29.11.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 308/18


BESCHLUSS (EU) 2022/2332 DES RATES

vom 28. November 2022

über die Feststellung des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union als einen die Kriterien nach Artikel 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllenden Kriminalitätsbereich

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zustimmung des Europäischen Parlaments (1),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Nach Artikel 29 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) erlässt der Rat Beschlüsse, in denen der Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt wird, wozu auch restriktive Maßnahmen gehören.

(2)

Nach Artikel 215 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann der Rat auf der Grundlage eines Beschlusses nach Artikel 29 EUV restriktive Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen und Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten oder Maßnahmen zur Aussetzung, Einschränkung oder vollständigen Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern erlassen. Die Mitgliedstaaten sollten über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Verordnungen des Rates über restriktive Maßnahmen der Union verfügen.

(3)

Dieser Beschluss erfasst lediglich restriktive Maßnahmen der Union, die die Union auf der Grundlage des Artikels 29 EUV oder des Artikels 215 AEUV erlassen hat, wie Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, zum Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen, zum Verbot der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Union sowie sektorale wirtschaftliche Maßnahmen und Waffenembargos.

(4)

Es ist erforderlich, dass die Mitgliedstaaten über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union verfügen. Es ist ebenfalls erforderlich, dass diese Strafen auch die Umgehung restriktiver Maßnahmen der Union erfassen.

(5)

Die Kommission gewährleistet die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und den Agenturen der Union bei der Durchsetzung der restriktiven Maßnahmen der Union, die im Zusammenhang mit dem gegen die Ukraine geführten Angriffskrieg Russlands erlassen wurden, und hat das Zusammenspiel zwischen restriktiven Maßnahmen und strafrechtlichen Maßnahmen bewertet.

(6)

Es ist derzeit nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV nicht vorgesehen, Mindestvorschriften für die Definition des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union und die Strafen dafür festzulegen, da ein entsprechender Verstoß als solcher noch nicht unter die in diesem Artikel aufgeführten Kriminalitätsbereiche fällt. Die derzeit in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 aufgeführten Kriminalitätsbereiche sind Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union kann jedoch in einigen Fällen im Zusammenhang mit Straftaten stehen, die unter einige der aufgeführten Kriminalitätsbereiche fallen, wie Terrorismus und Geldwäsche.

(7)

Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV sieht ein besonderes Verfahren vor, nach dem der Rat neue Kriminalitätsbereiche bestimmen kann. Dies darf erst geschehen, nachdem die im Vertrag festgelegten Kriterien, die dem Ausnahmecharakter des Verfahrens entsprechen, einer sorgfältigen Bewertung unterzogen wurden. Die Entwicklungen der Kriminalität, die seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beobachten sind, stellen außergewöhnliche Umstände dar.

(8)

Die in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 1 AEUV genannten Kriterien in Bezug auf die grenzüberschreitende Dimension eines Kriminalitätsbereichs, nämlich die Art oder die Auswirkungen von Straftaten sowie die besondere Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, sind miteinander verknüpft und können nicht isoliert bewertet werden.

(9)

Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union sollte als Kriminalitätsbereich festgestellt werden, um die wirksame Umsetzung der Politik der Union im Bereich der restriktiven Maßnahmen zu gewährleisten. Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union wird von der Mehrheit der Mitgliedstaaten bereits als Straftat eingestuft. Einige Mitgliedstaaten, die den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen als Straftat einstufen, verfügen über weit gefasste Definitionen wie „Verstoß gegen VN- und EU-Sanktionen“ oder „Verletzung von EU-Vorschriften“, während andere Mitgliedstaaten über detailliertere Bestimmungen verfügen, in denen beispielsweise verbotene Verhaltensweisen aufgeführt sind. Die Kriterien, nach denen eine Verhaltensweise in den Anwendungsbereich des Strafrechts fällt, unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, beziehen sich jedoch in der Regel auf ihre Schwere (schwerwiegende Art) oder werden qualitativ (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) oder quantitativ (Schaden) bestimmt.

(10)

Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union zählt zu den Bereichen besonders schwerer Straftaten und ist hinsichtlich der Schwere mit den bereits in Artikel 83 Absatz 1 AEUV aufgeführten Kriminalitätsbereichen vergleichbar, da er den Weltfrieden und die internationale Sicherheit dauerhaft bedroht, die Festigung und Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten untergräbt sowie erheblichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Schaden verursachen kann. Aufgrund derartiger Verstöße haben Personen und Organisationen, deren Vermögenswerte eingefroren werden oder deren Tätigkeiten beschränkt werden, weiterhin Zugang zu ihren Vermögenswerten und können weiterhin Regime unterstützen, gegen die restriktive Maßnahmen der Union verhängt wurden, oder sie haben weiterhin Zugang zu veruntreuten staatlichen Geldern. Ebenso kann das Geld, das unter Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union durch den Handel mit Gütern und natürlichen Ressourcen erwirtschaftet wurde, es den von diesen restriktiven Maßnahmen betroffenen Regimen ermöglichen, Waffen zu erwerben, mit denen sie ihre Straftaten begehen. Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union, die den Handel betreffen, könnte darüber hinaus zur illegalen Ausbeutung natürlicher Ressourcen in dem Staat beitragen, gegen den diese restriktiven Maßnahmen gerichtet sind.

(11)

In seiner Resolution 1196 (1998) betonte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wie wichtig es ist, die Wirksamkeit von Waffenembargos zu stärken, um die Verfügbarkeit von Waffen, mit denen bewaffnete Konflikte ausgetragen werden können, zu verringern. Die Staaten wurden darin ferner ermutigt, als Mittel zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zur Durchführung von Beschlüssen des Sicherheitsrates über Waffenembargos die Annahme von Rechtsvorschriften oder anderen rechtlichen Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, mit denen die Verletzung der vom Sicherheitsrat verhängten Waffenembargos unter Strafe gestellt wird.

(12)

Die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres nationalen Rechts sehr unterschiedliche Definitionen und Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union haben, trägt je nach Mitgliedstaat, in dem der Verstoß verfolgt wird, zu unterschiedlich starker Durchsetzung der Sanktionen bei. Dies untergräbt die Ziele der Union, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit sowie die gemeinsamen Werte der Union zu wahren. Daher besteht ein besonderer Bedarf an einem gemeinsamen Vorgehen auf Unionsebene, um Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union strafrechtlich zu begegnen.

(13)

Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union haben eine klare und bisweilen sogar inhärente grenzüberschreitende Dimension. Derartige Verstöße können nicht nur von natürlichen Personen oder unter Beteiligung von juristischen Personen begangen werden, die weltweit tätig sind; darüber hinaus verbieten restriktive Maßnahmen der Union, beispielsweise Beschränkungen für Bankdienstleistungen, in einigen Fällen sogar grenzüberschreitende Geschäfte. Daher entspricht der Verstoß gegen diese Maßnahmen einer grenzüberschreitenden Verhaltensweise, die eine gemeinsame grenzüberschreitende Antwort auf Unionsebene erfordert.

(14)

Die unterschiedlichen Definitionen und Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten behindern die einheitliche Anwendung der Politik der Union in Bezug auf restriktive Maßnahmen. Sie können sogar dazu führen, dass Täter den günstigsten Gerichtsstand wählen und quasi straffrei ausgehen, da sie sich dafür entscheiden könnten, ihre Tätigkeiten in denjenigen Mitgliedstaaten auszuüben, die Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Union weniger streng bestrafen. Eine Harmonisierung der Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union würde die Wirksamkeit, die Verhältnismäßigkeit und die abschreckende Wirkung solcher Strafen erhöhen.

(15)

Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union sollte daher als „Kriminalitätsbereich“ im Sinne des Artikels 83 Absatz 1 AEUV festgestellt werden, da er die Kriterien nach diesem Artikel erfüllt.

(16)

Ein gemeinsames Vorgehen auf Unionsebene würde nicht nur zu gleichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten beitragen und die Strafverfolgung und justizielle Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union verbessern, sondern auch zu weltweit gleichen Rahmenbedingungen für die Strafverfolgung und die justizielle Zusammenarbeit mit Drittländern bei Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union beitragen.

(17)

Das Ziel dieses Beschlusses, nämlich die Feststellung des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union als ein Kriminalitätsbereich, der die Kriterien nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV erfüllt, muss auf Unionsebene erreicht werden. Es steht daher im Einklang mit dem in Artikel 5 EUV verankerten Subsidiaritätsprinzip. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht dieser Beschluss nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.

(18)

Die Bestimmung des Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der Union als ein Kriminalitätsbereich im Sinne des Artikels 83 Absatz 1 AEUV ist als erster Schritt notwendig, um in einem zweiten Schritt den Erlass materieller sekundärrechtlicher Vorschriften unter anderem zur Festlegung von Mindestvorschriften für die Definition der Straftaten und der Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union zu ermöglichen.

(19)

Dieser Beschluss lässt die danach im Einklang mit den im Vertrag festgelegten Gesetzgebungsverfahren getroffenen Maßnahmen unberührt. Insbesondere bestimmt er weder den Anwendungsbereich und den Inhalt von im Anschluss an die Anwendung dieses Beschlusses vorgeschlagenem Sekundärrecht noch nimmt er diese vorweg.

(20)

Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass jeder Legislativvorschlag für derartiges Sekundärrecht im Einklang mit den Grundsätzen der besseren Rechtsetzung ausgearbeitet wird.

(21)

Insbesondere ist der Vielfalt der nationalen Systeme und den grundlegenden Aspekten der Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten, einschließlich des Gefüges der Strafen, gebührend Rechnung zu tragen. Gebührend berücksichtigt werden müssen auch die Grundrechtsgarantien, das Rückwirkungsverbot für Straftaten, die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit von Straftaten und Strafen, die in Artikel 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, sowie die Erfordernisse der Genauigkeit, Klarheit und Verständlichkeit des Strafrechts.

(22)

Nach den Artikeln 1 und 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieses Beschlusses und ist weder durch diesen Beschluss gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet.

(23)

Nach Artikel 3 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat Irland mit Schreiben vom 29. Juni 2022 mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieses Beschlusses beteiligen möchte.

(24)

Dieser Beschluss sollte aus Gründen der Dringlichkeit am Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten, damit aus Gründen der Dringlichkeit umgehend sekundärrechtliche Vorschriften erlassen werden können, in denen Mindestvorschriften für die Definitionen und die Strafen für den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union festgelegt werden —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Der Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union ist ein Kriminalitätsbereich im Sinne des Artikels 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV.

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am 28. November 2022.

Im Namen des Rates

Der Präsident

V. BALAŠ


(1)  Zustimmung vom 7. Juli 2022 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).