommission, die innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt des Gutachtens eine Entscheidung annimmt. Steht der Entscheidungsentwurf ausnahmsweise nicht im Einklang mit dem Gutachten des Ausschusses, so wird die endgültige Entscheidung nach dem Verfahren des Artikels 73 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 angenommen. Die Entscheidung wird dem Investor sowie der Agentur und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mitgeteilt.

(9) Als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesene Arzneimittel werden in das Gemeinschaftsregister für Arzneimittel für seltene Leiden eingetragen.

(10) Der Investor übermittelt der Agentur jährlich einen Bericht über den Entwicklungsstand des ausgewiesenen Arzneimittels.

(11) Soll die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden auf einen anderen Investor übertragen werden, so reicht der Inhaber der Ausweisung bei der Agentur einen entsprechenden Antrag ein. Die Kommission erstellt in Konsultation mit den Mitgliedstaaten, der Agentur und den interessierten Parteien ausführliche Leitlinien für Form und Inhalt der Anträge auf Übertragung einer Ausweisung und alle Angaben über den neuen Investor.

(12) Ein als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenes Arzneimittel wird aus dem Gemeinschaftsregister für Arzneimittel für seltene Leiden gestrichen

a) auf Antrag des Investors,

b) wenn vor Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen festgestellt wird, daß die Kriterien des Artikels 3 in bezug auf dieses Arzneimittel nicht mehr erfuellt sind,

c) am Ende des in Artikel 8 vorgesehenen Zeitraums des Marktexklusivitätsrechts.

Artikel 6

Unterstützung bei der Erstellung des Prüfplans

(1) Der Investor von Arzneimitteln für seltene Leiden kann vor Stellung eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen bei der Agentur im Sinne des Artikels 51 Buchstabe j) der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 Auskünfte über die Durchführung der verschiedenen Tests und Versuche einholen, die zum Nachweis der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels erforderlich sind.

(2) Die Agentur legt ein Verfahren für die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Leiden fest, das eine ordnungsrechtliche Unterstützung bei der Festlegung des Inhalts des Genehmigungsantrags nach Artikel 6 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vorsieht.

Artikel 7

Gemeinschaftsgenehmigung für das Inverkehrbringen

(1) Die für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels für seltene Leiden zuständige Person kann beantragen, daß die Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 von der Gemeinschaft erteilt wird, ohne daß sie nachweisen muß, daß das Arzneimittel den Bedingungen von Teil B des Anhangs jener Verordnung entspricht.

(2) Zusätzlich zu dem Zuschuß nach Artikel 57 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 erhält die Agentur von der Gemeinschaft jährlich einen speziellen Zuschuß. Dieser dient der Agentur ausschließlich dazu, eine vollständige oder teilweise Befreiung von allen nach den Gemeinschaftsbestimmungen aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 zu entrichtenden Gebühren zu gewähren. Ein ausführlicher Bericht über die Verwendung dieses speziellen Zuschusses wird vom Verwaltungsdirektor der Agentur am Ende jedes Jahres vorgelegt. Etwaige Überschüsse werden jeweils auf das folgende Jahr übertragen und von dem speziellen Zuschuß für das nachfolgende Jahr abgezogen.

(3) Für Arzneimittel für seltene Leiden erteilte Genehmigungen für das Inverkehrbringen gelten ausschließlich für solche therapeutische Anwendungsgebiete, die den Kriterien des Artikels 3 entsprechen. Die Möglichkeit, für andere Anwendungsgebiete außerhalb des Geltungsbereichs dieser Verordnung eine getrennte Genehmigung für das Inverkehrbringen zu beantragen, bleibt davon unberührt.

Artikel 8

Marktexklusivitätsrecht

(1) Wurde nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels für seltene Leiden erteilt oder haben alle Mitgliedstaaten eine Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels nach den in den Artikeln 7 und 7a der Richtlinie 65/65/EWG oder in Artikel 9 Absatz 4 der Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten(7) vorgesehenen Verfahren für die gegenseitige Anerkennung - unbeschadet der Vorschriften über geistiges Eigentum oder anderer Vorschriften des Gemeinschaftsrechts - erteilt, so werden die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten während der nächsten zehn Jahre weder einen anderen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ähnlichen Arzneimittels für dasselbe therapeutische Anwendungsgebiet annehmen noch eine entsprechende Genehmigung erteilen noch einem Antrag auf Erweiterung einer bestehenden Genehmigung stattgeben.

(2) Dieser Zeitraum kann jedoch auf sechs Jahre verkürzt werden, wenn am Ende des fünften Jahres in bezug auf das betreffende Arzneimittel feststeht, daß die in Artikel 3 festgelegten Kriterien nicht mehr erfuellt sind, wenn nämlich unter anderem anhand der vorliegenden Daten nachgewiesen wird, daß die Rentabilität so ausreichend ist, daß die Aufrechterhaltung des Marktexklusivitätsrechts nicht gerechtfertigt ist. Zu diesem Zweck teilt ein Mitgliedstaat der Agentur mit, daß das Kiterium, anhand dessen das Marktexklusivitätsrecht gewährt wurde, möglicherweise nicht erfuellt wird, und die Agentur leitet sodann das Verfahren des Artikels 5 ein. Der Investor übermittelt der Agentur zu diesem Zweck die erforderlichen Informationen.

(3) Abweichend von Absatz 1 und unbeschadet der Vorschriften über geistiges Eigentum oder anderer Vorschriften des Gemeinschaftsrechts kann für ein ähnliches Arzneimittel mit demselben therapeutischen Anwendungsgebiet eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gewährt werden, wenn

a) der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des zuerst als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittels dem zweiten Antragsteller seine Zustimmung gegeben hat oder

b) der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des zuerst als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittels das Arzneimittel nicht in ausreichender Menge liefern kann oder

c) der zweite Antragsteller in seinem Antrag nachweisen kann, daß das zweite Arzneimittel, obwohl es dem bereits zugelassenen und als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittel ähnlich ist, sicherer, wirksamer oder unter anderen Aspekten klinisch überlegen ist.

(4) Die Kommission nimmt die Definition der Begriffe "ähnliches Arzneimittel" und "klinische Überlegenheit" mittels einer Durchführungsverordnung nach dem Verfahren des Artikels 72 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 an.

(5) Die Kommission erstellt in Konsultation mit den Mitgliedstaaten, der Agentur und den interessierten Parteien ausführliche Leitlinien für die Anwendung dieses Artikels.

Artikel 9

Sonstige Anreize

(1) Für die nach dieser Verordnung als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittel können von der Kommission und den Mitgliedstaaten Anreize zur Förderung der Erforschung, der Entwicklung und des Inverkehrbringens von Arzneimittel für seltene Leiden geschaffen werden, insbesondere Forschungshilfe zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen im Sinne der Rahmenprogramme im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung.

(2) Die Mitgliedstaaten machen der Kommission vor dem 22. Juli 2000 genaue Angaben zu allen Maßnahmen, die sie zur Förderung der Erforschung, der Entwicklung und des Inverkehrbringens von Arzneimitteln für seltene Leiden oder von Arzneimitteln, die als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen werden können, erlassen haben. Diese Angaben werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

(3) Die Kommission veröffentlicht vor dem 22. Januar 2001 ein ausführliches Verzeichnis aller Anreize, die von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zur Erforschung, zur Entwicklung und zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln für seltene Leiden geschaffen wurden. Dieses Verzeichnis wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Artikel 10

Allgemeiner Bericht

Die Kommission veröffentlicht vor dem 22. Januar 2006 einen allgemeinen Bericht über die bei der Anwendung dieser Verordnung gewonnenen Erfahrungen, in dem auch der hinsichtlich der öffentlichen Gesundheit erzielte Nutzen dargelegt wird.

Artikel 11

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.

Diese Verordnung gilt ab dem Tag der Annahme der Durchführungsverordnungen nach Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 8 Absatz 4.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Geschehen zu Brüssel am 16. Dezember 1999.

In Namen des Europäischen Parlaments

Die Präsidentin

N. FONTAINE

In Namen des Rates

Der Präsident

K. HEMILÄ

(1) ABl. C 276 vom 4.9.1998, S. 7.

(2) ABl. C 101 vom 12.4.1999, S. 37.

(3) Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 9. März 1999 (ABl. C 175 vom 21.6.1999, S. 61). Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 27. September 1999 (ABl. C 317 vom 4.11.1999, S. 34) und Beschluß des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 1999 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(4) ABl. 22 vom 9.2.1965, S. 369. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 93/39/EWG des Rates (ABl. L 214 vom 24.8.1993, S. 22).

(5) ABl. L 155 vom 22.6.1999, S. 1.

(6) ABl. L 214 vom 24.8.1993, S. 1. Verordnung geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 649/98 der Kommission (ABl. L 88 vom 24.3.1998, S. 7).

(7) ABl. L 147 vom 9.6.1975, S. 13. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 93/39/EWG des Rates (ABl. L 214 vom 24.8.1993, S. 22).