27.7.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 195/55


BESCHLUSS DER KOMMISSION

vom 14. Dezember 2010

über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der Biria-Gruppe (C 38/05 (ex NN 52/04))

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 8289)

(Nur der deutsche Text ist verbindlich)

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2011/471/EU)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 108 Absatz 2 Unterabsatz 1 (1),

gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, insbesondere auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a,

nach Aufforderung der Beteiligten zur Äußerung gemäß den vorgenannten Artikeln (2) und unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahmen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

I.   VERFAHREN

1.1.   Verfahren vor der Kommission

(1)

Am 23. Januar 2002 und am 20. August 2002 ging bei der Kommission eine Beschwerde wegen staatlicher Beihilfe in Form einer staatlichen Bürgschaft zugunsten der Biria-Gruppe ein.

(2)

Nach einem Schriftwechsel zwischen der Kommission und Deutschland teilte Deutschland der Kommission mit Schreiben vom 24. Januar 2003, eingetragen am 28. Januar 2003, mit, dass die geplante Gewährung der Bürgschaft, die von einer Genehmigung durch die Kommission abhängig gemacht worden war, zurückgezogen worden sei. Der Beschwerdeführer wurde davon mit Schreiben vom 17. Februar 2003 in Kenntnis gesetzt.

(3)

Mit Schreiben vom 1. Juli 2003, eingetragen am 9. Juli 2003, und mit Schreiben vom 8. August 2003, eingetragen am 5. September 2003, übermittelte der Beschwerdeführer weitere Informationen über eine andere staatliche Bürgschaft zugunsten der Biria-Gruppe sowie über öffentliche Beteiligungen an Unternehmen der Gruppe.

(4)

Die Kommission erbat mit Schreiben vom 9. September 2003 Auskünfte, die Deutschland mit Schreiben vom 14. Oktober 2003, eingetragen am 16. Oktober 2003, erteilte. Die Kommission forderte am 9. Dezember 2003 weitere Auskünfte an, die Deutschland mit Schreiben vom 19. März 2004, eingetragen am selben Tag, erteilte.

(5)

Am 18. Oktober 2004 erließ die Kommission eine Anordnung zur Auskunftserteilung, da Zweifel bestanden, ob die Beihilfemaßnahmen zugunsten der Biria-Gruppe den Regelungen entsprachen, auf deren Grundlage sie angeblich gewährt wurden. In Beantwortung der Anordnung zur Auskunftserteilung übermittelte Deutschland weitere Angaben mit Schreiben vom 31. Januar 2005, das am selben Tag eingetragen wurde.

(6)

Am 20. Oktober 2005 leitete die Kommission das förmliche Prüfverfahren wegen dreier vermutlicher staatlicher Beihilfen ein. In dem gleichen Beschluss stellte sie fest, dass mehrere andere angeblich rechtswidrig gewährte Beihilfemaßnahmen entweder keine Beihilfe darstellen oder auf der Grundlage und im Einklang mit genehmigten Beihilferegelungen gewährt worden waren. Die einschlägige Entscheidung der Kommission wurde im Amtsblatt der Europäischen Union  (3) veröffentlicht. Die Kommission forderte alle Beteiligten auf, sich zu den möglichen Beihilfemaßnahmen zu äußern. Stellungnahmen wurden von einem Beteiligten, der anonym bleiben möchte, mit Schreiben vom 27. Januar 2006, eingetragen am 30. Januar 2006, von Prophete GmbH & Co KG, Rheda-Wiedenbrück, und Pantherwerke AG, Löhne, mit Schreiben vom 6. Februar, eingetragen am selben Tag, sowie von Vaterland-Werke GmbH & Co. KG, Neuenrade, mit Schreiben vom 6. Februar 2006, eingetragen am selben Tag, und Schreiben vom 27. Februar 2006, eingetragen am selben Tag, übermittelt.

(7)

Diese Stellungnahmen wurden Deutschland mit Schreiben vom 6. Februar 2006 und vom 2. März 2006 vorgelegt. Deutschland antwortete mit Schreiben vom 5. April 2006, eingetragen am 7. April 2006, und mit Schreiben vom 12. Mai 2006, eingetragen am selben Tag.

(8)

Deutschland übermittelte seine Stellungnahme zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens mit Schreiben vom 23. Januar 2006, eingetragen am selben Tag.

(9)

Die Kommission forderte mit Schreiben vom 6. Februar 2006 ergänzende Auskünfte an, die Deutschland mit Schreiben vom 5. April 2006, eingetragen am 7. April 2006, erteilte. Die Kommission forderte mit einem erneuten Auskunftsersuchen am 19. Juli 2006 weitere Auskünfte an, auf das Deutschland mit Schreiben vom 25. September 2006, eingetragen am 26. September 2006, antwortete.

(10)

Am 24. Januar 2007 erließ die Kommission eine Entscheidung (4) nach Artikel 7 Absatz 5 und Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (5).

1.2.   Verfahren vor dem Gericht

(11)

Am 5. April 2007 erhob der Freistaat Sachsen Klage gegen die Entscheidung der Kommission, soweit sie die Maßnahmen 2 und 3 betraf (Rechtssache T-102/07). Eine weitere Klage wurde am 16. April 2007 von MB Immobilien Verwaltungs GmbH und MB System GmbH & Co. KG erhoben, bei denen es sich um die Rechtsnachfolger der Begünstigten handelt, an die die Entscheidung gerichtet war (T-120/07). Die letztgenannte Klage bezog sich auf alle drei Maßnahmen, die Gegenstand der Entscheidung waren. Die beiden Rechtssachen wurden mit Beschluss des Präsidenten vom 24. November 2008 verbunden.

(12)

Mit Urteil vom 3. März 2010 erklärte das Gericht die Entscheidung der Kommission vom 24. Januar 2007 für nichtig.

(13)

Die (sich zu einem Großteil überschneidenden) Klagen umfassten im Wesentlichen folgende Klagegründe. Erstens rügten die Kläger, die Kommission habe zu Unrecht den Schluss gezogen, dass die Maßnahmen 2 und 3 nicht unter die genehmigte deutsche Beihilferegelung fielen. Zweitens sei die Sachverhaltswürdigung der Kommission hinsichtlich der Einstufung der Begünstigten als Unternehmen in Schwierigkeiten fehlerhaft. Drittens rügten die Kläger einen Begründungsfehler in der Entscheidung der Kommission hinsichtlich der Höhe des Beihilfeelements.

(14)

Das Gericht bestätigte die Entscheidung der Kommission hinsichtlich der Schlussfolgerung, dass die Maßnahmen 2 und 3 nicht unter die genehmigte Beihilferegelung fielen. Außerdem bestätigte das Gericht die von der Kommission vorgenommene Einstufung der Begünstigten als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ auf der Grundlage der Definition in den Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen aus dem Jahr 1999 (6) (nachstehend „Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999“genannt). Es erklärte die Entscheidung lediglich wegen der mangelnden Begründung der für die Berechnung des Beihilfeelements herangezogenen Risikoprämien für nichtig. Insbesondere stellte das Gericht fest, dass bei der Berechnung des Beihilfeelements eines Darlehens, das einem Unternehmen in Schwierigkeiten gewährt wird, die bloße Bezugnahme auf die Mitteilung der Kommission über die Methode zur Festsetzung der Referenz- und Abzinsungssätze von 1997 (7) (nachstehend „Referenzsatz-Mitteilung 1997“ genannt) nicht ausreicht, um die Anwendung der verschiedenen Risikoprämien zu begründen.

(15)

Mit diesem Beschluss wird daher das Urteil des Gerichts gemäß Artikel 266 Absatz 1 AEUV umgesetzt und die von der Kommission durchgeführte Berechnung des Beihilfeelements der in Rede stehenden Maßnahme eingehender erläutert. Dieser Beschluss ändert nichts an der von der Kommission in der Entscheidung vom 24. Januar 2007 vorgenommenen beihilferechtlichen Würdigung; dies gilt insbesondere für die Aspekte, die bereits vom Gericht geprüft wurden.

1.3.   Verfahren nach dem Gerichtsurteil

(16)

Nach dem Gerichtsurteil reichten die Begünstigten am 7. Juni 2010, eingetragen am selben Tag, eine weitere Stellungnahme ein. Diese Stellungnahme wurde am 16. Juni 2010 an Deutschland gesandt. Die Antwort Deutschlands auf die Stellungnahme der Begünstigten wurde am 12. Juli 2010 der Kommission zugesandt, eingetragen am selben Tag.

(17)

Am 19. August 2010 übermittelte die Kommission Deutschland ein Auskunftsersuchen, das mit Schreiben vom 14. September 2010, eingetragen am selben Tag, beantwortet wurde.

II.   BESCHREIBUNG

2.1.   Der Begünstigte

(18)

Die Biria-Gruppe war bis zum 7. November 2005 in der Herstellung und dem Vertrieb von Fahrrädern tätig. Die Muttergesellschaft der Gruppe, die damals den Namen Biria AG trug, hatte ihren Sitz in Neukirch, Sachsen, einem Fördergebiet gemäß Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a AEUV (8).

(19)

Im Jahr 2003 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 93,2 Mio. EUR (2002: 83,8 Mio. EUR) und erwirtschaftete einen Gewinn in Höhe von 3,7 Mio. EUR (2002: Verluste in Höhe von 5,8 Mio. EUR). Die Gruppe zählte 415 Beschäftigte im Jahr 2003 (2002: 490 Beschäftigte) und ist somit als großes Unternehmen einzustufen.

(20)

Die Muttergesellschaft wurde 2003 durch Verschmelzung der Biria AG (alt) mit einem ihrer Tochterunternehmen, der Sachsen Zweirad GmbH, gegründet. Gleichzeitig wurde der Name des Unternehmens von Sachsen Zweirad GmbH in Biria GmbH geändert. Im April 2005 wurde die Biria GmbH in Biria AG umgewandelt. Im Jahr 2003 erwirtschaftete die Biria GmbH einen Jahresumsatz von 55,7 Mio. EUR und Gewinne in Höhe von 3,6 Mio. EUR. Alleineigentümer der Biria AG ist Herr Mehdi Biria. Die Muttergesellschaft wird nachstehend als „Biria“ bezeichnet.

(21)

Die wichtigsten Gruppenunternehmen neben der Muttergesellschaft sind Bike Systems GmbH & Co Thüringer Zweiradwerk KG („Bike Systems“) — dieses Unternehmen gehört über die Biria-Tochter Bike Systems Betriebs- und Beteiligungsgesellschaft mbH („BSBG“) zu Biria — und die Checker Pig GmbH.

(22)

Bike Systems hat seinen Sitz in Nordhausen, Thüringen, einem Fördergebiet gemäß Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a AEUV. Im Jahr 2003, erzielte Bike Systems einen Umsatz von 6,1 Mio. EUR und verzeichnete Verluste in Höhe von 0,6 Mio. EUR. Es beschäftigte 157 Mitarbeiter. Bike Systems produziert ausschließlich Fahrräder für die Muttergesellschaft BSBG („Lohnherstellungsvertrag“). BSBG ist für den Vertrieb der Fahrräder verantwortlich.

(23)

Die Checker Pig GmbH hat ihren Sitz in Dresden, Sachsen, einem Fördergebiet gemäß Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a AEUV. Im Jahr 2003 erzielte Checker Pig GmbH einen Umsatz von 6,9 Mio. EUR und verzeichnete Verluste in Höhe von 0,4 Mio. EUR. Das Unternehmen beschäftigte 43 Mitarbeiter.

(24)

Am 7. November 2005 veräußerte Biria die Mehrheit ihrer Vermögenswerte an zwei Unternehmen der Lone Star-Gruppe, einem privaten Beteiligungsfonds. Die Liegenschaften verbleiben im Besitz von Biria und werden von dieser an die Lone Star-Gruppe vermietet. Der Verkaufspreis für die Vermögenswerte belief sich auf 11,5 Mio. EUR. Ein externer Sachverständiger hat den Marktpreis für die betreffenden Vermögenswerte auf 10,7 Mio. EUR veranschlagt.

(25)

Nach den Angaben Deutschlands erfolgte der Verkauf nach einer offenen, transparenten und bedingungsfreien Ausschreibung. Die Ausschreibung war im Internet und mehreren Printmedien veröffentlicht worden. Für die Beteiligung eines neuen Investors waren mehrere Optionen vorgesehen, ein Erwerb von Vermögenswerten (Asset-Deal), ein Erwerb sämtlicher Vermögenswerte „en bloc“ oder ein Kauf von Anteilen. Lone Star übernahm schließlich die Vermögenswerte im Rahmen eines Asset-Deal.

(26)

Nach Auskunft Deutschlands wurde der Verkauf des Unternehmens bereits vor dem Beschluss der Kommission vom 20. Oktober 2005 zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens in die Wege geleitet. Die erste Angebotsfrist lief zum 4. Oktober 2005 ab.

(27)

Der derzeitige Rechtsnachfolger der Biria AG (neu) ist die MB Immobilien Verwaltungs GmbH (nachstehend „MB Immobilien“ genannt); der Rechtsnachfolger von Bike Systems ist die MB System GmbH und Co. KG (nachstehend „MB System“ genannt). MB Immobilien befindet sich seit Juli 2008 in Liquidation.

(28)

Im Rahmen dieses Beschlusses werden mit Ausnahme der Muttergesellschaft Biria die Firmenbezeichnungen verwendet, die die Unternehmen zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahmen trugen.

2.2.   Die finanziellen Maßnahmen

(29)

Maßnahme 1: Im März 2001 brachte die gbb Beteiligungs AG (nachstehend „gbb“ genannt) eine stille Einlage bei Bike Systems in Höhe von 2 070 732 EUR mit einer Laufzeit bis Ende 2010 ein. gbb war damals eine 100 %ige Tochtergesellschaft der DtA-Beteiligungs-Holding AG, die wiederum eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Deutschen Ausgleichsbank, einer Förderbank des Bundes, war, die per Gesetz als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet wurde.

(30)

Die gbb Beteiligungs AG existierte bereits zu Zeiten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als Staatsbank für den Landwirtschaftssektor. Mit dem Einigungsvertrag wurde sie 1990 zur Berliner Genossenschaftsbank, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unter der Aufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. 1991 wurde ihr Name in gbb Beteiligungsholding geändert, und 1997 wurde sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Damit stand sie nicht mehr im Eigentum der Bundesregierung, sondern wurde Tochtergesellschaft der Deutschen Ausgleichsbank. Seit Gründung der gbb hat die öffentliche Verwaltung einen starken Einfluss auf das Unternehmen ausgeübt. Solange die gbb eine Körperschaft des öffentlichen Rechts war, stand sie unter direkter Aufsicht des zuständigen Ministeriums, und in ihrem Aufsichtsrat saßen Vertreter der Behörden. Nach der Umwandlung in eine AG und die Eingliederung in die Deutsche Ausgleichsbank unterlag sie der Kontrolle, die die staatlichen Stellen über die Deutsche Ausgleichsbank ausübten (siehe nachstehende Erwägungsgründe).

(31)

Als Körperschaft des öffentlichen Rechts stand die Deutsche Ausgleichsbank unter der Aufsicht des Bundesministeriums des Inneren. Außerdem bestand ihr Aufsichtsrat mehrheitlich aus Vertretern von Bundes- und Landesministerien und aus Mitgliedern des Bundestags.

(32)

Nach § 4 Absatz 1 des Gesetzes über die Deutsche Ausgleichsbank ist die Tätigkeit der Bank auf die Finanzierung von Maßnahmen beschränkt, die der Förderung des Mittelstands und der freien Berufe, des Umweltschutzes, der Sozialpolitik und der Eingliederung der im Zweiten Weltkrieg vertriebenen Personen dienen.

(33)

In § 4 Absatz 4 des Gesetzes über die Deutsche Ausgleichsbank ist die Möglichkeit vorgesehen, dass die Bank Beteiligungen an anderen Unternehmen erwirbt, wenn der Aufsichtsrat und das mit der Aufsicht der Bank betraute Ministerium zustimmen.

(34)

Die Beteiligung an Bike Systems ist in den Jahresberichten 2001 und 2002 der Deutschen Ausgleichsbank aufgeführt, weil die der stillen Einlage entsprechende Beteiligung 20 % betrug und damit über der Berichtsschwelle lag. Im Jahr 2001 hielt die gbb Beteiligungen von mindestens 20 % an insgesamt 18 Unternehmen.

(35)

2003 fusionierte die Deutsche Ausgleichsbank auf der Grundlage eines Bundesgesetzes mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

(36)

Sowohl die Deutsche Ausgleichsbank als auch die KfW sind sogenannte Förderinstitute, d. h. Banken, die sich in ihrer Tätigkeit auf die Förderung regional-, wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahme beschränken. Im Rahmen der zweckdienlichen Maßnahmen, die Deutschland in der Beihilfesache E10/2000 (9) akzeptierte, waren die Tätigkeiten der Förderinstitute auf bestimmte nicht gewerbliche Bereiche, u. a. die Verwaltung von Mittelstandsförderprogrammen, beschränkt.

(37)

Deutschland zufolge erfolgte die Beteiligung der gbb an Bike Systems zu Marktkonditionen und stellte somit keine staatliche Beihilfe dar.

(38)

Maßnahme 2: Am 20. März 2003 gewährte der Freistaat Sachsen eine 80 %ige Bürgschaft für einen Betriebsmittelkredit in Höhe von 5,6 Mio. EUR zugunsten der Sachsen Zweirad GmbH mit einer ursprünglichen Laufzeit bis Ende 2008. Die Bürgschaft wurde im Januar 2004 zurückgegeben und durch eine Bürgschaft zugunsten der Biria GmbH (siehe Maßnahme 3) ersetzt. Die Bürgschaft wurde auf Grundlage der Bürgschaftsrichtlinie des Freistaats Sachsen erteilt, einer von der Kommission genehmigten Beihilferegelung (10).

(39)

Maßnahme 3: Am 9. Dezember 2003 gewährte der Freistaat Sachsen eine 80 %ige Bürgschaft für Betriebsmittelkredite in Höhe 24 875 000 EUR zugunsten der Biria GmbH (später Biria AG) zur Finanzierung der geplanten Umsatzsteigerung und zur Neuausrichtung des Finanzierungskonzeptes der Gruppe. Die Kredite mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2011 bestehen aus 8 Mio. EUR als Betriebsmitteltilgungsdarlehen, 7,45 Mio. EUR als Kontokorrentlinie und einem Betrag von 9,425 Mio. EUR für eine Saisonfinanzierungslinie. Die Bürgschaft wurde auf Grundlage der Bürgschaftsrichtlinie des Freistaats Sachsen erteilt, einer von der Kommission genehmigten Beihilferegelung. Die Bürgschaft wurde unter der Voraussetzung bereitgestellt, dass die der Sachsen Zweirad GmbH ausgereichte Bürgschaft (Maßnahme 2) zurückgegeben wird. Folglich wurde die Bürgschaft erst am 5. Januar 2004 wirksam, als die Bürgschaft für die Sachsen Zweirad zurückgegeben wurde.

III.   GRÜNDE FÜR DIE EINLEITUNG DES FÖRMLICHEN PRÜFVERFAHRENS

(40)

Das förmliche Prüfverfahren wurde eingeleitet, weil die Kommission Zweifel an der Behauptung Deutschlands hegte, die stille Einlage sei zu Marktkonditionen vorgenommen worden. Nach der Auffassung der Kommission war Bike Systems gerade durch Annahme eines Insolvenzplans aus der Insolvenz herausgeführt worden, so dass die Zukunftsaussichten des Unternehmens ungewiss waren. Demnach hätte es zum damaligen Zeitpunkt als Unternehmen in Schwierigkeiten betrachtet werden müssen. Die Kommission bezweifelte, dass die Vergütung angesichts des Risikos angemessen war und die stille Beteiligung zu Marktkonditionen erfolgte. Im Hinblick auf eine etwaige Anwendung der Ausnahmebestimmungen des Artikels 107 Absätze 2 und 3 AEUV lagen der Kommission keine Informationen darüber vor, dass die Voraussetzungen der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 erfüllt gewesen wären.

(41)

Ein weiterer Grund für die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens war die vorläufige Schlussfolgerung der Kommission, dass die Voraussetzungen der genehmigten Beihilferegelung, auf deren Grundlage die Bürgschaften zugunsten der Sachsen Zweirad GmbH und der Biria GmbH angeblich gewährt worden waren, nicht erfüllt waren und die Bürgschaften somit nicht unter diese Beihilferegelung fielen. Nach Ansicht der Kommission handelte es sich bei Sachsen Zweirad GmbH und Biria GmbH zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaften um Unternehmen in Schwierigkeiten. Da es sich bei Sachsen Zweirad GmbH und Biria GmbH außerdem um große Unternehmen handelte, hätten die Bürgschaften auch nach dieser Beihilferegelung einzeln bei der Kommission angemeldet werden müssen. Im Hinblick auf eine etwaige Anwendung der Ausnahmebestimmungen des Artikels 107 Absätze 2 und 3 AEUV bezweifelte die Kommission, dass die Voraussetzungen der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 erfüllt waren.

IV.   STELLUNGNAHMEN VON BETEILIGTEN

(42)

Die Kommission hat Stellungnahmen eines Beteiligten, der nicht genannt werden möchte, sowie von den Unternehmen Prophete GmbH & Co. KG und Pantherwerke AG und von der Vaterland-Werke GmbH & Co. KG erhalten.

4.1.   Stellungnahme eines Wettbewerbers, der anonym bleiben möchte

(43)

In seiner Stellungnahme zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens führt der Wettbewerber, der anonym bleiben möchte, aus, dass die Biria AG dank der staatlichen Bürgschaft von 24,5 Mio. EUR Fahrräder zu Preisen unter den Gestehungskosten an Abnehmer des Wettbewerbers verkaufen konnte, obwohl der Wettbewerber über den wirtschaftlichsten Produktionsstandort in Deutschland verfügt.

(44)

Ferner konnte die Biria AG 2003 nur Gewinne ausweisen, weil Geldinstitute auf Forderungen in Höhe von 8,567 Mio. EUR verzichteten. In den nachfolgenden Jahren 2004 und 2005 erwirtschaftete die Biria AG erneut Verluste.

(45)

Der Wettbewerber weist zudem darauf hin, dass Biria im Rahmen eines Asset-Deals an Lone Star verkauft wurde. Dabei hätten die Sachsen-LB und die mittelständische Beteiligungsgesellschaft wahrscheinlich auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichtet. Die neue Biria GmbH, die der Lone Star-Gruppe gehört, hat sämtliche Vermögenswerte der alten Biria AG übernommen.

4.2.   Prophete GmbH & Co. KG und Pantherwerke AG

(46)

In ihrer Stellungnahme zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens erklären Prophete GmbH & Co. KG und Pantherwerke AG (nachstehend „Prophete und Pantherwerke“), dass Biria wegen der staatlichen Beihilfen zu Preisen verkaufen könne, die unter normalen Marktbedingungen unhaltbar wären. Beide Unternehmen stehen in Wettbewerb zu Biria und sind somit unmittelbar von der Beihilfe betroffen.

(47)

Die Biria-Gruppe ist der größte Fahrradhersteller Deutschlands mit einer Jahresproduktion von ungefähr 700 000 Fahrrädern. Die Unternehmen der Biria-Gruppe sind auf zwei Segmenten des Fahrradmarktes vertreten, dem Nicht-Fachhandel und dem Fachgroßhandel.

(48)

Unter das Segment Nicht-Fachhandel fällt der gesamte Einzelhandel durch größere Einzelhandelsketten und den Versandhandel. Die Fahrräder in diesem Segment kosten üblicherweise zwischen 100 und 199 EUR. Nach Schätzungen von Prophete und Pantherwerke werden auf diesem Markt etwa 1,5 Mio. Fahrräder verkauft, und Biria kommt mit 650 000 verkauften Rädern auf einen Anteil von etwa 50 % in diesem Segment.

(49)

Auch im Fachgroßhandel hat die Biria-Gruppe laut Prophete und Pantherwerke eine beherrschende Stellung inne. Dieses Marktsegment weist ein Handelsvolumen von 150 000 bis 200 000 Fahrrädern auf. Im Fachgroßhandel können Preise bis zu 400 EUR erzielt werden. Pantherwerke ist in diesem Segment unmittelbarer Konkurrent von Biria.

(50)

Prophete und Pantherwerke stellen seit Jahren fest, dass die Preisangebote der Biria-Gruppe ständig unter denen anderer Hersteller liegen. Diese Differenz ist wirtschaftlich nicht zu erklären, da die Biria-Gruppe aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung zwar ein höheres Einkaufsvolumen erzielt, dies sich aber nicht in günstigeren Konditionen niederschlägt. Prophete und Pantherwerke vermuten, dass aufgrund der niedrigen Verkaufspreise der Biria-Gruppe das Unternehmen in den letzten Jahren beträchtliche Verluste erlitt.

(51)

Mit Blick auf die stille Einlage bezweifeln Prophete und Pantherwerke, dass ein privater Anleger angesichts der wirtschaftlichen Lage von Bike Systems im März 2001 eine solche Beteiligung eingegangen wäre.

(52)

Die Gewährung der beiden Bürgschaften zugunsten von Sachsen Zweirad GmbH und Biria von 2003 und 2004 halten Prophete und Pantherwerke für mit den Beihilfevorschriften der Europäischen Union unvereinbar. Prophete und Pantherwerke sind der Auffassung, dass sich die begünstigten Unternehmen in Schwierigkeiten befunden hätten, als die Bürgschaften gewährt wurden. Das neue Unternehmen Biria sei als Rechtsnachfolger der beiden früheren Unternehmen zu betrachten, aus denen es hervorgegangen sei. Die Eröffnungsbilanz des neugeschaffenen Unternehmens sei nicht aussagekräftig.

(53)

Die Gewährung der beiden Bürgschaften habe gegen den Grundsatz der einmaligen Beihilfe verstoßen, da die Wirtschaftstätigkeit der Unternehmen der Biria-Gruppe wiederholt nur mit staatlicher Unterstützung hätte aufrechterhalten werden können.

(54)

Keinerlei Kompensationsmaßnahmen sind getroffen worden, um nachteilige Auswirkungen auf die Wettbewerber auszugleichen. Eine Einschränkung der Marktpräsenz der Biria-Gruppe sei unterlassen worden. Vielmehr sei es das Konzept dieser Gruppe, ihre Geschäftstätigkeit durch aggressive Preispolitik weiter ausdehnen. Auf ihrer Homepage hätte Biria angekündigt, den Fahrradabsatz gegenüber 2004 im Jahr 2005 mit 850 000 verkauften Fahrrädern weiter steigern zu wollen. Ferner weisen Prophete und Pantherwerke auf eine Pressemitteilung hin, der zufolge der Eigentümer der Biria AG das Geschäft an den privaten Beteiligungsfonds Lone Star veräußert hätte.

4.3.   Vaterland-Werke GmbH & Co. KG

(55)

In ihrer Stellungnahme zur Einleitung des förmlichen Verfahrens führt die Vaterland-Werke GmbH & Co. KG (Vaterland-Werke) aus, dass die Biria-Gruppe mit einer Produktion von 700 000 bis 800 000 Fahrrädern jährlich der größte Hersteller in Deutschland sei. Eine vergleichbare Größe erreiche lediglich die MIFA Mitteldeutsche Fahrradwerke mit einer Produktion von 700 000 Fahrrädern im Jahr; andere Hersteller kämen lediglich auf 250 000 bis 400 000 Fahrräder.

(56)

Vaterland-Werke und Biria sind beide im Marktsegment des Nicht-Fachhandels vertreten, der auch die größeren Einzelhandelsketten und große Versandhandels-Unternehmen einschließt. In diesem Segment herrscht sehr rege Konkurrenz, und Biria ist für sein aggressives Wettbewerbsverhalten mit Preisen unterhalb der Gestehungskosten bekannt. Dieses Verhalten ist nur bei externen Finanzquellen möglich, im Falle von Biria wegen staatlicher Beihilfen. Dies bedroht die Existenz aller kleinen Wettbewerber, die nicht durch staatliche Beihilfen unterstützt werden. Vaterland-Werke sind hiervon besonders betroffen und freie Kapazitäten können nicht durch andere Auftragseingänge gedeckt werden. Da der Markt Überkapazitäten aufweise, würde jede Kapazitätsausweitung eines Herstellers mit Hilfe staatlicher Subventionen zu Lasten anderer Wettbewerber gehen.

(57)

Mit Blick auf die stille Einlage bezweifelt Vaterland-Werke, dass ein privater Anleger angesichts der wirtschaftlichen Lage von Bike Systems im März 2001 eine solche Beteiligung eingegangen wäre.

(58)

Die Gewährung der beiden Bürgschaften zugunsten von Sachsen Zweirad GmbH und Biria von 2003 und 2004 halten Vaterland-Werke für mit den Beihilfevorschriften der Europäischen Union unvereinbar. Die begünstigten Unternehmen hätten sich zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaften in Schwierigkeiten befunden. Das neue Unternehmen Biria sei als Rechtsnachfolger der beiden früheren Unternehmen zu betrachten, aus denen es hervorgegangen sei. Die Eröffnungsbilanz des neugeschaffenen Unternehmens sei nicht aussagekräftig.

(59)

Die Gewährung der beiden Bürgschaften habe gegen den Grundsatz der einmaligen Beihilfe verstoßen, da die Wirtschaftstätigkeit der Unternehmen der Biria-Gruppe wiederholt nur mit staatlicher Unterstützung hätte aufrechterhalten werden können.

(60)

Keinerlei Kompensationsmaßnahmen sind getroffen worden, um nachteilige Auswirkungen auf die Wettbewerber auszugleichen. Eine Einschränkung der Marktpräsenz der Biria-Gruppe sei unterlassen worden. Vielmehr sei es das Konzept dieser Gruppe, ihre Geschäftstätigkeit durch aggressive Preispolitik weiter ausdehnen. Auf ihrer Homepage hätte Biria angekündigt, den Fahrradabsatz gegenüber 2004 im Jahr 2005 mit 850 000 verkauften Fahrrädern weiter steigern zu wollen. Ferner weist Vaterland-Werke auf eine Pressemitteilung hin, der zufolge der Eigentümer der Biria AG das Geschäft an den privaten Beteiligungsfonds Lone Star veräußert hätte.

4.4.   Die Begünstigten

(61)

In ihrer Stellungnahme vom 7. Juni 2010 nach Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung durch das Gericht reichten die Begünstigten weitere Informationen ein.

(62)

Sie vertraten insbesondere die Ansicht, die Kommission müsse bei der Würdigung der stillen Einlage bei Bike Systems durch gbb (Maßnahme 1) dem Bestehen einer sogenannten Patronatserklärung Rechnung tragen, die von Biria GmbH erteilt wurde. Diese Biria GmbH ist eine andere juristische Person als die durch Verschmelzung der Biria AG (alt) und der Sachsen-Zweirad GmbH geschaffene, die in Randnummer 20 erwähnt wird. Die Biria GmbH, die die Patronatserklärung zugunsten Bike Systems ausstellte, ist der Rechtsvorgänger der Biria AG (alt).

V.   STELLUNGNAHME DEUTSCHLANDS

(63)

In seiner Stellungnahme zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens vertritt Deutschland die Auffassung, dass die stille Einlage der gbb zu Marktbedingungen vorgenommen wurde. Deutschland stimmt der Kommission zu, dass mit einer stillen Beteiligung ein höheres Risiko verbunden ist als mit einem herkömmlichen Darlehen. Die Konditionen der stillen Beteiligung seien jedoch so gestaltet, dass die Bestimmungen der Referenzsatz-Mitteilung 1997 eingehalten würden. Gemäß dieser Mitteilung ist der Referenzsatz ein Mindestsatz, welcher in besonderen Risikofällen erhöht werden kann. In diesem Fall kann der Aufschlag bei 400 Basispunkten und mehr liegen.

(64)

Die Vergütung für die stille Einlage beläuft sich nach deutschen Angaben auf 12,25 % (8,75 % fest und 3,5 % gewinnabhängig). Damit liege sie um 600 Basispunkte über dem Referenzzins der Kommission von 6,33 %. Damit habe gbb berücksichtigt, dass sich das Unternehmen in einer Umstrukturierungsphase befand und das Risiko der stillen Beteiligung somit wegen der Neuorientierung des Unternehmens und der fehlenden Sicherheiten erhöht war. Diesem Zusatzrisiko sei durch den zusätzlichen Aufschlag von 200 Basispunkten Rechnung getragen worden.

(65)

Der Beschluss zur stillen Einlage sei ferner auf der Grundlage einer Prognose gefasst worden, nach der sich der Umsatz des Unternehmens von 0,89 Mio. EUR 2001 auf 3,38 Mio. EUR 2003 erhöhen würde. Deutschland gelangt daher zu dem Schluss, dass die vereinbarte Vergütung für die stille Einlage in Höhe von 12,25 % das Risiko angemessen wiedergegeben habe. Deutschland vertritt die Auffassung, dass die Tatsache, dass ein Teil der Vergütung variabel ist, nicht von Belang ist, da dies bei stillen Einlagen üblich sei und dem Verhalten eines marktwirtschaftlich handelnden Anlegers entspreche.

(66)

Zur Bürgschaft zugunsten der Sachsen Zweirad GmbH führt Deutschland aus, dass das Unternehmen sich zum Zeitpunkt der Gewährung nicht in Schwierigkeiten befunden und keines der für ein Unternehmen in Schwierigkeiten typischen Merkmale im Sinne der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 aufgewiesen habe. Unter anderem habe das Unternehmen 2003 (bis zur Fusion mit Biria im Oktober) über ein positives Eigenkapital von 404 Mio. EUR verfügt und einen Gewinn von 2,1 Mio. EUR erwirtschaftet. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens hatte sich 2003 gegenüber 2001/2002 dank der Ende 2002 eingeleiteten Konsolidierungsbemühungen und einer günstigeren Marktlage verbessert.

(67)

Die Liquiditätslage des Unternehmens sei zwar schwierig, aber nicht „ernst“ gewesen. Die Gefahr, dass die privaten Geldinstitute ihre Kredite nicht verlängern, habe nicht bestanden. Auch hohe Zinszahlungen hätten nicht zu Liquiditätsproblemen geführt, wie von der Kommission behauptet.

(68)

Zur Bürgschaft für die Biria GmbH (später Biria AG) führt Deutschland aus, dass sie aufgrund des neuen Konzepts der Biria-Gruppe gewährt worden sei, die eine Bündelung der Organisation der Gruppe und eine Konzentration von Beschaffung, Produktionsverantwortung und Vertrieb bei der Biria GmbH vorsah. Neben dem Finanzbedarf für die Umsatzausweitung schloss das Konzept eine Neuordnung der Gesamtfinanzierung der Gruppe ein.

(69)

Nach Ansicht Deutschlands handelte es sich bei der Biria GmbH (später Biria AG) nicht um ein Unternehmen in Schwierigkeiten, als die Bürgschaft gewährt wurde. In diesem Zusammenhang müsse zwischen der alten und der neuen Biria AG unterschieden werden. Das neue Unternehmen sei nur dann als in Schwierigkeiten einzustufen gewesen, wenn es die Schwierigkeiten des alten Unternehmens geerbt hätte (falls sich das alte in Schwierigkeiten befunden hätte). Dies sei bei der neuen Biria AG jedoch nicht der Fall gewesen. Die neue Biria AG war aus einer Fusion der alten Biria AG mit der Sachsen Zweirad GmbH entstanden. Die Sachsen Zweirad GmbH, die sich keineswegs in Schwierigkeiten befand, habe bei dem Zusammenschluss wirtschaftlich dominiert. Deswegen könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass sich die neue Biria AG in Schwierigkeiten befunden habe. Selbst wenn die alte Biria AG in Schwierigkeiten gewesen wäre, hätte die Fusion mit Sachsen Zweirad GmbH bewirkt, dass die neue Biria AG sich nicht automatisch in Schwierigkeiten befunden hätte.

(70)

Ferner wies Deutschland darauf hin, dass der Rückzug eines der privaten Geldinstitute aus der Finanzierung des Unternehmens auf einer strategischen Umorientierung der Bank infolge einer Fusion beruhe. Die beiden übrigen Geldinstitute beendeten ihr Engagement zur gleichen Zeit wie diese Privatbank. Dies könne jedoch nicht als Zeichen verlorenen Vertrauens gedeutet werden, da eines der Geldinstitute zwei Einzelvorhaben weiter mitfinanziert habe.

(71)

Deutschland wies darauf hin, dass die Fusion der Sachsen Zweirad GmbH mit der Biria AG auch nicht dem Zweck gedient habe, die Beihilfevorschriften und die Einstufung des Unternehmens als eines in Schwierigkeiten zu umgehen, sondern die Folge eines neuen Konzepts der Unternehmensgruppe gewesen sei.

(72)

In seiner Stellungnahme zur Stellungnahme des Wettbewerbers, der anonym bleiben wollte, führt Deutschland aus, dass die Zahlen zur Kostenstruktur des Wettbewerbers und Biria nicht vergleichbar seien. Der Umsatz des Wettbewerbers habe zugenommen, während der Absatz der Biria-Gruppe zurückging. Der EBITDA (Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) des Wettbewerbers habe gleichzeitig abgenommen, wohingegen der der Biria-Gruppe konstant geblieben sei. Daraus gehe hervor, dass Biria nicht zu Dumpingpreisen verkauft, vielmehr der Wettbewerber ein aggressiveres Preisverhalten praktiziert habe als die Biria-Gruppe.

(73)

Die wirtschaftlichen Nachteile, die der Wettbewerber angeblich wegen des Verhaltens der Biria-Gruppe erlitten habe, seien weder durch Tatsachen belegt noch in einer zusammenhängenden Weise dargestellt worden. Außerdem sei es in einem von Wettbewerb geprägten Markt üblich, dass ein Unternehmen von einem Konkurrenten unterboten würde.

(74)

Zu dem von dem Wettbewerber erwähnten Verkauf der Vermögenswerte der Biria-Gruppe an die Lone Star-Gruppe legte Deutschland Einzelheiten zum Verkaufsvorgang selbst sowie zur Begleichung von Forderungen privater und öffentlicher Gläubiger vor.

(75)

In seiner Stellungnahme zu den Stellungnahmen von Prophete, Pantherwerke und Vaterland-Werke weist Deutschland darauf hin, dass der Fahrradmarkt in drei und nicht wie von diesen Unternehmen behauptet in zwei Segmente gegliedert sei. Bei den drei Segmenten handele es sich um Fachhandel, Versandhandel und SB-Fläche. Biria verfüge im Versandhandel über eine starke Stellung, die aber weniger einer aggressiven Preispolitik geschuldet sei als vielmehr den Just-in-Time-Lieferungen. Im Segment SB-Flächen hingegen sei die MIFA AG der führende Anbieter, während der Biria-Anteil unter 10 % liege.

(76)

Deutschland weist die Behauptung der Vaterland-Werke zurück, dass Biria eine Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeiten mittels einer aggressiven Preispolitik plane, und verweist dazu auf bereits im Zuge des Verfahrens vorgelegte Angaben. Deutschland erklärt, dass die Biria AG 2003 670 000 Fahrräder produziert habe und die Produktion seither zurückgehe.

VI.   BEIHILFERECHTLICHE WÜRDIGUNG

(77)

Nach Artikel 107 Absatz 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Kriterium der Handelsbeeinträchtigung erfüllt, wenn das begünstigte Unternehmen einer Wirtschaftstätigkeit nachgeht, die Gegenstand des Handels zwischen Mitgliedstaaten ist.

(78)

Um das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe prüfen zu können, stellt die Kommission zunächst das relevante Unternehmen fest. Dann prüft sie für jede Maßnahme gesondert, ob die Voraussetzungen des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllt sind. Anschließend wird das Beihilfeelement berechnet und die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt geprüft.

6.1.   Das begünstigte Unternehmen

(79)

Die Beihilfen wurden der Sachsen Zweirad GmbH und der Biria sowie Bike Systems, einer Tochtergesellschaft von Biria, gewährt. Am 7. November 2005 veräußerte Biria die Mehrheit ihrer Vermögenswerte an zwei Unternehmen der Lone Star-Gruppe, einem privaten Beteiligungsfonds. Die Kommission stellt fest, dass der Veräußerung nach den vorgelegten Informationen eine offene, transparente und bedingungsfreie Ausschreibung vorausging. Nach Angaben Deutschlands wurde der Verkaufswert der Vermögensgegenstände von einem Sachverständigen auf 10,7 Mio. EUR beziffert. Der von der Lone Star-Gruppe entrichtete Preis von 11,5 Mio. EUR lag somit über dem Schätzpreis.

(80)

Auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen kommt die Kommission zu dem Schluss, dass es keine Anhaltpunkte dafür gibt, dass die Lone Star-Gruppe in irgendeiner Weise durch die Beihilfen einen Vorteil erhalten hätte und dass die Lone Star-Gruppe somit ein unmittelbarer oder mittelbarer Begünstigter der Biria und Bike Systems gewährten Beihilfen wäre.

6.2.   Maßnahme 1: Angeblich zu Marktkonditionen vorgenommene stille Einlage

(81)

Die stille Einlage (Maßnahme 1) wurde von der gbb eingebracht. Nach Angaben Deutschlands wurde die Beteiligung im Rahmen des Eigenprogramms von gbb erworben, so dass sie nicht aus staatlichen Mittel stamme. Wie bereits im Einleitungsbeschluss dargelegt, nimmt die Kommission zur Kenntnis, dass die gbb zum Zeitpunkt des Erwerbs der Beteiligung eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Deutschen Ausgleichsbank war, die wiederum zu 100 % Eigentum der Bundesrepublik Deutschland war. Die gbb ist deshalb ein Unternehmen des öffentlichen Rechts. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs handelt es sich bei den Ressourcen öffentlicher Unternehmen stets um staatliche Mittel (11).

(82)

Daher ergibt sich für die Kommission zwingend, dass diese Maßnahme dem Staat zuzurechnen ist. Diesbezüglich urteilte der Gerichtshof in der Rechtssache C — 482/99 (Stardust) folgendermaßen (Randnummern 53-56):

„53.

Insoweit kann nicht verlangt werden, dass auf der Grundlage einer genauen Anweisung nachgewiesen wird, dass die Behörden das öffentliche Unternehmen konkret veranlasst haben, die fraglichen Beihilfemaßnahmen zu treffen. Zum einen besteht angesichts der engen Beziehungen zwischen dem Staat und den öffentlichen Unternehmen die tatsächliche Gefahr, dass staatliche Beihilfen über diese Unternehmen in wenig transparenter Weise und unter Verstoß gegen die im Vertrag vorgesehene Regelung über staatliche Beihilfen gewährt werden.

54.

Zum anderen wird es im Allgemeinen gerade wegen der privilegierten Beziehungen zwischen dem Staat und einem öffentlichen Unternehmen für einen Dritten sehr schwierig sein, in einem konkreten Fall nachzuweisen, dass Beihilfemaßnahmen eines solchen Unternehmens tatsächlich auf Anweisung der Behörden erlassen wurden.

55.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme eines öffentlichen Unternehmens an den Staat aus einem Komplex von Indizien abgeleitet werden kann, die sich aus den Umständen des konkreten Falles und aus dem Kontext ergeben, in dem diese Maßnahme ergangen ist. Insoweit hat der Gerichtshof bereits berücksichtigt, dass die fragliche Einrichtung die beanstandete Entscheidung nicht treffen konnte, ohne den Anforderungen der öffentlichen Stellen Rechnung zu tragen (insbesondere Urteil Van der Kooy u. a./Kommission, Randnr. 37), oder dass, abgesehen von organisationsrechtlichen Faktoren, die die öffentlichen Unternehmen mit dem Staat verbunden haben, diese Unternehmen, über die die Beihilfen gewährt worden waren, die Richtlinien eines Comitato Interministeriale per la Programmazione Economica (CIPE) zu beachten hatten (Urteile vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-303/88, Italien/Kommission, Randnrn. 11 und 12, und in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Randnrn. 13 und 14).

56.

Weitere Indizien sind gegebenenfalls von Bedeutung, um auf die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme eines öffentlichen Unternehmens an den Staat schließen zu können, wie insbesondere seine Eingliederung in die Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die Art seiner Tätigkeit und deren Ausübung auf dem Markt unter normalen Bedingungen des Wettbewerbs mit privaten Wirtschaftsteilnehmern, der Rechtsstatus des Unternehmens, ob es also dem öffentlichen Recht oder dem allgemeinen Gesellschaftsrecht unterliegt, die Intensität der behördlichen Aufsicht über die Unternehmensführung oder jedes andere Indiz, das im konkreten Fall auf eine Beteiligung der Behörden oder auf die Unwahrscheinlichkeit einer fehlenden Beteiligung am Erlass einer Maßnahme hinweist, wobei auch deren Umfang, ihr Inhalt oder ihre Bedingungen zu berücksichtigen sind.“

(83)

Im vorliegenden Fall hat die Kommission solche Indizien gefunden, die den Schluss zulassen, dass der Beschluss von gbb dem Staat zuzurechnen ist.

(84)

So war gbb von der Bundesregierung mit Förderaufgaben betraut und beispielsweise für den Konsolidierungs- und Wachstumsfonds Ostdeutschland zuständig, dessen Aufgabe in der Bereitstellung von Eigenkapital für mittelständische Unternehmen in Ostdeutschland zur Stärkung ihrer Eigenkapitalbasis bestand.

(85)

Zweitens stellt die Kommission fest, dass die Geschichte der gbb auf eine starke Beteiligung des Staates an ihren Entscheidungen hinweist. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts stand sie zuerst unter der Aufsicht des zuständigen Ministeriums, und in ihrem Aufsichtsrat saßen mehrheitlich Vertreter der Behörden. Seitdem sie Aktiengesellschaft ist, unterliegt ihre Muttergesellschaft, die Deutsche Ausgleichsbank, der Aufsicht des zuständigen Ministeriums, und in ihrem Aufsichtsrat dominieren Vertreter der Behörden.

(86)

Drittens stellt die Kommission fest, dass die Muttergesellschaft, die Deutsche Ausgleichsbank, zum Zeitpunkt des Beschlusses über die Beteiligung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts war, die unter der Aufsicht des Bundesministeriums des Inneren stand und deren Aufsichtsrat sich mehrheitlich aus Vertretern von Bundes- und Landesministerien sowie aus Bundestagsabgeordneten zusammensetzte. Der Deutschen Ausgleichsbank ist es nicht gestattet, Beteiligungen an anderen Unternehmen ohne vorherige Zustimmung des mit der Aufsicht betrauten Ministeriums und des Aufsichtsrats zu erwerben. Deshalb kontrollierte der Staat die Geschäftsentscheidungen der gbb auch noch nach deren Umwandlung von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in eine Aktiengesellschaft über die Muttergesellschaft.

(87)

Viertens stellt die Kommission fest, dass Deutschland 2002 zweckdienliche Maßnahmen in Bezug auf die deutschen Förderbanken akzeptierte (12). Diese zweckdienlichen Maßnahmen gelten auch für die Deutsche Ausgleichsbank. Nach den zweckdienlichen Maßnahmen müssen die Tätigkeiten der Deutschen Ausgleichsbank auf die Förderung von struktur-, wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen und die öffentlichen Aufgaben ihrer öffentlich-rechtlichen Eigentümer gemäß öffentlichem Auftrag beschränkt bleiben. Die Kommission vertritt deshalb den Standpunkt, dass die Deutsche Ausgleichsbank dadurch zu einem Teil der öffentlichen Verwaltung wird und somit alle ihre Handlungen dem Staat zuzurechnen sind.

(88)

Fünftens stellt die Kommission fest, dass die stille Einlage unter die Förderaufgabe „Mittelstandsfinanzierung“ (13) zu fallen scheint.

(89)

Daher kommt die Kommission zu dem Schluss, dass diese Maßnahme dem Staat zuzurechnen ist.

(90)

Nach Auffassung Deutschlands erfolgte die stille Einlage von gbb in Bike Systems (Maßnahme 1) zu Marktbedingungen. Das Risiko einer stillen Einlage entspricht dem eines nachrangigen Darlehens und ist somit als mit einem hohen Risiko behaftetes Darlehen zu behandeln. Im Falle der Insolvenz oder Liquidation wird die stille Beteiligung erst zurückgezahlt, nachdem alle anderen Verbindlichkeiten bedient worden sind. Das mit der stillen Beteiligung verbundene Risiko übersteigt somit das Risiko eines herkömmlichen Bankdarlehens für eine Investition, das normalerweise zu den Bedingungen der Bank abgesichert wird. Die Durchschnittshöhe der auf dem Markt angewandten Zinssätze für mittel- und langfristige mit den üblichen Sicherheiten versehene Darlehen belief sich zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme auf 6,33 %. Die Vergütung für eine solche Einlage sollte somit deutlich über diesem Zinssatz liegen.

(91)

Für die Beteiligung wurden eine feste Vergütung von 8,75 % sowie eine variable, gewinnabhängige Vergütung von 3,5 % vereinbart (14). Die vereinbarte Vergütung liegt somit über dem genannten Referenzsatz.

(92)

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese Schlussfolgerung voraussetzt, dass Bike Systems seine Rentabilität wiederherstellen kann; Bike Systems war nun aber gerade erst durch einen Insolvenzplan aus der Insolvenz herausgeführt worden. Seine Zukunftsaussichten waren ungewiss, da es nur zu einer begrenzten betrieblichen Umstrukturierung gekommen war. Nach der Jahresbilanz 2001 erwirtschaftete das Unternehmen in jenem Jahr immer noch Verluste. Das Eigenkapital war weiterhin negativ, obwohl dies aufgrund stiller Reserven keine Insolvenz auslöste. Bike Systems muss demnach zum damaligen Zeitpunkt als Unternehmen in Schwierigkeiten betrachtet werden.

(93)

Die Kommission stellt in Bezug auf die Patronatserklärung (siehe Randnummer 62) zunächst fest, dass diese Information zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung nicht vorlag. Der Text der Patronatserklärung wurde lediglich im Verlaufe des Gerichtsverfahrens eingereicht.

(94)

Laut Patronatserklärung vom 6. März 2001 nimmt Biria GmbH die stille Beteiligung zur Kenntnis und verpflichtet sich dazu, dass während deren Gültigkeit Bike Systems so geleitet und finanziert wird, dass diese ihren Verpflichtungen aus der stillen Beteiligung nachkommen kann.

(95)

Hierzu führt die Kommission Folgendes aus.

(96)

In Bezug auf die Finanzkraft der Muttergesellschaft (Patron) äußerte Deutschland, dass die Biria GmbH im Jahr 2001 keinen nennenswerten Umsatz aufwies, sie agierte lediglich als Vertriebshändler für andere Teile der Unternehmensgruppe (15). Im Hinblick auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit (16) erzielte die Firma im Jahr 1999 nach Abzug der Steuern einen bescheidenen Gewinn in Höhe von 205 000 DEM und im Jahr 2000 einen Nettoverlust in Höhe von 473 000 DEM.

(97)

Aufgrund der erlittenen Verluste des Unternehmens war die Eigenkapitalausstattung im Jahr 1999 negativ. Sie wendete sich im Jahr 2000 ins Positive, was jedoch nicht auf die Leistung des Unternehmens zurückzuführen war, sondern auf einen Gewinntransfer von dem Tochterunternehmen Sachsen Zweirad (17). Die Kommission stellt fest, dass die Patronatserklärung nicht von einem Unternehmen der gleichen Gruppe ausgestellt wurde, das sich in einer soliden Finanzlage befand, sondern von der schlechter abschneidenden Muttergesellschaft.

(98)

Aus diesen Gründen kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Biria GmbH — ungeachtet der Tatsache, ob sie formal als ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen 1999 eingestuft werden kann — in der Lage gewesen wäre, mögliche Ansprüche aus der Patronatserklärung über die stille Beteiligung in Höhe von mehr als 2 Mio. EUR zu erfüllen. Wie bereits erwähnt, muss festgehalten werden, dass der buchmäßige Ertrag im Jahr 2000 (vor Ausstellung der Patronatserklärung) tatsächlich allein auf den Gewinntransfer des Tochterunternehmens und nicht auf die Wirtschaftsleistung des Unternehmens zurückzuführen ist und dass seine Eigenkapitalausstattung ohne diesen Gewinntransfer negativ gewesen wäre (einschließlich des gezeichneten Kapitals und anderer Formen wie Reserven oder liquide Mittel in der Bilanz). Es ist daher fraglich, wie die Biria GmbH die mögliche Insolvenz von Bike Systems hätte verhindern können. Folglich ist die Kommission der Ansicht, dass die vorliegende Patronatserklärung keinen tatsächlichen wirtschaftlichen Wert besitzt, um die Schwierigkeiten von Bike Systems kompensieren zu können und daher keine werthaltige Sicherheit darstellt, mit der die Vergütung hätte verringert werden können, die ein Marktinvestor für die stille Beteiligung verlangt hätte.

(99)

Die Kommission kommt deswegen zu dem Schluss, dass die Vergütung dem Risiko nicht angemessen war und die stille Beteiligung nicht zu Marktkonditionen erfolgte. Die Beteiligung hat Bike Systems daher einen Vorteil verschafft, den das Unternehmen nicht auf dem Markt erhalten hätte.

(100)

Sowohl Bike Systems als auch die Sachsen Zweirad GmbH und die Biria GmbH stellen Fahrräder her. Da dieses Produkt grenzüberschreitend gehandelt wird, drohen die Maßnahmen den Wettbewerb zu verfälschen und beeinträchtigen den Handel zwischen Mitgliedstaaten.

6.3.   Maßnahmen 2 und 3: Angeblich durch genehmigte Beihilferegelungen gedeckte Beihilfen

(101)

Die Bürgschaft zugunsten von Sachsen Zweirad GmbH für einen Betriebsmittelkredit von 5,6 Mio. EUR (Maßnahme 2) und diejenige zugunsten von Biria für einen Betriebsmittelkredit von 24,875 Mio. EUR (Maßnahme 3) waren auf der Grundlage der Bürgschaftsregelung des Freistaats Sachsen (18) gewährt worden. Nach diesem genehmigten Beihilfeprogramm sind Bürgschaften für Darlehen von mehr als 5 Mio. DEM (2,6 Mio. EUR) für Neuinvestitionen und in besonderen Fällen für die Nachfinanzierung von Investitionen und Beschaffung von Betriebsmitteln an gesunde Unternehmen zulässig. In Ausnahmefällen kann auch die Finanzierung von Konsolidierung und Umstrukturierung zulässig sein. Die Bereitstellung von Bürgschaften zur Umstrukturierung eines großen Unternehmens ist jedoch bei der Kommission einzeln anzumelden.

(102)

Deutschland zufolge wurden die Bedingungen der Regelung eingehalten und die Bürgschaften stehen daher in Einklang mit der Regelung. Deutschland ist der Auffassung, dass sich die Sachsen Zweirad GmbH und Biria zum Zeitpunkt der Bereitstellung der Bürgschaften nicht in Schwierigkeiten befunden hätten. Die Bürgschaften seien zur Absicherung von Betriebsmitteltilgungsdarlehen bereitgestellt worden, was nach der Beihilferegelung zulässig sei.

(103)

Die Kommission verneint die Vereinbarkeit der Bürgschaften mit der Beihilferegelung, auf deren Grundlage sie angeblich bereitgestellt wurden. Entgegen der Auffassung Deutschlands ist die Kommission, wie nachstehend näher erläutert, der Ansicht, dass es sich bei der Sachsen Zweirad GmbH zum Zeitpunkt der Bereitstellung der Bürgschaft im März 2003 um ein Unternehmen in Schwierigkeiten handelte und auch die Biria GmbH bei Bereitstellung der Bürgschaft im Dezember 2003 ein Unternehmen in Schwierigkeiten war. Die Bereitstellung einer Bürgschaft zur Umstrukturierung eines Unternehmens in Schwierigkeiten ist jedoch bei der Kommission einzeln anzumelden.

(104)

Nach Auffassung Deutschlands wies die Sachsen Zweirad GmbH keines der für ein Unternehmen in Schwierigkeiten typischen Merkmale im Sinne der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 auf. Die Kommission weist darauf hin, dass die in Ziffer 6 der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 aufgeführten typischen Symptome eines Unternehmens in Schwierigkeiten lediglich Anhaltspunkte dafür bieten sollen, wann ein Unternehmen als in Schwierigkeiten betrachtet werden kann, nicht jedoch als Bedingungen aufzufassen sind, die kumulativ erfüllt sein müssen. Die Sachsen Zweirad GmbH verzeichnete 2001 beim Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Verluste in Höhe von 1 274 000 EUR und 2002 in Höhe von 733 000 EUR. Die Verluste wurden von der Muttergesellschaft Biria entsprechend dem Ergebnisabführungsvertrag übernommen. Der Umsatz ging im Jahr 2002 gegenüber 2001 zurück.

(105)

Dem Geschäftsbericht 2002 zufolge sah sich die Sachsen Zweirad GmbH auch mit Liquiditätsproblemen konfrontiert. So heißt es im Geschäftsbericht ausdrücklich, die Liquiditätslage der Sachsen Zweirad GmbH sei aufgrund der hohen Aufwendungen für die Vorfinanzierung der Warenbestands und des Wachstums innerhalb der Gruppe angespannt gewesen. Nach dem Geschäftsbericht konnte das Überleben des Unternehmens nur gesichert werden, wenn die Banken bereit waren, die bestehenden Kreditlinien aufrecht zu erhalten oder umzustrukturieren.

(106)

Die Gefahr, dass die privaten Geldinstitute ihre Kredite nicht verlängern, hat nach Auffassung Deutschlands nie bestanden. Das ändert aber nichts an der Feststellung, dass die Liquiditätslage des Unternehmens angespannt war. Laut Geschäftsbericht hatten die meisten Kredite eine Restlaufzeit von weniger als fünf Jahren, was für die Finanzierung der Geschäftstätigkeit keineswegs optimal ist und die Risiken für das Unternehmen erhöht. Die Kurzfristigkeit der Kredite führte überdies zu hohen (wenn auch 2002 gegenüber 2001 leicht rückläufigen) Zinszahlungen, welche die Liquidität des Unternehmens weiter belasteten.

(107)

Deshalb kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Sachsen Zweirad GmbH zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaft als Unternehmen in Schwierigkeiten und die Bürgschaft dementsprechend als Umstrukturierungsbürgschaft zu betrachten ist. Da die Gewährung einer solchen Bürgschaft für große Unternehmen bei der Kommission einzeln anzumelden sind, waren die Voraussetzungen der genehmigten Beihilferegelung, auf deren Grundlage die Bürgschaft angeblich gewährt worden war, nicht erfüllt, und die Bürgschaft fiel somit nicht unter diese Beihilferegelung.

(108)

Die Biria wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 2003 durch Verschmelzung der Biria AG (alt) mit dem Tochterunternehmen Sachsen Zweirad GmbH gegründet.

(109)

Nach Auffassung Deutschlands muss Biria klar von der Biria AG (alt) und der Sachsen Zweirad GmbH unterschieden werden, da durch die Verschmelzung ein neues Unternehmen entstanden sei. Daher müsse die Frage, ob sich dieses Unternehmen zum Zeitpunkt der Bereitstellung der Bürgschaft am 9. Dezember 2004 in Schwierigkeiten befand, anhand der Eröffnungsbilanz des neu verschmolzenen Unternehmens beurteilt werden. Die Eröffnungsbilanz zeige, dass das die Biria GmbH nicht als Unternehmen in Schwierigkeiten betrachtet werden könne.

(110)

Die Kommission stimmt dieser Argumentation nicht zu. Das neu verschmolzene Unternehmen Biria GmbH kann nicht getrennt von der früheren Biria AG und der Sachsen Zweirad GmbH gesehen werden, weil es durch Verschmelzung beider Unternehmen entstanden ist. Andernfalls wäre es leicht, die Einstufung als Unternehmen in Schwierigkeiten durch die Fusion von Wirtschaftssubjekten oder Gründung neuer Unternehmen zu umgehen. Die ehemalige Biria AG verzeichnete 2002 ebenfalls Verluste und hatte genauso Liquiditätsprobleme wie die Sachsen Zweirad GmbH. Biria GmbH übernahm alle Schulden und Verpflichtungen der Biria AG (alt) und der Sachsen Zweirad GmbH. Biria GmbH besitzt außerdem die selben Vermögensgegenstände und führt die gleiche Geschäftstätigkeit aus wie Biria AG (alt) und Sachsen Zweirad GmbH. Die Kommission ist daher der Auffassung, dass die Biria GmbH die Schwierigkeiten der Biria AG (alt) und der Sachsen Zweirad GmbH übernommen hat.

(111)

Die Sachsen Zweirad GmbH hat laut Deutschland bei dem Zusammenschluss wirtschaftlich dominiert. Sachsen Zweirad GmbH sei nicht in Schwierigkeiten gewesen, weswegen nicht automatisch anzunehmen sei, dass sich die neue Biria GmbH in Schwierigkeiten befunden habe. Entgegen dem deutschen Vorbringen ist die Kommission sehr wohl der Ansicht, dass sich die Sachsen Zweirad GmbH in Schwierigkeiten befand. Die neue Biria GmbH hat folglich auch die Schwierigkeiten der Sachsen Zweirad GmbH „geerbt“.

(112)

Dem Geschäftsbericht 2003 zufolge wurde die Umstrukturierung und Reorganisation der Biria-Gruppe 2003 fortgesetzt. Dieser Prozess hatte bereits 2002 begonnen und schloss eine Neuordnung der Finanzierung der Gruppe ein. Auf Grundlage der Bürgschaft des Freistaats Sachsen für das Darlehen über 24,875 Mio. EUR erarbeitete die Biria-Gruppe ein neues Konzept für die mittelfristige Finanzierung ihrer Aktivitäten. Das neue Finanzierungskonzept sah auch eine signifikante Anpassung der Zinssätze und somit eine Verringerung der hohen Zinslast vor.

(113)

Gleichzeitig wurde der Bankenpool reorganisiert: Drei Banken erklärten sich bereit, auf Forderungen in Höhe von 8 567 000 EUR — das scheinen deutlich mehr als 50 % ihrer Forderungen gewesen zu sein — im Gegenzug für eine unverzügliche Begleichung der verbleibenden Forderungen zu verzichten. Folglich besteht das Darlehen, das durch die 80 %ige Bürgschaft von Maßnahme 3 gedeckt ist, aus 8 Mio. EUR Betriebsmitteltilgungsdarlehen, 7,45 Mio. EUR Kontokorrentlinie und einem Betrag von 9,425 Mio. EUR Saisonfinanzierungslinie.

(114)

Biria hatte also zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaft gravierende Liquiditätsprobleme und war demnach ein Unternehmen in Schwierigkeiten. Diese Beurteilung wird dadurch untermauert, dass sich drei Banken aus der Finanzierung der Aktivitäten von Biria zurückzogen und sogar bereit waren, auf einen Großteil ihrer Forderungen zu verzichten, wenn die Restforderungen unverzüglich eingelöst werden. Dies zeigt, dass die Banken ernste Zweifel daran hatten, dass Biria seine Schulden bedienen kann und als rentables Unternehmen anzusehen ist.

(115)

Deutschland hält dem entgegen, dass die Banken sich lediglich wegen einer Umorientierung ihrer Geschäftsstrategie aus der Finanzierung zurückgezogen hätten. Die Kommission stellt fest, dass die Banken auf wahrscheinlich rund 50 % der ausstehenden Forderungen verzichtet haben. Dies ist selbst im Falle eines Rückzugs der Banken aufgrund einer geschäftsstrategischen Neuausrichtung ein Zeichen dafür, dass die Kreditinstitute einen vollständigen Rückfluss der Darlehen für sehr unwahrscheinlich hielten.

(116)

Deshalb kommt die Kommission zu dem Schluss, dass Biria zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaft als Unternehmen in Schwierigkeiten und die Bürgschaft dementsprechend als Umstrukturierungsbürgschaft zu betrachten ist. Da die Gewährung solcher Bürgschaften für Großunternehmen bei der Kommission einzeln anzumelden ist und Biria zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheids ein Großunternehmen war, waren die Voraussetzungen der genehmigten Beihilferegelung, auf deren Grundlage die Bürgschaft angeblich gewährt wurde, nicht erfüllt, und die Bürgschaft fiel somit nicht unter diese Beihilferegelung.

(117)

Die als Maßnahmen 2 und 3 aufgeführten Bürgschaften wurden vom Land Sachsen gewährt, stammen somit aus staatlichen Mitteln und sind dem Staat zuzuordnen.

(118)

Eine Maßnahme muss dem Begünstigten ferner einen Vorteil verschaffen. Die Kommission ist der Auffassung, dass die beiden in Rede stehenden Bürgschaften der Sachsen Zweirad GmbH und der Biria GmbH (jetzt Biria AG) einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft haben.

(119)

Aus den in den Abschnitten 2.2 und 3.2d er Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (19) (nachstehend „Bürgschaftsmitteilung“ genannt), dargelegten Gründen, entsteht dem Kreditnehmer ein Vorteil, wenn er für die Bürgschaft nicht den Marktpreis zahlen muss. In bestimmten Fällen würde der Kreditnehmer als Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten kein Finanzinstitut finden, dass bereit wäre, ihm ohne staatliche Garantie ein Darlehen zu gewähren.

(120)

Im vorliegenden Fall wurden die Bürgschaften für Darlehen eines Unternehmens in Schwierigkeiten gestellt, wobei für den Bürgen (Staat) kein marktübliches Entgelt vorgesehen war.

(121)

In Abschnitt 3.2 der Bürgschaftsmitteilung führt die Kommission folgende vier Voraussetzungen auf, die sämtlich erfüllt sein müssen, damit das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe in Form einer Garantie ausgeschlossen werden kann:

1.

der Kreditnehmer befindet sich nicht in finanziellen Schwierigkeiten;

2.

der Umfang der Garantie kann zum Zeitpunkt ihrer Übernahme ermittelt werden;

3.

die Garantie deckt höchstens 80 % des ausstehenden Kreditbetrages;.

4.

für die Garantie wird ein marktübliches Entgelt gezahlt.

(122)

Nach Anwendung dieser Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall, stellt die Kommission zunächst fest, dass die Sachsen Zweirad GmbH und Biria zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaften Unternehmen in Schwierigkeiten waren.

(123)

Für die Bürgschaften wurden keine Prämien gezahlt, und sie wurden für die Darlehen eines Unternehmens in Schwierigkeiten gestellt. Allein die Tatsache, dass kein marktübliches Entgelt für die Bürgschaften gezahlt wurde, weist darauf hin, dass der Sachsen Zweirad GmbH bzw. Biria durch die Maßnahmen ein Vorteil gewährt wurde. Bürgschaften, für die keine marktübliche Prämie zu zahlen ist, gibt es auf dem Geschäftskundenmarkt nicht. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Bürgschaften für Unternehmen in Schwierigkeiten handelt, die ihre Darlehen möglicherweise nicht zurückzahlen können.

(124)

Die Logik der Bürgschaftsmitteilung führt deshalb zu dem Schluss, dass es sich bei der Bürgschaft um eine staatliche Beihilfe handelt.

(125)

Die Kommission kommt deshalb zu dem Schluss, dass die Bürgschaften der Sachsen Zweirad GmbH und der Biria GmbH (jetzt Biria AG) einen Vorteil verschafften, da beide Unternehmen diese Bürgschaften auf dem Markt nicht zu denselben Konditionen erhalten hätten.

(126)

Aus denselben Gründen, die bereits in Randnummer 100 dargelegt wurden, sind die Maßnahmen 2 und 3 dazu geeignet, den Wettbewerb zu verfälschen und den Handel zu beeinträchtigen.

6.4.   Schlussfolgerung zum Vorliegen einer Beihilfe

(127)

Deshalb kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die stille Einlage und die beiden Bürgschaften eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV darstellen und beide Bürgschaften nicht im Einklang mit einer genehmigten Beihilferegelung bereitgestellt wurden. Die Maßnahmen 1, 3 und 3 stellen also eine neue Beihilfe dar und sind entsprechend zu würdigen.

6.5.   Berechnung der Beihilfeelements

(128)

Laut Abschnitt 4.1 der Bürgschaftsmitteilung wird davon ausgegangen, dass eine Einzelgarantie oder eine Garantieregelung eine staatliche Beihilfe beinhaltet, wenn sie nicht mit dem Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers im Einklang steht. Daher muss das Beihilfeelement berechnet werden, um prüfen zu können, ob die Beihilfe aufgrund bestimmter Freistellungsbestimmungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden kann. Die Kommission muss deshalb zunächst das Beihilfeelement berechnen, bevor sie die Vereinbarkeit der Beihilfe prüfen kann.

(129)

In der Bürgschaftsmitteilung hat die Kommission allgemeine Grundsätze für die Berechnung des Beihilfeelements festgelegt.

(130)

Nach Auffassung der Kommission kann eine staatliche Garantie grundsätzlich bis zum Gesamtbetrag des zugrunde liegenden Darlehens eine Beihilfe darstellen, wenn der Begünstigte sich nicht aus eigener Kraft Zugang zu den Finanzmärkten verschaffen kann (siehe Abschnitte 2.2 und 4.1 Buchstabe a der Bürgschaftsmitteilung).

(131)

Die Regeln für die Berechnung des Beihilfeelements sind in den Abschnitten 4.1 (Allgemeine Erwägungen), 4.2 (Beihilfeelement von Einzelgarantien) und 4.4 (Beihilfeelement von Garantieregelungen) der Bürgschaftsmitteilung niedergelegt. Die Kommission wendet diese Regeln im Folgenden auf den vorliegenden Fall an.

(132)

Laut Abschnitt 4.2 der Bürgschaftsmitteilung sind, wenn keine marktübliche Prämie zum Vergleich herangezogen werden kann, die Gesamtfinanzierungskosten eines Darlehens auf dem Markt mit und ohne Garantie einander gegenüberzustellen (d. h. der Zinssatz für ein ähnliches Darlehen ohne Garantie muss mit dem Zinssatz zuzüglich Garantieprämie für das Darlehen mit staatlicher Garantie verglichen werden).

(133)

In vielen Fällen ist ein solcher marktüblicher Zinssatz nicht verfügbar. Deshalb hat die Kommission in ihren Mitteilungen die über Methode zur Festsetzung der Referenz- und Abzinsungssätze eine Methode entwickelt, die aus den in Abschnitt 4.2 der Bürgschaftsmitteilung erläuterten Gründen als Ersatzgröße für den marktüblichen Zinssatz herangezogen werden kann.

(134)

Nach der Referenzsatz-Mitteilung 1997 setzt die Kommission Referenzsätze fest, die die Durchschnittshöhe der auf dem Markt angewandten Zinssätze für mittel- und langfristige mit den üblichen Sicherheiten versehene Darlehen widerspiegeln sollen. In der Referenzsatz-Mitteilung 1997 wird ferner darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Referenzsatz um einen Mindestsatz handelt, der in besonderen Risikofällen (z. B. Unternehmen in Schwierigkeiten, Mangel an üblicherweise von Banken geforderten Sicherheiten) erhöht werden kann. In solchen Fällen kann der Aufschlag bei 400 Basispunkten und mehr liegen. In der Referenzsatz-Mitteilung 1997 wird nicht erläutert, ob Risikoprämien zur Berücksichtigung verschiedener Risiken kumuliert werden dürfen. Eine Kumulierung ist nicht ausgeschlossen, doch muss die Kommission in ihrem Beschluss die angewandte Methode zur Kumulierung verschiedener Risikoprämien rechtfertigen und sich dazu auf eine Analyse der auf den Finanzmärkten angewandten Methoden stützen (20).

(135)

2004 hat die Deloitte&Touche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH eine Studie (nachstehend „Studie“ genannt) für die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission durchgeführt. In der Studie (21) wurden anhand empirischer Forschungen u. a. Risikoprämien ausgewiesen, die auf dem Markt für Unternehmen unterschiedlicher Risikokategorien und Transaktionen mit unterschiedlichen Sicherheiten zu beobachten waren. Der Studie ist eindeutig zu entnehmen, dass sich die Kombination verschiedener Risikoaspekte (Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers, Sicherheiten) in unterschiedlichen Aufschlägen auf den Basissatz niederschlägt.

(136)

Die Kommission hat auf der Grundlage der Studie ihren Ansatz bei der Berechnung des Beihilfeelements von Darlehen in ihrer Mitteilung über die Änderung der Methode zur Festsetzung der Referenz- und Abzinsungssätze (22) (nachstehend „Referenzsatz-Mitteilung 2008“ genannt) weiter verfeinert. Die Referenzsatz-Mitteilung 2008 spiegelt den in der Studie verfolgten Ansatz wieder: Auf einen Basiszinssatz werden nach Maßgabe der Kreditwürdigkeit des Unternehmens und der gebotenen Sicherheiten Aufschläge angewandt.

(137)

Die Kommission vertritt ferner die Auffassung, dass die Ermittlung des Beihilfeelements in den zu beurteilenden Maßnahmen mit dem Konzept der Beihilfe in Verbindung steht. Gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs steht außer Zweifel, dass die Frage, ob es sich bei einer Beihilfe um eine staatliche Beihilfe im Sinne des Vertrags handelt, anhand objektiver Gegebenheiten zu beantworten ist, die zu dem Zeitpunkt zu beurteilen sind, zu dem die Kommission ihre Entscheidung trifft (23).

(138)

Die Kommission ist folglich der Auffassung, dass die Referenzsatz-Mitteilung 2008 die angemessene Grundlage für die Berechung des Beihilfeelements ist; daher wird sie im Folgenden das Beihilfeelement der in Rede stehenden Maßnahmen anhand dieser Mitteilung beurteilen.

(139)

Das Beihilfeelement der stillen Einlage ergibt sich nach Auffassung der Kommission aus der Differenz zwischen der Vergütung, die Bike Systems auf dem freien Markt für die stille Einlage hätte zahlen müssen, und der tatsächlich gezahlten Vergütung. Da Bike Systems sich in Schwierigkeiten befand, als die stille Einlage vorgenommen wurde, und das mit dieser verbundene Risiko hoch war, kann das Beihilfeelement bis zu 100 % der stillen Einlage betragen, da diese Einlage möglicherweise von einem marktwirtschaftlich handelnden Anleger überhaupt nicht getätigt worden wäre (24).

(140)

Nach Auffassung der Kommission ist eine stille Einlage kein Darlehen, kann aber mit einem besonders risikoreichen Darlehen verglichen werden, da sie im Insolvenzfall sämtlichen anderen Forderungen einschließlich nachrangiger Darlehen nachgeordnet ist.

(141)

Wie in Randnummer 92 erläutert muss die Situation von Bike Systems, das gerade ein Insolvenzverfahren abgeschlossen hatte, nach Auffassung der Kommission als unsicher gelten. Seine Zukunftsaussichten waren ungewiss, da es nur zu einer begrenzten betrieblichen Umstrukturierung gekommen war. Wie in Randnummer 92 erläutert, ist das Unternehmen daher als ein Unternehmen in Schwierigkeiten zu betrachten. Darüber hinaus wurden keine Sicherheiten für die stille Einlage bereitgestellt, was das Ausfallrisiko erhöht. Daher ist die Kommission der Auffassung, dass die Bürgschaft als „gering“ besicherte Transaktion im Sinne der Referenzsatz-Mitteilung 2008 anzusehen ist. Zusätzlich zu den fehlenden Sicherheiten ist die stille Einlage auch gegenüber sämtlichen anderen Darlehen im Insolvenzfall nachrangig, was das Ausfallrisiko weiter erhöht. Nach Auffassung der Kommission muss der letztgenannte Umstand als zusätzlicher Risikofaktor zum Fehlen ausreichender Sicherheiten betrachtet werden, denn die geringe Besicherung erhöht das Risiko, dass der Anspruch eines Gläubigers im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers im Rahmen der Verwertung der Sicherheiten nicht unmittelbar befriedigt werden kann, während die Nachrangigkeit des Anspruches bedeutet, dass ein Gläubiger im Falle des Insolvenz seine Ansprüche erst nach anderen Gläubigern befriedigen kann und damit wahrscheinlich nichts zurückerhält.

(142)

Nach Auffassung der Kommission muss Bike Systems, da es sich zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in Schwierigkeiten befand, in die Kreditkategorie „schlecht“ eingeordnet werden. In der Referenzsatz-Mitteilung 2008 ist festgelegt, dass für Unternehmen dieser Kreditkategorie mit geringer Besicherung ein Aufschlag von bis zu 1 000 Basispunkten erforderlich sein könnte, um das Vorliegen einer Beihilfe auszuschließen. Nach Auffassung der Kommission ist angesichts des Fehlens von Sicherheiten sowie des niedrigen Rangs der stillen Einlage ein Aufschlag von 1 000 Basispunkten gerechtfertigt.

(143)

Damit ergibt sich das Beihilfeelement der stillen Einlage aus der Differenz zwischen dem Referenzzinssatz zuzüglich 1 000 Basispunkten und der Vergütung, die für die stille Einlage zu zahlen war.

(144)

Bei der Berechnung des Beihilfeelements kann die variable Vergütung von 3,5 % nach Auffassung der Kommission ferner nur teilweise berücksichtigt werden, da sie gewinnabhängig war. Das Unternehmen befand sich jedoch in einer schlechten Lage, und die Gewinnaussichten waren unklar. Deswegen hält es die Kommission für gerechtfertigt, die variable Vergütung nur zur Hälfte, d. h. in Höhe von 1,75 %, zu berücksichtigen. Als tatsächliche Vergütung, die in die Berechnung des Beihilfeelements einfließt, sollte daher der feste Satz von 8,75 % sowie die Hälfte der variablen Vergütung von 3,5 % berücksichtigt werden, was einer Gesamtvergütung von 10,5 % entspricht. Das Beihilfeelement entspricht folglich der Differenz zwischen dem Referenzzins zuzüglich 1 000 Basispunkten und der Vergütung von 10,5 %.

(145)

Dank der als Maßnahmen 2 und 3 aufgeführten Bürgschaften konnten Sachsen Zweirad GmbH und Biria GmbH günstigere finanzielle Konditionen für ihre Darlehen erhalten, als ansonsten auf den Finanzmärkten üblich. Das Beihilfeelement der Bürgschaft der Maßnahme 2 und der Bürgschaft der Maßnahme 3 entspricht der Differenz zwischen dem Zins, den Sachsen Zweirad GmbH und Biria GmbH unter Marktbedingungen (d.h. ohne Bürgschaft) für ein Darlehen hätten zahlen müssen, und dem Zins, zu dem das verbürgte Darlehen tatsächlich vergeben wurde. Diese Differenz dürfte der Prämie entsprechen, die ein marktwirtschaftlich handelnder Bürge für diese Bürgschaften verlangt hätte. Da sich Sachsen Zweirad GmbH und Biria GmbH in Schwierigkeiten befanden, als die Bürgschaften und die entsprechenden Darlehen gewährt wurden, kann das Beihilfeelement sogar bis zu 100 % der Bürgschaften betragen, da kein Geldgeber die Darlehen ohne Bürgschaft überhaupt gewährt hätte (25).

(146)

Mit dem Darlehen und der Bürgschaft an die Sachsen Zweirad GmbH war wegen der besonders geringen angebotenen Sicherheiten nach Auffassung der Kommission ein zusätzliches Risiko verbunden. Die Bürgschaft für das Darlehen an die Sachsen Zweirad GmbH war lediglich durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Unternehmen der Gruppe besichert. Der wirtschaftliche Wert solcher selbstschuldnerischen Bürgschaften ist sehr gering. Daher ist die Kommission der Auffassung, dass die Bürgschaft als „gering“ besicherte Transaktion im Sinne der Referenzsatz-Mitteilung 2008 anzusehen ist.

(147)

Was das Darlehen und die Bürgschaft an die Biria GmbH betrifft, so waren die hierfür bereitgestellten Sicherheiten von einem höheren wirtschaftlichen Wert als die für die Bürgschaft an die Sachsen Zweirad GmbH bereitgestellten Sicherheiten. Trotzdem waren die Sicherheiten immer noch geringer als die normalerweise geforderten Sicherheiten. Die Bürgschaft für die Biria GmbH ist mit einer erstrangigen Grundschuld auf Vermögen von Bike Systems in Höhe von 15 Mio. EUR besichert. Die Grundschuld ist jedoch nachrangig zu einem anderen Darlehen von 2 Mio. EUR. Diese erstrangige Grundschuld deckte folglich lediglich knapp über 50 % der gesamten Darlehenssumme. Es gibt jedoch keine Hinweise dafür, wie hoch der ordnungsgemäße Liquidationswert der Grundschuld ausfallen würde. Die weiteren Sicherheiten — Grundschulden, Abtretungen von Forderungen, Sicherungsübereignung von im Besitz der Unternehmen der Gruppe befindlichen Waren und eine selbstschuldnerisch Bürgschaft des Eigentümers von Biria GmbH — waren von geringem wirtschaftlichem Wert. Trotz der gestellten Sicherheiten muss die Bürgschaft nach Auffassung der Kommission als „gering“ besicherte Transaktion im Sinne der Referenzsatzmitteilung 2008 angesehen werden.

(148)

Wie oben dargelegt, befanden sich die Biria GmbH und die Sachsen Zweirad GmbH zum Zeitpunkt der Gewährung der Bürgschaften in Schwierigkeiten, so dass sie in die Kreditkategorie „schlecht“ einzustufen sind. Gemäß der Referenzsatz-Mitteilung 2008 kann sich in dieser Ratingkategorie, wenn das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe ausgeschlossen werden soll, der anzuwendende Aufschlag im Falle geringer Sicherheiten auf bis zu 1 000 Basispunkte belaufen. Nach Auffassung der Kommission ist im Falle der Sachsen Zweirad GmbH angesichts der geringen Sicherheiten ein Aufschlag in Höhe von 800 Basispunkten gerechtfertigt. Die Biria GmbH bot geringfügig bessere Sicherheiten. Daher ist ein Aufschlag in Höhe von 700 Basispunkten gerechtfertigt. Der bei beiden Unternehmen im Vergleich zur stillen Einlage niedrigere Aufschlag ist auf den niedrigeren Rang der Einlage zurückzuführen.

(149)

Das Beihilfeelement der Bürgschaft für die Sachsen Zweirad GmbH (Maßnahme 2) ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Referenzzinssatz zuzüglich 800 Basispunkten und den Gesamtfinanzierungskosten (Zinssatz für das Darlehen plus etwaige Prämien für die Bürgschaft), zu denen das abgesicherte Darlehen bereitgestellt wurde.

(150)

Das Beihilfeelement der Bürgschaft für die Biria GmbH (Maßnahme 3) ergibt sich entsprechend aus der Differenz zwischen dem Referenzzinssatz zuzüglich 700 Basispunkten und den Gesamtfinanzierungskosten (Zinssatz für das Darlehen plus etwaige Prämien für die Bürgschaft), zu denen das abgesicherte Darlehen bereitgestellt wurde.

6.6.   Ausnahmen nach Artikel 107 Absätze 2 und 3 AEUV

(151)

In Artikel 107 Absätze 2 und 3 AEUV sind Ausnahmen vom allgemeinen Beihilfeverbot in dessen Absatz 1 vorgesehen.

(152)

Die Ausnahmen in Artikel 107 Absatz 2 AEUV sind in diesem Fall nicht anwendbar, da die Beihilfemaßnahmen weder sozialer Art sind noch einzelnen Verbrauchern gewährt werden; sie dienen auch nicht der Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, und sie werden nicht für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland gewährt.

(153)

Auch die Ausnahmebestimmungen des Artikels 107 Absatz 3 Buchstaben b und d AEUV greifen nicht. Sie beziehen sich auf die Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem Interesse sowie die Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes.

(154)

Damit bleiben die Ausnahmebestimmungen des Artikels 107 Absatz 3 Buchstaben a und c AEUV und der darauf gestützten der Gemeinschaftsleitlinien.

(155)

Zunächst stellt die Kommission fest, dass Bike System seinen Sitz in einem Fördergebiet gemäß Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a AEUV hat, das für Regionalbeihilfen in Betracht kommt. Dennoch hat Deutschland trotz der von der Kommission in der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens vorgebrachten Zweifel, keine Informationen übermittelt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Regionalbeihilfen, wie in den Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung (26) festgelegt, erfüllt sind.

(156)

Weitere Ausnahmebestimmungen sind in den Gemeinschaftsleitlinien enthalten. Da die Beihilfe im März 2001 gewährt wurde, gelangen die Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 zur Anwendung. Der Kommission liegen keine Informationen darüber vor, dass die Beihilfe auf Grundlage dieser Leitlinien als mit dem AEUV vereinbar angesehen werden kann. Die Gewährung einer Umstrukturierungsbeihilfe wird in den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 von der Durchführung eines tragfähigen Umstrukturierungsplans abhängig gemacht, wobei unverhältnismäßige Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und die Beihilfe auf das Mindestmaß zu begrenzen sind. Trotz der von der Kommission bei Einleitung des Verfahrens zum Ausdruck gebrachten Zweifel hat Deutschland keinerlei Informationen vorgelegt, wonach diese Voraussetzungen erfüllt wären. Die Kommission gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 nicht erfüllt sind.

(157)

Ferner kommt für die in Rede stehende Maßnahme keine der anderen Leitlinien und Verordnungen zur Anwendung, die für Beihilfen u. a. in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Umwelt, kleine und mittlere Unternehmen, Beschäftigung und Ausbildung oder Risikokapital gelten. Da die Maßnahme auf kein Ziel von gemeinsamem Interesse ausgerichtet ist, stellt die Beihilfe eine mit dem AEUV unvereinbare Betriebsbeihilfe dar.

(158)

Die Kommission stellt fest, dass die Sachsen Zweirad GmbH und die Biria GmbH ihren Sitz in einem Fördergebiet gemäß Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe a AEUV haben. Dennoch greifen die Ausnahmebestimmungen in diesem Buchstaben und die Regionalbestimmungen in Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV nicht, da sich die Sachsen Zweirad GmbH und die Biria GmbH in Schwierigkeiten befanden und die Beihilfemaßnahmen nicht auf die wirtschaftliche Entwicklung einer bestimmten Region abgestellt waren.

(159)

Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass nur die Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten greifen könnten. Da die Beihilfe im März 2003 und Dezember 2003 gewährt wurde, gelangen die Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 zur Anwendung.

(160)

Die Gewährung einer Beihilfe wird von der Durchführung eines Umstrukturierungsplans abhängig gemacht, dessen Laufzeit möglichst begrenzt sein muss, und der die langfristige Rentabilität des Unternehmens innerhalb einer angemessenen Frist auf Grundlage realistischer Annahmen hinsichtlich der künftigen Betriebsbedingungen wiederherstellt. Trotz der von der Kommission bei Einleitung des Verfahrens zum Ausdruck gebrachten Zweifel hat Deutschland keinerlei Informationen vorgelegt, wonach die Bürgschaften aufgrund eines tragfähigen Umstrukturierungsplans gewährt wurden, der die Rentabilität der Gruppe wiederhergestellt hätte.

(161)

Ferner müssen Maßnahmen getroffen werden, um nachteilige Auswirkungen der Beihilfe auf Konkurrenten nach Möglichkeit abzumildern. Meist bedeutet dies eine Begrenzung der Präsenz des Unternehmens auf seinem Markt oder seinen Märkten nach Abschluss der Umstrukturierungsphase. Der Kommission liegen keine Angaben zu dem relevanten Markt und dem Anteil der Biria-Gruppe an diesem relevanten Markt vor. Ebenso liegen keine Angaben über etwaige Ausgleichsmaßnahmen vor, um die Präsenz des Unternehmens auf dem Markt zu begrenzen. Vielmehr hat es den Anschein, dass die Biria-Gruppe mit der Übernahme von Checker Pig und Bike Systems im Jahr 2001 expandiert hat.

(162)

Die Höhe der Beihilfe muss sich nach den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 auf das für die Umstrukturierung unbedingt notwendige Mindestmaß unter Berücksichtigung der verfügbaren Finanzmittel des Unternehmens und seiner Anteilseigner beschränken. Des Weiteren muss der Beihilfeempfänger aus eigenen Mitteln oder durch Fremdfinanzierung zu Marktbedingungen einen bedeutenden Beitrag zu dem Umstrukturierungsplan leisten. Da die Beihilfe nicht auf der Grundlage eines Umstrukturierungsplans gewährt wurde, liegen der Kommission keine Angaben über den Beitrag des Beihilfeempfängers und darüber vor, ob die Beihilfe auf das Mindestmaß begrenzt war.

(163)

Nach den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 dürfen Umstrukturierungsbeihilfen nur einmal gewährt werden. Hat das betreffende Unternehmen bereits in der Vergangenheit eine Umstrukturierungsbeihilfe erhalten und ist die Umstrukturierungsphase seit weniger als 10 Jahren abgeschlossen, genehmigt die Kommission in der Regel die Gewährung einer weiteren Umstrukturierungsbeihilfe nur unter außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen.

(164)

Die Sachsen Zweirad GmbH hat im April 1996 und im März 1998 eine Umstrukturierungsbeihilfe in Form einer öffentlichen Beteiligung von insgesamt 1 278 200 EUR auf der Grundlage einer genehmigten Beihilferegelung erhalten. Da weniger als 10 Jahre vergangen sind, seit die Umstrukturierungsphase der Sachsen Zweirad GmbH abgeschlossen wurde, und der Kommission keine außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umstände bekannt sind, wurde der Grundsatz der einmaligen Beihilfe bei der Bereitstellung der beiden Bürgschaften nicht eingehalten.

(165)

Die Kommission gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien 1999 nicht erfüllt sind.

(166)

Ferner kommt nach Auffassung der Kommission für die Maßnahmen 2 und 3 keine der anderen Gemeinschaftsleitlinien und -verordnungen zur Anwendung, die für Beihilfen u. a. in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Umwelt, kleine und mittlere Unternehmen, Beschäftigung und Ausbildung oder Risikokapital gelten. Da die Maßnahmen auf kein Ziel von gemeinsamem Interesse ausgerichtet sind, stellen die Beihilfen mit dem AEUV unvereinbare Betriebsbeihilfen dar.

VII.   SCHLUSSFOLGERUNG

(167)

Die Kommission gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Beteiligung von gbb an Bike Systems in Höhe von 1 070 732 EUR, die 80 %ige Bürgschaft für ein Darlehen an die Sachsen Zweirad GmbH in Höhe von 5,6 Mio. EUR und die 80 %ige Bürgschaft für ein Darlehen an die Biria GmbH (später Biria AG) in Höhe von 24 875 000 EUR staatliche Beihilfen darstellen und nicht die Voraussetzungen für eine Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt erfüllen.

(168)

Gemäß Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 ist die Kommission grundsätzlich verpflichtet, die Rückforderung dieser mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Beihilfeempfänger anzuordnen —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten von Bike Systems GmbH & Co. Thüringer Zweiradwerk KG (derzeit MB System), Sachsen Zweirad GmbH und Biria GmbH (später Biria AG und derzeit MB Immobilien) ist mit dem Binnenmarkt unvereinbar. Die Beihilfe umfasste folgende Maßnahmen:

a)

Maßnahme 1: eine stille Einlage in der Bike Systems GmbH & Co. Thüringer Zweiradwerk KG (derzeit MB System) in Höhe von 2 070 732 EUR. Das Beihilfeelement entspricht der Differenz zwischen dem Referenzzins zuzüglich 1 000 Basispunkten und der Vergütung der stillen Einlage (Festsatz plus 50 % der variablen Vergütung).

b)

Maßnahme 2: eine Bürgschaft in Höhe von 4 480 000 EUR zugunsten der Sachsen Zweirad GmbH (später Biria AG, derzeit MB Immobilien). Das Beihilfeelement entspricht der Differenz zwischen dem Referenzzins zuzüglich 800 Basispunkten und den Gesamtfinanzierungskosten (dem Zins für das Darlehen plus etwaige Prämien für die Bürgschaft), zu denen das verbürgte Darlehen bereitgestellt wurde.

c)

Maßnahme 3: eine Bürgschaft in Höhe von 19 900 000 EUR zugunsten der Biria GmbH (später Biria AG, derzeit MB Immobilien). Das Beihilfeelement entspricht der Differenz zwischen dem Referenzzins zuzüglich 700 Basispunkten und den Gesamtfinanzierungskosten (dem Zins für das Darlehen plus etwaige Prämien für die Bürgschaft), zu denen das verbürgte Darlehen bereitgestellt wurde.

Artikel 2

(1)   Deutschland fordert die in Artikel 1 genannte Beihilfe vom Begünstigten zurück.

(2)   Die Rückforderung erfolgt unverzüglich nach den nationalen Verfahren, sofern diese die sofortige, tatsächliche Durchführung des Beschlusses ermöglichen.

(3)   Der Rückforderungsbetrag umfasst Zinsen, die von dem Zeitpunkt, ab dem die Beihilfe dem Begünstigten zur Verfügung stand, bis zu deren tatsächlicher Rückzahlung berechnet werden.

(4)   Die Zinsen werden gemäß Kapitel 5 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission (27) nach der Zinseszinsformel berechnet.

(5)   Deutschland stellt mit Bekanntgabe dieses Beschlusses alle ausstehenden Zahlungen für die in Artikel 1 genannte Beihilfe ein.

Artikel 3

(1)   Die in Artikel 1 genannte Beihilfe wird sofort und tatsächlich zurückgefordert.

(2)   Deutschland stellt sicher, dass dieser Beschluss binnen vier Monaten nach seiner Bekanntgabe umgesetzt wird.

Artikel 4

(1)   Deutschland übermittelt der Kommission binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe dieses Beschlusses die folgenden Informationen:

a)

Gesamtbetrag (Hauptforderung und Zinsen), der vom Begünstigten zurückzufordern ist;

b)

ausführliche Beschreibung der Maßnahmen, die ergriffen wurden bzw. beabsichtigt sind, um diesem Beschluss nachzukommen;

c)

Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass an den Begünstigten eine Rückzahlungsanordnung ergangen ist.

(2)   Deutschland unterrichtet die Kommission über den Fortgang seiner Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses, bis die Rückzahlung der in Artikel 1 genannten Beihilfe abgeschlossen ist. Auf Anfrage der Kommission legt Deutschland unverzüglich Informationen über die Maßnahmen vor, die ergriffen wurden bzw. beabsichtigt sind, um diesem Beschluss nachzukommen. Ferner übermittelt Deutschland ausführliche Angaben über die Beihilfebeträge und die Zinsen, die vom Begünstigten bereits zurückgezahlt wurden.

Artikel 5

Dieser Beschluss ist an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet.

Brüssel, den 14. Dezember 2010

Für die Kommission

Joaquín ALMUNIA

Vizepräsident


(1)  Mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 sind an die Stelle der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag die Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) getreten. Die Artikel 87 und 88 EG-Vertrag und die Artikel 107 und 108 AEUV sind im Wesentlichen identisch. Im Rahmen dieses Beschlusses sind Bezugnahmen auf die Artikel 107 und 108 AEUV als Bezugnahmen auf die Artikel 87 und 88 EG-Vertrag und Bezugnahmen auf das Gericht als Bezugnahmen auf das Gericht erster Instanz zu verstehen, wo dies angebracht ist.

(2)  ABl. C 2 vom 5.1.2006, S. 14.

(3)  Vgl. Fußnote 2.

(4)  ABl. L 183 vom 13.7.2007, S. 27.

(5)  ABl. L 83 vom 27.3.1999, S. 1.

(6)  ABl. C 288 vom 9.10.1999, S. 2.

(7)  ABl. C 273 vom 9.9.1997, S. 3.

(8)  Das Gebiet war schon zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme ein Fördergebiet und ist es nach der Fördergebietskarte für Deutschland für den Zeitraum 2007-2013 (ABl. C 295 vom 5.12.2006, S. 6) weiterhin.

(9)  Entscheidung K(2002) 1286 der Kommission vom 27.3.2002 — Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, Deutschland (ABl. C 146 vom 19.6.2002, S. 6).

(10)  N 73/1993 — Bürgschaftsrichtlinie des Freistaats Sachsen, SG(93) D/9273 vom 7.6.1993.

(11)  Siehe Urteil vom 16. Mai 2002 in der Rs. C-482/99, Frankreich/Kommission (Stardust), Slg. 2002, S.I-4397, Randnummern 32 bis 43.

(12)  Vgl. Fußnote 9. In der Entscheidung wird festgestellt, dass die Deutsche Ausgleichsbank Teil der öffentlichen Verwaltung ist.

(13)  Vgl. Fußnote 9 (S. 11, Buchstabe a der zweckdienlichen Maßnahme).

(14)  Verzeichnet ein Unternehmen Verluste, so wird diese Vergütung nicht gezahlt. Kommt es zu Verlusten oder ist der Gewinn nicht ausreichend, so wird die variable Vergütung im Folgejahr gezahlt.

(15)  Darüber hinaus beschäftigte Biria GmbH laut der von Deutschland vorgelegten Unterlagen im Jahr 1999 13 und im Jahr 2000 21 Arbeitnehmer.

(16)  Da die Geschäfttsbedingungen der stillen Beteiligung zum Zeitpunkt ihrer Gewährung festgelegt wurden, sollte die Finanzlage der Muttergesellschaft zu dem Moment der Patronatserklärung beurteilt werden, obwohl die Erklärung für die gesamte Dauer der stillen Beteiligung galt.

(17)  Gewinntransfer von der Tochtergesellschaft Sachsen Zweirad GmbH (rund 2,4 Mio. DEM im Jahr 1999 und 3,4 Mio. DEM im Jahr 2000).

(18)  Vgl. Fußnote 10.

(19)  ABl. C 155 vom 20.6.2008, S. 10.

(20)  Siehe verbundene Rechtssachen T-102 und 120/07, Freistaat Sachsen MB Immobilien Verwaltungs GmbH und MB System GmbH/Kommission, noch nicht veröffentlicht, Randnrn. 218-222.

(21)  Studie von Deloitte & Touche GmbH im Zusammenhang mit der Aktualisierung der Referenzzinssätze bei der Kontrolle staatlicher Beihilfen in der EU, Oktober 2004.

http://ec.europa.eu/competition/state_aid/studies_reports/full_report.pdf

(22)  ABl. C 14 vom 19.1.2008, S. 6.

(23)  Siehe verbundene Rechtssachen C-341/06 P und C-342/06 P, Chronopost SA und La Poste/Union française de l’express (UFEX) und andere, Slg. 2008, S. I-4777, Randnr. 95.

(24)  Siehe analog die Bürgschaftsmitteilung.

(25)  Vgl. Fußnote 24.

(26)  ABl. C 74 vom 10.3.1998, S. 9.

(27)  ABl. L 140 vom 30.4.2004, S. 1.