URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

23. Februar 2016 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Richtlinie 2006/123/EG — Art. 14 bis 16 — Art. 49 AEUV — Niederlassungsfreiheit — Art. 56 AEUV — Freier Dienstleistungsverkehr — Bedingungen für die Ausstellung steuerbegünstigter Gutscheine, die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern gewähren und die zu Unterbringungs-, Freizeit- und/oder Verpflegungszwecken verwendet werden können — Beschränkungen — Monopol“

In der Rechtssache C‑179/14

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 10. April 2014,

Europäische Kommission, vertreten durch A. Tokár und E. Montaguti als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, D. Šváby, F. Biltgen und C. Lycourgos, der Richter A. Rosas, E. Juhász und M. Safjan sowie der Richterinnen M. Berger, A. Prechal (Berichterstatterin) und K. Jürimäe,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. September 2015

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission,

festzustellen, dass Ungarn mit der Einführung und der Beibehaltung des Systems der Széchenyi-Freizeitkarte (im Folgenden: SZÉP-Karte), das in der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 vom 12. April 2011 zur Regelung der Ausstellung und Verwendung der Széchenyi-Freizeitkarte (im Folgenden: Regierungsverordnung Nr. 55/2011) vorgesehen und mit dem Gesetz Nr. CLVI vom 21. November 2011 zur Änderung bestimmter Steuergesetze und weiterer damit zusammenhängender Gesetze geändert wurde, insoweit gegen die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36) verstoßen hat, als

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Buchst. d des Gesetzes Nr. XCVI von 1993 über freiwillige Versicherungskassen auf Gegenseitigkeit (im Folgenden: Gesetz über Versicherungskassen), mit § 2 Buchst. b des Gesetzes Nr. CXXXII von 1997 über Zweigniederlassungen und Handelsvertretungen der Unternehmen mit Sitz im Ausland (im Folgenden: Gesetz über Zweigniederlassungen) sowie mit den §§ 1, 2 Abs. 1 und 2, 55 Abs. 1 und 3 und 64 Abs. 1 des Gesetzes Nr. IV von 2006 über Handelsgesellschaften (im Folgenden: Gesetz über Handelsgesellschaften) ausschließt, dass Zweigniederlassungen von Gesellschaften die SZÉP-Karte ausstellen, und infolgedessen gegen Art. 14 Nr. 3 und Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie verstößt;

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit diesen nationalen Bestimmungen, der im Hinblick auf die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung vorgesehenen Bedingungen die Tätigkeit von Unternehmensgruppen nicht anerkennt, wenn deren Muttergesellschaft keine nach ungarischem Recht errichtete Gesellschaft ist und die der Gruppe angehörenden Unternehmen nicht in der Form von Gesellschaften ungarischen Rechts tätig sind, gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. b und 3 der Richtlinie verstößt;

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit diesen nationalen Bestimmungen, der die Möglichkeit der Ausstellung der SZÉP-Karte Banken und Finanzinstituten vorbehält, weil nur diese Einrichtungen in der Lage sind, die in diesem § 13 aufgestellten Bedingungen zu erfüllen, gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. d und 3 der Richtlinie verstößt;

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123 verstößt, da er für die Ausstellung der SZÉP-Karte eine Niederlassung in Ungarn vorschreibt;

hilfsweise, für den Fall, dass sich die genannten Vorschriften der Richtlinie 2006/123 nicht auf diese nationalen Bestimmungen erstrecken, festzustellen, dass das durch die Regierungsverordnung Nr. 55/2011 geregelte SZÉP-Karten-System gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV verstößt;

festzustellen, dass das durch das Gesetz Nr. CLVI vom 21. November 2011 und durch das Gesetz Nr. CIII vom 6. Juli 2012 über das Erzsébet-Programm (im Folgenden: Erzsébet-Gesetz) geregelte System der Erzsébet-Gutscheine, das für die Ausstellung von Gutscheinen zum Bezug von Kaltverpflegung ein Monopol für öffentliche Einrichtungen errichtet und ohne eine angemessene Übergangsfrist und angemessene Übergangsmaßnahmen in Kraft getreten ist, insoweit gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV verstößt, als § 1 Abs. 5 und § 477 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 sowie § 2 Abs. 1 und 2, § 6 und § 7 des Erzsébet-Gesetzes unverhältnismäßige Beschränkungen vorsehen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

2

In den Erwägungsgründen 2, 5, 18, 36, 37, 40, 64, 65 und 73 der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„(2)

Ein wettbewerbsfähiger Dienstleistungsmarkt ist für die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union wesentlich. Gegenwärtig hindert eine große Anzahl von Beschränkungen im Binnenmarkt Dienstleistungserbringer, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), daran, über ihre nationalen Grenzen hinauszuwachsen und uneingeschränkt Nutzen aus dem Binnenmarkt zu ziehen. Dies schwächt die globale Wettbewerbsfähigkeit der Dienstleistungserbringer aus der Europäischen Union. Ein freier Markt, der die Mitgliedstaaten zwingt, Beschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr abzubauen, bei gleichzeitiger größerer Transparenz und besserer Information der Verbraucher, würde für die Verbraucher größere Auswahl und bessere Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen bedeuten.

(5)

Es ist deshalb erforderlich, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen und den Dienstleistungsempfängern und ‑erbringern die Rechtssicherheit zu garantieren, die sie für die wirksame Wahrnehmung dieser beiden Grundfreiheiten des Vertrags benötigen. Da die Beschränkungen im Binnenmarkt für Dienstleistungen sowohl die Dienstleistungserbringer beeinträchtigen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen möchten, als auch diejenigen, die in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen erbringen, ohne dort niedergelassen zu sein, ist es erforderlich, den Dienstleistungserbringern zu ermöglichen, ihre Dienstleistungstätigkeiten im Binnenmarkt dadurch zu entwickeln, dass sie sich entweder in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen oder den freien Dienstleistungsverkehr nutzen. Die Dienstleistungserbringer sollten zwischen diesen beiden Freiheiten wählen und sich für diejenige entscheiden können, die ihrer Geschäftsstrategie für die einzelnen Mitgliedstaaten am besten gerecht wird.

(18)

Finanzdienstleistungen sollten aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein, da diese Tätigkeiten Gegenstand besonderer Gemeinschaftsrechtsvorschriften sind, die wie die vorliegende Richtlinie darauf abzielen, einen wirklichen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu schaffen. Folglich sollte dieser Ausschluss für alle Finanzdienstleistungen wie Bankdienstleistungen, Kreditgewährung, Versicherung, einschließlich Rückversicherung, betriebliche oder individuelle Altersversorgung, Wertpapiere, Geldanlagen, Zahlungen und Anlageberatung, einschließlich der in Anhang I der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute [(ABl. L 177, S. 1)] aufgeführten Dienstleistungen gelten.

(36)

Der Begriff des Dienstleistungserbringers sollte alle natürlichen Personen mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und alle juristischen Personen erfassen, die in einem Mitgliedstaat eine Dienstleistungstätigkeit ausüben, entweder unter Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs. Der Begriff des Dienstleistungserbringers sollte deshalb nicht nur die Fälle erfassen, in denen die Leistung grenzüberschreitend im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs erbracht wird, sondern auch die Fälle, in denen sich ein Marktteilnehmer in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, um dort Dienstleistungstätigkeiten zu erbringen. …

(37)

Der Ort, an dem ein Dienstleistungserbringer niedergelassen ist, sollte nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestimmt werden, nach der der Begriff der Niederlassung die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit umfasst. … Eine Niederlassung muss nicht die Form einer Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur haben, sondern kann aus einer Geschäftsstelle bestehen, die von einem Beschäftigten des Dienstleistungserbringers oder von einem Selbstständigen, der ermächtigt ist, dauerhaft für das Unternehmen zu handeln, betrieben wird, wie dies z. B. bei einer Agentur der Fall ist. …

(40)

Der Begriff der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, auf den sich einige Bestimmungen dieser Richtlinie beziehen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 43 und 49 [AEUV] entwickelt worden und kann sich noch weiterentwickeln. Der Begriff umfasst entsprechend der Auslegung des Gerichtshofes zumindest folgende Gründe: … Schutz von Dienstleistungsempfängern; Verbraucherschutz; … Gläubigerschutz …

(64)

Wenn ein wirklicher Binnenmarkt für Dienstleistungen geschaffen werden soll, müssen die in den Rechtsvorschriften bestimmter Mitgliedstaaten noch enthaltenen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, die mit Artikel [49 bzw. 56 AEUV] unvereinbar sind, beseitigt werden. Die unzulässigen Beschränkungen beeinträchtigen den Binnenmarkt für Dienstleistungen und sollten unverzüglich systematisch abgebaut werden.

(65)

Die Niederlassungsfreiheit beruht insbesondere auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der nicht nur jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, sondern auch indirekte Diskriminierungen aufgrund anderer Unterscheidungsmerkmale, die faktisch zum gleichen Ergebnis führen. So sollte die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in einem Mitgliedstaat als Haupt- oder Nebentätigkeit nicht von Kriterien wie dem Niederlassungsort, dem Wohnsitz oder Aufenthaltsort oder dem Standort der überwiegenden Tätigkeit abhängen. …

(73)

Zu den zu prüfenden Anforderungen gehören nationale Regelungen, die aus nicht mit der beruflichen Qualifikation zusammenhängenden Gründen die Aufnahme bestimmter Tätigkeiten bestimmten Dienstleistungserbringern vorbehalten. Zu diesen Anforderungen zählen auch solche Anforderungen, die vom Dienstleistungserbringer verlangen, eine bestimmte Rechtsform zu wählen, insbesondere die Rechtsform einer juristischen Person, einer Personengesellschaft, einer Gesellschaft ohne Erwerbszweck oder eine Gesellschaft, deren Anteilseigner ausschließlich natürliche Personen sind …“

3

Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2006/123 bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.“

4

Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.

(2)   Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:

b)

Finanzdienstleistungen wie Bankdienstleistungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung und Rückversicherung, betrieblicher oder individueller Altersversorgung, Wertpapieren, Geldanlagen, Zahlungen, Anlageberatung, einschließlich der in Anhang I der Richtlinie 2006/48/EG aufgeführten Dienstleistungen;

…“

5

In Art. 4 der Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

1.

‚Dienstleistung‘ jede von Artikel [57 AEUV] erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird;

2.

‚Dienstleistungserbringer‘ jede natürliche Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, und jede in einem Mitgliedstaat niedergelassene juristische Person im Sinne des Artikels [54 AEUV], die eine Dienstleistung anbietet oder erbringt;

4.

‚Niederlassungsmitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Dienstleistungserbringer niedergelassen ist;

5.

‚Niederlassung‘ die tatsächliche Ausübung einer von Artikel [49 AEUV] erfassten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Dienstleistungserbringer auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Infrastruktur, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird;

8.

‚zwingende Gründe des Allgemeininteresses‘ Gründe, die der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als solche anerkannt hat, einschließlich folgender Gründe: … Schutz der Verbraucher, der Dienstleistungsempfänger …

10.

‚Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung‘ den Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung von einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer erbracht wird;

…“

6

Kapitel III der Richtlinie 2006/123 trägt die Überschrift „Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer“. Es enthält einen Abschnitt 2 („Unzulässige oder zu prüfende Anforderungen“), in dem die Art. 14 und 15 der Richtlinie stehen.

7

Art. 14 („Unzulässige Anforderungen“) der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von einer der folgenden Anforderungen abhängig machen:

3.

Beschränkungen der Wahlfreiheit des Dienstleistungserbringers zwischen einer Hauptniederlassung und einer Zweitniederlassung, insbesondere der Verpflichtung für den Dienstleistungserbringer, seine Hauptniederlassung in ihrem Hoheitsgebiet zu unterhalten, oder Beschränkungen der Wahlfreiheit für eine Niederlassung in Form einer Agentur, einer Zweigstelle oder einer Tochtergesellschaft;

…“

8

Art. 15 („Zu prüfende Anforderungen“) der Richtlinie sieht u. a. vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.

(2)   Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:

b)

der Verpflichtung des Dienstleistungserbringers, eine bestimmte Rechtsform zu wählen;

d)

Anforderungen, die die Aufnahme der betreffenden Dienstleistungstätigkeit aufgrund ihrer Besonderheiten bestimmten Dienstleistungserbringern vorbehalten, mit Ausnahme von Anforderungen, die Bereiche betreffen, die von der Richtlinie 2005/36/EG erfasst werden, oder solchen, die in anderen Gemeinschaftsrechtsakten vorgesehen sind;

(3)   Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a)

Nicht-Diskriminierung: [D]ie Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b)

Erforderlichkeit: [D]ie Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)

Verhältnismäßigkeit: [D]ie Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.

(6)   Ab dem 28. Dezember 2006 dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen Anforderungen der in Absatz 2 genannten Art einführen, es sei denn, diese neuen Anforderungen erfüllen die in Absatz 3 aufgeführten Bedingungen.

…“

9

Kapitel IV der Richtlinie 2006/123 trägt die Überschrift „Freier Dienstleistungsverkehr“. Es enthält den Abschnitt 1 („Dienstleistungsfreiheit und damit zusammenhängende Ausnahmen“), in dem Art. 16 („Dienstleistungsfreiheit“) der Richtlinie steht, der bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten achten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen.

Der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets.

Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen folgende Grundsätze verstoßen:

a)

Nicht-Diskriminierung: [D]ie Anforderung darf weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei juristischen Personen – aufgrund des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, darstellen;

b)

Erforderlichkeit: [D]ie Anforderung muss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sein;

c)

Verhältnismäßigkeit: [D]ie Anforderung muss zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

(2)   Die Mitgliedstaaten dürfen die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken, indem sie diesen einer der folgenden Anforderungen unterwerfen:

a)

der Pflicht, in ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten;

(3)   Der Mitgliedstaat, in den sich der Dienstleistungserbringer begibt, ist nicht daran gehindert, unter Beachtung des Absatzes 1 Anforderungen in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen zu stellen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sind. …

…“

Ungarisches Recht

Einkommensteuergesetz

10

§ 71 des Gesetzes Nr. CXVII von 1995 über die Einkommensteuer (im Folgenden: Einkommensteuergesetz) ermöglicht es Arbeitgebern, ihren Arbeitnehmern Sachleistungen zu steuerlich günstigen Bedingungen zu gewähren.

11

§ 71 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011, das nach seinem § 477 am 1. Januar 2012 in Kraft trat, bestimmt:

„Als Sachleistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer gelten:

b)

bb)

der Anteil des in Form der Erzsébet-Gutscheine gezahlten Einkommens, der monatlich 5000 [ungarische Forint (HUF) (etwa 16 Euro)] [ab 1. Januar 2013: 8000 HUF (etwa 26 Euro)] nicht übersteigt und für jeden angefangenen Monat der Rechtsbeziehung gezahlt wird, die die Grundlage dieser Sachleistung ist (auch rückwirkend im selben Steuerjahr);

c)

bezüglich der [SZÉP-Karte],

ca)

die – wenn sie von mehreren Ausstellern stammt, insgesamt – auf höchstens 225000 HUF [(etwa 720 Euro)] im selben Steuerjahr begrenzte Unterstützung, die auf das Unterkonto ‚Beherbergung‘ der Karte überwiesen wird, das für die in der [Regierungsverordnung Nr. 55/2011] genannten Beherbergungsleistungen verwendbar ist;

cb)

die – wenn sie von mehreren Ausstellern stammt, insgesamt – auf höchstens 150000 HUF [(etwa 480 Euro)] im selben Steuerjahr begrenzte Unterstützung, die auf das Unterkonto ‚Bewirtung‘ der Karte überwiesen wird, das für die in der [Regierungsverordnung Nr. 55/2011] genannten Verpflegungsleistungen verwendbar ist, die in Gaststätten mit warmer Küche erbracht werden (einschließlich der Verpflegung am Arbeitsplatz);

cc)

die – wenn sie von mehreren Ausstellern stammt, insgesamt – auf höchstens 75000 HUF [(etwa 240 Euro)] im selben Steuerjahr begrenzte Unterstützung, die auf das Unterkonto ‚Freizeit‘ der Karte überwiesen wird, das für die in der [Regierungsverordnung Nr. 55/2011] genannten Leistungen verwendbar ist, die Freizeit-, Erholungs- oder Gesundheitserhaltungszwecken dienen sollen;

…“

12

In § 3 Nr. 87 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung gemäß § 1 Abs. 5 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 heißt es:

„Für die Zwecke dieses Gesetzes gelten folgende Begriffsbestimmungen:

87.

‚Erzsébet-Gutscheine‘: Gutscheine, die von der [Magyar Nemzeti Üdülési Alapítvány (Ungarische Nationale Erholungsstiftung, im Folgenden: MNÜA)] auf Papier oder in elektronischer Form ausgestellt werden und zum Erwerb von verzehrfertigen Speisen ...“

Regierungsverordnung Nr. 55/2011

13

§ 2 Abs. 2 Buchst. a der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 bestimmt, dass die SZÉP-Karte „ausschließlich zur Identifizierung des die Unterstützung beziehenden Arbeitnehmers, seiner Familienmitglieder, seines Arbeitgebers und des Dienstleistungserbringers [dient] und … weder zur Speicherung von elektronischem Geld noch zur Vornahme von Direktzahlungsvorgängen [geeignet ist]“.

14

§ 13 der Regierungsverordnung bestimmt:

„Jeder Dienstleistungserbringer im Sinne von § 2 Abs. 2 Buchst. d des [Gesetzes über Versicherungskassen] – mit Ausnahme natürlicher Personen und vertraglich an den Dienstleistungserbringer gebundener Dienstleistungserbringer – ist zur Ausstellung der [SZÉP-Karte] befugt, wenn er für einen unbestimmten Zeitraum oder für einen bestimmten Zeitraum von mindestens 5 Jahren seit Beginn der Ausstellung der Karte gegründet wurde und zusammen mit derselben Handelsgesellschaft, die nach dem Gesetz [über Handelsgesellschaften] als Unternehmensgruppe oder als solche tatsächlich Tätige anerkannt ist, oder zusammen mit der in § 2 Abs. 2 Buchst. a des Gesetzes über Versicherungskassen definierten Versicherungskasse, zu der der Dienstleistungserbringer seit mindestens 5 Jahren ein Vertragsverhältnis – unter Ausschluss der Tätigkeiten der Depotverwaltung und der Vermögensanlage – unterhält, jede der folgenden Bedingungen erfüllt:

a)

Er verfügt in jeder Gemeinde Ungarns mit mehr als 35000 Einwohnern über eine für Kunden geöffnete Geschäftsstelle;

b)

er hat in seinem letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr im Rahmen seiner Zahlungsdienste selbst mindestens 100000 bargeldlose Zahlungsinstrumente ausgestellt;

c)

er verfügt über mindestens 2 Jahre Erfahrung im Bereich der Ausstellung elektronischer Gutscheinkarten, die Anspruch auf Sachleistungen im Sinne von § 71 [des Einkommensteuergesetzes] gewähren, und hat nach den Zahlen seines letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres mehr als 25000 Gutscheinkarten ausgestellt.

…“

Gesetz über Versicherungskassen

15

§ 2 Abs. 2 Buchst. a und d des Gesetzes über Versicherungskassen enthält folgende Definitionen:

„a)

‚freiwillige Versicherungskasse auf Gegenseitigkeit‘ (im Folgenden: Versicherungskasse): Verband, der von natürlichen Personen (im Folgenden: Mitglieder einer Versicherungskasse) auf der Grundlage der Grundsätze der Autonomie, Gegenseitigkeit, Solidarität und freiwilligen Mitgliedschaft gegründet wurde und Leistungen, die die Leistungen der sozialen Sicherheit ergänzen, kompensieren oder ersetzen, sowie Leistungen zur Förderung der Erhaltung der Gesundheit (im Folgenden: Leistungen) organisiert und finanziert. Die Versicherungskasse organisiert, finanziert und erbringt ihre Leistungen aus den regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen und auf der Grundlage einer Einzelkontenverwaltung. Das vorliegende Gesetz sieht die Vorschriften für die Verwaltung und die Haftung sowie die Befugnisse hinsichtlich der Tätigkeiten der Versicherungskasse vor;

d)

‚Dienstleistungserbringer‘: jede natürliche oder juristische Person und jede Handelsgesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, die aufgrund eines Vertrags mit der Versicherungskasse für diese Tätigkeiten durchführt, die zum Betrieb des Kassengeschäfts gehören, ihn ermöglichen oder fördern oder die tatsächlich Kassenleistungen darstellen, unter Ausschluss der Dienstleistungserbringer der Krankenkassen. Insbesondere gilt als Dienstleistungserbringer jede Person, die für die vorstehend definierte Versicherungskasse Depotverwaltungstätigkeiten ausführt oder von der Versicherungskasse beauftragt wird, ihre Anlagegeschäfte vorzunehmen und/oder ihre Buchhaltung und ihre Registerführung zu gewährleisten, sowie jede Person, die für die Mitgliederverwaltung zuständig ist oder für Krankenkassen Leistungen organisiert. Als Dienstleistungserbringer gilt auch jede Person, die aufgrund eines Vertrags mit dem in diesem Buchstaben genannten Dienstleistungserbringer gegenüber der Versicherungskasse die vorstehend definierten Geschäfte vornimmt“.

Gesetz über Handelsgesellschaften

16

§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über Handelsgesellschaften bestimmt:

„Dieses Gesetz regelt die Gründung, Organisation und Funktionsweise der Handelsgesellschaften, die im Hoheitsgebiet Ungarns über einen Sitz verfügen …“

17

§ 2 des Gesetzes sieht vor:

„(1)   Eine Handelsgesellschaft kann nur in der Form gegründet werden, die in diesem Gesetz vorgesehen ist.

(2)   Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit sind die közkereseti társaság (kkt. [offene Handelsgesellschaft]) und die betéti társaság (bt. [Kommanditgesellschaft]). Gesellschaften mit Rechtspersönlichkeit sind die korlátolt felelősségű társaság (kft. [Gesellschaft mit beschränkter Haftung]) und die részvénytársaság (rt. [Aktiengesellschaft]).“

18

Hinsichtlich anerkannter Unternehmensgruppen bestimmt das Gesetz in § 55:

„(1)   Die nach den Bestimmungen des Buchhaltungsgesetzes zur Vorlage eines konsolidierten Jahresabschlusses verpflichtete Handelsgesellschaft (beherrschendes Unternehmen) und die Aktiengesellschaft oder die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, über die das beherrschende Unternehmen einen bestimmenden Einfluss im Sinne des Buchhaltungsgesetzes ausübt (beherrschtes Unternehmen), können beschließen, als anerkannte Unternehmensgruppe zu fungieren, indem sie zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Handelsziele untereinander einen Beherrschungsvertrag abschließen.

(3)   Die Eintragung der Funktionsweise als anerkannte Unternehmensgruppe im Handels- und Gesellschaftsregister begründet kein von den an der Gruppe beteiligten Handelsgesellschaften zu unterscheidendes Rechtssubjekt.“

19

§ 64 Abs. 1 des Gesetzes über Handelsgesellschaften lautet:

„Liegt weder ein Beherrschungsvertrag noch eine Eintragung als anerkannte Unternehmensgruppe vor, ist § 60 dennoch anwendbar, sofern die zur selben Unternehmensgruppe gehörenden Handelsgesellschaften nach einer dauerhaften, ununterbrochenen und seit mindestens 3 Jahren bestehenden Zusammenarbeit zwischen dem beherrschenden Unternehmen und dem/den beherrschten Unternehmen ihre Tätigkeiten entsprechend derselben Handelsstrategie ausüben und ihr tatsächliches Verhalten eine vorhersehbare und ausgeglichene Verteilung der sich aus der Funktionsweise als Gruppe ergebenden Vor- und Nachteile gewährleistet.“

Gesetz über Zweigniederlassungen

20

In § 2 Buchst. b des Gesetzes über Zweigniederlassungen heißt es:

„Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet

b)

‚Zweigniederlassung‘: jede wirtschaftlich selbständige Betriebseinheit ohne Rechtspersönlichkeit des ausländischen Unternehmens, die im nationalen Handels- und Gesellschaftsregister als Zweigniederlassung des ausländischen Unternehmens und als eigenständige Gesellschaftsform eingetragen wurde“.

Erzsébet-Gesetz

21

§ 1 des Erzsébet-Gesetzes sieht vor:

„Das Erzsébet-Programm soll im bestehenden Rahmen die Zahl der sozial benachteiligten Personen, insbesondere der Kinder, erheblich senken, für die mehrere Mahlzeiten am Tag, eine ihrem Alter entsprechende gesunde Ernährung, der für den Wissenserwerb erforderliche Gesundheitszustand und die für die Erholung nötige Ruhe nicht gewährleistet waren.“

22

In § 2 des Erzsébet-Gesetzes heißt es:

„(1)   Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet

a)

‚Erzsébet-Programm‘: jedes Programm und jede Leistung mit sozialer Ausrichtung, das bzw. die vom Staat zur Verwirklichung der in § 1 genannten Ziele organisiert und durchgeführt wird und auf dem Markt keinen Gewinn erzielen soll,

b)

‚Erzsébet-Gutscheine‘: von der [MNÜA] ausgestellte Gutscheine, die für

ba)

den Erwerb verzehrfertiger Speisen und die Inanspruchnahme von Leistungen von Gaststätten mit warmer Küche,

bb)

den Erwerb bestimmter Erzeugnisse und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die unter Entrichtung der dem Zahlenden obliegenden Abgaben oder steuerbefreit erhältlich sind,

bc)

den Erwerb von Erzeugnissen und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die für die Erziehung und die Pflege von Kindern erforderlich sind,

bd)

den Erwerb oder die Inanspruchnahme gesetzlich festgelegter Erzeugnisse bzw. Dienstleistungen zu sozialen Zwecken

verwendbar sind.

(2)   Die Durchführung des Erzsébet-Programms wird durch die [MNÜA] gewährleistet.

…“

23

Die MNÜA ist eine in Ungarn eingetragene gemeinnützige Stiftung. Sie verwendet das ihr zugewiesene Vermögen für soziale Ferien, für die Erbringung von damit zusammenhängenden Diensten und Leistungen sowie für die Durchführung anderer Sozialprogramme.

24

§ 6 Abs. 1 des Erzsébet-Gesetzes sieht vor, dass „[die MNÜA] zur Durchführung ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit dem Erzsébet-Programm Abkommen mit zivilen Einrichtungen, Handelsgesellschaften und jeder anderen natürlichen oder juristischen Person abschließen [darf]“.

25

§ 7 des Erzsébet-Gesetzes betrifft dessen Inkrafttreten.

Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

26

Da nach Ansicht der Kommission Ungarn durch die Verabschiedung einer neuen nationalen Regelung über Speisegutscheine, Freizeitgutscheine und Feriengutscheine im Jahr 2011 gegen seine Pflichten aus den Art. 9, 10, 14 Nr. 3, 15 Abs. 1, 2 Buchst. b und d und 3 und 16 der Richtlinie 2006/123 sowie aus den Art. 49 AEUV und 56 AEUV verstoßen hatte, richtete sie ein Mahnschreiben an den Mitgliedstaat. Dieser antwortete mit einem Schreiben vom 20. Juli 2012, in dem er die gerügten Zuwiderhandlungen bestritt.

27

Am 22. November 2012 erließ die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie geltend machte, dass die genannte nationale Regelung gegen alle oben genannten Vorschriften des Unionsrechts verstoßen habe, ausgenommen jedoch Art. 10 der genannten Richtlinie, hinsichtlich dessen der Vorwurf eines Verstoßes nicht mehr aufrechterhalten werde. Die Kommission forderte Ungarn daher auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb von einem Monat nach ihrer Zustellung nachzukommen.

28

Da der Kommission die Erklärungen dieses Mitgliedstaats, die in seiner Antwort vom 27. Dezember 2012 an die Kommission enthalten waren, nicht zufriedenstellend erschienen, beschloss sie, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

29

Im Rahmen ihrer Klage erhebt die Kommission mehrere Rügen hinsichtlich der Bedingungen, von denen die ungarische Regelung die Tätigkeit der Ausstellung bestimmter steuerbegünstigter Instrumente abhängig macht, gegen deren Vorlage Arbeitnehmer bei Dienstleistungserbringern Zugang zu bestimmten Unterbringungs-, Freizeit- und/oder Verpflegungsleistungen als Sachleistungen erlangen können, die diesen Arbeitnehmern von ihrem Arbeitgeber gewährt werden.

30

Im vorliegenden Fall betreffen diese Rügen die für diese Instrumente geltende rechtliche Regelung, nämlich zum einen die Regelung für die SZÉP-Karte und zum anderen die Regelung für die Erzsébet-Gutscheine, die anschließend behandelt wird.

Zu den Rügen hinsichtlich der Bedingungen für die Ausstellung der SZÉP-Karte

31

Die Kommission macht insbesondere geltend, dass nach § 71 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes Verpflegungsleistungen, die von Gaststätten und im Rahmen der öffentlichen Verpflegung – ausgenommen in Betriebskantinen – angeboten würden, nur im Fall der Verwendung der SZÉP-Karte als Sachleistungen im Sinne dieses Gesetzes eingestuft werden könnten.

32

Die in § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 genannten Bedingungen für die Ausstellung dieser Karte seien jedoch so restriktiv, dass nur ein extrem begrenzter Kreis von Unternehmen zu dieser Ausstellung imstande sei.

33

In ihrer Klage macht die Kommission in erster Linie geltend, dass die genannten Bedingungen aufgrund dieser Restriktivität in verschiedener Hinsicht gegen die Art. 14 bis 16 der Richtlinie 2006/133 verstießen. Hilfsweise macht sie geltend, dass diese Bedingungen gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV verstießen.

Zu den Rügen eines Verstoßes gegen die Richtlinie 2006/123

34

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die SZÉP-Karte – wie aus den Erläuterungen der Parteien hervorgeht – ein steuerbegünstigtes Instrument ist, gegen dessen Vorlage Arbeitnehmer bei Dienstleistungserbringern, die vertraglich an den Aussteller dieses Instruments gebunden sind, Zugang zu einer Reihe bestimmter Leistungen, nämlich Unterbringungsleistungen, bestimmte Freizeitleistungen und/oder Verpflegungsleistungen, als Sachleistungen erlangen können, die diesen Arbeitnehmern von ihrem Arbeitgeber gewährt werden, wobei die genannten Dienstleistungserbringer später von dem Aussteller entsprechend seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber vergütet werden.

35

§ 2 Abs. 2 Buchst. a der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 stellt klar, dass die SZÉP-Karte ausschließlich zur Identifizierung des Arbeitnehmers und des Dienstleistungserbringers dient und weder zur Aufladung mit elektronischem Geld noch zur Vornahme von Direktzahlungen geeignet ist.

36

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 62 bis 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist die Tätigkeit der Ausstellung dieser Karte somit keine „Finanzdienstleistung“, die nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen ist, was die ungarische Regierung im Übrigen vor dem Gerichtshof nicht angezweifelt hat.

– Zur ersten Rüge: Verstoß gegen die Art. 14 Nr. 3 und 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123

Vorbringen der Parteien

37

Mit ihrer ersten Rüge in der Formulierung der Anträge ihrer Klageschrift hat die Kommission beantragt, festzustellen, dass § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Buchst. d des Gesetzes über Versicherungskassen, § 2 Buchst. b des Gesetzes über Zweigniederlassungen sowie § 1, § 2 Abs. 1 und 2, § 55 Abs. 1 und 3 und § 64 Abs. 1 des Gesetzes über Handelsgesellschaften dadurch gegen die Art. 14 Nr. 3 und 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 verstößt, dass darin ausgeschlossen wird, dass Zweigniederlassungen die SZÉP-Karte ausstellen können.

38

Auf eine Frage des Gerichtshofs hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung jedoch darauf hingewiesen, dass sie auf den zweiten Teil dieser Rüge verzichte, der auf einen Verstoß gegen Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie gestützt war.

39

Hinsichtlich des auf einen Verstoß gegen Art. 14 Nr. 3 der Richtlinie gestützten Teils der Rüge macht die Kommission geltend, dass sich aus der Zusammenschau der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten nationalen Bestimmungen ergebe, dass Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften nicht die Eigenschaft eines Dienstleistungserbringers im Sinne von § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 haben könnten und daher nicht befugt seien, SZÉP-Karten auszustellen.

40

Ein solcher Ausschluss verstoße jedoch gegen Art. 14 Nr. 3 der Richtlinie 2006/123, der es den Mitgliedstaaten absolut und ohne Rechtfertigungsmöglichkeit verbiete, die Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet von einer Anforderung abhängig zu machen, mit der die Wahlfreiheit des Dienstleistungserbringers zwischen einer Hauptniederlassung und einer Zweitniederlassung beschränkt werde, einschließlich der Beschränkungen der Wahlfreiheit für eine Niederlassung in Form einer Agentur, einer Zweigstelle oder einer Tochtergesellschaft.

41

Die ungarische Regierung hält dem im Wesentlichen entgegen, dass eine solche Maßnahme, da sich mit dem Ausschluss der Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften sicherstellen lasse, dass der Aussteller von SZÉP-Karten gebührend in das ungarische Wirtschaftsleben integriert sei und somit über die nötige Erfahrung und Infrastruktur verfüge, im Hinblick auf die vorliegend verfolgten Ziele des Schutzes der Verbraucher, nämlich der Arbeitnehmer, die SZÉP-Karten verwendeten, und des Schutzes der Gläubiger, nämlich der Dienstleistungserbringer, die die Verwendung dieser Karten gestatteten, gegen die mit der Zahlungsunfähigkeit des Ausstellers verbundenen Risiken gerechtfertigt sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

42

Zunächst ist zwischen den Parteien unstreitig, dass nach § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit den übrigen in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten nationalen rechtlichen Bestimmungen ungarische Zweigniederlassungen von in anderen Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften nicht befugt sind, in Ungarn als Aussteller von SZÉP-Karten tätig zu werden.

43

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 14 der Richtlinie 2006/123 den Mitgliedstaaten untersagt, die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet von einer der in seinen Nrn. 1 bis 8 aufgezählten Anforderungen abhängig zu machen, und sie damit verpflichtet, diese Anforderungen vorrangig und systematisch zu beseitigen (Urteil Rina Services u. a., C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 26).

44

Zu den derart untersagten Anforderungen gehören, wie aus Art. 14 Nr. 3 der Richtlinie hervorgeht, u. a. diejenigen, mit denen die Wahlfreiheit des Dienstleistungserbringers zwischen einer Hauptniederlassung und einer Zweitniederlassung und zwischen einer Niederlassung in Form einer Agentur, einer Zweigstelle oder einer Tochtergesellschaft beschränkt wird. Genau dies ist jedoch, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, bei der angefochtenen nationalen Regelung der Fall.

45

Hinsichtlich der von der ungarischen Regierung vorgetragenen Rechtfertigungen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sowohl aus dem Wortlaut von Art. 14 der Richtlinie 2006/123 als auch aus der Systematik der Richtlinie folgt, dass die in diesem Artikel genannten Anforderungen nicht gerechtfertigt werden können (Urteil Rina Services u. a., C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 28 bis 35).

46

Der Gerichtshof hat insoweit u. a. hervorgehoben, dass ein solches Verbot ohne Rechtfertigungsmöglichkeit sicherstellen soll, dass bestimmte Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, hinsichtlich deren der Unionsgesetzgeber und der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung davon ausgehen, dass sie das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts in gravierender Weise beeinträchtigen, systematisch und schnell beseitigt werden können, und es somit einen mit dem AEU-Vertrag in Einklang stehenden Zweck verfolgt (Urteil Rina Services u. a., C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 39).

47

So gestattet Art. 52 Abs. 1 AEUV den Mitgliedstaaten zwar, nationale Maßnahmen, die eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit begründen, mit einem der in ihm genannten Gründe zu rechtfertigen, doch bedeutet das nicht, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass eines Aktes des Sekundärrechts wie der Richtlinie 2006/123, die eine im Vertrag verankerte Grundfreiheit konkretisiert, nicht bestimmte Ausnahmen einschränken könnte, zumal wenn, wie im vorliegenden Fall, mit der betreffenden Bestimmung des Sekundärrechts lediglich eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs übernommen wird, nach der eine Anforderung, wie die fragliche, mit den Grundfreiheiten, auf die sich die Wirtschaftsteilnehmer berufen können, unvereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Rina Services u. a., C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 40).

48

Daher greift der auf einen Verstoß gegen Art. 14 Nr. 3 der Richtlinie 2006/123 gestützte Teil der ersten Rüge durch.

– Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. b und 3 der Richtlinie 2006/123

Vorbringen der Parteien

49

Mit ihrer zweiten Rüge beantragt die Kommission, festzustellen, dass § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit den übrigen in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten nationalen Bestimmungen dadurch gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. b und 3 der Richtlinie 2006/123 verstößt, dass er im Hinblick auf die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung vorgesehenen Bedingungen die Tätigkeit von Gruppen nicht anerkennt, deren Muttergesellschaft keine nach ungarischem Recht errichtete Gesellschaft ist und deren Mitglieder nicht die Form von Gesellschaften ungarischen Rechts aufweisen.

50

Hierzu trägt die Kommission vor, dass § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 vorsehe, dass der Dienstleistungserbringer, um die SZÉP-Karte ausstellen zu dürfen, die in den Buchst. a bis c dieses § 13 genannten Bedingungen erfüllen müsse, gegebenenfalls über eine Unternehmensgruppe, der er angehöre und die nach dem Gesetz über Handelsgesellschaften als Unternehmensgruppe oder als solche tatsächlich fungierend anerkannt sei.

51

Nach § 55 Abs. 1 und 3 und § 64 des Gesetzes über Handelsgesellschaften könne jedoch nur eine Handelsgesellschaft als beherrschendes Unternehmen einer solchen Unternehmensgruppe eingestuft werden, während nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes eine solche Handelsgesellschaft über einen Sitz im Hoheitsgebiet Ungarns verfügen müsse und nur in einer der in diesem Gesetz vorgesehenen Formen gegründet werden könne. Außerdem sehe dieser § 55 Abs. 1 in Bezug auf Unternehmensgruppen vor, dass die beherrschte Gesellschaft nur eine nach ungarischem Recht gegründete und in Ungarn ansässige Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung sein könne.

52

Diese Anforderungen verstießen daher gegen Art. 15 Abs. 2 Buchst. b und 3 der Richtlinie 2006/123, wonach Unternehmen nicht verpflichtet werden könnten, eine bestimmte Rechtsform zu wählen, außer wenn eine solche Pflicht nicht diskriminierend sei sowie erforderlich und verhältnismäßig sei. Die Anforderungen seien nämlich diskriminierend, da sie Handelsgesellschaften ohne Sitz in Ungarn offenkundig benachteiligten, und darüber hinaus habe die ungarische Regierung nicht konkret nachgewiesen, dass sie erforderlich und verhältnismäßig seien.

53

Die ungarische Regierung hält dem im Wesentlichen entgegen, es lasse sich mit diesen die Zugehörigkeit zu einer Unternehmensgruppe betreffenden Beschränkungen sicherstellen, dass der Aussteller gebührend in das ungarische Wirtschaftsleben integriert sei und insbesondere in Bezug auf die Ausstellung und den Vertrieb von der SZÉP-Karte vergleichbaren elektronischen Gutscheinen über die nötige Erfahrung und Infrastruktur verfüge, so dass diese Beschränkungen im Hinblick auf die oben in Rn. 41 des vorliegenden Urteils bereits genannten Ziele des Schutzes der Verbraucher und der Gläubiger gerechtfertigt seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

54

Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 müssen die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen Anforderungen wie die vorsehen, die in Art. 15 Abs. 2 aufgeführt sind, und sicherstellen, dass diese Anforderungen die Bedingungen gemäß Art. 15 Abs. 3 erfüllen.

55

Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 betrifft die Anforderungen, die die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit davon abhängig machen, dass der Dienstleistungserbringer eine bestimmte Rechtsform wählt.

56

Die in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 aufgezählten kumulativen Bedingungen betreffen erstens den nichtdiskriminierenden Charakter der betreffenden Anforderungen, die weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen dürfen, zweitens ihre Erforderlichkeit, d. h., sie müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, und drittens ihre Verhältnismäßigkeit, da diese Anforderungen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein müssen und nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, sowie nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzbar sein dürfen, die zum selben Ergebnis führen.

57

Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2006/123 sieht außerdem vor, dass die Mitgliedstaaten ab dem 28. Dezember 2006 keine neuen Anforderungen der in Art. 15 Abs. 2 genannten Art einführen dürfen, es sei denn, diese neuen Anforderungen erfüllen die in Art. 15 Abs. 3 aufgeführten Bedingungen.

58

Im vorliegenden Fall beantragt die Kommission mit ihren Rügen die Feststellung, dass die im Rahmen ihrer Klage angeführten nationalen Bestimmungen Anforderungen der in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 genannten Art aufstellen und, da diese Anforderungen nicht die in Art. 15 Abs. 3 aufgeführten Bedingungen erfüllen, gegen Art. 15 Abs. 1 bis 3 verstoßen.

59

Daher ist zu prüfen, ob die sich aus den genannten nationalen Bestimmungen ergebenden Anforderungen unter Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 fallen, wie die Kommission vorträgt.

60

Um die Tragweite der letztgenannten Vorschrift zu bestimmen, ist nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zweck und ihr Aufbau im Kontext des durch die Richtlinie 2006/123 eingeführten Systems heranzuziehen (vgl. u. a. Urteil Femarbel, C‑57/12, EU:C:2013:517, Rn. 34).

61

Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 betrifft nach seinem Wortlaut die Fälle, in denen der „Dienstleistungserbringer“ verpflichtet wird, „eine bestimmte Rechtsform“ zu „wählen“.

62

Insoweit ergibt sich aus dem 73. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123, dass dies z. B. der Fall ist, wenn Rechtspersönlichkeit, die Gründung einer Einpersonengesellschaft, eine Gesellschaft ohne Erwerbszweck oder eine Gesellschaft, deren Anteilseigner ausschließlich natürliche Personen sind, verlangt wird. Wie sowohl der nicht abschließende Charakter dieser Aufzählung als auch ihr Inhalt nahelegen, ist der in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie verwendete Begriff einer „bestimmten Rechtsform“ weit zu verstehen.

63

Eine solche weite Auslegung steht zudem mit dem Zweck der Richtlinie 2006/123 im Einklang, die, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 5 ergibt, die darauf abzielt, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen, um zur Schaffung eines freien und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts beizutragen (vgl. u. a. Urteil Société fiduciaire nationale d’expertise comptable, C‑119/09, EU:C:2011:208, Rn. 26). Eine Regelung eines Mitgliedstaats, mit der vom Dienstleistungserbringer verlangt wird, eine besondere rechtliche Ausgestaltung zu haben, stellt nämlich eine erhebliche Einschränkung der Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer und der Dienstleistungsfreiheit dar (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Kommission/Italien, C‑439/99, EU:C:2002:14, Rn. 32, und Kommission/Portugal, C‑171/02, EU:C:2004:270, Rn. 41 und 42).

64

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit den übrigen in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen, insbesondere den Bestimmungen des Gesetzes über Handelsgesellschaften, dass die Betätigung als Aussteller von SZÉP-Karten in Fällen, in denen der Dienstleistungserbringer anstrebt, die in § 13 vorgesehenen Bedingungen zusammen mit einer anderen Gesellschaft im Rahmen einer Unternehmensgruppe zu erfüllen, u. a. von der Bedingung abhängen kann, dass der Aussteller zu einer Unternehmensgruppe gehört, in der er zum einen die Form einer Handelsgesellschaft und namentlich entweder einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ungarischen Rechts aufweist und zum anderen eine Tochtergesellschaft einer Handelsgesellschaft ungarischen Rechts ist, die selbst die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 genannten Bedingungen erfüllt.

65

In diesen Fällen wird somit vom Dienstleistungserbringer kumulativ verlangt, dass er über Rechtspersönlichkeit verfügt, dass er in dieser Hinsicht die Form einer Handelsgesellschaft hat, die zudem zu einer ganz bestimmten Art gehört, und dass er die Tochtergesellschaft einer Gesellschaft ist, die selbst die Form einer Handelsgesellschaft hat. Diese Bedingungen haben daher zur Folge, dass dem genannten Aussteller mehrere Zwänge hinsichtlich seiner Rechtsform im Sinne von Art. 15 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 auferlegt werden.

66

Nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 sind die in Art. 15 Abs. 2 genannten Anforderungen dann nicht mit den Bestimmungen der Richtlinie unvereinbar, wenn sie u. a. weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung von Gesellschaften aufgrund des Ortes des satzungsmäßigen Sitzes darstellen.

67

Im vorliegenden Fall sind die in Rn. 65 des vorliegenden Urteils genannten Zwänge mit der Anforderung verbunden, dass der Dienstleistungserbringer und das beherrschende Unternehmen der Unternehmensgruppe, zu der er gegebenenfalls gehört, nach ungarischem Recht gegründet sind, was nach § 1 Abs. 1, § 2 und § 55 Abs. 1 des Gesetzes über Handelsgesellschaften voraussetzt, dass ihr satzungsmäßiger Sitz in Ungarn liegt.

68

Daraus folgt, dass die in Art. 15 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 vorgesehenen Bedingungen nicht erfüllt sind.

69

Auch wenn bereits damit festgestellt werden kann, dass die in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 genannten Bedingungen nicht eingehalten wurden, da sie kumulativ gelten, ist darüber hinaus festzustellen, dass die ungarische Regierung, da sie sich zur Rechtfertigung der Anforderungen hinsichtlich der Rechtsform des Ausstellers von SZÉP-Karten und seiner Muttergesellschaft auf das Vorbringen beschränkt hat, es sei wesentlich, dass dieser Aussteller und seine Muttergesellschaft in das ungarische Wirtschaftsleben integriert seien und der Aussteller über die nötige Erfahrung und Infrastruktur verfüge, keine konkreten Gesichtspunkte oder Argumente vorgetragen hat, die erklären könnten, inwiefern solche Anforderungen erforderlich und verhältnismäßig sind, um sicherzustellen, dass die Aussteller von SZÉP-Karten die Garantien für finanzielle Solvenz, Professionalität und Erreichbarkeit bieten, die für das Erreichen der von der ungarischen Regierung angeführten Ziele des Schutzes der Verwender solcher Karten und der Gläubiger erforderlich erscheinen.

70

Nach alledem ist festzustellen, dass die sich aus § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 ergebenden und in Rn. 65 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen hinsichtlich der Rechtsform des Ausstellers von SZÉP-Karten gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. b und 3 der Richtlinie 2006/123 verstoßen, so dass die zweite Rüge durchgreift.

– Zur dritten Rüge: Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. d und 3 der Richtlinie 2006/123

Vorbringen der Parteien

71

Mit ihrer dritten Rüge beantragt die Kommission, festzustellen, dass § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit den übrigen in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten nationalen Bestimmungen unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. d und 3 der Richtlinie 2006/123 die Möglichkeit der Ausstellung der SZÉP-Karte Banken und Finanzinstituten als den einzigen Einrichtungen vorbehält, die in der Lage sind, die in § 13 vorgesehenen Bedingungen zu erfüllen.

72

Nach Ansicht der Kommission laufen die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 vorgeschriebenen Bedingungen, nach denen ein Aussteller der SZÉP-Karte erstens in jeder Gemeinde Ungarns mit mehr als 35000 Einwohnern über eine für Kunden geöffnete Geschäftsstelle verfügen müsse, zweitens in seinem letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr im Rahmen seiner Zahlungsdienste selbst mindestens 100000 bargeldlose Zahlungsinstrumente ausgestellt haben müsse sowie drittens über mindestens zwei Jahre Erfahrung im Bereich der Ausstellung elektronischer Gutscheinkarten, die Anspruch auf Sachleistungen im Sinne des Einkommensteuergesetzes gewährten, verfügen müsse und innerhalb seines letzten abgeschlossenen Geschäftsjahrs mehr als 25000 Gutscheinkarten ausgestellt haben müsse, in Wirklichkeit darauf hinaus, von jedem Aussteller der SZÉP-Karte zu verlangen, dass er eine Haupttätigkeit ausübe, die der der Bank- und Finanzinstitute entspreche.

73

Zudem ergebe sich insoweit aus dem Register des ungarischen Amtes für Gewerbeerlaubnisse, dass nur drei Bankunternehmen, deren satzungsmäßiger Sitz in Ungarn liege, in der Lage gewesen seien, die genannten Bedingungen zu erfüllen.

74

Die Anforderung, eine Haupttätigkeit bankgeschäftlicher und finanzieller Natur auszuüben, entspreche aber nicht den Bedingungen in Art. 15 Abs. 2 Buchst. d und 3 der Richtlinie 2006/123, wonach in einem Fall, in dem nationale Bestimmungen die Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit aufgrund ihrer Besonderheiten bestimmten Dienstleistungserbringern vorbehielten, diese Beschränkung nicht diskriminierend, erforderlich und verhältnismäßig sein müsse.

75

Zum einen führten die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 genannten Bedingungen zu einer indirekten Diskriminierung, da sie nur von Unternehmen, die zuvor bereits auf dem ungarischen Markt etabliert gewesen seien, eingehalten werden könnten und somit neue Unternehmen daran hinderten, in diesen Markt einzudringen, wie die in Rn. 73 des vorliegenden Urteils genannte Feststellung bestätige.

76

Zum anderen seien diese Bedingungen weder erforderlich noch verhältnismäßig.

77

Erstens habe die ungarische Regierung keine konkreten Probleme benannt, die unter der Geltung der früheren Regelung aufgetreten seien, die einem viel weiteren Kreis von Unternehmen die Ausstellung von Gutscheinen für den Bezug von Sachleistungen gestattet habe. Zweitens zeige die Untersuchung der Situation in den übrigen Mitgliedstaaten, dass diese keine Anforderungen vorsähen, die den von Ungarn eingeführten vergleichbar seien. Drittens könnten die von der ungarischen Regierung angeführten Ziele des Verbraucher- und Gläubigerschutzes durch weniger einschneidende Maßnahmen wie beispielsweise die Einrichtung eines Systems zur Überwachung der Aussteller, eines Systems von Bankgarantien oder den Einsatz eines Telefondiensts oder von Handelsvertretern erreicht werden. Viertens würden nicht einmal den Kreditinstituten, denen die Aussteller von SZÉP-Karten gleichgestellt seien, in Ungarn gesetzliche Vorgaben gemacht, die den in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 vorgesehenen entsprächen.

78

Die ungarische Regierung hält dem zwei zwingende Gründe des Allgemeininteresses entgegen, die ihrer Ansicht nach die in dem genannten § 13 Buchst. a bis c aufgestellten Anforderungen rechtfertigen können, nämlich den Schutz der Verbraucher als Verwender von SZÉP-Karten und der Gläubiger, die die Verwendung dieser Karten akzeptierten, gegen die Risiken der Zahlungsunfähigkeit des Ausstellers der Karte und dessen Unvermögen zur wirksamen Erfüllung seiner Leistungspflichten.

79

Die ungarische Regierung macht insoweit geltend, dass zum Zeitpunkt der Einreichung ihrer Klagebeantwortung bereits fast eine Million SZÉP-Karten ausgestellt und etwa 55000 Verträge zwischen den ausstellenden Unternehmen und Dienstleistungserbringern abgeschlossen gewesen seien, während die für das Jahr 2013 verfügbaren Zahlen zeigten, dass in jenem Jahr der Gegenwert von etwa 227 Mio. Euro aufgrund von über 20 Millionen mit diesen Karten vorgenommenen Transaktionen zirkuliert habe.

80

In Anbetracht des Umfangs der logistischen und finanziellen Verwaltung, der somit von den Ausstellern der SZÉP-Karten erwartet werde, seien die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 aufgestellten Anforderungen im Hinblick auf die in Rn. 76 des vorliegenden Urteils genannten Schutzziele sowohl erforderlich als auch verhältnismäßig, da sie gewährleisteten, dass die Aussteller über ein weitreichendes Netz kundennaher Geschäftsstellen, die den Kunden eine persönliche Kontaktaufnahme böten, eine stabile und im Verhältnis zum beabsichtigten Umsatz stehende Finanzgrundlage, Erfahrung bei der Verwaltung großer Beträge und der Ausstellung elektronischer Karten wie der SZÉP-Karte sowie in finanzieller Hinsicht eine transparente und kontrollierte Funktionsweise böten.

Würdigung durch den Gerichtshof

81

Art. 15 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 betrifft die Anforderungen, die die Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit aufgrund der Besonderheiten der Tätigkeit bestimmten Dienstleistungserbringern vorbehalten.

82

Im vorliegenden Fall hat die Kommission eingeräumt, dass § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 zwar seinem Wortlaut nach keine ausdrückliche Beschränkung der Ausstellung von SZÉP-Karten allein auf Bank- oder Finanzinstitute enthält. Sie macht aber geltend, dass diese nationalen Bestimmungen den Tatbestand des Art. 15 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 deshalb erfüllten, weil die in ihnen vorgesehenen Bedingungen in der Praxis nur von diesen Marktteilnehmern erfüllt werden könnten.

83

Die ungarische Regierung bestreitet nicht, dass die in Rede stehenden nationalen Bestimmungen genau diese konkrete Wirkung haben, sondern versucht vielmehr, darzulegen, inwiefern es ihrer Ansicht nach in Anbetracht der Risiken bei der Ausstellung und Verwaltung von SZÉP-Karten sowie der Komplexität und besonderen Sensibilität dieser Tätigkeit völlig gerechtfertigt ist, sie Bank- oder Finanzinstituten vorzubehalten, weil diese in finanzieller und aufsichtsrechtlicher Hinsicht sowie in Bezug auf Kompetenz und Erreichbarkeit die Garantien böten, die in diesem Bereich erforderlich seien.

84

Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 festgelegten Anforderungen, die nach übereinstimmender Ansicht der Parteien durch ihr Zusammenspiel bewirken oder sogar bezwecken, den Zugang zur Ausstellung von SZÉP-Karten aufgrund der Besonderheiten dieser Tätigkeit bestimmten Dienstleistungserbringern vorzubehalten, die in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 genannten Bedingungen erfüllen, was die ungarische Regierung behauptet und die Kommission bestreitet.

85

Insoweit ist unter Berücksichtigung von Art. 15 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 zunächst die Frage zu prüfen, ob diese Anforderungen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Ortes des satzungsmäßigen Sitzes darstellen.

86

In Anbetracht der Art der in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 aufgestellten Anforderungen, die auf den ersten Blick offenbar nur von juristischen Personen erfüllt werden können, ist von vornherein festzustellen, dass diese Bestimmung, die keine ausdrückliche Bedingung hinsichtlich des Ortes des satzungsmäßigen Sitzes des Ausstellers von SZÉP-Karten enthält, als solche und vorbehaltlich der in den Rn. 67 und 68 des vorliegenden Urteils bereits getroffenen Feststellung keine auf diesem Kriterium beruhende direkte Diskriminierung mit sich bringt.

87

Dagegen ist festzustellen, dass insbesondere deshalb, weil nach dieser Regelung, wie aus § 13 Buchst. a der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 hervorgeht, ein Aussteller von SZÉP-Karten in jeder Gemeinde Ungarns mit mehr als 35000 Einwohnern über eine für Kunden geöffnete Geschäftsstelle verfügen muss, die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 genannten kumulativen Anforderungen im vorliegenden Fall, wie die in Rn. 73 des vorliegenden Urteils wiedergegebene und von der ungarischen Regierung nicht bestrittene Feststellung der Kommission bestätigt, nur von Bank- oder Finanzinstituten erfüllt werden können, deren satzungsmäßiger Sitz in diesem Mitgliedstaat liegt.

88

Auch wenn diese Anforderungen auf andere Kriterien als das eines satzungsmäßigen Sitzes im betreffenden Mitgliedstaat gestützt sind, sind sie somit in Wirklichkeit geeignet, zu dem selben Ergebnis zu führen wie eine solche sitzbezogene Bedingung, womit sie, wie insbesondere aus dem 65. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 hervorgeht, dahin zu beurteilen sind, dass sie zu einer indirekten Diskriminierung im Sinne von Art. 15 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie führen können.

89

Wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils festgestellt, ist zudem zwischen den Parteien unstreitig, dass nach § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit den übrigen in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannten nationalen rechtlichen Bestimmungen als Aussteller der SZÉP-Karte in Ungarn nur Gesellschaften tätig werden können, deren satzungsmäßiger Sitz in Ungarn liegt, womit ungarische Zweigniederlassungen von in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften von dieser Tätigkeit ausgeschlossen sind.

90

Da die in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 genannten Bedingungen, wie in Rn. 69 des vorliegenden Urteils ausgeführt, kumulativ gelten, führt bereits diese Feststellung zu dem Ergebnis, dass diese Bestimmung nicht eingehalten wurde.

91

Auch wenn im Einklang mit dem Vorbringen der ungarischen Regierung unterstellt würde, dass mit Anforderungen wie den in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 festgelegten mittels der Garantie, dass Aussteller von SZÉP-Karten hinreichende Garantien für finanzielle Solvenz, Professionalität und Erreichbarkeit bieten, ein Ziel des Verbraucher- und Gläubigerschutzes verfolgt wird, bliebe doch weiter festzustellen, dass die ungarische Regierung insbesondere nicht dargetan hat, dass solche Anforderungen die in Art. 15 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 genannten Bedingungen erfüllen, namentlich die, wonach es zur Erreichung des verfolgten Ergebnisses keine weniger einschneidenden Maßnahmen geben darf.

92

So wird durch diese Anforderungen in ihrer Kombination bewirkt, dass die Ausstellung von SZÉP-Karten allein Einrichtungen vorbehalten bleibt, die nachzuweisen vermögen, dass sie mit der Ausstellung sowohl bargeldloser Zahlungsinstrumente als auch elektronischer Instrumente, die gemäß der betreffenden nationalen Regelung Anspruch auf Sachleistungen gewähren, Erfahrung haben und dass sie zugleich über zahlreiche Geschäftsstellen im ungarischen Hoheitsgebiet verfügen.

93

Auch wenn man vom diskriminierenden Charakter dieser Anforderungen absieht, ist zu beachten, dass sich die von der ungarischen Regierung angeführten Ziele, nämlich sicherzustellen, dass die Aussteller von SZÉP-Karten die Garantien für finanzielle Solvenz, Professionalität und Erreichbarkeit bieten, die für den Schutz der Verwender dieser Karten und der Gläubiger erforderlich erscheinen, auch mit Maßnahmen erreichen ließen, die weniger einschneidend sind und die Niederlassungsfreiheit weniger beschränken als die sich aus § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 ergebenden Maßnahmen.

94

Wie die Kommission geltend gemacht hat, gälte dies offensichtlich für Maßnahmen, die – vorbehaltlich ihrer Einhaltung der unionsrechtlichen Anforderungen – z. B. darauf abzielten, die Aussteller von SZÉP-Karten einem Überwachungssystem oder einem Bankgarantie- oder Versicherungsmechanismus zu unterwerfen (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Portugal, C‑171/02, EU:C:2004:270, Rn. 43), und den Einsatz eines Telefondiensts oder von Handelsvertretern durch den Aussteller vorsähen.

95

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 genannten Anforderungen gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. d und 3 der Richtlinie 2006/123 verstoßen, so dass die dritte Rüge durchgreift.

– Zur vierten Rüge: Verstoß gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123

Vorbringen der Parteien

96

Mit ihrer vierten Rüge beantragt die Kommission, festzustellen, dass § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 insoweit gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123 verstößt, als er für die Ausstellung der SZÉP-Karte eine Zweigniederlassung in Ungarn vorschreibt.

97

Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 verbiete es den Mitgliedstaaten nämlich ausdrücklich, einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer zu verpflichten, in ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten, es sei denn, die in Abs. 1 dieses Art. 16 genannten Bedingungen seien erfüllt, d. h., es lasse sich feststellen, dass die fraglichen Maßnahmen nicht diskriminierend seien und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt, erforderlich und verhältnismäßig seien.

98

Die von der ungarischen Regierung angeführten allgemeinen Gründe des Verbraucher- und Gläubigerschutzes gehörten jedoch nicht zu den in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 genannten Kategorien von Zielen, und zudem habe diese Regierung im Hinblick auf die von ihr angeführten Ziele nicht die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nachgewiesen.

99

Die Kommission bestreitet außerdem, dass Art. 16 der Richtlinie 2006/123 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Entgegen dem Vorbringen der ungarischen Regierung in dieser Hinsicht könne es in der Praxis durchaus in Betracht kommen, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen – insbesondere bei einem Ausgangs- und Zielpunkt in relativer Grenznähe – grenzüberschreitend SZÉP-Karten ausstelle, ohne in Ungarn niedergelassen zu sein. Zudem habe ein solches Unternehmen auch das Recht, im ungarischen Hoheitsgebiet die für die Erbringung ihrer Leistung erforderliche Infrastruktur zu nutzen, ohne verpflichtet zu sein, sich dort niederzulassen.

100

Die ungarische Regierung hält dem zunächst entgegen, dass die Regelung über die SZÉP-Karte nur im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zu prüfen sei, da der freie Dienstleistungsverkehr im vorliegenden Fall völlig hinter die Niederlassungsfreiheit zurücktrete und in sie einbezogen werden könne. Die Ausstellung dieser Karten setze insbesondere unter Berücksichtigung der oben in Rn. 79 des vorliegenden Urteils bereits angeführten Daten nämlich voraus, dass der Marktteilnehmer in die Wirtschaft und die Gesellschaft des Mitgliedstaats des Leistungsorts eingebettet sei und dort seine Dienste, ausgehend von einer Niederlassung in diesem Mitgliedstaat, ständig und ununterbrochen für das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats erbringe, und nicht nur für bestimmte Grenzgebiete.

101

Die ungarische Regierung trägt ferner vor, dass es, selbst wenn ein Dienstleistungserbringer eine solche Tätigkeit grenzüberschreitend anstreben sollte, deren objektiven Merkmale und die bereits angeführten, im Allgemeininteresse liegenden Ziele des Verbraucher- und Gläubigerschutzes rechtfertigten, die Ausübung dieser Tätigkeit gemäß der nationalen Regelung an strenge Bedingungen zu knüpfen, die nur die in Ungarn niedergelassenen Dienstleistungserbringer erfüllen könnten.

Würdigung durch den Gerichtshof

102

Nach Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 dürfen die Mitgliedstaaten die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken, indem sie ihn der Pflicht unterwerfen, in ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten.

103

Wie aus Art. 4 Nr. 5 der Richtlinie hervorgeht, bezeichnet der Begriff „Niederlassung“ die tatsächliche Ausübung einer von Art. 49 AEUV erfassten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Dienstleistungserbringer auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Infrastruktur, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird.

104

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 13 Buchst. a der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 die Tätigkeit der Ausstellung von SZÉP-Karten, bei der es sich unstreitig um eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 49 AEUV handelt, u. a. von der Bedingung abhängig macht, dass der Aussteller in jeder Gemeinde Ungarns mit mehr als 35000 Einwohnern über eine für die Allgemeinheit geöffnete Geschäftsstelle verfügt.

105

Damit verlangt diese Bestimmung offenkundig von jedem Dienstleistungserbringer, der diese Tätigkeit ausüben möchte, dass er in Ungarn über eine feste Infrastruktur verfügt, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird.

106

Dies ist im Übrigen in den verschiedenen durch § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 geregelten Konstellationen der Fall, gleichviel ob der Dienstleistungserbringer über solche Geschäftsstellen persönlich verfügt oder mittels einer Unternehmensgruppe, der er angehört, oder zusammen mit einer Versicherungskasse, der er seit mindestens fünf Jahren vertraglich verbunden ist. Denn insoweit ist festzustellen, dass eine Niederlassung, wie aus dem 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 hervorgeht, sogar die Form einer Geschäftsstelle haben kann, die von einem gegenüber dem Dienstleistungserbringer Selbständigen betrieben wird, der ermächtigt ist, dauerhaft für das Unternehmen zu handeln, wie dies z. B. bei einer Agentur der Fall ist.

107

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass § 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 für den Aussteller von SZÉP-Karten eine Pflicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 einführt, im ungarischen Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten.

108

Insoweit ist der Einwand der ungarischen Regierung zurückzuweisen, wonach Art. 16 der Richtlinie 2006/123 nicht mehr zur Anwendung kommen solle, wenn eine nationale Maßnahme gleichzeitig gegen diesen Artikel und die Bestimmungen der Richtlinie über die Niederlassungsfreiheit verstoßen könne und es sich zeige, dass der Rückgriff auf die grenzüberschreitende Dienstleistung rein theoretisch oder jedenfalls in der Praxis viel weniger häufig als die Inanspruchnahme der Freiheit sei, sich im betreffenden Mitgliedstaat niederzulassen, um dort Dienstleistungen zu erbringen.

109

Zum einen ist festzustellen, dass die ungarische Regierung nicht nachgewiesen hat, dass es für einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer somit in der Praxis unmöglich und uninteressant wäre, eine Dienstleistung wie die Ausstellung und Verwaltung der SZÉP-Karte in einem anderen Mitgliedstaat zu erbringen, ohne in Letzterem über eine feste Infrastruktur zu verfügen, von der aus diese Dienstleistung tatsächlich erbracht wird.

110

Zum anderen ist festzustellen, dass das Vorbringen der ungarischen Regierung weder in Art. 16 der Richtlinie 2006/123 noch in einer anderen Bestimmung der Richtlinie eine Stütze findet und es zudem die vom Unionsgesetzgeber insoweit verfolgten wesentlichen Ziele verkennt.

111

Aus Art. 1 der Richtlinie 2006/123 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 2 und 5 ergibt sich nämlich zunächst, dass diese Richtlinie allgemeine Bestimmungen aufstellt, die den Zweck verfolgen, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen, um zur Schaffung eines freien und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts beizutragen (vgl. Urteil Femarbel, C‑57/12, EU:C:2013:517, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

112

Nach dem genannten fünften Erwägungsgrund soll die Richtlinie es Dienstleistungserbringern somit insbesondere ermöglichen, ihre Dienstleistungstätigkeiten im Binnenmarkt dadurch zu entwickeln, dass sie sich entweder in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen oder den freien Dienstleistungsverkehr nutzen, wobei sie zwischen diesen beiden Freiheiten wählen und sich für diejenige entscheiden können sollten, die ihrer Geschäftsstrategie für die einzelnen Mitgliedstaaten am besten gerecht wird.

113

Sodann ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 der Richtlinie 2006/123, dass diese Richtlinie für jede selbständige wirtschaftliche Tätigkeit gilt, die für gewöhnlich gegen Entgelt von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten wird, unabhängig davon, ob dieser in dem Empfängermitgliedstaat eine feste und ständige Geschäftsstelle hat, und vorbehaltlich ausdrücklich davon ausgeschlossener Tätigkeiten (vgl. in diesem Sinne Urteil Femarbel, C‑57/12, EU:C:2013:517, Rn. 32).

114

Schließlich müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/123 das Recht der Dienstleistungserbringer achten, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen. Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Dienstleistungsfreiheit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers nicht einschränken dürfen, indem sie diesen der Pflicht unterwerfen, in ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten.

115

Ebenfalls zurückzuweisen ist das Vorbringen der ungarischen Regierung, mit dem die streitige Einschränkung hilfsweise durch Erwägungen gerechtfertigt werden soll, die auf den Verbraucher- und Gläubigerschutz gestützt sind und denen zufolge gewährleistet werden soll, dass die Aussteller von SZÉP-Karten hinreichende Garantien für finanzielle Solvenz, Professionalität und Erreichbarkeit bieten.

116

Unabhängig von der Frage, ob für eine Anforderung wie die in Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 genannte nach dem Wortlaut dieses Artikels eine Rechtfertigung in Betracht kommt, und ungeachtet auch des Umstands, dass die von der ungarischen Regierung hierzu angeführten Ziele nicht zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehören, auf die sich die Abs. 1 und 3 dieses Artikels beziehen, genügt nämlich im vorliegenden Fall insoweit die Feststellung, dass selbst im Hinblick auf diese Ziele eine Anforderung wie die in § 13 Buchst. a der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 aufgestellte jedenfalls nicht die in Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie genannte Bedingung der Verhältnismäßigkeit erfüllen würde, da Maßnahmen, die weniger einschneidend sind und die Dienstleistungsfreiheit weniger beschränken als die sich aus dieser Anforderung ergebenden Maßnahmen, wie z. B. die in Rn. 94 des vorliegenden Urteils genannten, es – deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht unterstellt – ermöglichen würden, diese Ziele zu erreichen.

117

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die vierte Rüge durchgreift.

Zu den Rügen eines Verstoßes gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV

118

Da die von der Kommission in erster Linie vorgetragenen Rügen eines Verstoßes gegen die Art. 14 bis 16 der Richtlinie 2006/123 im vorliegenden Fall durchgreifen, brauchen die von ihr hilfsweise vorgetragenen Rügen eines Verstoßes gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV nicht geprüft zu werden.

Zu den Rügen hinsichtlich der Bedingungen für die Ausstellung der Erzsébet-Gutscheine

Vorbringen der Parteien

119

In ihrer Klageschrift beantragt die Kommission, festzustellen, dass das durch das Gesetz Nr. CLVI vom 21. November 2011 und das Erzsébet-Gesetz geregelte System der Erzsébet-Gutscheine, das für die Ausstellung von Gutscheinen zum Bezug von Kaltverpflegung ein Monopol für öffentliche Einrichtungen errichtet und ohne eine angemessene Übergangsfrist und angemessene Übergangsmaßnahmen in Kraft getreten ist, insoweit gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV verstößt, als die §§ 1, 5 und 477 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 sowie § 2 Abs. 1 und 2, § 6 und § 7 des Erzsébet-Gesetzes unverhältnismäßige Beschränkungen vorschreiben.

120

Die Kommission trägt vor, dass nach § 71 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 der Erwerb von verzehrfertigen Speisen nur noch als Sachleistung gelte, wenn er durch die Benutzung von Erzsébet-Gutscheinen stattfinde. Außerdem sei nach den in der vorstehenden Randnummer genannten nationalen Bestimmungen nur die MNÜA zur Ausstellung dieser Gutscheine befugt.

121

Die derart geschaffene Monopolstellung auf dem Markt für die Ausstellung der Gutscheine, die Anspruch auf diese Sachleistung gäben, verhindere jedoch, dass die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Marktteilnehmer in Bezug auf diese Tätigkeit ihre Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ausüben könnten, und verstoße daher gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV. Die Kommission stellt insoweit klar, dass ihr Vorbringen nur diesen Teil des Systems der Erzsébet-Gutscheine betreffe und nicht die im Rahmen des gleichlautenden Programms von der MNÜA durchgeführten sozialpolitischen Maßnahmen, wie beispielsweise die unmittelbare und gezielte Unterstützung sozial benachteiligter Personen.

122

Da die von der vorliegenden Klage betroffene Tätigkeit der Ausstellung von Gutscheinen entgeltlich erbracht werde, stelle diese Tätigkeit, die im Übrigen in Ungarn bereits zuvor ausgeübt worden sei und in vielen Mitgliedstaaten weiterhin von Handelsgesellschaften ausgeübt werde, eine in den Anwendungsbereich des Vertrags fallende wirtschaftliche Tätigkeit dar. Die Kommission macht unter Bezugnahme auf das Urteil Cisal (C‑218/00, EU:C:2002:36) geltend, dass eine solche Tätigkeit insbesondere nicht als Sozialmaßnahme angesehen werden könne, da die Entscheidung, den Arbeitnehmern Erzsébet-Gutscheine als Sachleistungen zu steuerlich günstigen Bedingungen zu gewähren oder nicht zu gewähren, im Ermessen des Arbeitgebers stehe, ohne dass ein soziales Ziel verfolgt werde, mit dem unter staatlicher Kontrolle der Grundsatz der Solidarität umgesetzt werde.

123

Außerdem sei im vorliegenden Fall das beanstandete Monopol weder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, noch erfülle es die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

124

Zum einen könnten nämlich weder der Umstand, dass die Gewinne aus der betreffenden Tätigkeit von der MNÜA ausschließlich zur Verwirklichung sozialer Ziele verwendet werden müssten, noch ein angeblicher Mangel an verfügbaren Haushaltsmitteln, der eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit darstellen könne, als solche zwingenden Gründe geltend gemacht werden. Im vorliegenden Fall entspreche das beanstandete Monopol auch nicht einer Notwendigkeit, die Kohärenz des ungarischen Steuersystems zu wahren.

125

Zum anderen gäbe es andere Maßnahmen, die weniger einschneidend seien als die Errichtung eines solchen Monopols, wie z. B. eine Inanspruchnahme des öffentlichen Haushalts, eine Erhebung eines Solidaritätsbeitrags auf die betreffenden Sachleistungen, eine Senkung der damit zusammenhängenden Steuervergünstigung, der Erwerb von Erzsébet-Gutscheinen durch öffentliche Stellen, um sie an die am stärksten benachteiligten Personen zu verteilen, oder die Verpflichtung der Aussteller, diese Gutscheine den Sozialbehörden zur Verfügung zu stellen, um das vorliegend verfolgte Ziel der Finanzierung der Sozialleistungen zu erreichen.

126

Zudem sei das streitige Monopol ohne eine angemessene Übergangsfrist eingeführt worden, wodurch für die bis dahin auf dem betreffenden Markt präsenten Unternehmen schwere Verluste entstanden seien.

127

Die ungarische Regierung hält dem entgegen, dass die Rügen der Kommission unzulässig seien, weil die Klageanträge ungenau und missverständlich seien.

128

Insoweit enthielten die Klageanträge zunächst einen sachlichen Fehler, weil sie sich auf die §§ 1 und 5 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 statt auf § 1 Abs. 5 dieses Gesetzes bezögen. Sodann beträfen § 477 dieses Gesetzes und § 7 des Erzsébet-Gesetzes nur das Inkrafttreten dieser Gesetze und könnten daher nicht zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht führen. Schließlich sei ebenso wenig klar, warum die Kommission aufgrund von § 2 Abs. 1 und 2 und § 6 des Erzsébet-Gesetzes einen Verstoß gegen das Unionsrecht rüge.

129

Außerdem stehe der Umstand, dass sich die Kommission auf die Gesamtheit der maßgeblichen Bestimmungen der Regelung des Erzsébet-Programms bezogen habe, im Widerspruch zu ihrer Behauptung, dass die vorliegende Klage nicht die im Rahmen dieses Programms durchgeführten sozialpolitischen Maßnahmen betreffe.

130

In der Sache macht die ungarische Regierung in erster Linie geltend, dass eine Tätigkeit nur dann, wenn ein Mitgliedstaat beschlossen habe, aus ihr eine gewöhnliche wirtschaftliche Tätigkeit zu machen, dem freien Wettbewerb offenstehe und den Vorschriften des Vertrags unterworfen sei.

131

Bei der Ausstellung der Erzsébet-Gutscheine, die nicht darin bestehe, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, d. h. zu Marktbedingungen und mit Gewinnerzielungsabsicht, sei dies jedoch nicht der Fall, da die MNÜA die Erträge aus dieser Tätigkeit gemäß dem Erzsébet-Gesetz zur Durchführung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben verwenden müsse, die ihr anvertraut seien.

132

Hinsichtlich der auf das Urteil Cisal (C‑218/00, EU:C:2002:36) zurückgehenden Rechtsprechung trägt die ungarische Regierung vor, dass das Erzsébet-Programm sehr wohl auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe, da die Erzsébet-Gutscheine auch als direkte Sozialhilfe in Abhängigkeit vom Einkommen der Empfänger gewährt würden, und dass auch dann, wenn Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern diese Gutscheine als Arbeitsentgelt anböten, diese Arbeitgeber gleichzeitig in Kenntnis der Finanzierung dieser Sozialprogramme handelten. Zudem übe der Staat eine Kontrolle aus, da die MNÜA vom Staat festgelegte Gemeinwohlaufgaben wahrnehme und ein Delegierter des mit dem Erzsébet-Programm betrauten Ministers damit beauftragt sei, Vorschläge zur Entwicklung dieses Programms zu machen und die Regelungen vorzubereiten, die für seine Durchführung erforderlich seien.

133

Mit der geltenden neuen Regelung sei die Ausstellung der Erzsébet-Gutscheine somit Teil des sozialen Versorgungssystems geworden, für das sie dadurch Mittel bereitstelle, dass sie Arbeitgebern einen steuerlichen Anreiz gebe, zu Beitragszahlern dieses Systems zu werden, was mit dem Grundsatz im Einklang stehe, wonach das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unberührt lasse, ihre sozialen Versorgungssysteme auszugestalten und deren Finanzierung und finanzielles Gleichgewicht nach freier Wahl zu gewährleisten.

134

Die ungarische Regierung macht ferner geltend, dass der Markt für Gutscheine wie die Erzsébet-Gutscheine kein grenzübergreifender Markt, sondern ein rein nationaler Markt sei, den es nur gebe, wenn der betreffende Mitgliedstaat ihn einrichte, da diese Gutscheine Anspruch auf einen Steuervorteil gewährten und deswegen nur im Rahmen der Steuerpolitik eines bestimmten Mitgliedstaats sinnvoll seien, so dass es dem Mitgliedstaat insbesondere freistehe, diese steuerpolitischen Instrumente selbst auszustellen oder diese Tätigkeit für den Wettbewerb zu öffnen.

135

Außerdem sei eine Analogie zu der Situation im Bereich der Glücksspieltätigkeiten unzulässig, da es im vorliegenden Fall keine Möglichkeit gebe, dass ein Aussteller mit Gutscheinen in den Markt eines bestimmten Mitgliedstaats eindringe, die im Rahmen des Steuerrechts eines anderen Mitgliedstaats ausgestellt und in Verkehr gebracht worden seien, und es folglich auch keine „analoge“ Tätigkeit gebe, die im erstgenannten Mitgliedstaat ausgeübt werde.

136

Hilfsweise macht die ungarische Regierung geltend, dass die Errichtung eines staatlichen Monopols aus zwingenden Gründen, die auf sozial-, lohn- und steuerpolitische Erwägungen gestützt seien, völlig gerechtfertigt sei.

137

Erstens gehöre es insoweit zur Sozialpolitik jedes Mitgliedstaats, die Art und Weise der Finanzierung von Sozialleistungen in seinem Hoheitsgebiet frei zu wählen. Im Gegensatz zu Spiel- und Wetttätigkeiten, die Gefahren der Abhängigkeit und des Betrugs mit sich brächten und deshalb kontrolliert und verringert werden müssten, gebe es bei der Ausstellung der Erzsébet-Gutscheine keinen triftigen Grund, zu verlangen, dass die Finanzierung der im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten nur eine nützliche Nebenfolge bleibe.

138

Da es zweitens jedem Mitgliedstaat freistehe, zu bestimmen, in welchem Ausmaß solche Gutscheine, die Anspruch auf einen Steuervorteil gäben, an Arbeitnehmer vergeben werden könnten und welchen Umfang dieser Vorteil haben könne, stehe es dem Mitgliedstaat auch frei, im Rahmen seiner Lohn- und Steuerpolitik die Ausstellung der Gutscheine sich selbst vorzubehalten.

139

Hinsichtlich der von der Kommission aufgezeigten und angeblich weniger wettbewerbsschädlichen Maßnahmen macht die ungarische Regierung geltend, dass, auch wenn ein von einem Mitgliedstaat verfolgtes und im Allgemeininteresse liegendes Ziel durch andere Maßnahmen, wie z. B. die Organisation der Tätigkeit auf marktwirtschaftlicher Grundlage und ihre Besteuerung, erreicht werden könne, der Gerichtshof in seinem Urteil Läärä u. a. (C‑124/97, EU:C:1999:435) bereits anerkannt habe, dass die Übertragung der fraglichen Tätigkeit an eine öffentlich-rechtliche Vereinigung, die verpflichtet sei, ihre gesamten Einnahmen für einen bestimmten Zweck zu verwenden, ein wirksameres Mittel zur Erreichung des verfolgten Ziels sei.

140

Zur angeblich fehlenden angemessenen Übergangsfrist macht die ungarische Regierung geltend, dass die Kommission ihre Behauptungen hinsichtlich der konkreten Folgen des Inkrafttretens der nationalen Bestimmungen über die Errichtung des angefochtenen Monopols für die betroffenen Marktteilnehmer nicht substantiiert habe. Ferner dürften Unternehmen in Bezug auf die Gewährung von Steuervorteilen nicht darauf hoffen, dass die geltende Regelung unverändert bleibe.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zur Zulässigkeit

141

Nach Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der dazu ergangenen Rechtsprechung muss die Klageschrift den Streitgegenstand, die vorgebrachten Klagegründe und Argumente sowie eine kurze Darstellung dieser Klagegründe enthalten. Diese Angaben müssen so klar und deutlich sein, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Folglich müssen sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben, und die Anträge in der Klageschrift müssen eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht (vgl. Urteil Parlament/Rat, C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142

Im vorliegenden Fall geht aus den Anträgen der Klageschrift und den darin dargelegten Argumenten hervor, dass die Kommission im Rahmen dieses Klagegrundes beantragt, festzustellen, dass die Art. 49 AEUV und 56 AEUV dadurch verletzt werden, dass die in der Klageschrift genannte nationale Regelung die Ausstellung von Gutscheinen, die es gestatten, eine Sachleistung in Form von verzehrfertigen Speisen zu steuerlich günstigen Bedingungen zu gewähren, einer nationalen öffentlichen Einrichtung als Monopol vorbehält und die Errichtung dieses Monopols ohne angemessene Übergangsmaßnahmen stattgefunden hat.

143

Was zunächst den Schreibfehler anbelangt, der dazu geführt hat, dass sich die Kommission in den Anträgen ihrer Klageschrift auf die §§ 1 und 5 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 bezogen hat, und der sie mittlerweile zur Einreichung einer Berichtigung veranlasst hat, ist festzustellen, dass er die ungarische Regierung hinsichtlich des Umfangs der vorliegenden Klage nicht in die Irre geführt hat, da sie selbst von vornherein in ihrer Klagebeantwortung darauf hingewiesen hat, dass dieser Punkt offenkundig dahin zu verstehen sei, dass er sich auf § 1 Abs. 5 dieses Gesetzes als die Bestimmung beziehe, mit der § 3 Nr. 87 des Einkommensteuergesetzes habe geändert werden sollen.

144

Was sodann § 477 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 und § 7 des Erzsébet-Gesetzes anbelangt, lässt sich der Umstand, dass die Kommission in ihren Anträgen diese Paragrafen genannt hat, leicht dadurch erklären, dass sich diese Paragrafen auf das Datum des Inkrafttretens der streitigen nationalen Bestimmungen beziehen, die von der Kommission, wie bereits erwähnt, insbesondere deshalb beanstandet worden sind, weil sie keine angemessenen Übergangsmaßnahmen enthielten.

145

Wie schließlich sowohl aus dem Wortlaut der Anträge der Klageschrift als auch aus der Begründung der Klageschrift hervorgeht, werden § 2 Abs. 1 und 2 und § 6 des Erzsébet-Gesetzes wie auch § 1 Abs. 5 des Gesetzes Nr. CLVI vom 21. November 2011 nur insoweit genannt, als ausweislich dieser nationalen Bestimmungen der MNÜA ein Monopol für die Ausstellung von Gutscheinen eingeräumt wird, mittels deren der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine Sachleistung in Form von Gutscheinen für den Erwerb verzehrfertiger Speisen zu steuerlich günstigen Bedingungen gewähren kann.

146

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Klageschrift den in Rn. 141 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen genügt, so dass die von der ungarischen Regierung erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen ist.

– Zur Begründetheit

147

Es ist erstens zu klären, ob die von der vorliegenden Klage betroffene Ausstellung von Gutscheinen in den Anwendungsbereich der Art. 49 AEUV und 56 AEUV fällt oder diesem, wie die ungarische Regierung geltend macht, entzogen ist, weil sie keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt.

148

Das Ziel der durch Art. 49 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit besteht darin, es den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats zu erlauben, in einem anderen Mitgliedstaat eine Zweitniederlassung zu gründen, um dort ihren Tätigkeiten nachzugehen, und so die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Erwerbstätigkeit innerhalb der Union zu fördern. Zu diesem Zweck will die Niederlassungsfreiheit es den Staatsangehörigen der Union ermöglichen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen ihrer Herkunft teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, indem sie eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit tatsächlich ausüben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 53 und 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

149

Nach der Rechtsprechung kann eine solche wirtschaftliche Tätigkeit jede Tätigkeit sein, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen anzubieten (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Pavlov u. a., C‑180/98 bis C‑184/98, EU:C:2000:428, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

150

Der von Art. 56 AEUV garantierte freie Dienstleistungsverkehr erfasst alle Dienstleistungen, die nicht in stabiler und kontinuierlicher Weise von einem Berufsdomizil im Empfängermitgliedstaat aus angeboten werden (vgl. u. a. Urteile Gebhard, C‑55/94, EU:C:1995:411, Rn. 22, und Kommission/Portugal, C‑171/02, EU:C:2004:270, Rn. 25).

151

Nach Art. 57 AEUV sind Dienstleistungen im Sinne der Verträge Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Sie umfassen nach diesem Artikel insbesondere kaufmännische Tätigkeiten.

152

Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, darf dieser Begriff der Dienstleistung nicht einschränkend ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Deliège, C‑51/96 und C‑191/97, EU:C:2000:199, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

153

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs impliziert dieser Begriff Leistungen, „die normalerweise gegen Entgelt erbracht werden“, wobei das Wesensmerkmal des Entgelts darin besteht, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt (vgl. u. a. Urteil Jundt, C‑281/06, EU:C:2007:816, Rn. 28 und 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

154

Ausschlaggebend dafür, dass eine Tätigkeit in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr und infolgedessen derjenigen über die Niederlassungsfreiheit fällt, ist ihr wirtschaftlicher Charakter, d. h., dass sie nicht ohne Gegenleistung erbracht werden darf. Dagegen ist insoweit, anders als die ungarische Regierung vorträgt, nicht erforderlich, dass der Leistungserbringer mit Gewinnerzielungsabsicht handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil Jundt, C‑281/06, EU:C:2007:816, Rn. 32 und 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

155

Außerdem kommt es nicht darauf an, wer den Dienstleistungserbringer für die genannte Dienstleistung vergütet. Art. 57 AEUV verlangt nämlich nicht, dass die erbrachte Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugutekommt (vgl. u. a. Urteil OSA, C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

156

Hinsichtlich der in der vorliegenden Rechtssache fraglichen Tätigkeit der Ausstellung und Verwaltung von Erzsébet-Gutscheinen steht fest, dass die von der MNÜA erbrachte Leistung, die den Arbeitgebern, ihren Arbeitnehmern und den diese Gutscheine akzeptierenden Anbietern gemeinsam zugutekommt, zur Zahlung einer wirtschaftlichen Gegenleistung an die MNÜA führt, die für diese Entgeltcharakter aufweist (vgl. entsprechend Urteil Danner, C‑136/00, EU:C:2002:558, Rn. 27).

157

Hinsichtlich des Umstands, dass die mit dieser Tätigkeit erzielten Gewinne der MNÜA nach der nationalen Regelung ausschließlich für bestimmte im Allgemeininteresse liegende Ziele verwendet werden müssen, ist darauf hinzuweisen, dass er nicht dafür ausreichend sein kann, die Natur der betreffenden Tätigkeit zu ändern und ihr den wirtschaftlichen Charakter zu nehmen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Schindler, C‑275/92, EU:C:1994:119, Rn. 35).

158

Hinsichtlich der im Urteil Cisal (C‑218/00, EU:C:2002:36) zum Ausdruck kommenden und im Bereich des Wettbewerbsrechts entwickelten Rechtsprechung genügt die Feststellung, dass selbst unter der Annahme, dass sie im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit anwendbar sein sollte, die ungarische Regierung nicht dargetan hat, dass mit der Tätigkeit der Ausstellung von Erzsébet-Gutscheinen, um die es in der vorliegenden Klage geht, der Grundsatz der Solidarität umgesetzt wird, wie insbesondere von dieser Rechtsprechung verlangt wird, damit eine soziale und keine wirtschaftliche Tätigkeit festgestellt werden kann.

159

Zum einen ist nämlich festzustellen, dass, wie die Kommission geltend gemacht und der Generalanwalt in Nr. 207 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Entscheidung, Arbeitnehmern Erzsébet-Gutscheine, mit denen die Arbeitnehmer Sachleistungen in Form von verzehrfertigen Speisen erhalten können, zu gewähren oder nicht zu gewähren, und die Festlegung des Betrags dieser Gutscheine dem Arbeitgeber überlassen sind und in keiner Weise von der persönlichen, insbesondere finanziellen Situation der betreffenden Arbeitnehmer abhängen.

160

Was zum anderen den von der ungarischen Regierung angeführten Umstand anbelangt, dass ebenfalls als „Erzsébet“ bezeichnete Gutscheine auch direkt von der MNÜA als Sozialhilfe an bestimmte benachteiligte Personen vergeben werden können, um insbesondere Ferien zu finanzieren, ist – sollte dies erwiesen sein – festzustellen, dass er sich nicht auf die wirtschaftliche Einstufung der von der Klage der Kommission konkret betroffenen Tätigkeit der Ausstellung von Erzsébet-Gutscheinen auswirkt, nämlich – wie vorstehend ausgeführt – der Tätigkeit der Ausstellung von Gutscheinen, die den Erwerb von verzehrfertigen Speisen ermöglichen und von Arbeitgebern ihren Arbeitnehmern zu steuerlich günstigen Bedingungen als Sachleistungen gewährt werden können.

161

Zum steuerlichen Aspekt ist hinzuzufügen, dass der Umstand, dass die Empfänger der betreffenden Dienstleistung eine Steuervergünstigung erhalten, nichts daran ändert, dass diese Dienstleistung vom Aussteller gegen Entgelt erbracht wird, so dass diese Tätigkeit, die somit der in den Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr enthaltenen Definition der Dienstleistung entspricht, unter diese Vorschriften fällt (vgl. in diesem Sinne Urteile Skandia und Ramstedt, C‑422/01, EU:C:2003:380, Rn. 22 bis 28, und Kommission/Deutschland, C‑318/05, EU:C:2007:495, Rn. 65 bis 82).

162

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass eine Tätigkeit wie die von der Klage betroffene Ausstellung von Erzsébet-Gutscheinen als eine „Dienstleistung“ im Sinne von Art. 57 AEUV und allgemeiner als eine wirtschaftliche Tätigkeit zu betrachten ist, die in den Anwendungsbereich der Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit fällt.

163

Was zweitens das Vorbringen der ungarischen Regierung anbelangt, dass die Ausstellung von Gutscheinen, die allein nach dem Steuerrecht des Aufnahmemitgliedstaats zu einer Sachleistung führten, nicht mit der Tätigkeit vergleichbar sei, die in den übrigen Mitgliedstaaten von dort ansässigen Ausstellern ausgeübt werde, so dass sich diese Aussteller nicht auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen könnten, genügt der Hinweis, dass das einem Wirtschaftsteilnehmer, der in einem Mitgliedstaat ansässig ist, durch Art. 56 AEUV gewährleistete Recht, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu erbringen, nicht davon abhängig ist, dass er entsprechende Dienstleistungen auch in dem Mitgliedstaat erbringt, in dem er ansässig ist. Art. 56 AEUV verlangt insoweit nur, dass der Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Leistungsempfänger (vgl. u. a. Urteil Carmen Media Group, C‑46/08, EU:C:2010:505, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

164

Drittens steht fest, dass eine nationale Regelung wie die in Rede stehende, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit einer Sonderregelung zugunsten eines einzigen öffentlichen oder privaten Marktteilnehmers unterwirft, eine Beschränkung sowohl der Niederlassungsfreiheit als auch des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Läärä u. a., C‑124/97, EU:C:1999:435, Rn. 29, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, C‑451/03, EU:C:2006:208, Rn. 33 und 34, sowie Stoß u. a., C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07, EU:C:2010:504, Rn. 68 und 107).

165

Viertens ist jedoch die Prüfung erforderlich, ob diese Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit im vorliegenden Fall, wie die ungarische Regierung geltend macht, entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Stoß u. a., C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07, EU:C:2010:504, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

166

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs können solche Beschränkungen nämlich nur gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, wenn sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten und im Allgemeininteresse liegenden Ziels zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das zur Erreichung dieses Zieles Erforderliche hinausgehen (vgl. u. a. Urteile Läärä u. a., C‑124/97, EU:C:1999:435, Rn. 31, und OSA, C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 70).

167

Was zum einen die von der ungarischen Regierung angeführten und auf sozialpolitische Erwägungen gestützten Rechtfertigungen anbelangt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach einer vom Gerichtshof im Spiel- und Wettbereich entwickelten ständigen Rechtsprechung der bloße Umstand, dass die sich aus einer im Rahmen von besonderen oder Ausschließlichkeitsrechten ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit ergebenden Gewinne zur Finanzierung sozialer Tätigkeiten oder Werke verwendet werden, keinen Grund darstellt, der als eine sachliche Rechtfertigung von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Läärä u. a., C‑124/97, EU:C:1999:435, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung, Zenatti, C‑67/98, EU:C:1999:514, Rn. 36, sowie Stoß u. a., C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07, EU:C:2010:504, Rn. 104).

168

So hat der Gerichtshof zwar im speziellen Zusammenhang der Spiel- und Wetttätigkeiten anerkannt, dass die Errichtung eines Monopols für eine öffentliche Einrichtung, der u. a. die Aufgabe der Finanzierung sozialer Tätigkeiten oder Werke anvertraut ist, gerechtfertigt sein kann, doch ergibt sich aus seiner Rechtsprechung, dass dies nur im Hinblick auf eine bestimmte Anzahl zwingender Gründe des Allgemeininteresses der Fall war, wie u. a. die Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung, der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen und der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen, und in Anbetracht bestimmter sittlicher, religiöser oder kultureller Besonderheiten der betreffenden Tätigkeit (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Läärä u. a., C‑124/97, EU:C:1999:435, Rn. 41 und 42, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C‑42/07, EU:C:2009:519, Rn. 66, 67 und 72, sowie Stoß u. a., C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07, EU:C:2010:504, Rn. 79 und 81 bis 83).

169

Hinsichtlich einer Tätigkeit wie derjenigen, um die es in der vorliegenden Klage geht, ist jedoch festzustellen, dass vergleichbare Ziele und Besonderheiten fehlen.

170

Was sodann das von der ungarischen Regierung ebenfalls angeführte Argument anbelangt, dass mangels verfügbarer Haushaltsmittel die Errichtung des streitigen Monopols die einzige Möglichkeit gewesen sei, den sozialen Auftrag der MNÜA erfolgreich durchzuführen, ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Einnahmen des Inhabers eines Monopols die Finanzierungsquelle von Sozialprogrammen sind, es nicht rechtfertigt, die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken.

171

Was zum anderen das Vorbringen der ungarischen Regierung anbelangt, dass es einem Mitgliedstaat freistehe, aufgrund seiner Lohn- und Steuerpolitik ein Monopol wie das in Rede stehende zu errichten, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse im Bereich der direkten Steuern unter Wahrung des Unionsrechts, insbesondere der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten, ausüben müssen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Skandia und Ramstedt, C‑422/01, EU:C:2003:380, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Gleiches gilt für die Politik, die die Mitgliedstaaten im Bereich der Beschäftigung, insbesondere im Bereich des Arbeitsentgelts, verfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteile Portugaia Construções, C‑164/99, EU:C:2002:40, Rn. 24, Kommission/Deutschland, C‑341/02, EU:C:2005:220, Rn. 24, sowie ITC, C‑208/05, EU:C:2007:16, Rn. 39 bis 41).

172

Im vorliegenden Fall hat die ungarische Regierung, die sich auf ihre Befugnisse in den Bereichen des Steuerwesens und des Arbeitsentgelts berufen hat, jedoch weder dargelegt, inwiefern hier die Errichtung eines öffentlichen Monopols für die Ausstellung von Gutscheinen, die Anspruch auf einen Steuervorteil geben und Arbeitnehmern als Sachleistungen gewährt werden können, legitimen Zielen entspricht, die die durch eine solche Maßnahme hervorgerufenen Beschränkungen der vom Unionsrecht garantierten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gegebenenfalls rechtfertigen können, noch aufgezeigt, inwiefern solche Beschränkungen die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfüllen.

173

Nach alledem greift auch die Rüge durch, der zufolge es gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV verstößt, dass die Tätigkeit der Ausstellung von Gutscheinen, die den Erwerb von verzehrfertigen Speisen ermöglichen und die Arbeitnehmern zu steuerlich günstigen Bedingungen als Sachleistungen gewährt werden können, einer Monopolregelung unterworfen wird.

174

Da somit schon die Errichtung dieses Monopols als Verstoß gegen die genannten Bestimmungen des Vertrags anzusehen ist, braucht über die zweite Rüge der Kommission nicht entschieden zu werden, die im Wesentlichen darauf gestützt ist, dass dieses Monopol, selbst wenn es grundsätzlich zulässig sein sollte, unter Verstoß gegen dieselben Bestimmungen und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ohne angemessene Übergangsmaßnahmen in Kraft getreten ist.

Kosten

175

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Ungarn mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Ungarn hat mit der Einführung und der Beibehaltung des Systems der Széchenyi-Freizeitkarte, das in der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 vom 12. April 2011 zur Regelung der Ausstellung und Verwendung der Széchenyi-Freizeitkarte vorgesehen und mit dem Gesetz Nr. CLVI vom 21. November 2011 zur Änderung bestimmter Steuergesetze und weiterer damit zusammenhängender Gesetze geändert wurde, insoweit gegen die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßen, als

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Buchst. d des Gesetzes Nr. XCVI von 1993 über freiwillige Versicherungskassen auf Gegenseitigkeit, mit § 2 Buchst. b des Gesetzes Nr. CXXXII von 1997 über Zweigniederlassungen und Handelsvertretungen der Unternehmen mit Sitz im Ausland sowie mit den §§ 1, 2 Abs. 1 und 2, 55 Abs. 1 und 3 und 64 Abs. 1 des Gesetzes Nr. IV von 2006 über Handelsgesellschaften ausschließt, dass Zweigniederlassungen von Gesellschaften die SZÉP-Karte ausstellen, und infolgedessen gegen Art. 14 Nr. 3 der Richtlinie verstößt;

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit diesen nationalen Bestimmungen, der im Hinblick auf die in § 13 Buchst. a bis c der Regierungsverordnung vorgesehenen Bedingungen die Tätigkeit von Unternehmensgruppen nicht anerkennt, wenn deren Muttergesellschaft keine nach ungarischem Recht errichtete Gesellschaft ist und die der Gruppe angehörenden Unternehmen nicht in der Form von Gesellschaften ungarischen Rechts tätig sind, gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. b und 3 der Richtlinie verstößt;

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 in Verbindung mit diesen nationalen Bestimmungen, der die Möglichkeit der Ausstellung der Széchenyi-Freizeitkarte Banken und Finanzinstituten vorbehält, weil nur diese Einrichtungen in der Lage sind, die in diesem § 13 aufgestellten Bedingungen zu erfüllen, gegen Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. d und 3 der Richtlinie verstößt;

§ 13 der Regierungsverordnung Nr. 55/2011 insoweit gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123 verstößt, als er für die Ausstellung der Széchenyi-Freizeitkarte eine Niederlassung in Ungarn vorschreibt.

 

2.

Das durch das Gesetz Nr. CLVI vom 21. November 2011 und durch das Gesetz Nr. CIII vom 6. Juli 2012 über das Erzsébet-Programm geregelte System der Erzsébet-Gutscheine verstößt insoweit gegen die Art. 49 AEUV und 56 AEUV, als diese nationale Regelung für die Ausstellung von Gutscheinen zum Bezug von Kaltverpflegung, die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern als Sachleistungen zu steuerlich günstigen Bedingungen gewähren können, ein Monopol zugunsten öffentlicher Einrichtungen errichtet.

 

3.

Ungarn trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.