21.10.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 292/1


BESCHLUSS DES RATES

vom 27. Juni 2006

über die Unterzeichnung des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen

(2006/697/EG)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere die Artikel 24 und 38,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Europäische Union ist entschlossen, die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen unbeschadet der Bestimmungen zum Schutz der Freiheit des Einzelnen zu verbessern.

(2)

Gemäß dem Beschluss des Rates vom 10. Juli 2001, mit dem der Vorsitz des Rates ermächtigt wurde, Übereinkommen mit Norwegen und Island über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen auf der Grundlage der Artikel 24 und 38 des Vertrags über die Europäische Union auszuhandeln, und der durch den Beschluss des Rates vom 19. Dezember 2002 geändert wurde, hat der Vorsitz mit Unterstützung der Kommission ein Übereinkommen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen ausgehandelt —

BESCHLIESST:

Artikel 1

Die Unterzeichnung des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen wird — vorbehaltlich seines Abschlusses — im Namen der Europäischen Union genehmigt.

Der Wortlaut des Abkommens und die bei der Unterzeichnung des Übereinkommens abzugebenden Erklärungen sind diesem Beschluss beigefügt.

Artikel 2

Der Präsident des Rates wird ermächtigt, die Person(en) zu bestellen, die befugt ist (sind), das Übereinkommen vorbehaltlich seines Abschlusses zu unterzeichnen.

Artikel 3

Dieser Beschluss und das ihm beigefügte Übereinkommen werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Geschehen zu Luxemburg am 27. Juni 2006.

Im Namen des Rates

Der Präsident

J. PRÖLL


ÜBEREINKOMMEN

zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen

DIE EUROPÄISCHE UNION

einerseits und

DIE REPUBLIK ISLAND

und

DAS KÖNIGREICH NORWEGEN

andererseits,

nachstehend „Vertragsparteien“ genannt —

IN DEM WUNSCH, die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen unbeschadet der Bestimmungen zum Schutze der Freiheit des Einzelnen zu verbessern,

IN DER ERWÄGUNG, dass die bestehenden Beziehungen zwischen den Vertragsparteien eine enge Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung erfordern,

IM GEGENSEITIGEN VERTRAUEN auf die Struktur und die Funktionsweise ihrer Rechtssysteme und die Fähigkeit aller Vertragsparteien, ein faires Verfahren zu gewährleisten,

IN DER ERWÄGUNG, dass Island und Norwegen den Wunsch zum Ausdruck gebracht haben, ein Übereinkommen zu schließen, das ihnen ermöglicht, rasch Vorkehrungen zu treffen, damit Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder aus ihnen überstellt werden können, und ein Übergabeverfahren mit den Mitgliedstaaten anzuwenden,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Europäische Union ein derartiges Übereinkommen ebenfalls für wünschenswert hält,

IN DER ERWÄGUNG, dass daher ein System für ein solches Übergabeverfahren geschaffen werden sollte,

IN DER ERWÄGUNG, dass alle Mitgliedstaaten und das Königreich Norwegen und die Republik Island Vertragsparteien verschiedener Übereinkünfte im Bereich der Auslieferung sind, unter anderem des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus. Die nordischen Staaten verfügen über einheitliche Auslieferungsgesetze mit einem gemeinsamen Auslieferungsbegriff,

IN DER ERWÄGUNG, dass das Niveau der Zusammenarbeit im Rahmen des EU-Übereinkommens vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und des EU-Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung dort beibehalten werden sollte, wo ein höheres Niveau nicht möglich ist,

IN DER ERWÄGUNG, dass Entscheidungen zur Vollstreckung eines Haftbefehls im Sinne dieses Übereinkommens ausreichender Kontrolle unterliegen müssen, was bedeutet, dass eine Justizbehörde des Staates, in dem die gesuchte Person festgenommen wurde, die Entscheidung zur Übergabe dieser Person treffen sollte,

IN DER ERWÄGUNG, dass sich die Rolle der Zentralbehörden bei der Vollstreckung eines Haftbefehls im Sinne dieses Übereinkommens auf praktische und administrative Unterstützung beschränken sollte,

IN DER ERWÄGUNG, dass dieses Übereinkommen die Grundrechte und insbesondere die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten achtet.

Dieses Übereinkommen belässt jedem Staat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Vorschriften über ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, die Vereinigungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien und Freiheitskämpfer,

IN DER ERWÄGUNG, dass niemand an einen Staat überstellt werden sollte, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht,

IN DER ERWÄGUNG, dass die bei der Durchführung dieses Übereinkommens zu verarbeitenden personenbezogenen Daten gemäß den Grundsätzen des Übereinkommens des Europarates vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten zu schützen sind, da alle Staaten das genannte Übereinkommen ratifiziert haben —

SIND WIE FOLGT ÜBEREINGEKOMMEN:

KAPITEL 1

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE

Artikel 1

Gegenstand und Zweck

(1)   Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Übergabe von Personen zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung zwischen den Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Norwegen und der Republik Island andererseits gemäß dem vorliegenden Übereinkommen zu verbessern und hierbei die Bestimmungen des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Mindeststandards zu berücksichtigen.

(2)   Die Vertragsparteien verpflichten sich zu gewährleisten, dass sich das System der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Norwegen und der Republik Island andererseits gemäß diesem Übereinkommen auf einen Mechanismus der Übergabe aufgrund eines Haftbefehls nach Maßgabe dieses Übereinkommens stützt.

(3)   Dieses Übereinkommen berührt nicht die Pflicht, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundrechte und allgemeinen Rechtsgrundsätze oder im Falle einer Vollstreckung durch eine Justizbehörde eines Mitgliedstaats die Grundsätze des Artikels 6 des Vertrags über die Europäische Union zu achten.

(4)   Dieses Übereinkommen ist nicht so auszulegen, als verbiete es, die Übergabe einer Person, gegen die ein Haftbefehl im Sinne dieses Übereinkommens besteht, abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache, politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

(1)   Der Begriff „Vertragsparteien“ bezeichnet die Europäische Union und das Königreich Norwegen und die Republik Island.

(2)   Der Begriff „Mitgliedstaat“ bezeichnet einen Mitgliedstaat der Europäischen Union.

(3)   Der Begriff „Staat“ bezeichnet einen Mitgliedstaat, das Königreich Norwegen oder die Republik Island.

(4)   Der Begriff „Drittstaat“ bezeichnet alle Staaten außer Staaten im Sinne des Absatzes 3.

(5)   Der Begriff „Haftbefehl“ bezeichnet eine justizielle Entscheidung, die in einem Staat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Staat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

Artikel 3

Anwendungsbereich

(1)   Ein Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt.

(2)   Unbeschadet der Absätze 3 und 4 wird die Übergabe davon abhängig gemacht, dass die Handlungen, derentwegen der Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsstaats darstellen, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat.

(3)   Vorbehaltlich der Artikel 4, Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben b bis g, Artikel 6, Artikel 7 und Artikel 8 darf ein Staat auf keinen Fall die Vollstreckung eines Haftbefehls verweigern, der im Zusammenhang mit dem Verhalten einer Person ausgestellt wurde, die zur Begehung einer oder mehrerer mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedrohter strafbarer Handlungen durch eine mit einem gemeinsamen Ziel handelnde Gruppe von Personen auf dem Gebiet des Terrorismus nach den Artikeln 1 und 2 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus und nach den Artikeln 1, 2, 3 und 4 des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, auf dem Gebiet des illegalen Handels mit Drogen und psychotropen Stoffen oder in den Bereichen vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Entführung, Freiheitsberaubung, Geiselnahme und Vergewaltigung beiträgt, auch wenn die betreffende Person sich nicht an der eigentlichen Ausführung der betreffenden strafbaren Handlung oder strafbaren Handlungen beteiligt; ein derartiger Beitrag muss vorsätzlich geleistet werden und die betreffende Person muss sich außerdem bewusst sein, dass ihre Beteiligung zur Durchführung der strafbaren Tätigkeiten der Vereinigung beiträgt.

(4)   Norwegen und Island einerseits und die EU im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können eine Erklärung abgeben, wonach die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nach Absatz 2 unter nachstehenden Bedingungen auf der Grundlage von Gegenseitigkeit entfällt. Bei nachstehenden Straftaten erfolgt, wenn sie im Ausstellungsstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, eine Übergabe aufgrund eines Haftbefehls nach Maßgabe dieses Übereinkommens und ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit:

Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung,

Terrorismus,

Menschenhandel,

sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie,

illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen,

illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen,

Korruption,

Betrugsdelikte, einschließlich des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften,

Wäsche von Erträgen aus Straftaten,

Geldfälschung einschließlich der Euro-Fälschung,

Cyberkriminalität,

Umweltkriminalität, einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten,

Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt,

vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung,

illegaler Handel mit menschlichen Organen und menschlichem Gewebe,

Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme,

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit,

Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen,

illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenständen,

Betrug,

Erpressung und Schutzgelderpressung,

Nachahmung und Produktpiraterie,

Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit,

Fälschung von Zahlungsmitteln,

illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern,

illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen,

Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen,

Vergewaltigung,

Brandstiftung,

Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen,

Flugzeug- und Schiffsentführung,

Sabotage.

Artikel 4

Gründe, aus denen die Vollstreckung des Haftbefehls abzulehnen ist

Die Staaten verpflichten die vollstreckende Justizbehörde, die Vollstreckung des Haftbefehls in folgenden Fällen abzulehnen:

1.

wenn die Straftat, aufgrund deren der Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war;

2.

wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Staat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Strafe bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

3.

wenn die Person, gegen die der Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung, die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.

Artikel 5

Andere Gründe für eine Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls

(1)   Die Staaten können die vollstreckende Justizbehörde verpflichten oder ihr anheim stellen, die Vollstreckung des Haftbefehls in folgenden Fällen abzulehnen:

a)

wenn in einem der in Artikel 3 Absatz 2 genannten Fälle die Handlung, aufgrund deren der Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats keine Straftat darstellt; in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsstaats;

b)

wenn die Person, gegen die der Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat wegen derselben Handlung, aufgrund deren der Haftbefehl ausgestellt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird;

c)

wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsstaats beschlossen haben, wegen der Straftat, aufgrund deren der Haftbefehl ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen, oder wenn gegen die gesuchte Person in einem Staat aufgrund derselben Handlung eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht;

d)

wenn die Strafverfolgung oder -vollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats verjährt ist und hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand;

e)

wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Strafe bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

f)

wenn der Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist, sich die gesuchte Person im Vollstreckungsstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung nach seinem nationalen Recht zu vollstrecken;

g)

wenn der Haftbefehl sich auf Straftaten erstreckt, die

i)

nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden sind;

oder

ii)

außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsstaats begangen wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats die Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen.

(2)   Jeder Staat teilt dem Generalsekretariat des Rates mit, bei welchen der in Absatz 1 aufgeführten Ablehnungsgründe er seine vollstreckenden Justizbehörden verpflichtet hat, die Vollstreckung eines Haftbefehls abzulehnen. Das Generalsekretariat macht die erhaltenen Angaben allen Staaten und der Kommission zugänglich.

Artikel 6

Ausnahme politischer Straftaten

(1)   Die Vollstreckung darf nicht mit der Begründung verweigert werden, dass eine strafbare Handlung vom Vollstreckungsstaat als politische Straftat, als eine mit einer solchen zusammenhängenden Straftat oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat angesehen wird.

(2)   Norwegen und Island einerseits und die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können jedoch eine Erklärung abgeben, wonach Absatz 1 nur angewandt wird im Zusammenhang mit

a)

strafbaren Handlungen nach den Artikeln 1 und 2 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus,

b)

den Straftatbestand der Verabredung einer strafbaren Handlung oder der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung erfüllenden Handlungen, die dem in Artikel 3 Absatz 3 beschriebenen Verhalten entsprechen und die darauf gerichtet sind, eine oder mehrere strafbare Handlungen nach den Artikeln 1 und 2 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus zu begehen,

und

c)

den Artikeln 1, 2, 3 und 4 des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung.

(3)   Ist ein Haftbefehl von einem Staat, der eine Erklärung nach Absatz 2 abgegeben hat, oder von einem Staat, in dessen Namen eine solche Erklärung abgegeben wurde, ausgestellt worden, so kann der Vollstreckungsstaat den Grundsatz der Gegenseitigkeit anwenden.

Artikel 7

Ausnahme eigener Staatsangehöriger

(1)   Die Vollstreckung darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Person, um deren Übergabe ersucht wird, Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats ist.

(2)   Norwegen und Island einerseits und die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können eine Erklärung abgeben, wonach eigene Staatsangehörige nicht übergeben werden oder ihre Übergabe nur unter bestimmten spezifizierten Bedingungen zugelassen wird.

(3)   Ist ein Haftbefehl von einem Staat, der eine Erklärung nach Absatz 2 abgegeben hat, oder von einem Staat, in Bezug auf den eine solche Erklärung abgegeben wurde, ausgestellt worden, so können die anderen Staaten bei der Vollstreckung des Haftbefehls den Grundsatz der Gegenseitigkeit anwenden.

Artikel 8

Vom Ausstellungsstaat in bestimmten Fällen zu gewährende Garantien

Die Vollstreckung des Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde kann an folgende Bedingungen geknüpft werden:

1.

Ist der Haftbefehl zur Vollstreckung einer Strafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden, die in einem Abwesenheitsurteil verhängt worden ist, und ist die betroffene Person nicht persönlich vorgeladen oder nicht auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung, die zum Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden, so kann die Übergabe an die Bedingung geknüpft werden, dass die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein.

2.

Ist die Straftat, die dem Haftbefehl zugrunde liegt, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass der Ausstellungsstaat eine vom Vollstreckungsstaat als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach er die verhängte Strafe oder Maßregel auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren prüfen oder für Gnadenakte eintreten wird, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder Maßregel führen können und auf die die betreffende Person nach dem nationalen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsstaats Anspruch hat.

3.

Ist die Person, gegen die ein Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsstaat rücküberstellt wird.

Artikel 9

Bestimmung der zuständigen Justizbehörden

(1)   Ausstellende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Ausstellungsstaats, die nach dem Recht dieses Staates für die Ausstellung eines Haftbefehls zuständig ist.

(2)   Vollstreckende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats, die nach dem Recht dieses Staates für die Vollstreckung des Haftbefehls zuständig ist. Bei der Notifizierung gemäß Artikel 38 Absatz 1 kann ein Justizministerium als für die Vollstreckung eines Haftbefehls zuständige Behörde benannt werden, gleichgültig ob das Justizministerium nach dem nationalen Recht des betreffenden Staates als Justizbehörde gilt oder nicht.

(3)   Die Vertragsparteien unterrichten einander über ihre zuständigen Behörden.

Artikel 10

Beteiligung der zentralen Behörde

(1)   Die Vertragsparteien können einander die zentrale Behörde jedes Staates, der eine solche benannt hat, oder, sofern es die Rechtsordnung des betreffenden Staates vorsieht, dessen zentrale Behörden zur Unterstützung der zuständigen Justizbehörden mitteilen.

(2)   Hierbei können die Vertragsparteien darauf hinweisen, dass aufgrund des Aufbaus des Justizsystems der betreffenden Staaten die zentrale(n) Behörde(n) mit der administrativen Übermittlung und Entgegennahme der Haftbefehle sowie des gesamten übrigen sie betreffenden amtlichen Schriftverkehrs betraut ist/sind. Diese Angaben sind für alle Behörden des Ausstellungsstaats verbindlich.

Artikel 11

Inhalt und Form des Haftbefehls

(1)   Der Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten Formblatt folgende Informationen:

a)

die Identität und die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person;

b)

Name, Adresse, Telefon- und Telefaxnummer sowie E-Mail-Adresse der ausstellenden Justizbehörde;

c)

die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach den Artikeln 2 und 3 vorliegt;

d)

die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, insbesondere in Bezug auf Artikel 3;

e)

die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Tatbeteiligung der gesuchten Person;

f)

im Fall eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die betreffende Straftat im Ausstellungsstaat gesetzlich vorgeschriebene Strafrahmen;

g)

soweit möglich, die anderen Folgen der Straftat.

(2)   Der Haftbefehl ist in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats zu übersetzen. Jede Vertragspartei kann zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Übereinkommens oder später eine Erklärung abgeben, wonach sie eine Übersetzung in eine oder mehrere weitere Amtssprachen eines Staates akzeptiert.

KAPITEL 2

ÜBERGABEVERFAHREN

Artikel 12

Übermittlung eines Haftbefehls

(1)   Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt, so kann die ausstellende Justizbehörde den Haftbefehl direkt der vollstreckenden Justizbehörde übermitteln.

(2)   Die ausstellende Justizbehörde kann in allen Fällen beschließen, die gesuchte Person im Schengener Informationssystem (SIS) ausschreiben zu lassen.

Eine derartige Ausschreibung erfolgt gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften der Europäischen Union über Ausschreibungen von Personen im SIS zum Zwecke der Übergabe. Eine Ausschreibung im SIS steht einem Haftbefehl, dem die in Artikel 11 Absatz 1 angegebenen Informationen beigefügt sind, gleich.

(3)   Während eines Übergangszeitraums, der so lange währt, bis das SIS in der Lage ist, alle in Artikel 11 genannten Informationen zu übermitteln, steht die Ausschreibung dem Haftbefehl gleich, bis das Original bei der vollstreckenden Justizbehörde in der gebührenden Form eingegangen ist.

Artikel 13

Modalitäten der Übermittlung eines Haftbefehls

(1)   Ist der ausstellenden Justizbehörde die zuständige vollstreckende Justizbehörde nicht bekannt, so stellt sie die erforderlichen Nachforschungen an, um diese Information vom Vollstreckungsstaat zu erlangen.

(2)   Kann nicht auf das SIS zurückgegriffen werden, so kann die ausstellende Justizbehörde für die Übermittlung des Haftbefehls die Dienste der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) in Anspruch nehmen.

(3)   Die ausstellende Justizbehörde kann den Haftbefehl durch jedes sichere Mittel, das die Erstellung einer schriftlichen Fassung unter Bedingungen ermöglicht, die dem Vollstreckungsstaat die Feststellung der Echtheit gestatten, übermitteln.

(4)   Alle Schwierigkeiten in Verbindung mit der Übermittlung oder der Echtheit der zur Vollstreckung des Haftbefehls erforderlichen Unterlagen werden direkt zwischen den betreffenden Justizbehörden oder gegebenenfalls unter Einschaltung der Zentralbehörden der Staaten behoben.

(5)   Ist die Behörde, bei der ein Haftbefehl eingeht, für dessen Bearbeitung nicht zuständig, so übermittelt sie den Haftbefehl von Amts wegen der zuständigen Behörde in ihrem Staat und setzt die ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand in Kenntnis.

Artikel 14

Rechte der gesuchten Person

(1)   Wird eine gesuchte Person festgenommen, so unterrichtet die zuständige Justizbehörde des Vollstreckungsstaats nach seinem nationalen Recht die betreffende Person von dem Haftbefehl, von dessen Inhalt sowie davon, dass sie ihrer Übergabe an die ausstellende Justizbehörde zustimmen kann.

(2)   Eine gesuchte Person, die zum Zwecke der Vollstreckung eines Haftbefehls festgenommen wird, hat nach Maßgabe des nationalen Rechts des Vollstreckungsstaats Anspruch darauf, einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher hinzuzuziehen.

Artikel 15

Inhafthaltung der gesuchten Person

Im Falle der Festnahme einer Person aufgrund eines Haftbefehls entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaats in Haft zu halten ist. Eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Vollstreckungsstaats ist jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Staates die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten Person trifft.

Artikel 16

Zustimmung zur Übergabe

(1)   Gibt die festgenommene Person an, dass sie ihrer Übergabe zustimmt, so werden diese Zustimmung und gegebenenfalls der ausdrückliche Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 30 Absatz 2 vor der vollstreckenden Justizbehörde nach dem innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsstaats erklärt.

(2)   Jeder Staat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 unter Bedingungen entgegengenommen werden, die erkennen lassen, dass die Person sie freiwillig und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekundet hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen.

(3)   Die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 werden nach dem im innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsstaats vorgesehenen Verfahren zu Protokoll genommen.

(4)   Die Zustimmung ist grundsätzlich unwiderruflich. Jeder Staat kann vorsehen, dass die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach den anwendbaren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts widerruflich sein können. In diesem Fall wird der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Zustimmung erklärt wurde, und dem Zeitpunkt, zu dem sie widerrufen wurde, bei der Berechnung der in Artikel 20 vorgesehenen Fristen nicht berücksichtigt. Norwegen und Island einerseits und die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können zum Zeitpunkt der Notifizierung nach Artikel 38 Absatz 1 eine Erklärung abgeben, wonach sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen; in der Erklärung geben sie die Modalitäten an, nach denen die Zustimmung widerrufen werden kann, sowie jede Änderung dieser Modalitäten

Artikel 17

Vernehmung der gesuchten Person

Stimmt die festgenommene Person ihrer Übergabe nach Maßgabe des Artikels 16 nicht zu, so hat sie das Recht, von der vollstreckenden Justizbehörde nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats vernommen zu werden.

Artikel 18

Entscheidung über die Übergabe

(1)   Die vollstreckende Justizbehörde entscheidet über die Übergabe der betreffenden Person nach Maßgabe dieses Übereinkommens und innerhalb der darin vorgesehenen Fristen.

(2)   Ist die vollstreckende Justizbehörde der Ansicht, dass die vom Ausstellungsstaat übermittelten Informationen nicht ausreichen, um über die Übergabe entscheiden zu können, so bittet sie um die unverzügliche Übermittlung der notwendigen zusätzlichen Informationen insbesondere hinsichtlich der Artikel 4 bis 6 sowie 8 und 11; sie kann unter Beachtung der Frist nach Artikel 20 eine Frist für den Erhalt dieser zusätzlichen Informationen festsetzen.

(3)   Die ausstellende Justizbehörde kann der vollstreckenden Justizbehörde jederzeit alle zusätzlichen sachdienlichen Informationen übermitteln.

Artikel 19

Entscheidung bei Mehrfachersuchen

(1)   Haben zwei oder mehr Staaten einen Europäischen Haftbefehl oder einen Haftbefehl gegen dieselbe Person erlassen, so entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, welcher dieser Haftbefehle vollstreckt wird; zu diesen Umständen gehören insbesondere die Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt, zu dem die Haftbefehle erlassen wurden, sowie die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde.

(2)   Bei der Entscheidung nach Absatz 1 kann die vollstreckende Justizbehörde eines Mitgliedstaats Eurojust um Stellungnahme ersuchen.

(3)   Bei Zusammentreffen eines Haftbefehls mit einem Auslieferungsersuchen eines Drittstaats entscheidet die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der in Absatz 1 genannten Umstände sowie der in dem anwendbaren Übereinkommen oder Abkommen beschriebenen Umstände, ob der Haftbefehl oder das Auslieferungsersuchen Vorrang hat.

(4)   Dieser Artikel lässt die Verpflichtungen der Staaten aufgrund des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs unberührt.

Artikel 20

Fristen und Modalitäten der Vollstreckung eines Haftbefehls

(1)   Ein Haftbefehl wird als Eilsache erledigt und vollstreckt.

(2)   In den Fällen, in denen die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen.

(3)   In den anderen Fällen sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der gesuchten Person erfolgen.

(4)   Kann in Sonderfällen der Haftbefehl nicht innerhalb der in den Absätzen 2 oder 3 genannten Fristen vollstreckt werden, so setzt die vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand und von den jeweiligen Gründen unverzüglich in Kenntnis. In diesem Fall können die Fristen um weitere 30 Tage verlängert werden.

(5)   Zu dem Zeitpunkt der Notifizierung nach Artikel 38 Absatz 1 kann die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten eine Erklärung abgeben, in der angegeben wird, in welchen Fällen die Absätze 3 und 4 nicht gelten. Norwegen und Island können gegenüber den betreffenden Mitgliedstaaten den Grundsatz der Gegenseitigkeit anwenden.

(6)   Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde ergangen ist, stellt diese sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe der Person weiterhin gegeben sind.

(7)   Eine Ablehnung der Vollstreckung eines Haftbefehls ist zu begründen.

Artikel 21

Lage in Erwartung der Entscheidung

(1)   Wurde der Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung erlassen, so muss die vollstreckende Justizbehörde

a)

entweder akzeptieren, dass die gesuchte Person nach Artikel 22 vernommen wird;

b)

oder akzeptieren, dass die gesuchte Person vorübergehend überstellt wird.

(2)   Die Bedingungen und die Dauer der vorübergehenden Überstellung werden in gegenseitigem Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegt.

(3)   Im Falle der vorübergehenden Überstellung muss die betreffende Person Gelegenheit haben, in den Vollstreckungsstaat zurückzukehren, um dort den sie betreffenden Gerichtsverhandlungen, die im Rahmen des Übergabeverfahrens stattfinden, beizuwohnen.

Artikel 22

Vernehmung der Person in Erwartung der Entscheidung

(1)   Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt durch eine Justizbehörde mit Unterstützung einer Person, die nach dem Recht des Staates der ersuchenden Justizbehörde bestimmt wird.

(2)   Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt nach dem Recht des Vollstreckungsstaats und nach den im gegenseitigen Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegten Bedingungen.

(3)   Die zuständige vollstreckende Justizbehörde kann eine andere Justizbehörde ihres Staates anweisen, an der Vernehmung der gesuchten Person teilzunehmen, um die ordnungsgemäße Anwendung dieses Artikels und der festgelegten Bedingungen zu gewährleisten.

Artikel 23

Vorrechte und Immunitäten

(1)   Genießt die gesuchte Person im Vollstreckungsstaat ein Vorrecht oder eine Strafverfolgungs- oder -vollstreckungsimmunität, so beginnen die Fristen nach Artikel 20 nur zu laufen, wenn die vollstreckende Justizbehörde davon unterrichtet worden ist, dass das Vorrecht oder die Immunität aufgehoben wurde; in diesem Fall beginnt die Frist am Tag der Unterrichtung.

(2)   Der Vollstreckungsstaat stellt sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind, wenn die Person kein solches Vorrecht oder keine solche Immunität mehr genießt.

(3)   Ist eine Behörde des Vollstreckungsstaats für die Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, so befasst die vollstreckende Justizbehörde sie unverzüglich mit einem entsprechenden Ersuchen. Ist eine Behörde eines anderen Staates oder eine internationale Organisation für die Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, so ist sie von der ausstellenden Justizbehörde mit einem entsprechenden Ersuchen zu befassen.

Artikel 24

Konkurrierende internationale Verpflichtungen

Von diesem Übereinkommen unberührt bleiben die Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats in den Fällen, in denen die gesuchte Person an diesen Staat durch einen Drittstaat ausgeliefert worden ist und wenn auf diese Person aufgrund der ihrer Auslieferung zugrunde liegenden Vereinbarung der Grundsatz der Spezialität anzuwenden ist. Der Vollstreckungsstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um unverzüglich die Zustimmung des Drittstaats einzuholen, der die gesuchte Person ausgeliefert hat, damit sie dem Ausstellungsstaat übergeben werden kann. Die Fristen nach Artikel 20 beginnen erst an dem Tage zu laufen, an dem der Grundsatz der Spezialität nicht mehr anzuwenden ist.

Bis die Entscheidung des Staates vorliegt, aus dem die gesuchte Person ausgeliefert wurde, überzeugt sich der Vollstreckungsstaat davon, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind.

Artikel 25

Mitteilung der Entscheidung

Die vollstreckende Justizbehörde teilt der ausstellenden Justizbehörde unverzüglich ihre Entscheidung über die Vollstreckung oder Nichtvollstreckung des Haftbefehls mit.

Artikel 26

Frist für die Übergabe der Person

(1)   Die Übergabe der gesuchten Person erfolgt so bald wie möglich zu einem zwischen den betreffenden Behörden vereinbarten Zeitpunkt.

(2)   Die Übergabe erfolgt spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls.

(3)   Ist die Übergabe der gesuchten Person innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist aufgrund von Umständen unmöglich, die sich dem Einfluss der Staaten entziehen, setzen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde unverzüglich miteinander in Verbindung und vereinbaren ein neues Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

(4)   Die Übergabe kann aus schwerwiegenden humanitären Gründen, z. B. wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung offensichtlich eine Gefährdung für Leib oder Leben der gesuchten Person darstellt, ausnahmsweise ausgesetzt werden. Die Vollstreckung des Haftbefehls erfolgt, sobald diese Gründe nicht mehr gegeben sind. Die vollstreckende Justizbehörde setzt die ausstellende Justizbehörde unverzüglich davon in Kenntnis und vereinbart ein neues Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

(5)   Befindet sich die betreffende Person nach Ablauf der in den Absätzen 2 bis 4 genannten Fristen noch immer in Haft, wird sie freigelassen.

Artikel 27

Aufgeschobene oder bedingte Übergabe

(1)   Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung des Haftbefehls die Übergabe der gesuchten Person aufschieben, damit diese im Vollstreckungsstaat gerichtlich verfolgt werden oder, falls sie bereits verurteilt worden ist, im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats eine Strafe verbüßen kann, die wegen einer anderen als der im Haftbefehl genannten Handlung gegen sie verhängt wurde.

(2)   Statt die Übergabe aufzuschieben kann die vollstreckende Justizbehörde die gesuchte Person dem Ausstellungsstaat vorübergehend unter Bedingungen übergeben, die von der vollstreckenden und der ausstellenden Justizbehörde vereinbart werden. Die Vereinbarung muss in Schriftform erfolgen, und die Bedingungen sind für alle Behörden des Ausstellungsstaats verbindlich.

Artikel 28

Durchlieferung

(1)   Jeder Staat gestattet die Durchlieferung einer gesuchten Person zu Zwecken der Übergabe durch sein Hoheitsgebiet, sofern folgende Informationen übermittelt wurden:

a)

die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein Haftbefehl erlassen wurde,

b)

das Vorliegen eines Haftbefehls,

c)

die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat,

d)

die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit und des Tatortes.

Ein Staat, in dessen Namen eine Erklärung nach Artikel 7 Absatz 2 abgegeben wurde, wonach eigene Staatsangehörige nicht übergeben werden oder ihre Übergabe nur unter bestimmten spezifizierten Bedingungen zugelassen wird, kann die Durchlieferung eigener Staatsangehöriger durch sein Hoheitsgebiet entsprechend ablehnen oder den gleichen Bedingungen unterwerfen.

(2)   Die Vertragsparteien teilen einander mit, welche Behörde in den einzelnen Staaten für die Entgegennahme der Durchlieferungsersuchen und der erforderlichen Unterlagen sowie des sonstigen amtlichen Schriftverkehrs im Zusammenhang mit Durchlieferungsersuchen bezeichnet wurde.

(3)   Das Durchlieferungsersuchen und die Informationen nach Absatz 1 können der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht, übermittelt werden. Der Durchlieferungsstaat teilt seine Entscheidung auf dem gleichen Wege mit.

(4)   Dieses Übereinkommen findet keine Anwendung auf die Durchlieferung auf dem Luftweg ohne eingeplante Zwischenlandung. Kommt es jedoch zu einer außerplanmäßigen Landung, so übermittelt der Ausstellungsstaat der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde die Informationen nach Absatz 1.

(5)   Betrifft die Durchlieferung eine Person, die aus einem Drittstaat an einen Staat ausgeliefert werden soll, so findet dieser Artikel entsprechende Anwendung. Insbesondere gilt in diesem Fall der Ausdruck „Haftbefehl“ im Sinne dieses Übereinkommens als ersetzt durch „Auslieferungsersuchen“.

KAPITEL 3

WIRKUNG DER ÜBERGABE

Artikel 29

Anrechnung der im Vollstreckungsstaat verbüßten Haft

(1)   Der Ausstellungsstaat rechnet die Dauer der Haft aus der Vollstreckung eines Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs an, die im Ausstellungsstaat aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu verbüßen wäre.

(2)   Zu diesem Zweck werden der ausstellenden Justizbehörde zum Zeitpunkt der Übergabe von der vollstreckenden Justizbehörde oder der nach Artikel 10 bezeichneten Zentralbehörde alle Angaben zur Dauer der Haft der aufgrund des Haftbefehls gesuchten Person übermittelt.

Artikel 30

Etwaige Strafverfolgung wegen anderer Straftaten

(1)   Norwegen und Island einerseits und die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können einander mitteilen, dass für Beziehungen von Staaten zu anderen Staaten, auf die sich die gleiche Mitteilung bezieht, die Zustimmung dazu, dass eine Person wegen einer anderen vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung in Haft gehalten wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt.

(2)   Außer in den in den Absätzen 1 und 3 genannten Fällen dürfen Personen, die übergeben wurden, wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden.

(3)   Absatz 2 findet in folgenden Fällen keine Anwendung:

a)

wenn die Person das Hoheitsgebiet des Staates, dem sie übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b)

wenn die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht ist;

c)

wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt;

d)

wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden Maßnahme unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche Freiheit einschränken kann;

e)

wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß Artikel 16 erklärt hat;

f)

wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsstaats abgegeben und nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Verzichterklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben hat. Zu diesem Zweck hat die Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

g)

wenn die vollstreckende Justizbehörde, die die Person übergeben hat, ihre Zustimmung nach Absatz 4 erteilt.

(4)   Das Ersuchen um Zustimmung ist unter Beifügung der in Artikel 11 Absatz 1 erwähnten Angaben und einer Übersetzung gemäß Artikel 11 Absatz 2 an die vollstreckende Justizbehörde zu richten. Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem Übereinkommen der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt. Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 4 genannten Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 5 oder in Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 7 Absatz 2 genannten Gründen verweigert werden. Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen. In den Fällen des Artikels 8 sind die dort vorgesehenen Garantien vom Ausstellungsstaat zu geben.

Artikel 31

Übergabe oder weitere Auslieferung

(1)   Norwegen und Island einerseits und die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können einander mitteilen, dass für Beziehungen von Staaten zu anderen Staaten, auf die sich die gleiche Mitteilung bezieht, die Zustimmung dazu, dass eine Person einem anderen Staat als dem Vollstreckungsstaat aufgrund eines Haftbefehls, dem eine vor ihrer Übergabe begangene Straftat zugrunde liegt, übergeben wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt.

(2)   In jedem Fall können Personen, die dem Ausstellungsstaat aufgrund eines Haftbefehls übergeben wurden, ohne die Zustimmung des Vollstreckungsstaats einem anderen Staat als dem Vollstreckungsstaat aufgrund eines Haftbefehls, dem eine vor der Übergabe begangene Straftat zugrunde liegt, in folgenden Fällen übergeben werden:

a)

wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Staates, dem sie übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b)

wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe an einen anderen Staat als den Vollstreckungsstaat aufgrund eines Haftbefehls zustimmt. Die Zustimmung wird vor den zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsstaats erklärt und nach dessen nationalem Recht zu Protokoll genommen. Die Zustimmungserklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen erteilt hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

c)

wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person gemäß Artikel 30 Absatz 3 Buchstaben a, e, f und g nicht anzuwenden ist.

(3)   Die vollstreckende Justizbehörde stimmt der Übergabe an einen anderen Staat gemäß folgenden Bestimmungen zu:

a)

Das Ersuchen um Zustimmung ist gemäß Artikel 12 unter Beifügung der in Artikel 11 Absatz 1 erwähnten Informationen und der in Artikel 11 Absatz 2 vorgesehenen Übersetzung zu stellen.

b)

Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem Übereinkommen der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt.

c)

Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen.

d)

Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 4 genannten Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 5 oder Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 7 Absatz 2 genannten Gründen verweigert werden.

In den in Artikel 8 genannten Fällen sind die dort vorgesehenen Garantien vom Ausstellungsstaat zu geben.

(4)   Ungeachtet des Absatzes 1 darf eine Person, die aufgrund eines Haftbefehls übergeben wurde, nicht ohne die Zustimmung der zuständigen Behörden des Staates, der die Person übergeben hat, an einen Drittstaat ausgeliefert werden. Die Zustimmung ist gemäß den Übereinkommen, die diesen Staat binden, sowie gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu geben.

Artikel 32

Übergabe von Gegenständen

(1)   Auf Verlangen der ausstellenden Justizbehörde oder von Amts wegen beschlagnahmt und übergibt die vollstreckende Justizbehörde nach Maßgabe ihres nationalen Rechts die Gegenstände,

a)

die als Beweisstücke dienen können oder

b)

die die gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.

(2)   Die in Absatz 1 erwähnten Gegenstände sind selbst dann zu übergeben, wenn der Haftbefehl infolge des Todes oder der Flucht der gesuchten Person nicht vollstreckt werden kann.

(3)   Unterliegen die in Absatz 1 genannten Gegenstände im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats der Beschlagnahme oder Einziehung, so kann dieser sie, wenn sie für ein anhängiges Strafverfahren benötigt werden, vorübergehend zurückbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe an den Ausstellungsstaat herausgeben.

(4)   Rechte des Vollstreckungsstaats oder Dritter an den in Absatz 1 genannten Gegenständen bleiben vorbehalten. Bestehen solche Rechte, so sind die Gegenstände dem Vollstreckungsstaat vom Ausstellungsstaat nach Abschluss des Strafverfahrens unverzüglich und kostenlos zurückzugeben.

Artikel 33

Kosten

(1)   Kosten, die durch die Vollstreckung des Haftbefehls im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats entstehen, gehen zu dessen Lasten.

(2)   Alle sonstigen Kosten gehen zu Lasten des Ausstellungsstaats.

KAPITEL 4

ALLGEMEINE UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 34

Verhältnis zu anderen Übereinkünften

(1)   Dieses Übereinkommen ersetzt ab dem Tag seines Inkrafttretens die entsprechenden Bestimmungen der folgenden in den Beziehungen zwischen Norwegen und Island einerseits und den Mitgliedstaaten andererseits im Bereich der Auslieferung geltenden Übereinkommen, unbeschadet von deren Anwendbarkeit in den Beziehungen zwischen den Staaten und Drittstaaten:

a)

Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, das dazugehörige Zusatzprotokoll vom 15. Oktober 1975, das dazugehörige Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977, soweit es sich auf die Auslieferung bezieht, in der durch das Protokoll aus dem Jahre 2003 geänderten Fassung, sobald dieses in Kraft tritt;

b)

Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen;

c)

Schengen-relevante Bestimmungen der EU-Auslieferungsübereinkommen von 1995 und 1996, soweit sie in Kraft sind.

(2)   Es steht den Staaten frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Übereinkommens geltenden bilateralen oder multilateralen Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Ziele dieses Übereinkommens hinauszugehen, und zu einer weiteren Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Haftbefehl vorliegt. Die Vertragsparteien unterrichten einander von derartigen Abkommen oder Übereinkünften.

(3)   Es steht den Staaten frei, nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens bilaterale oder multilaterale Abkommen oder Übereinkünfte zu schließen, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Vorschriften dieses Übereinkommens hinauszugehen, und zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, insbesondere indem kürzere Fristen als nach Artikel 20 festgelegt werden, die Liste der in Artikel 3 Absatz 4 angeführten Straftaten ausgeweitet wird, die Ablehnungsgründe nach den Artikeln 4 und 5 zusätzlich eingeschränkt werden oder der Schwellenwert nach Artikel 3 Absatz 1 oder Absatz 4 gesenkt wird.

Die Abkommen und Übereinkünfte nach Unterabsatz 1 dürfen auf keinen Fall die Beziehungen zu den Staaten beeinträchtigen, die nicht Vertragspartei dieser Übereinkünfte sind.

Die Vertragsparteien unterrichten einander ferner über alle neuen derartigen Abkommen oder Übereinkünfte im Sinne von Unterabsatz 1 binnen drei Monaten nach deren Unterzeichnung.

(4)   Soweit die in Absatz 1 genannten Abkommen oder Übereinkünfte für Hoheitsgebiete der Staaten oder für Hoheitsgebiete, deren auswärtige Beziehungen ein Staat wahrnimmt, gelten, auf die dieses Übereinkommen keine Anwendung findet, sind diese Instrumente weiterhin für die Beziehungen zwischen diesen Hoheitsgebieten und den übrigen Staaten maßgebend.

Artikel 35

Übergangsbestimmung

(1)   Für die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Übereinkommens eingegangenen Auslieferungsersuchen gelten weiterhin die im Bereich der Auslieferung bestehenden Instrumente. Für die nach diesem Zeitpunkt eingegangenen Ersuchen gilt dieses Übereinkommen.

(2)   Norwegen und Island einerseits und die Europäische Union im Namen eines ihrer Mitgliedstaaten andererseits können zum Zeitpunkt der Notifizierung nach Artikel 38 Absatz 1 eine Erklärung abgeben, wonach der Staat als Vollstreckungsstaat weiterhin die vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens geltende Auslieferungsregelung in Bezug auf Handlungen anwenden wird, die vor einem von ihm festzulegenden Zeitpunkt begangen wurden. Der betreffende Zeitpunkt darf nicht nach dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens liegen. Diese Erklärung kann jederzeit zurückgezogen werden.

Artikel 36

Streitbeilegung

Streitigkeiten zwischen Island oder Norwegen und einem Mitgliedstaat der Europäischen Union über die Auslegung und Anwendung dieses Übereinkommens können von einer der Streitparteien einer Versammlung der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Islands sowie Norwegens zur Beilegung innerhalb von sechs Monaten unterbreitet werden.

Artikel 37

Rechtsprechung

Um das Ziel der Vertragsparteien, nämlich eine möglichst einheitliche Anwendung und Auslegung der Bestimmungen dieses Übereinkommens, zu erreichen, verfolgen die Vertragsparteien ständig die Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sowie die Entwicklung der Rechtsprechung der zuständigen isländischen und norwegischen Gerichte in Bezug auf die genannten Bestimmungen und die Bestimmungen ähnlicher Übereinkünfte im Bereich der Übergabe. Zu diesem Zweck wird eine Regelung eingeführt, die eine regelmäßige gegenseitige Übermittlung dieser Rechtsprechung gewährleistet.

Artikel 38

Notifizierungen, Erklärungen, Inkrafttreten

(1)   Die Vertragsparteien notifizieren einander den Abschluss der Verfahren, die erforderlich sind, um ihre Zustimmung auszudrücken, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein.

(2)   Bei der Notifizierung gemäß Absatz 1 nehmen die Vertragsparteien die Mitteilungen nach Artikel 5 Absatz 2, Artikel 9 Absatz 3, Artikel 28 Absatz 2 und Artikel 34 Absatz 2 vor oder geben die Erklärungen nach den genannten Artikeln ab; sie können ferner Mitteilungen nach Artikel 3 Absatz 4, Artikel 6 Absatz 2, Artikel 7 Absatz 2, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 11 Absatz 2, Artikel 16 Absatz 4, Artikel 20 Absatz 5, Artikel 30 Absatz 1, Artikel 31 Absatz 1 und Artikel 35 Absatz 2 vornehmen oder Erklärungen nach den genannten Artikeln abgeben. Die Erklärungen oder Mitteilungen nach Artikel 3 Absatz 4, Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 11 Absatz 2 können jederzeit abgegeben werden. Die Erklärungen oder Mitteilungen nach Artikel 9 Absatz 3 und Artikel 28 Absatz 2 können jederzeit geändert werden, und die Erklärungen oder Mitteilungen nach Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 2, Artikel 7 Absatz 2, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 16 Absatz 4, Artikel 20 Absatz 5, Artikel 34 Absatz 2 und Artikel 35 Absatz 2 können jederzeit zurückgezogen werden.

(3)   Gibt die Europäische Union derartige Erklärungen ab oder nimmt sie derartige Mitteilungen vor, so gibt sie an, auf welche ihrer Mitgliedstaaten sich die Erklärung oder Mitteilung bezieht.

(4)   Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des dritten Monats nach dem Tag in Kraft, an dem der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union festgestellt hat, dass alle förmlichen Erfordernisse an die Erklärung der Zustimmung zu diesem Übereinkommen durch die Vertragsparteien erfüllt sind.

Artikel 39

Beitritt

Der Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union begründet Rechte und Pflichten im Sinne dieses Übereinkommens zwischen diesen neuen Mitgliedstaaten und Island und Norwegen.

Artikel 40

Gemeinsame Überprüfung

Die Vertragsparteien kommen überein, eine gemeinsame Überprüfung dieses Übereinkommens spätestens fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten vorzunehmen; hierbei werden insbesondere die Erklärungen nach Artikel 3 Absatz 4, Artikel 6 Absatz 2, Artikel 7 Absatz 2 und Artikel 20 Absatz 5 überprüft. Werden die Erklärungen nach Artikel 7 Absatz 2 nicht erneuert, so werden sie fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens unwirksam. Die Überprüfung bezieht sich insbesondere auf die praktische Durchführung, Auslegung und Fortentwicklung des Übereinkommens und kann auch Aspekte wie die Auswirkungen der Weiterentwicklung der Europäischen Union auf den Gegenstand dieses Übereinkommens umfassen.

Artikel 41

Kündigung

(1)   Dieses Übereinkommen kann von den Vertragsparteien gekündigt werden. Im Falle einer Kündigung durch Island oder Norwegen bleibt das Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und dem Staat, für den es nicht gekündigt wurde, in Kraft.

(2)   Die Kündigung dieses Übereinkommens gemäß Absatz 1 wird sechs Monate nach der Hinterlegung der Notifizierung der Kündigung wirksam. Zu diesem Zeitpunkt noch laufende Verfahren zur Erledigung von Übergabeersuchen werden gemäß den Bestimmungen dieses Übereinkommens abgeschlossen.

Artikel 42

Verwahrer

(1)   Der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union ist der Verwahrer dieses Übereinkommens.

(2)   Der Verwahrer veröffentlicht alle Informationen zu den Notifizierungen oder Erklärungen im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen.

Geschehen zu Wien am 28. Juni 2006 in einer Urschrift in isländischer, norwegischer, dänischer, deutscher, englischer, estnischer, finnischer, französischer, griechischer, irischer, italienischer, lettischer, litauischer, maltesischer, niederländischer, polnischer, portugiesischer, schwedischer, slowakischer, slowenischer, spanischer, tschechischer und ungarischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.

Fyrir hönd Evrópusambandsins

For Den europeiske union

Por la Unión Europea

Za Evropskou unii

For den Europæiske Union

Für die Europäische Union

Euroopa Liidu nimel

Για την Ευρωπαϊκή Ένωση

For the European Union

Pour l'Union européenne

Thar ceann an Aontais Eorpaigh

Per l'Unione europea

Eiropas Savienības vārdā

Europos Sąjungos vardu

Az Európai Unió részéről

Għall-Unjoni Ewropea

Voor de Europese Unie

W imieniu Unii Europejskiej

Pela União Europeia

Za Európsku úniu

Za Evropsko unijo

Euroopan unionin puolesta

På Europeiska unionens vägnar

Image

Fyrir hönd lýðveldisins Íslands

For Republikken Island

Por la República de Islandia

Za Islandskou republiku

For Republikken Island

Für die Republik Island

Islandi Vabariigi nimel

Για τη Δημοκρατία της Ισλανδίας

For the Republic of Iceland

Pour la République d'Islande

Thar ceann Phoblacht na hÍoslainne

Per la Repubblica d'Islanda

Islandes Republikas vārdā

Islandijos Respublikos vardu

Az Izlandi Köztársaság részéről

Ghar-Repubblika ta' l-Iżlanda

Voor de Republiek Ijsland

W imieniu Republiki Islandii

Pela República da Islândia

Za Islandskú republiku

Za Republiko Islandijo

Islannin tasavallan puolesta

På Republiken Islands vägnar

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Fyrir hönd Konungsríkisins Noregs

For Kongeriket Norge

Por el Reino de Noruega

Za Norské královstvi

For Kongeriget Norge

Für das Königreich Norwegen

Norra Kuningriigi nimel

Για το Βασίλειο της Νορβηγίας

For the Kingdom of Norway

Pour le Royaume de Norvège

Thar ceann Ríocht na hIorua

Per il Regno di Norvegia

Norvēģijas Karalistes vārdā

Norvegijos Karalystės vardu

A Norvég Királyság részéről

Ghar-Renju tan-Norveġja

Voor het Koninkrijk Noorwegen

W imieniu Królestwa Norwegii

Pelo Reino da Noruega

Za Nórske kráľovstvo

Za Kraljevino Norveško

Norjan kuningaskunnan puolesta

På Konungariket Norges vägnar

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ANHANG

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Erklärung der Vertragsparteien zu dem Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen:

„Die Vertragsparteien kommen überein, einander zu konsultieren, wenn die Republik Island, das Königreich Norwegen oder ein Mitgliedstaat der Europäischen Union der Auffassung ist, dass dazu Anlass besteht, um eine möglichst effektive Anwendung dieses Übereinkommens, namentlich auch zur Vermeidung von Streitfällen über seine praktische Anwendung und Auslegung, zu ermöglichen. Diese Konsultationen werden auf möglichst praktische Weise unter Berücksichtigung der bestehenden Strukturen der Zusammenarbeit organisiert.“

Erklärung der Europäischen Union:

„Die Europäische Union erklärt, dass die Möglichkeit nach Artikel 9 Absatz 2 Satz 2, das Justizministerium als für die Vollstreckung des Haftbefehls zuständige Behörde zu benennen, nur von der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Dänemark, der Slowakischen Republik und dem Königreich der Niederlande in Anspruch genommen wird.

Die Europäische Union erklärt, dass die Mitgliedstaaten Artikel 20 Absätze 3 und 4 in Einklang mit ihren in vergleichbaren Fällen geltenden nationalen Vorschriften anwenden werden.“