13.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 218/21


VERORDNUNG (EG) Nr. 764/2008 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

vom 9. Juli 2008

zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 3052/95/EG

(Text von Bedeutung für den EWR)

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 37 und 95,

auf Vorschlag der Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (1),

nach Anhörung des Ausschusses der Regionen,

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags (2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Der Binnenmarkt ist ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Warenverkehr durch den EG-Vertrag gewährleistet ist, der Maßnahmen verbietet, die die gleiche Wirkung haben wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen. Das Verbot erfasst alle nationalen Maßnahmen, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Warenhandel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.

(2)

In Ermangelung harmonisierter Rechtsvorschriften kann es geschehen, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unzulässige Hindernisse für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten errichten, wenn sie auf Produkte, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, technische Vorschriften mit Merkmalen anwenden, die diese Produkte besitzen müssen; dazu gehören auch Vorschriften in Bezug auf Bezeichnung, Form, Größe, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung und Verpackung der betreffenden Produkte. Die Anwendung solcher Vorschriften auf Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, kann gegen die Artikel 28 und 30 des Vertrags verstoßen, selbst dann, wenn sie unterschiedslos für alle einschlägigen Produkte gelten.

(3)

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ableitet, stellt eines der Mittel dar, die den freien Warenverkehr im Binnenmarkt gewährleisten. Er wird auf Produkte angewendet, die nicht den Harmonisierungsvorschriften der Gemeinschaft unterliegen oder auf Produktaspekte, die nicht in den Anwendungsbereich solcher Vorschriften fallen. Dieser Grundsatz besagt, dass ein Mitgliedstaat auf seinem Hoheitsgebiet den Verkauf von Produkten, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, auch dann nicht verbieten darf, wenn bei der Erzeugung dieser Produkte technische Vorschriften zur Anwendung kamen, die sich von denen unterscheiden, die bei einheimischen Produkten eingehalten werden müssen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur bei Beschränkungen möglich, die ihre Rechtfertigung in Artikel 30 EG-Vertrag oder in anderen übergeordneten Gründen des Allgemeininteresses finden und die überdies in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen.

(4)

Bei der richtigen Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung durch die Mitgliedstaaten bestehen noch zahlreiche Probleme. Es sind deshalb Verfahren notwendig, die die Gefahr minimieren, dass technische Vorschriften rechtswidrige Hindernisse für den freien Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten nach sich ziehen. Das Fehlen solcher Verfahren in den Mitgliedstaaten behindert den freien Warenverkehr zusätzlich, denn es schreckt Unternehmen davon ab, ihre Erzeugnisse, die sie in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht haben, auch in dem Mitgliedstaat anzubieten, der technische Vorschriften auf diese anwendet. Umfragen haben gezeigt, dass viele, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), entweder ihre Erzeugnisse anpassen, damit sie die technischen Vorschriften von Mitgliedstaaten erfüllen, oder ganz darauf verzichten, sie in diesen Mitgliedstaaten anzubieten.

(5)

Den zuständigen Behörden fehlen im Übrigen geeignete Verfahren für die Anwendung ihrer technischen Vorschriften auf bestimmte Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind. Dies beeinträchtigt die Fähigkeit dieser Behörden, die Konformität von Erzeugnissen im Einklang mit den Bestimmungen des Vertrags zu beurteilen.

(6)

In seiner Entschließung vom 28. Oktober 1999 zur gegenseitigen Anerkennung (3) wies der Rat darauf hin, dass Wirtschaftsakteure und Bürger nicht immer erschöpfend und korrekt von der gegenseitigen Anerkennung Gebrauch machten, da ihnen der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und die damit verbundenen praktischen Auswirkungen nicht genügend bekannt seien. Er forderte die Mitgliedstaaten auf, geeignete Maßnahmen auszuarbeiten, damit Wirtschaftsakteuren und Bürgern ein wirkungsvoller Rahmen für die gegenseitige Anerkennung geboten werde, der unter anderem eine effiziente Bearbeitung ihrer Anträge und die zügige Beantwortung dieser Anträge gewährleiste.

(7)

Auf seiner Tagung vom 8. und 9. März 2007 hat der Europäische Rat dazu aufgerufen, dem Binnenmarkt für Waren durch Stärkung der gegenseitigen Anerkennung neuen Schwung zu geben und dabei ein hohes Sicherheits- und Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Auf seiner Tagung vom 21. und 22. Juni 2007 hat er hervorgehoben, dass die weitere Stärkung der vier Freiheiten des Binnenmarkts (freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) und die Verbesserung seines Funktionierens nach wie vor von größter Bedeutung für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung sind.

(8)

Ein reibungslos funktionierender Binnenmarkt für Waren braucht angemessene und transparente Verfahren zur Lösung der Probleme, die daraus resultieren, dass technische Vorschriften eines Mitgliedstaats auf bestimmte Erzeugnisse angewandt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat bereits rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind.

(9)

Diese Verordnung sollte einer etwaigen weiteren Harmonisierung technischer Vorschriften zur Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarkts nicht im Wege stehen.

(10)

Zu Handelsbeschränkungen kann es auch infolge anderer Maßnahmen kommen, die in den Anwendungsbereich von Artikel 28 und 30 des Vertrags fallen. Zu diesen Maßnahmen können beispielsweise technische Spezifikationen für öffentliche Vergabeverfahren oder Verpflichtungen zum Gebrauch der Amtssprachen in den Mitgliedstaaten zählen. Bei diesen Maßnahmen sollte es sich jedoch nicht um technische Vorschriften im Sinne dieser Verordnung handeln; sie sollten deshalb nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.

(11)

Technische Vorschriften im Sinne dieser Verordnung kommen bisweilen im Rahmen obligatorischer Vorabgenehmigungsverfahren zur Anwendung, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erlassen werden und festlegen, dass die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats zunächst auf Antrag eine förmliche Genehmigung erteilt haben sollte, ehe ein Produkt oder Produkttyp in diesem Mitgliedstaat oder einem Teil desselben in den Verkehr gebracht werden kann. Das Bestehen solcher Verfahren an sich behindert den freien Warenverkehr. Um nach dem Grundsatz des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt gerechtfertigt zu sein, sollte ein obligatorisches Vorabgenehmigungsverfahren deshalb ein vom Gemeinschaftsrecht anerkanntes Ziel des öffentlichen Interesses verfolgen, nicht zu Diskriminierungen führen und verhältnismäßig sein; das bedeutet, es sollte dazu geeignet sein, das Erreichen des verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne dabei über das dazu erforderliche Maß hinauszugehen. Ob bei einem solchen Verfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird, sollte anhand der in der Rechtsprechung des Gerichtshofes angeführten Erwägungen bewertet werden.

(12)

Ein Erfordernis der Vorabgenehmigung für das Inverkehrbringen eines Produkts sollte als solches keine technische Vorschrift im Sinne dieser Verordnung darstellen, so dass eine Entscheidung, ein Erzeugnis allein mit der Begründung vom Markt auszuschließen oder vom Markt zu nehmen, dass es über keine gültige Vorabgenehmigung verfügt, keine Entscheidung darstellen sollte, auf die diese Verordnung anwendbar ist. Wird jedoch solch eine zwingende Vorabgenehmigung eines Erzeugnisses beantragt, so sollten bei jeder beabsichtigten Entscheidung zur Ablehnung des Antrags aufgrund einer technischen Vorschrift die Bestimmungen dieser Verordnung zum Tragen kommen, so dass der Antragsteller in den Genuss des Verfahrensschutzes dieser Verordnung kommen könnte.

(13)

Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Gerichtsbarkeit über die Rechtmäßigkeit von Fällen, in denen Produkten, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, aufgrund einer technischen Vorschrift der Zugang zum Markt eines anderen Mitgliedstaats verwehrt wird, oder in denen Sanktionen verhängt werden, sollten vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen werden.

(14)

Waffen sind Erzeugnisse, die für die Gesundheit und die Sicherheit von Menschen und für die öffentliche Sicherheit der Mitgliedstaaten eine ernsthafte Gefahr darstellen können. Mehrere spezifische Waffentypen, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden, können im Interesse des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit des Menschen und der Kriminalitätsprävention in einem anderen Mitgliedstaat restriktiven Maßnahmen unterliegen. Solche Maßnahmen können in spezifischen Kontrollen und Genehmigungen bestehen, die greifen, bevor Waffen, die zunächst in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden, dann auch auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaats in den Verkehr gebracht werden. Es sollte den Mitgliedstaaten daher gestattet werden, zu verhindern, dass Waffen auf ihrem heimischen Markt in den Verkehr gebracht werden, bevor ihre nationalen Verfahrensanforderungen in vollem Umfang erfüllt sind.

(15)

Nach der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit (4) dürfen nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht werden; gleichzeitig werden in der Richtlinie die Verpflichtungen festgelegt, denen die Hersteller und Händler im Hinblick auf die Sicherheit der Produkte unterliegen. Die Richtlinie erlaubt den Behörden, alle gefährlichen Erzeugnisse unmittelbar zu verbieten oder alle potenziell gefährlichen Erzeugnisse so lange zu verbieten, bis die verschiedenen Sicherheitsbewertungen, Prüfungen und Kontrollen abgeschlossen sind. Sie erlaubt den Behörden ferner, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um unverzüglich geeignete Maßnahmen entsprechend denen im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstaben b bis f der Richtlinie zu ergreifen, wenn von Produkten eine ernste Gefahr ausgeht. Deshalb sollten Maßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die sich auf die nationalen Umsetzungsvorschriften des Artikels 8 Absatz 1 Buchstaben d bis f und des Artikels 8 Absatz 3 jener Richtlinie stützen, vom Geltungsbereich der vorliegenden Verordnung ausgenommen werden.

(16)

Mit der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (5) wurde unter anderem ein Schnellwarnsystem für von Lebensmitteln oder Futtermitteln ausgehende unmittelbare oder mittelbare Gefahren für die menschliche Gesundheit eingeführt. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, der Kommission über das Schnellwarnsystem unverzüglich alle von ihnen ergriffenen Maßnahmen zur Beschränkung des Inverkehrbringens von Lebensmitteln oder Futtermitteln oder zu ihrer Marktrücknahme oder ihres Rückrufs zu melden, falls der Schutz der menschlichen Gesundheit rasches Handeln erfordert. Deshalb sollten Maßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 50 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 54 jener Verordnung vom Anwendungsbereich der vorliegenden Verordnung ausgenommen werden.

(17)

Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Futtermittel- und Lebensmittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (6) enthält allgemeine Regeln für die Durchführung amtlicher Kontrollen, mit denen überprüft werden soll, ob Bestimmungen eingehalten werden, die insbesondere darauf abzielen, unmittelbar oder über die Umwelt auftretende Risiken für Mensch und Tier zu vermeiden, zu beseitigen oder auf ein annehmbares Maß zu senken, die ferner lautere Gepflogenheiten im Futtermittel- und Lebensmittelhandel gewährleisten und die den Verbraucherschutz, einschließlich der Kennzeichnung von Futtermitteln und Lebensmitteln und sonstiger Formen der Verbraucherinformation, sicherstellen sollen. Sie legt ein besonderes Verfahren fest, das gewährleisten soll, dass die betreffenden Unternehmen Verstöße gegen das Futtermittel- und Lebensmittelrecht sowie das Veterinär- und Tierschutzrecht abstellen. Deshalb sollten Maßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Artikel 54 jener Verordnung vom Geltungsbereich der vorliegenden Verordnung ausgenommen werden. Maßnahmen, die von den zuständigen Behörden auf der Grundlage nationaler technischer Vorschriften eingeleitet wurden oder eingeleitet werden sollen, ohne dass die Ziele der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 hiervon betroffen sind, sollten jedoch in den Geltungsbereich der vorliegenden Verordnung fallen.

(18)

Die Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit) (7) sieht ein Zulassungsverfahren für die Inbetriebnahme von in Betrieb befindlichen Fahrzeugen vor, das Raum für die Anwendung bestimmter nationaler Vorschriften lässt. Maßnahmen der zuständigen Behörden gemäß Artikel 14 jener Richtlinie sollten daher vom Anwendungsbereich der vorliegenden Verordnung ausgenommen werden.

(19)

Die Richtlinie 96/48/EG des Rates vom 23. Juli 1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems (8) und die Richtlinie 2001/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems (9) sehen die stufenweise Harmonisierung der Bahnsysteme und des Betriebs durch die schrittweise Verabschiedung technischer Spezifikationen für die Interoperabilität vor. Systeme und Interoperabilitätskomponenten, die in den Anwendungsbereich der genannten Richtlinien fallen, sollten daher vom Anwendungsbereich der vorliegenden Verordnung ausgenommen werden.

(20)

Mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Produkten (10) wird ein System der Akkreditierung eingeführt, das die gegenseitige Anerkennung der Befugnisse der Konformitätsbewertungsstellen sicherstellt. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sollten deshalb nicht länger Prüfberichten und Bescheinigungen einer akkreditierten Konformitätsbewertungsstelle aus befugnisbezogenen Gründen die Anerkennung verweigern. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht auch Prüfberichte und Bescheinigungen anderer Konformitätsbewertungsstellen anerkennen.

(21)

Nach der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (11) müssen die Mitgliedstaaten der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten jeden Entwurf einer technischen Vorschrift für gewerblich hergestellte Erzeugnisse, einschließlich landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Fischprodukte, übermitteln und die Gründe mitteilen, die die Festlegung dieser Vorschrift erforderlich machen. Nach Erlass einer solchen technischen Vorschrift muss jedoch sichergestellt werden, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in Einzelfällen korrekt auf spezifische Erzeugnisse angewandt wird. Mit der vorliegenden Verordnung wird ein Verfahren für die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in Einzelfällen eingeführt, bei dem die zuständigen Behörden die technischen oder wissenschaftlichen Gründe angeben müssen, aus denen dem betreffenden Erzeugnis in seiner gegenwärtigen Form der Zugang zum nationalen Markt im Einklang mit den Artikeln 28 und 30 des Vertrags nicht gewährt werden kann. Im Rahmen dieser Verordnung sollte der Ausdruck „Beleg“ nicht als rechtlicher Beweis verstanden werden. Ferner sind die Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Verordnung nicht verpflichtet, die technische Vorschrift an sich zu rechtfertigen. Sie sollten nach dieser Verordnung jedoch die mögliche Anwendung technischer Vorschriften auf ein Produkt, das in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde, begründen.

(22)

Im Einklang mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte mit dem Verfahren nach dieser Verordnung vorgesehen werden, dass die zuständigen Behörden dem Wirtschaftsteilnehmer auf der Grundlage der einschlägigen technischen oder wissenschaftlichen Erkenntnisse im Einzelfall mitteilen, dass es für die nationalen technischen Vorschriften, die dem Produkt oder Produkttyp auferlegt werden, zwingende Gründe des Allgemeininteresses gibt und dass weniger restriktive Maßnahmen nicht angewandt werden können. Der Wirtschaftsteilnehmer sollte anhand der schriftlichen Mitteilung zu allen relevanten Aspekten der beabsichtigten Entscheidung, den Marktzugang zu beschränken, Stellung nehmen können. Es steht der zuständigen Behörde frei, tätig zu werden, nachdem die dem Wirtschaftsteilnehmer gesetzte Frist abgelaufen ist, ohne dass dieser geantwortet hat.

(23)

Bei dem Begriff der „übergeordneten Gründe des Allgemeininteresses“, auf den in einigen Bestimmungen dieser Verordnung Bezug genommen wird, handelt es sich um einen in der Entwicklung befindlichen Begriff, den der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung im Zusammenhang mit den Artikeln 28 und 30 des Vertrags entwickelt hat. Dieser Begriff bezieht sich unter anderem auf die Wirksamkeit der Steueraufsicht, den redlichen Handelsverkehr, den Verbraucherschutz, den Umweltschutz, die Wahrung der Pressevielfalt und das Risiko einer ernsten Untergrabung des finanziellen Gleichgewichts des Sozialversicherungssystems. Derartige übergeordnete Gründe des Allgemeininteresses können die Anwendung technischer Vorschriften durch die zuständigen Behörden rechtfertigen. Eine solche Anwendung darf aber nicht ein Mittel willkürlicher Diskriminierung oder eine versteckte Handelsbeschränkung zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Außerdem sollte immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, wenn geprüft wird, ob die zuständigen Behörden auch wirklich die am wenigsten restriktive Maßnahme gewählt haben.

(24)

Bei der Anwendung des Verfahrens nach dieser Verordnung sollte keine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats ein Produkt oder einen Produkttyp, das bzw. der in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist, vom Markt nehmen oder das Inverkehrbringen auf seinem Markt beschränken. Die zuständige Behörde kann zweckmäßigerweise allerdings vorläufige Maßnahmen ergreifen, wenn ein rasches Eingreifen erforderlich ist, um die Sicherheit und Gesundheit der Benutzer zu schützen. Solche vorläufigen Maßnahmen können von der zuständigen Behörde auch ergriffen werden, um das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses, dessen Inverkehrbringen aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit oder der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Kriminalitätsprävention, generell verboten ist, zu verhindern. Die Mitgliedstaaten sollten daher in jeder Phase des Verfahrens nach dieser Verordnung das Inverkehrbringen von Produkten oder Produkttypen in ihrem Hoheitsgebiet unter diesen Gegebenheiten zeitweilig untersagen können.

(25)

Jede Entscheidung, auf die diese Verordnung anwendbar ist, sollte eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, damit Wirtschaftsteilnehmer das zuständige Gericht des Mitgliedstaats anrufen können.

(26)

Die Wirtschaftsteilnehmer sollten ferner über die zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Problemlösungsmechanismen wie das SOLVIT-Netz informiert werden, damit Rechtsunsicherheit und das Anfallen von Kosten für die Rechtsverfolgung vermieden werden.

(27)

Hat eine zuständige Behörde die Entscheidung getroffen, ein Produkt wegen einer technischen Vorschrift gemäß den Verfahrensanforderungen dieser Verordnung vom Markt zu nehmen, so sollte in Bezug auf dieses Produkt jedes weitere Vorgehen, das auf diese Entscheidung und auf die gleiche technische Vorschrift gestützt ist, nicht den Bestimmungen dieser Verordnung unterliegen.

(28)

Der Binnenmarkt für Waren ist darauf angewiesen, dass der Zugang zu technischen Vorschriften der Mitgliedstaaten gewährleistet ist, so dass sich die Wirtschaft, und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, ein genaues und zuverlässiges Bild von der Rechtslage verschaffen können.

(29)

Es ist daher notwendig, Grundsätze der Verwaltungsvereinfachung umzusetzen, unter anderem durch Einführung eines Systems von Produktinfostellen. Dieses sollte so ausgelegt sein, dass für Unternehmen ein transparenter und korrekter Informationszugriff gewährleistet ist, damit sich Verzögerungen, Kosten und Abschreckungseffekte aufgrund nationaler technischer Vorschriften vermeiden lassen.

(30)

Zwecks Erleichterung des freien Warenverkehrs sollten die Produktinfostellen kostenlos Informationen über ihre nationalen technischen Vorschriften und über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Produkte bereitstellen. Die Produktinfostellen sollten über die geeignete Ausrüstung und die geeigneten Ressourcen verfügen und dazu angehalten werden, die Informationen auch auf einer Website und in anderen Gemeinschaftssprachen zur Verfügung zu stellen. Die Produktinfostellen könnten den Wirtschaftsteilnehmern während des Verfahrens nach dieser Verordnung ferner zusätzliche Informationen oder Bemerkungen zur Verfügung stellen. Für sonstige Informationen können die Produktinfostellen Gebühren erheben; diese müssen im Verhältnis zu den beim Erteilen dieser Informationen anfallenden Kosten stehen.

(31)

Die Einrichtung dieser Stellen sollte die Aufteilung der behördlichen Zuständigkeiten innerhalb der Regelungssysteme der Mitgliedstaaten unberührt lassen; deshalb sollten die Mitgliedstaaten Produktinfostellen entsprechend der regionalen oder lokalen Zuständigkeitsverteilung einrichten können. Die Mitgliedstaaten sollten bestehende Infostellen, die gemäß anderen Gemeinschaftsinstrumenten errichtet wurden, mit der Funktion der Produktinfostellen betrauen können, damit nicht unnötig viele Infostellen errichtet, sondern damit Verwaltungsverfahren vereinfacht werden. Ferner sollten die Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, nicht nur bestehende Dienststellen der öffentlichen Verwaltung mit der Funktion der Produktinfostellen zu betrauen, sondern auch nationale SOLVIT-Zentren, Handelskammern, Berufsverbände und private Einrichtungen, damit keine zusätzlichen Verwaltungskosten für die Unternehmen und die zuständigen Behörden anfallen.

(32)

Die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten dazu angehalten werden, eng zusammenzuarbeiten, um die Schulung der Mitarbeiter der Produktinfostellen zu erleichtern.

(33)

Im Hinblick auf die Entwicklung und Inbetriebnahme europaweiter elektronischer Behördendienste und diesbezüglicher interoperabler Telematiknetze sollte die Möglichkeit eines elektronischen Systems für den Informationsaustausch zwischen den Produktinfostellen in Betracht gezogen werden, entsprechend dem Beschluss 2004/387/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über die interoperable Erbringung europaweiter elektronischer Behördendienste (eGovernment-Dienste) für öffentliche Verwaltungen, Unternehmen und Bürger (IDABC) (12).

(34)

Um Informationen über die Anwendung dieser Verordnung zu gewinnen, die Kenntnisse hinsichtlich des Funktionierens des Binnenmarkts für Waren in nicht harmonisierten Bereichen zu verbessern und dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ordnungsgemäß angewandt wird, sollten zuverlässige und wirksame Überwachungs- und Bewertungsverfahren eingeführt werden. Diese Verfahren sollten nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinausgehen.

(35)

Diese Verordnung gilt nur für Produkte oder besondere Merkmale von Produkten, die nicht unter die Harmonisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft zur Beseitigung von Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedstaaten fallen, die auf das Bestehen unterschiedlicher nationaler technischer Vorschriften zurückgehen. Die Vorschriften solcher Harmonisierungsmaßnahmen haben oftmals einen erschöpfenden Charakter, so dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Produkten, die diesen Maßnahmen entsprechen, in ihrem Hoheitsgebiet nicht verbieten, einschränken oder erschweren können. Bestimmte Harmonisierungsvorschriften der Gemeinschaft ermöglichen es den Mitgliedstaaten jedoch, zusätzliche technische Bedingungen für das Inverkehrbringen eines Produkts festzulegen. Solche Bedingungen sollten vorbehaltlich der Artikel 28 und 30 des Vertrags und der Bestimmungen dieser Verordnung festgelegt werden. Für eine wirksame Anwendung dieser Verordnung ist es deshalb zweckmäßig, dass die Kommission eine nicht erschöpfende Liste derjenigen Produkte aufstellt, die keiner Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene unterliegen.

(36)

Mit der Entscheidung Nr. 3052/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1995 zur Einführung eines Verfahrens der gegenseitigen Unterrichtung über einzelstaatliche Maßnahmen, die vom Grundsatz des freien Warenverkehrs in der Gemeinschaft abweichen (13), war ein Überwachungsverfahren eingeführt worden, das sich insofern als weitgehend ungeeignet erwiesen hat, als es der Kommission keine hinreichenden Erkenntnisse über die Bereiche lieferte, in denen sich eine Harmonisierung anbietet. Es hat auch nicht zur raschen Lösung bestimmter Probleme im Bereich des freien Warenverkehrs geführt. Deshalb sollte die Entscheidung 3052/95/EG aufgehoben werden.

(37)

Es ist zweckmäßig, für die Anwendung dieser Verordnung einen Übergangszeitraum festzulegen, damit sich die zuständigen Behörden an ihre Bestimmungen anpassen können.

(38)

Da das Ziel dieser Verordnung, nämlich die Beseitigung technischer Hindernisse für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen seines Umfangs und seiner Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 EG-Vertrag niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

(39)

Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (14) erlassen werden —

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

KAPITEL 1

GEGENSTAND UND ANWENDUNGSBEREICH

Artikel 1

Gegenstand

(1)   Ziel dieser Verordnung ist es, durch eine Verbesserung des freien Warenverkehrs das Funktionieren des Binnenmarkts zu stärken.

(2)   Diese Verordnung beinhaltet die Regeln und Verfahren, die die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats beachten müssen, wenn sie eine Entscheidung im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 treffen oder zu treffen beabsichtigen, die den freien Warenverkehr für ein in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebrachtes Produkt behindern würde und Artikel 28 des Vertrags unterliegt.

(3)   Sie sieht ferner die Einrichtung von Produktinfostellen in den Mitgliedstaaten vor, deren Aufgabe es ist, zur Verwirklichung des Ziels dieser Verordnung gemäß Absatz 1 beizutragen.

Artikel 2

Geltungsbereich

(1)   Diese Verordnung gilt für an Wirtschaftsteilnehmer gerichtete Verwaltungsentscheidungen über Produkte, einschließlich Agrar- und Fischereiprodukte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, sofern diese Entscheidungen auf der Grundlage einer technischen Vorschrift gemäß Absatz 2 getroffen wurden oder getroffen werden sollen und unmittelbar oder mittelbar bewirken, dass:

a)

das Inverkehrbringen dieses Produkts oder Produkttyps untersagt wird;

b)

dieses Produkt oder dieser Produkttyp geändert oder zusätzlich getestet werden muss, um in den Verkehr gebracht werden oder im Verkehr bleiben zu können;

c)

dieses Produkt oder dieser Produkttyp vom Markt genommen werden muss.

Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe b ist unter Änderung eines Produkts oder eines Produkttyps jede Änderung mindestens eines der Merkmale zu verstehen, die in Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i aufgeführt sind.

(2)   Für die Zwecke dieser Verordnung ist unter einer technischen Vorschrift jedes Gesetz und jede Verordnung oder sonstige Verwaltungsvorschrift eines Mitgliedstaats zu verstehen,

a)

die nicht Gegenstand gemeinschaftsweiter Harmonisierung ist und

b)

die den Vertrieb eines Produkts- oder Produkttyps auf dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats untersagt oder deren Anforderungen erfüllt sein müssen, damit ein Produkt oder Produkttyp auf dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats vertrieben werden darf, und die einen der folgenden Punkte regelt:

i)

die Merkmale, die das Produkt oder der Produkttyp erfüllen muss, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung, oder

ii)

andere Anforderungen, die das Produkt oder der Produkttyp zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erfüllen muss und die seinen Lebenszyklus nach dem Inverkehrbringen beeinflussen, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Entsorgung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung, die Art oder den Vertrieb des Produkts oder Produkttyps wesentlich beeinflussen können.

(3)   Diese Verordnung gilt nicht für:

a)

gerichtliche Entscheidungen der einzelstaatlichen Gerichtsbarkeit;

b)

gerichtliche Entscheidungen von Strafverfolgungsbehörden im Rahmen von Untersuchungen oder Verfolgungen von Straftaten im Zusammenhang mit der Verwendung von Terminologie, Symbolen oder sonstigen sachlichen Hinweisen auf verfassungsfeindliche oder kriminelle Organisationen oder rassistische oder fremdenfeindliche Straftaten.

Artikel 3

Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsrechtsakten

(1)   Diese Verordnung gilt nicht für Systeme oder Interoperabilitätskomponenten, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/48/EG und der Richtlinie 2001/16/EG fallen.

(2)   Diese Verordnung gilt nicht für Maßnahmen, die mitgliedstaatliche Behörden auf folgender Grundlage ergreifen:

a)

Artikel 8 Absatz 1 Buchstaben d bis f und Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 2001/95/EG;

b)

Artikel 50 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 54 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002;

c)

Artikel 54 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004;

d)

Artikel 14 der Richtlinie 2004/49/EG.

KAPITEL 2

VERFAHREN ZUR ANWENDUNG EINER TECHNISCHEN VORSCHRIFT

Artikel 4

Informationen über das Produkt

Veranlasst eine zuständige Behörde die Bewertung eines Produkts oder Produkttyps, damit festgestellt wird, ob eine Entscheidung gemäß Artikel 2 Absatz 1 zu treffen ist, so kann sie von dem betreffenden, gemäß Artikel 8 ermittelten Wirtschaftsteilnehmer unter gebührender Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere folgende Informationen verlangen:

a)

relevante Informationen über die Merkmale des fraglichen Produkts oder Produkttyps;

b)

relevante und leicht verfügbare Informationen über das rechtmäßige Inverkehrbringen in einem anderen Mitgliedstaat.

Artikel 5

Gegenseitige Anerkennung der Befugnisse akkreditierter Konformitätsbewertungsstellen

Die Mitgliedstaaten dürfen von einer Konformitätsbewertungsstelle, die für eine entsprechende Konformitätsbewertungstätigkeit gemäß Verordnung (EG) Nr. 765/2008 akkreditiert wurde, ausgestellte Bescheinigungen oder Prüfberichte nicht aus Gründen, die sich auf die Befugnisse dieser Konformitätsbewertungsstelle beziehen, zurückweisen.

Artikel 6

Prüfung der Notwendigkeit der Anwendung technischer Vorschriften

(1)   Beabsichtigt eine zuständige Behörde, eine Entscheidung im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 zu erlassen, unterrichtet sie den gemäß Artikel 8 ermittelten Wirtschaftsteilnehmer schriftlich von dieser Absicht; dabei gibt sie die technische Vorschrift an, auf die sich die Entscheidung stützen soll und legt technische oder wissenschaftliche Belege dafür vor, dass:

a)

die beabsichtigte Entscheidung durch einen in Artikel 30 des EG-Vertrags aufgeführten Grund des Allgemeininteresses oder durch andere übergeordnete Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und

b)

die beabsichtigte Entscheidung geeignet ist, das damit verfolgte Ziel zu verwirklichen, ohne über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinauszugehen.

Die beabsichtigten Entscheidungen werden auf der Grundlage der Merkmale des fraglichen Produkts oder Produkttyps getroffen.

Der betroffene Wirtschaftsteilnehmer verfügt nach Empfang einer solchen Mitteilung über eine Frist zur Stellungnahme von mindestens 20 Arbeitstagen. Die Mitteilung enthält genaue Angaben darüber, innerhalb welcher Frist Stellungnahmen eingereicht werden können.

(2)   Jede Entscheidung im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 wird innerhalb eines Zeitraums von 20 Arbeitstagen nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Stellungnahmen durch den Wirtschaftsteilnehmer gemäß Absatz 1 dieses Artikels getroffen und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und der Kommission mitgeteilt. Die Entscheidung berücksichtigt diese Stellungnahme in angemessener Art und Weise und nennt die Gründe, auf denen sie beruht, einschließlich der Gründe einer etwaigen Zurückweisung der Einwände des Wirtschaftsteilnehmers, sowie die technischen oder wissenschaftlichen Belege gemäß Absatz 1 dieses Artikels.

Sofern die Komplexität des Sachverhalts dies rechtfertigt, kann die zuständige Behörde den in Unterabsatz 1 genannten Zeitraum einmalig um höchstens 20 Arbeitstage verlängern. Diese Verlängerung ist angemessen zu begründen und dem Wirtschaftsteilnehmer vor Ablauf des ursprünglichen Zeitraums mitzuteilen.

Jede Entscheidung nach Artikel 2 Absatz 1 beinhaltet ferner einen Hinweis auf die nach dem geltenden Recht des Mitgliedstaats verfügbaren Rechtsbehelfe und die dafür geltenden Fristen. Solch eine Entscheidung kann vor einzelstaatlichen Gerichten oder anderen Beschwerdestellen angefochten werden.

(3)   Verzichtet die zuständige Behörde nach schriftlicher Benachrichtigung des Wirtschaftsteilnehmers gemäß Absatz 1 auf eine Entscheidung im Sinne des Artikels 2 Absatz 1, unterrichtet sie den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer hiervon unverzüglich.

(4)   Unterrichtet die zuständige Behörde den Wirtschaftsteilnehmer nicht innerhalb des in Absatz 2 dieses Artikels festgelegten Zeitraums von einer Entscheidung nach Artikel 2 Absatz 1, so gilt das Produkt in diesem Mitgliedstaat als rechtmäßig in den Verkehr gebracht, soweit es um die Anwendung der hierfür geltenden technischen Vorschrift nach Absatz 1 geht.

Artikel 7

Vorübergehende Aussetzung des Inverkehrbringens eines Produkts

(1)   Die zuständige Behörde darf bei Anwendung des in diesem Kapitel beschriebenen Verfahrens keine Maßnahmen ergreifen, um das Inverkehrbringen eines Produkts oder Produkttyps zeitweilig zu untersagen, es sei denn:

a)

das fragliche Produkt oder der fragliche Produkttyp stellen unter normalen oder sinnvoll vorhersehbaren Gebrauchsumständen ein erhebliches Risiko für die Sicherheit und Gesundheit der Benutzer dar, oder

b)

das Inverkehrbringen des fraglichen Produkts oder Produkttyps ist in einem Mitgliedstaat aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit oder der öffentlichen Sicherheit generell verboten.

(2)   Die zuständige Behörde benachrichtigt den gemäß Artikel 8 ermittelten Wirtschaftsteilnehmer und die Kommission unverzüglich über eine Aussetzung gemäß Absatz 1. In den in Absatz 1 Buchstabe a genannten Fällen enthält diese Benachrichtigung die technische oder wissenschaftliche Begründung hierfür.

(3)   Eine Aussetzung des Inverkehrbringens eines Produkts im Sinne dieses Artikels kann vor einzelstaatlichen Gerichten oder anderen Berufungsinstanzen angefochten werden.

Artikel 8

Informationen für den Wirtschaftsteilnehmer

Bezugnahmen auf die Wirtschaftsteilnehmer in den Artikeln 4, 6 und 7 gelten als Bezugnahmen auf

a)

den Hersteller des Produkts, wenn er seinen Sitz in der Gemeinschaft hat, oder die Person, die das Produkt in den Verkehr bringt oder die bei der zuständigen Behörde das Inverkehrbringen beantragt;

b)

sofern die zuständige Behörde die Identität und die Kontaktinformationen der Wirtschaftsteilnehmer gemäß Buchstabe a nicht ermitteln kann, den Vertreter des Herstellers, wenn dieser seinen Sitz nicht in der Gemeinschaft hat, oder, falls kein Vertreter mit Sitz in der Gemeinschaft vorhanden ist, den Einführer des Produkts;

c)

sofern die zuständige Behörde die Identität und die Kontaktinformationen der Wirtschaftsteilnehmer gemäß den Buchstaben a und b nicht ermitteln kann, jeden Geschäftstätigen der Absatzkette, sofern seine Tätigkeit eine Eigenschaft des Produkts beeinflussen kann, das der technischen Vorschrift unterliegt, die auf das fragliche Produkt angewandt wird;

d)

sofern die zuständige Behörde die Identität und die Kontaktinformationen der Wirtschaftsteilnehmer gemäß den Buchstaben a, b und c nicht ermitteln kann, jeden Geschäftstätigen der Absatzkette, dessen Tätigkeit keinerlei Auswirkungen auf die Eigenschaften des Produkts hat, das der technischen Vorschrift unterliegt.

KAPITEL 3

PRODUKTINFOSTELLEN

Artikel 9

Errichtung der Produktinfostellen

(1)   Die Mitgliedstaaten benennen Produktinfostellen in ihrem Hoheitsgebiet und übermitteln den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission die Kontaktinformationen dieser Stellen.

(2)   Die Kommission erstellt eine Liste der Produktinfostellen, aktualisiert diese regelmäßig und veröffentlicht sie im Amtsblatt der Europäischen Union. Die Kommission macht diese Informationen auch auf einer Website zugänglich.

Artikel 10

Aufgaben

(1)   Die Produktinfostellen stellen auf Anfrage zum Beispiel eines Wirtschaftsteilnehmers oder einer zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats folgende Informationen zur Verfügung:

a)

die für einen bestimmten Produkttyp auf dem jeweiligen Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Produktinfostellen geltenden technischen Vorschriften sowie Informationen darüber, ob für diesen Produkttyp gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ihres Mitgliedstaats eine Vorabgenehmigung erforderlich ist, einschließlich Informationen über den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und die Anwendung dieser Verordnung im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats;

b)

die Kontaktinformationen der zuständigen Behörden in diesem Mitgliedstaat zwecks direkter Kontaktaufnahme, einschließlich der Angabe der Behörden, die die Anwendung der jeweiligen technischen Vorschriften im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats überwachen;

c)

allgemein im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verfügbare Rechtsbehelfe bei Streitigkeiten zwischen den zuständigen Behörden und einem Wirtschaftsteilnehmer.

(2)   Die Produktinfostellen beantworten alle Anträge gemäß Absatz 1 binnen 15 Arbeitstagen ab deren Eingang.

(3)   Produktinfostellen des Mitgliedstaats, in dem der betreffende Wirtschaftsteilnehmer das fragliche Produkt rechtmäßig in den Verkehr gebracht hat, können dem Wirtschaftsteilnehmer oder der zuständigen Behörde gemäß Artikel 6 die entsprechenden Informationen oder Stellungnahmen zukommen lassen.

(4)   Für die Bereitstellung von Informationen gemäß Absatz 1 dürfen die Produktinfostellen keine Gebühren erheben.

Artikel 11

Telematiknetz

Die Kommission kann nach dem Beratungsverfahren des Artikels 13 Absatz 2 ein Telematiknetz für die Durchführung der Vorschriften dieser Verordnung über den Informationsaustausch zwischen den Produktinfostellen und/oder den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einrichten.

KAPITEL 4

SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 12

Berichterstattungspflichten

(1)   Jeder Mitgliedstaat übermittelt der Kommission jährlich einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung. Dieser Bericht enthält mindestens folgende Angaben:

a)

die Zahl der schriftlichen Benachrichtigungen gemäß Artikel 6 Absatz 1 und die betroffenen Produkttypen;

b)

hinreichende Informationen über gemäß Artikel 6 Absatz 2 erlassene Entscheidungen mit der dazugehörigen Begründung und die betroffenen Produkttypen;

c)

die Zahl der gemäß Artikel 6 Absatz 3 erlassenen Entscheidungen und die betroffenen Produkttypen.

(2)   Unter Berücksichtigung der Informationen, die von den Mitgliedstaaten gemäß Absatz 1 vorgelegt wurden, prüft die Kommission die gemäß Artikel 6 Absatz 2 erlassenen Entscheidungen und bewertet deren Begründung.

(3)   Spätestens zum 13. Mai 2012 und anschließend alle fünf Jahre überprüft die Kommission die Anwendung dieser Verordnung und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht darüber vor. Gegebenenfalls kann die Kommission dem Bericht Vorschläge zur Verbesserung des freien Warenverkehrs beifügen.

(4)   Die Kommission erstellt und veröffentlicht eine nicht erschöpfende Liste derjenigen Produkte, die nicht Gegenstand von Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft sind, und aktualisiert diese in regelmäßigen Abständen. Die Kommission macht diese Liste auf einer Website zugänglich.

Artikel 13

Ausschussverfahren

(1)   Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt.

(2)   Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt das in Artikel 3 des Beschlusses 1999/468/EG vorgesehene Beratungsverfahren unter Einhaltung von Artikel 7 Absatz 3 und Artikel 8 jenes Beschlusses.

Artikel 14

Aufhebung

Die Entscheidung Nr. 3052/95/EG wird mit Wirkung vom 13. Mai 2009 aufgehoben.

Artikel 15

Inkrafttreten und Geltung

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Sie gilt ab 13. Mai 2009.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Geschehen zu Straßburg am 9. Juli 2008.

Im Namen des Europäischen Parlaments

Der Präsident

H.-G. PÖTTERING

Im Namen des Rates

Der Präsident

J.-P. JOUYET


(1)  ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 1.

(2)  Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 21. Februar 2008 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 23. Juni 2008.

(3)  ABl. C 141 vom 19.5.2000, S. 5.

(4)  ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4.

(5)  ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1. Zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 202/2008 der Kommission (ABl. L 60 vom 5.3.2008, S. 17).

(6)  ABl. L 165 vom 30.4.2004, S. 1. Berichtigte Fassung im ABl. L 191 vom 28.5.2004, S. 1. Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 1).

(7)  ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 44. Berichtigte Fassung im ABl. L 220 vom 21.6.2004, S. 16.

(8)  ABl. L 235 vom 17.9.1996, S. 6. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/32/EG der Kommission (ABl. L 141 vom 2.6.2007, S. 63).

(9)  ABl. L 110 vom 20.4.2001, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/32/EG der Kommission.

(10)  Siehe Seite 30 dieses Amtsblatts.

(11)  ABl. L 204 vom 21.7.1998, S. 37. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/96/EG des Rates (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 81).

(12)  ABl. L 144 vom 30.4.2004. Berichtigte Fassung im ABl. L 181 vom 18.5.2004, S. 25.

(13)  ABl. L 321 vom 30.12.1995, S. 1.

(14)  ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23. Geändert durch den Beschluss 2006/512/EG (ABl. L 200 vom 22.7.2006, S. 11).