17.2.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 45/40


EMPFEHLUNG (EU) 2018/234 DER KOMMISSION

vom 14. Februar 2018

zur Stärkung des europäischen Charakters und der effizienten Durchführung der Wahlen 2019 zum Europäischen Parlament

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union sind die Bürgerinnen und Bürger auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten.

(2)

Gemäß Artikel 10 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union haben alle Bürgerinnen und Bürger das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und bürgernah wie möglich getroffen.

(3)

In Artikel 17 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union heißt es, dass der Europäische Rat dem Europäischen Parlament einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vorschlägt; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament.

(4)

Zur Stärkung des europäischen Charakters und der effizienten Durchführung der Wahlen zum Europäischen Parlament ist es erforderlich, einige Aspekte der Empfehlung 2013/142/EU der Kommission (1) rechtzeitig vor den Wahlen 2019 zu aktualisieren und zu ergänzen.

(5)

Die Stärkung der demokratischen Legitimität der EU und die Gewährleistung der Mitwirkung der Bürger am politischen Leben auf europäischer Ebene sind von grundlegender Bedeutung. Bürgerinnen und Bürger würden sich eher an den Wahlen zum Europäischen Parlament beteiligen, wenn sie sich der Tragweite der EU-Politik in ihrem Alltagsleben stärker bewusst wären und sie darauf vertrauen würden, dass sie Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungen der Union nehmen können, wie die Wahl der Führungsspitzen der EU-Institutionen und die Festlegung der künftigen Prioritäten der Union.

(6)

Die Notwendigkeit einer verstärkten Rechenschaftspflicht und Transparenz hat auch Auswirkungen auf die Kommission. Die Kommission hat den Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder (2) überarbeitet. Der neue Kodex bietet Kommissionsmitgliedern die Möglichkeit, sich ohne Freistellung als Kandidaten zu den Wahlen für das Europäische Parlament aufstellen zu lassen. Die einschlägigen Regeln der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission wurden entsprechend geändert (3).

(7)

Auf europäischer Ebene beschlossene Maßnahmen wirken sich für die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar in ihrem Alltag aus und sind vor Ort spürbar. Für die Wahl zum Europäischen Parlament müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen, was aktuell auf europäischer Ebene geschieht. Ein Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über europäische Themen fördert ihre demokratische Beteiligung an der Gestaltung der EU-Politik. Seit Januar 2015 hat die amtierende Kommission 478 Dialoge mit Bürgerinnen und Bürgern in allen Mitgliedstaaten geführt. Dies erfolgte auch in Zusammenarbeit mit institutionellen Partnern wie dem Europäischen Parlament, den nationalen Parlamenten, dem Ausschuss der Regionen sowie dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Zwischen Februar 2018 und dem 9. Mai 2019 wird die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten, den regionalen und lokalen Behörden sowie dem Europäischen Parlament und anderen europäischen Institutionen rund 500 weitere Dialoge organisieren oder dazu beitragen.

(8)

Mehrere Mitgliedstaaten haben ihre Bereitschaft angekündigt, sich an breiten öffentlichen Diskussionen über die Zukunft Europas zu beteiligen; solche nationalen Dialoge finden bereits in einer Reihe von Mitgliedstaaten statt. Durch Bürgerdialoge in ganz Europa und Kommunikationsveranstaltungen, die auf ihre jeweiligen politischen Strukturen und Praktiken abgestimmt sind, könnten Mitgliedstaaten dazu beitragen, das Bewusstsein der Bürger dafür zu schärfen, wie wichtig ihre Stimme für die Entscheidung ist, welche Vision das europäische Projekt am besten voranbringen würde. Derlei Veranstaltungen sollten zwischen der informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU-27 am 23. Februar 2018 und dem Gipfel in Sibiu am 9. Mai 2019 genau vor den Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden, auf dem Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs für die weitere Entwicklung der Union erwartet werden.

(9)

Die europäischen politischen Parteien spielen bei der europäischen politischen Bewusstseinsbildung, der Mobilisierung der Wähler und der Artikulation des Willens der Bürgerinnen und Bürger in der Union eine Schlüsselrolle. Diese Rolle könnte verstärkt werden, wenn die europäischen politischen Parteien in den kommenden Monaten auf die ihnen nahestehenden nationalen Parteien und die Zivilgesellschaft zugehen und das Bewusstsein für die im Hinblick auf die Zukunft Europas zu treffenden Entscheidungen und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, die sie vertreten, schärfen würden.

(10)

Das System der „Spitzenkandidaten“ für das Amt des Präsidenten der Kommission wurde erstmals bei den Wahlen 2014 zum Europäischen Parlament angewandt.

(11)

Dieses Verfahren hat dazu beigetragen, die Effizienz der Union und ihre demokratische Legitimität zu stärken. Es beruht auf den dualen Pfeilern der Direktvertretung der Bürgerinnen und Bürger im Europäischen Parlament und ihrer indirekten Vertretung durch die Regierungen der Mitgliedstaaten im Europäischen Rat und Ministerrat. Es hat auch zur Stärkung der Rechenschaftspflicht der Kommission im Sinne des Artikels 17 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union beigetragen und sollte im Hinblick auf die Wahlen 2019 zum Europäischen Parlament fortgeführt und verbessert werden.

(12)

Die europäischen und nationalen politischen Parteien sollten weit im Vorfeld der Wahlkampagne, vorzugsweise bis Ende 2018, den von ihnen unterstützten Präsidentschaftskandidaten für die Kommission ankündigen und idealerweise Anfang 2019 dessen Programm bekannt geben. Dies würde die Verbindung zwischen der Stimmabgabe eines Bürgers in der Union für eine bestimmte politische Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, dem von dieser Partei unterstützten Präsidentschaftskandidaten für die Kommission und seiner Vision für die Zukunft Europas deutlicher machen.

(13)

Durch die Wahl ihrer Spitzenkandidaten auf offene, inklusive und transparente Art und Weise, z. B. im Rahmen von „Vorwahlen“, würden die europäischen politischen Parteien und ihre nationalen Mitgliederparteien dieses Verfahren stärken. Dadurch könnten sie zudem eine größere Aufmerksamkeit erzielen und Wähler mobilisieren.

(14)

Artikel 10 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 12 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union räumen den europäischen politischen Parteien eine Schlüsselrolle ein. Das Statut und die Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen sind auf europäischer Ebene geregelt. Aus Gründen der Transparenz, der Kontrolle sowie der demokratischen Rechenschaftspflicht europäischer politischer Parteien hat die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der einschlägigen Vorschriften vor der Wahl 2019 zum Europäischen Parlament unterbreitet (4). So sollte insbesondere die Finanzierung aus dem Haushalt der Europäischen Union von der Verbreitung des Programms und des Logos der betreffenden europäischen politischen Partei durch die nahestehenden Parteien abhängig gemacht werden. Die Bürgerinnen und Bürger sollten im Vorfeld klare und einschlägige Informationen erhalten, um die Auswirkung ihrer Stimmabgabe auf Ebene der europäischen Parteien zu verstehen. Parteiveranstaltungen wie Kongresse und die Wahlveranstaltungen der nationalen Parteien sind geeignete und effiziente zusätzliche Mittel, um dieser Zugehörigkeit Ausdruck zu verleihen und sie sichtbar zu machen.

(15)

Eine deutlich frühere Einleitung der Wahlkampagnen zum Europäischen Parlament als in der Vergangenheit und die Offenlegung der Verbindung zwischen den teilnehmenden nationalen Parteien und den entsprechenden europäischen Parteien vor der Kampagne dürften die europäische Dimension dieser Wahlen stärken.

(16)

Die europäischen politischen Parteien sind aufgefordert, vor dem Start der Kampagne und vorzugsweise bei Ankündigung ihrer Kandidaten für das Präsidentschaftsamt der Kommission unter Berücksichtigung der Besonderheiten der politischen Parteienlandschaft der Mitgliedstaaten bekannt zu geben, welche(r) politische(n) Gruppe im Europäischen Parlament sie in der nächsten Legislaturperiode angehören wollen oder zu gründen beabsichtigen. Dies würde die Transparenz der Verbindung zwischen nationalen Parteien, europäischen politischen Parteien und politischen Gruppen im Europäischen Parlament weiter erhöhen.

(17)

Durch die Förderung und Erleichterung der Bereitstellung von Informationen an die Wähler über die Verbindung zwischen nationalen Parteien und europäischen politischen Parteien während der Kampagne zu den Wahlen zum Europäischen Parlament und nach Möglichkeit auch auf den bei den Wahlen verwendeten Stimmzetteln würden die Mitgliedstaaten europäische politische Parteien und die angebotenen Plattformen während des gesamten europäischen Wahlverfahrens sichtbarer machen.

(18)

Gemäß Artikel 22 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union besitzt jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, zusammen mit Richtlinie 93/109/EG (5) des Rates.

(19)

Um die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie die europäische Dimension der Wahlen zum Europäischen Parlament zu fördern, wird angeregt, bewährte Vorgehensweisen und Maßnahmen zu ermitteln und zu verbreiten, die von den Mitgliedstaaten bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Wahlen angewandt werden, und zwar auch im Hinblick auf das Wahlrecht europäischer Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat und die Förderung der Ausübung des Wahlrechts unterrepräsentierter Gruppen wie Menschen mit Behinderungen.

(20)

Angesichts der Risiken für das Wahlverfahren, die, wie bei jüngsten Wahlen und Kampagnen festgestellt wurde, von Cyberangriffen und Desinformation ausgehen, sollte der Erfahrungsaustausch zwischen Mitgliedstaaten über damit zusammenhängende Fragen gefördert werden.

(21)

Die Mitgliedstaaten sowie die europäischen und nationalen politischen Parteien tragen für die demokratischere und effizientere Durchführung der Wahlen zum Europäischen Parlament eine besondere Verantwortung —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

Diskussionen mit europäischen Bürgerinnen und Bürgern über europäische Themen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament

1.

Ab der informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU-27 am 23. Februar 2018 sollten die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen politischen Strukturen und Praktiken Kommunikationsveranstaltungen durchführen, um mit den Bürgerinnen und Bürgern öffentlich über europäische Themen und die Zukunft Europas zu diskutieren. Diese Veranstaltungen sollten bis zu der Tagung der Staats- und Regierungschefs in Sibiu am 9. Mai 2019 unmittelbar vor den Wahlen zum Europäischen Parlament fortgesetzt werden.

Im gleichen Zeitraum sollten die europäischen politischen Parteien und die nationalen Parteien dazu beitragen, die Bürgerinnen und Bürger auf die auf europäischer Ebene anstehenden Fragen aufmerksam zu machen, und darüber informieren, wie sie diese Fragen in der kommenden Legislaturperiode angehen wollen.

Unterstützung eines Präsidentschaftskandidaten für die Europäische Kommission

2.

Früh genug vor den Wahlen zum Europäischen Parlament und vorzugsweise bis Ende 2018 sollte jede europäische politische Partei ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission benennen. Vorzugsweise Anfang 2019 sollten sie auch das eigene politische Programm des Kandidaten/der Kandidatin bekannt machen.

Europäische politische Parteien und ihre nationalen Mitgliederparteien sind aufgefordert, ihre Spitzenkandidaten auf offene, inklusive und transparente Art und Weise auszuwählen.

Nationale politische Parteien sollten sicherstellen, dass ihre politischen Informationen — einschließlich ihrer politischen Sendungen — über die Wahlen zum Europäischen Parlament auch dazu genutzt werden, den Bürgerinnen und Bürger ihren Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission und dessen Programm vorzustellen.

Information der Wähler über die Verbindung nationaler Parteien zu den europäischen politischen Parteien

3.

Nationale politische Parteien, die an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen, sollten unter Berücksichtigung der Besonderheiten der nationalen Parteienlandschaft der Mitgliedstaaten vor den Wahlen und dem Beginn der Wahlkampagne bekannt geben, ob und mit welcher europäischen Partei sie verbunden sind und welchen Spitzenkandidaten sie unterstützen.

Soweit möglich sollten nationale politische Parteien diese Informationen und gegebenenfalls das Logo der europäischen politischen Partei in sämtlichen Kampagnenunterlagen, Mitteilungen und politischen Sendungen gut sichtbar platzieren.

Die europäischen politischen Parteien sind aufgefordert, vor dem Start der Kampagne und vorzugsweise bei Ankündigung ihrer Kandidaten für das Präsidentschaftsamt der Kommission bekannt zu geben, welche(r) politische(n) Gruppe im Europäischen Parlament sie in der nächsten Legislaturperiode angehören wollen oder zu gründen beabsichtigen.

Förderung und Erleichterung der Informationen für Wähler über die Verbindung nationaler Parteien zu den europäischen politischen Parteien

4.

Die Mitgliedstaaten sollten die Bereitstellung von Informationen für die Wähler über die Verbindung nationaler Parteien zu den europäischen politischen Parteien sowie über ihre Spitzenkandidaten vor und während den Wahlen zum Europäischen Parlament fördern und erleichtern, z. B. durch die Gestattung und Förderung der Angabe einer solchen Verbindung im Kampagnenmaterial, auf den Websites der nationalen und regionalen Mitgliederparteien und nach Möglichkeit auch auf den Wahlzetteln.

Effizientes Verfahren

5.

Um sicherzustellen, dass europäische Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat ihr Wahlrecht in diesem Mitgliedstaat wahrnehmen können, um die Ausübung des Wahlrechts unterrepräsentierter Gruppen wie Menschen mit Behinderungen zu fördern und um insgesamt das demokratische Verfahren zu unterstützen und eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, sind die zuständigen nationalen Behörden aufgefordert, im Frühjahr 2018 zusammenzukommen, um sich mit Unterstützung der Kommission über bewährte Vorgehensweisen und praktische Maßnahmen auszutauschen.

Die zuständigen nationalen Behörden sind des Weiteren aufgefordert, auf der Grundlage der Erfahrungen der Mitgliedstaaten bewährte Vorgehensweisen bei der Feststellung, Minderung und Handhabung von Risiken für das Wahlverfahren, die von Cyberattacken und Desinformation ausgehen, zu ermitteln.

Diese Empfehlung ist an die Mitgliedstaaten sowie an die europäischen und nationalen politischen Parteien gerichtet.

Brüssel, den 14. Februar 2018

Für die Kommission

Der Präsident

Jean-Claude JUNCKER


(1)  Empfehlung 2013/142/EU der Kommission vom 12. März 2013 für ein demokratischeres und effizienteres Verfahren für die Wahlen zum Europäischen Parlament (ABl. L 79 vom 21.3.2013, S. 29).

(2)  Beschluss der Kommission vom 31. Januar 2018 über einen Verhaltenskodex für die Mitglieder der Europäischen Kommission (C(2018) 700 final).

(3)  Beschluss des Europäischen Parlaments vom 7. Februar 2018 zu der Revision der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission (2017/2233(ACI)).

(4)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1141/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über das Statut und die Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen — COM(2017) 481 vom 13. September 2017.

(5)  Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (ABl. L 329 vom 30.12.1993, S. 34).