31987R3954

Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 des Rates vom 22. Dezember 1987 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation

Amtsblatt Nr. L 371 vom 30/12/1987 S. 0011 - 0013
Finnische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 8 S. 0030
Schwedische Sonderausgabe: Kapitel 15 Band 8 S. 0030


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VERORDNUNG (EURATOM) Nr. 3954/87 DES RATES

vom 22. Dezember 1987

zur Festlegung von Hoechstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation

DER RAT DER EUROPÄISCHEN

GEMEINSCHAFTEN -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 31,

auf Vorschlag der Kommission, ausgearbeitet nach Stellungnahme einer vom Ausschuß für Wissenschaft und Technik benannten Gruppe von Persönlichkeiten (1),

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (2),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

Gemäß Artikel 2 Buchstabe b) des Vertrages muß die Gemeinschaft einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufstellen und für ihre Anwendung sorgen; Einzelheiten sind im zweiten Titel Kapitel III des Vertrages geregelt.

Am 2. Februar 1959 hat der Rat Richtlinien (4) zur Festlegung von Grundnormen erlassen, die in der Folge durch die Richtlinie 80/836/Euratom (5) in der Fassung der Richtlinie 84/467/Euratom (6) ersetzt wurden; nach Artikel 45 dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten im Hinblick auf etwaige Unfälle Interventionsschwellen vorsehen.

Nach dem Unfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl am 26. April 1986 haben sich beträchtliche Mengen radioaktiver Elemente in der Atmosphäre verbreitet, die in mehreren europäischen Ländern zu einer vom gesundheitlichen Standpunkt aus bedeutenden Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln geführt haben.

Die Gemeinschaft hat Maßnahmen (7) erlassen, mit denen sichergestellt werden sollte, daß landwirtschaftliche Erzeugnisse nur nach gemeinsamen Modalitäten in die Gemeinschaft verbracht werden, die die Gesundheit der Bevölkerung schützen und gleichzeitig die Einheit des Marktes erhalten und Verkehrsverlagerungen verhindern.

Es muß ein System geschaffen werden, damit die Gemeinschaft bei einem nuklearen Unfall oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, die zu einer erheblichen radioaktiven Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln führen können oder geführt haben, die zum Schutz der Bevölkerung erforderlichen Hoechstwerte von Radioaktivität festlegen kann.

Die Kommission wird bei einem nuklearen Unfall oder bei ausserordentlich hohen Strahlungswerten gemäß der Entscheidung des Rates vom 14. Dezember 1987 über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Falle einer radiologischen Notstandssituation (8) oder im Rahmen des Übereinkommens über die schnelle Unterrichtung bei nuklearen Unfällen vom 26. September 1986 unterrichtet.

Die Kommission erlässt bei Bedarf unverzueglich eine Verordnung, die die im voraus festgesetzten Hoechstwerte zur Anwendung bringen.

Auf der Grundlage der im Bereich des Strahlenschutzes gegenwärtig verfügbaren Daten sind abgeleitete Referenzwerte festgesetzt worden, die zur Festlegung von Hoechstwerten an Radioaktivität herangezogen werden können; diese Werte sind bei einem nuklearen Unfall oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, die zu einer erheblichen radioaktiven Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln führen können oder geführt haben, unverzueglich anzuwenden.

Diese Werte berücksichtigen in gebührender Weise die neuesten, zur Zeit auf internationaler Ebene verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse; gleichzeitig tragen sie der Tatsache Rechnung, daß die Öffentlichkeit beruhigt werden und eine Auseinanderentwicklung der Vorschriften auf internationaler Ebene vermieden werden muß.

Um den jeweiligen besonderen Bedingungen Rechnung zu tragen, ist es notwendig, ein Verfahren auszuarbeiten, das die rasche Anpassung dieser im voraus festgesetzten Schwellen für Hoechstwerte angleicht, die den Umständen jedes einzelnen nuklearen Unfalls oder der jeweiligen radiologischen Notstandssituation, die zu einer erheblichen radioaktiven Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln führen können oder geführt haben, entsprechen.

Der Erlaß einer Verordnung zur Festlegung von Hoechstwerten würde ferner die Einheit des gemeinsamen Marktes wahren und Verkehrsverlagerungen innerhalb der Gemeinschaft vorbeugen.

Zur Erleichterung der Anpassung von Hoechstwerten sollten Verfahren vorgesehen werden, die die Anhörung von Sachverständigen, insbesondere der Gruppe von Sachverständigen gemäß Artikel 31 des Vertrages, ermöglichen.

Die Einhaltung der Hoechstwerte muß in geeigneter Weise überwacht werden -

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

(1) Diese Verordnung legt das Verfahren zur Bestimmung der Hoechstwerte an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln fest, die nach einem nuklearen Unfall oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, die zu einer erheblichen radioaktiven Kontamination von Nahrungsmitteln und Futtermitteln führen können oder geführt haben, auf den Markt gelangen können.

(2) Nahrungsmittel im Sinne dieser Verordnung sind Erzeugnisse, die entweder unmittelbar oder nach Verarbeitung für den menschlichen Verzehr bestimmt sind; Futtermittel sind Erzeugnisse, die nur für den tierischen Verzehr bestimmt sind.

Artikel 2

(1) Falls die Kommission - insbesondere entweder gemäß dem Gemeinschaftssystem für den beschleunigten Informationsaustausch im Falle einer radiologischen Notstandssituation oder gemäß dem IÄO-Übereinkommen vom 26. September 1986 über die schnelle Unterrichtung bei nuklearen Unfällen - eine offizielle Mitteilung von einem Unfall oder einer anderen radiologischen Notstandssitutation erhält, aus der sich ergibt, daß die Hoechstwerte gemäß dem Anhang erreicht werden könnten oder erreicht sind, so erlässt sie, wenn die Umstände es erfordern, unverzueglich eine Verordnung zur Anwendung dieser Hoechstwerte.

(2) Die Geltungsdauer einer Verordnung im Sinne des Absatzes 1 ist so kurz wie möglich und darf vorbehaltlich des Artikels 3 Absatz 4 drei Monate nicht überschreiten.

Artikel 3

(1) Die Kommission unterbreitet nach Konsultationen mit Sachverständigen, einschließlich der in Artikel 31 vorgesehenen Sachverständigengruppe, dem Rat innerhalb eines Monats nach Erlaß der in Artikel 2 Absatz 1 vorgesehenen Verordnung einen Vorschlag für eine Verordnung zur Anpassung oder zur Bestätigung der genannten Verordnung.

(2) Bei der Vorlage des in Absatz 1 genannten Verordnungsvorschlags berücksichtigt die Kommission die gemäß den Artikeln 30 und 31 des Vertrages festgelegten Grundnormen, einschließlich des Grundsatzes, daß jede Strahlenexposition so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar zu halten ist, wobei der Aspekt des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung sowie wirtschaftliche und soziale Kriterien zu berücksichtigen sind.

(3) Der Rat beschließt über den in den Absätzen 1 und 2 genannten Verordnungsvorschlag mit qualifizierter Mehrheit innerhalb der in Artikel 2 Absatz 2 genannten Frist.

(4) Beschließt der Rat innerhalb dieser Frist nicht, so bleiben die im Anhang festgelegten Werte so lange anwendbar, bis der Rat beschließt oder bis die Kommission ihren Vorschlag aus dem Grund zurückzieht, daß die Bedingungen nach Artikel 2 Absatz 1 nicht mehr vorliegen.

Artikel 4

Jede nach Artikel 3 erlassene Verordnung ist befristet. Ihre Geltungsdauer kann auf Antrag eines Mitgliedstaats oder auf Initiative der Kommission nach dem in Artikel 3 geregelten Verfahren überprüft werden.

Artikel 5

(1) Um sicherzustellen, daß die im Anhang festgesetzten Hoechstwerte sämtliche neu verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen, konsultiert die Kommission in regelmässigen Abständen Sachverständige, einschließlich der in Artikel 31 vorgesehenen Sachverständigengruppe.

(2) Auf Antrag eines Mitgliedstaats oder der Kommission können die in Anhang festgesetzten Hoechstwerte nach dem Verfahren des Artikels 31 des Vertrags auf Vorschlag der Kommission an den Rat überprüft oder ergänzt werden.

Artikel 6

(1) Nahrungsmittel oder Futtermittel, bei denen die in einer gemäß Artikel 2 oder Artikel 3 erlassenen Verordnung festgelegten Hoechstwerte überschritten werden, dürfen nicht auf den Markt gebracht werden. Für die Anwendung der vorliegenden Verordnung gelten aus Drittländern eingeführte Nahrungsmittel oder Futtermittel als auf den Markt gebracht, wenn sie im Zollgebiet der Gemeinschaft in einem anderen Zollverfahren als dem Versandverfahren abgefertigt wurden.

(2) Jeder Mitgliedstaat übermittelt der Kommission alle Informationen hinsichtlich der Anwendung dieser Verordnung und teilt ihr insbesondere die Fälle mit, in denen die Hoechstwerte nicht eingehalten worden sind. Die Kommission übermittelt diese Informationen den anderen Mitgliedstaaten.

Artikel 7

Die Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung sowie eine Liste von Nahrungsmitteln von geringerer Bedeutung zusammen mit den auf diese Nahrungsmittel anzuwenderen Hoechstwerten werden nach dem Verfahren des Artikels 30 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 (1) festgelegt, die entsprechend gilt. Zu diesem Zweck wird ein Ad-hoc-Ausschuß eingesetzt.

Artikel 8

Diese Verordnung tritt am dritten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Geschehen zu Brüssel am 22. Dezember 1987.

Im Namen des Rates

Der Präsident

N. WILHJELM

(1) ABl. Nr. C 174 vom 2. 7. 1987, S. 6.

(2) Stellungnahme vom 16. Dezember 1987 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3) ABl. Nr. C 180 vom 8. 7. 1987, S. 20.

(4) ABl. Nr. 11 vom 20. 2. 1959, S. 221/59.

(5) ABl. Nr. L 246 vom 17. 9. 1980, S. 1.

(6) ABl. Nr. L 265 vom 5. 10. 1984, S. 4.

(7) Ratsverordnungen (EWG) Nr. 1707/86, Abl. Nr. L 146 vom 31. 5. 1986, S. 88, (EWG) Nr. 3020/86, ABl. Nr. L 280 vom 1. 10. 1986, S. 79, (EWG) Nr. 624/87, ABl. Nr. L 58 vom 25. 2. 1987, S. 101 und (EWG) Nr. 3955/87, siehe Seite 14 dieses Amtsblatts.

(8) Siehe Seite 76 dieses Amtsblatts.

(1) ABl. Nr. L 148 vom 28. 6. 1968, S. 13.

ANHANG

HÖCHSTWERTE FÜR NAHRUNGSMITTEL UND FUTTERMITTEL

(Bq/kg bzw. Bq/l)

1.2.3.4.5.6 // // // // // // // // Nahrungsmittel für Säuglinge (1) // Milch- erzeugnisse (2) (3) // Andere Nahrungs- mittel ausser Nahrungsmittel von geringer Bedeutung (4) // Flüssige Nahrungsmittel (5) // Futtermittel (6) // // // // // // // Strontiumisotope, insbesondere Sr-90 // // 125 // 750 // // // Jodisotope, insbesondere I-131 // // 500 // 2 000 // // // Alphateilchen emittierende Plutoniumisotope und Transplutoniumelemente, insbesondere Pu-239, Am-241 // // 20 // 80 // // // Alle übrigen Nuklide mit einer Halbwertzeit von mehr als 10 Tagen, insbesondere Cs-134, Cs-137 (7) // // 1 000 // 1 250 // // // // // // // //

(1) Als Nahrungsmittel für Säuglinge gelten Lebensmittel für die Ernährung speziell von Säuglingen während der ersten vier bis sechs Lebensmonate, die für sich genommen den Nahrungsbedarf dieses Personenkreises decken und in Packungen für den Einzelhandel dargeboten werden, die eindeutig als »Zubereitung für Säuglinge" gekennzeichnet und etikettiert sind. Die betreffenden Werte müssen noch festgelegt werden.

(2) Als Milcherzeugnisse gelten Milch der Tarifnummern 04.01 und 04.02 des Gemeinsamen Zolltarifs, bzw. ab 1. Januar 1988 der entsprechenden Positionen der Kombinierten Nomenklatur.

(3) Die für konzentrierte und getrocknete Erzeugnisse geltende Hoechstgrenze wird anhand des zum unmittelbaren Verzehr bestimmten rekonstituierten Erzeugnisses errechnet.

(4) Nahrungsmittel von geringer Bedeutung und die auf diese Nahrungsmittel jeweils anzuwendenden Hoechstgrenzen werden gemäß Artikel 7 noch festgelegt.

(5) Flüssige Nahrungsmittel gemäß Kapitel 20 und 22 des Gemeinsamen Zolltarifs bzw. ab 1. Januar 1988 der entsprechenden Kapitel der Kombinierten Nomenklatur. Die Werte werden unter Berücksichtigung des Verbrauchs von Leitungswasser berechnet; für die Trinkwasserversorgungssysteme sollten nach dem Ermessen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten identische Werte gelten.

(6) Noch festzulegende Werte.

(7) Diese Gruppe umfasst nicht Kohlenstoff C 14 und Tritium.