15.11.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 306/13


DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSSES (EU) 2016/1989 DES RATES

vom 11. November 2016

mit einer Empfehlung zur Verlängerung zeitlich befristeter Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen, die das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährden

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (1), insbesondere auf Artikel 29,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Im Einklang mit Artikel 29 des Schengener Grenzkodexes hat der Rat am 12. Mai 2016 einen Durchführungsbeschluss mit einer Empfehlung für zeitlich befristete Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen, die das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährden, angenommen.

(2)

Der Rat hat fünf Schengen-Staaten (Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen) empfohlen, weiterhin verhältnismäßige vorübergehende Grenzkontrollen für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten ab dem Tag der Annahme des Durchführungsbeschlusses durchzuführen, um der ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit zu begegnen, der sich diese Staaten aufgrund einer Kombination aus Mängeln bei den Kontrollen an den Außengrenzen in Griechenland und der Sekundärmigration irregulärer Migranten, die über Griechenland einreisen und in andere Schengen-Staaten weiterreisen wollen, gegenübersehen.

(3)

Am 28. September 2016 hat die Kommission ihren Bericht über die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses vorgelegt. Darin kam sie zu dem Schluss, dass die von Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen durchgeführten Binnengrenzkontrollen verhältnismäßig sind und mit der Empfehlung des Rates im Einklang stehen. Des Weiteren hielt es die Kommission zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Informationen und der von den betreffenden Staaten vorgelegten Berichte nicht für notwendig, Änderungen des Durchführungsbeschlusses vorzuschlagen.

(4)

Am 18. und 21. Oktober 2016 haben die betreffenden Schengen-Staaten der Kommission zum zweiten Mal über die Umsetzung der Ratsempfehlung Bericht erstattet. Die mitgeteilten Informationen lassen einen ähnlichen Trend erkennen wie die Angaben für den ersten Bericht (Rückgang der Zahl der Personen, denen die Einreise verweigert wird, sowie der Zahl der eingegangenen Asylanträge); es zeichnet sich also eine allmähliche Stabilisierung der Lage ab.

(5)

Auch wenn die Zahl der in der Europäischen Union angekommenen irregulären Migranten und Asylsuchenden stark zurückgegangen ist, halten sich nach wie vor zahlreiche irreguläre Migranten in Griechenland sowie in den von der Sekundärmigration irregulärer Migranten aus Griechenland am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten auf. Ausgehend von den in der Vergangenheit beobachteten Trends ist durchaus zu erwarten, dass diese Personen möglicherweise irregulär in andere Mitgliedstaaten weiterreisen wollen, wenn die Grenzübertrittskontrollen, die sie an der Sekundärmigration hindern, aufgehoben werden.

(6)

Die nationalen Verwaltungen und Dienststellen in allen EU-Mitgliedstaaten und insbesondere in den Schengen-Staaten, an die sich der Durchführungsbeschluss richtet, sind aufgrund der Zahl der seit Beginn der Migrationskrise insgesamt eingegangenen Asylanträge und der weiterhin eingehenden Anträge einer erheblichen Belastung ausgesetzt.

(7)

Binnengrenzkontrollen dürfen nicht isoliert von anderen wichtigen Faktoren gesehen werden. In ihrer Mitteilung „Zurück zu Schengen — ein Fahrplan“ (2) legte die Kommission dar, welche verschiedenen Maßnahmen zu ergreifen sind, damit die Rückkehr zu einem vollständig funktionierenden Schengen-Raum möglich ist.

(8)

Der Fahrplan sieht insbesondere die Annahme und Anwendung des Rechtsakts über die Europäische Grenz- und Küstenwache vor. Die Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (3) trat am 6. Oktober 2016 innerhalb von neun Monaten nach Vorlage des Kommissionsvorschlags in Kraft, was das Engagement aller beteiligten Akteure verdeutlicht. Es wird davon ausgegangen, dass die Soforteinsatzpools sowohl für Personal als auch für technische Ausrüstung und die Pools für rasche Rückführungen bis zum 7. Dezember 2016 bzw. 7. Januar 2017 eingerichtet und einsatzfähig sein werden.

(9)

Ein weiterer Aspekt, der im Fahrplan „Zurück zu Schengen“ genannt wird, ist die erfolgreiche Umsetzung der Erklärung EU-Türkei. Auch wenn die Umsetzung der Erklärung — wie im dritten Fortschrittsbericht (4) ausgeführt — weiterhin Früchte trägt, muss auch künftig sichergestellt werden, dass die Erklärung nachhaltig funktioniert. Zudem ist die Zusammenarbeit, auf die sich die Staats- und Regierungschefs in ihrer Erklärung auf dem Gipfeltreffen zur Westbalkanroute verständigt haben, weiterhin erforderlich.

(10)

Aus den oben dargelegten Gründen wird es trotz der stetigen und wichtigen Fortschritte in den im Fahrplan „Zurück zu Schengen“ genannten Bereichen und einer allmählichen Stabilisierung der Lage noch eine Weile dauern, bis die betreffenden Maßnahmen vollständig umgesetzt und die entsprechenden Ergebnisse bestätigt worden sind.

(11)

Die außergewöhnlichen Umstände, die eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit darstellen und das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährden, bestehen also fort.

(12)

Angesichts der aktuellen schwierigen Lage in Griechenland und des noch verbleibenden Drucks auf die Mitgliedstaaten, die am stärksten von der Sekundärmigration irregulärer Migranten aus Griechenland betroffen sind, scheint es daher gerechtfertigt, eine angemessene Verlängerung der zeitlich befristeten Kontrollen an den Binnengrenzen durch diejenigen Schengen-Staaten (Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und das assoziierte Land Norwegen) zu erlauben, die — im Einklang mit Artikel 29 des Schengener Grenzkodexes — derzeit solche Kontrollen als letztes Mittel aufgrund einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit durchführen.

(13)

Nach den zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügbaren sachbezogenen Indikatoren sollte die Verlängerung der Kontrollen drei Monate ab dem Datum der Annahme des vorliegenden Durchführungsbeschlusses nicht überschreiten.

(14)

Die Mitgliedstaaten, die beschließen, gemäß dem vorliegenden Durchführungsbeschluss weiterhin Kontrollen an den Binnengrenzen durchzuführen, sollten die anderen Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die Kommission davon in Kenntnis setzen.

(15)

Bevor sich die betreffenden Mitgliedstaaten für Grenzkontrollen entscheiden, sollten sie prüfen, ob der festgestellten Bedrohung nicht durch alternative Maßnahmen wirksam begegnet werden könnte. Die betreffenden Mitgliedstaaten sollten in ihren Mitteilungen über das Ergebnis dieser Überlegungen und die Gründe für die Entscheidung für Grenzkontrollen informieren.

(16)

Wie der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen zur Migration vom 20. Oktober 2016 feststellte, erfordert der Prozess der Rückkehr zu Schengen eine Anpassung der vorübergehenden Kontrollen an den Binnengrenzen, um den gegenwärtigen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Die Kontrollen gemäß dem vorliegenden Durchführungsbeschluss sollten nur im erforderlichen Umfang durchgeführt werden und in ihrer Intensität auf das absolut notwendige Mindestmaß beschränkt sein. Wenn beispielweise während eines bestimmten Zeitraums nur geringe Verkehrsströme zu verzeichnen sind, sind die Kontrollen an bestimmten Grenzabschnitten möglicherweise gar nicht erforderlich. Um das Überschreiten der betreffenden Binnengrenzen für die breite Öffentlichkeit so wenig wie möglich zu behindern, dürfen nur gezielte Kontrollen, die sich auf Risikoanalysen und nachrichtendienstliche Erkenntnisse stützen, durchgeführt werden. Außerdem sollte im Hinblick auf die schrittweise Reduzierung dieser Kontrollen regelmäßig in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Mitgliedstaaten geprüft und neu bewertet werden, inwieweit die Kontrollen an den entsprechenden Grenzabschnitten notwendig sind.

(17)

Am Ende jedes Monats der Umsetzung des vorliegenden Durchführungsbeschlusses sollte der Kommission ein umfassender Bericht über die Ergebnisse der durchgeführten Kontrollen, gegebenenfalls zusammen mit einer Bewertung ihrer weiteren Notwendigkeit, übermittelt werden. Dieser Bericht sollte folgende Angaben enthalten: die Gesamtzahl der kontrollierten Personen, die Gesamtzahl der nach den Kontrollen erfolgten Einreiseverweigerungen, die Gesamtzahl der nach den Kontrollen erlassenen Rückkehrentscheidungen und die Gesamtzahl der Asylanträge, die an den Binnengrenzen eingingen, an denen die Kontrollen stattfinden.

(18)

Der Rat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission angekündigt hat, die Anwendung dieses Durchführungsbeschlusses genau zu überwachen —

EMPFIEHLT:

1.

Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen verlängern die verhältnismäßigen vorübergehenden Grenzkontrollen um einen Zeitraum von höchstens drei Monaten ab dem Tag der Annahme dieses Durchführungsbeschlusses an den folgenden Binnengrenzen:

Österreich: an der österreichisch-ungarischen Landgrenze und an der österreichisch-slowenischen Landgrenze;

Deutschland: an der deutsch-österreichischen Landgrenze;

Dänemark: in den dänischen Häfen mit Fährverbindungen nach Deutschland und an der dänisch-deutschen Landgrenze;

Schweden: in den schwedischen Häfen in der Polizeiregion Süd und West und an der Öresund-Brücke;

Norwegen: in den norwegischen Häfen mit Fährverbindungen nach Dänemark, Deutschland und Schweden.

2.

Vor der Verlängerung dieser Kontrollen sollten sich die betreffenden Mitgliedstaaten mit dem bzw. den entsprechenden Mitgliedstaat(en) austauschen, um sicherzustellen, dass die Kontrollen an den Binnengrenzen nur dort durchgeführt werden, wo dies für erforderlich und verhältnismäßig erachtet wird. Außerdem sollten die betreffenden Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Schengener Grenzkodex sicherstellen, dass die Kontrollen an den Binnengrenzen nur als letztes Mittel durchgeführt werden, wenn sich mit alternativen Maßnahmen nicht dieselbe Wirkung erzielen lässt, und nur an den Abschnitten der Binnengrenzen, an denen dies für erforderlich und verhältnismäßig erachtet wird. Die betreffenden Mitgliedstaaten sollten die anderen Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament und die Kommission hiervon in Kenntnis setzen.

3.

Die Grenzkontrollen sollten weiterhin gezielt erfolgen, sich auf Risikoanalysen und nachrichtendienstliche Erkenntnisse stützen und in Bezug auf Umfang, Häufigkeit sowie räumliche und zeitliche Ausdehnung auf das Maß beschränkt sein, das unbedingt notwendig ist, um gegen die ernsthafte Bedrohung vorzugehen und den Schutz der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit zu wahren. Die Mitgliedstaaten, die gemäß dem vorliegenden Durchführungsbeschluss Kontrollen an den Binnengrenzen durchführen, sollten die Notwendigkeit, die Häufigkeit sowie die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Kontrollen wöchentlich überprüfen, die Intensität der Kontrollen jeweils an das Bedrohungsniveau anpassen und sie — wenn dies angemessen erscheint — schrittweise aufheben und der Kommission jeden Monat Bericht erstatten.

Geschehen zu Brüssel am 11. November 2016.

Im Namen des Rates

Der Präsident

P. ŽIGA


(1)  ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1.

(2)  COM(2016) 120 final.

(3)  ABl. L 251 vom 16.9.2016, S. 1.

(4)  Dritter Bericht über die Fortschritte bei der Umsetzung der Erklärung EU-Türkei (COM(2016) 634).