12.5.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 125/38


EMPFEHLUNG DER KOMMISSION

vom 8. Mai 2006

über die Förderung der Landstromversorgung von Schiffen an Liegeplätzen in den Häfen der Gemeinschaft

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2006/339/EG)

DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 211,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Im November 2002 verabschiedete die Kommission eine Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat über eine Strategie der Europäischen Union zur Reduzierung atmosphärischer Emissionen von Seeschiffen (1), in der sie die Hafenbehörden drängt, durch Vorschriften, Anreize oder die Erleichterung des Zugangs dafür zu sorgen, dass Schiffe während der Liegezeit im Hafen landseitige Stromquellen benutzen.

(2)

In seiner Entschließung vom 4. Dezember 2003 (2) zu dieser Strategie vertritt das Europäische Parlament die Auffassung, dass ein Bericht, in dem positive Beispiele sowie Kosten und Nutzen der landseitigen Energieversorgung in Häfen dargestellt werden, deren Einsatz erleichtern könnte.

(3)

In seinen Schlussfolgerungen vom 22. Dezember 2003 (3) zu dieser Strategie erkennt der Rat an, dass nicht alle Umweltprobleme international auf geeignete Weise angegangen werden und dass insbesondere der von Seeschiffen verursachte Anteil an der Konzentration von Partikeln sowie von Ozon und seinen Vorläufersubstanzen in der Luft noch weiterer Prüfung bedarf.

(4)

Im Zusammenhang mit ihrer Mitteilung über das Programm „Saubere Luft für Europa (CAFE): Eine thematische Strategie für die Luftqualität“ (4) überprüfte die Kommission erneut den von Schiffen verursachten Anteil an der Konzentration von Luftschadstoffen in der Luft und stellte vor allem in Hafengebieten signifikante Werte fest. In einigen Häfen ist die Einhaltung der Normen für die Luftqualität durch Schiffsemissionen möglicherweise gefährdet.

(5)

Im Zuge des CAFE-Programms wurde festgestellt, dass eine Reduzierung von Schiffsemissionen, verglichen mit weiteren Maßnahmen in anderen Sektoren, zunehmend kosteneffizient ist. Der Schadstoffausstoß von Schiffen während der Liegezeiten lässt sich größtenteils nur durch Maßnahmen, die an den Motoren oder bei der Abgasreinigung ansetzen, oder durch die Versorgung mit Landstrom reduzieren.

(6)

Die Emissionen von Schiffsmotoren werden international durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) geregelt. Diese Normen wurden nur unzureichend weiterentwickelt, so dass sie keine Lösung angesichts der Probleme mit der Luftqualität in den Gemeinschaftshäfen darstellen.

(7)

Gemäß Artikel 4b der Richtlinie 1999/32/EG des Rates vom 26. April 1999 über eine Verringerung des Schwefelgehalts bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe und zur Änderung der Richtlinie 93/12/EWG (5) sind Schiffe, die am Liegeplatz in den Häfen alle Motoren abschalten und landseitige Elektrizität nutzen, von der Auflage befreit, Schiffskraftstoff mit einem maximalen Schwefelgehalt von 0,1 % zu verwenden.

(8)

Mit der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (6) haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen Energie ganz oder teilweise von der Besteuerung zu befreien oder den Steuersatz zu senken —

EMPFIEHLT:

1.

Die Mitgliedstaaten sollten den Aufbau einer Landstromanlage an Schiffsliegeplätzen in Häfen prüfen, insbesondere in den Fällen, in denen die Grenzwerte für die Luftqualität überschritten werden, in denen die Öffentlichkeit Bedenken bezüglich der hohen Lärmbelastung geäußert hat und vor allem bei wohngebietsnahen Liegeplätzen.

2.

Die Mitgliedstaaten sollten die im Anhang beiliegenden Erläuterungen zur Kenntnis nehmen, in denen für unterschiedliche Schiffstypen, Schiffsrouten und Häfen die Kosteneffizienz und praktische Umsetzbarkeit der Emissionsreduzierung durch Landstromversorgung dargelegt werden. Unabhängig davon sollten Umweltnutzen und Kosteneffizienz weiterhin im Einzelfall bewertet werden.

3.

Die Mitgliedstaaten sollten im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) im Zuge der laufenden Überarbeitung des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) darauf hinwirken, dass harmonisierte internationale Normen für landseitige Anschlüsse für die Stromversorgung unter Berücksichtigung der laufenden Arbeiten entwickelt werden.

4.

Die Mitgliedstaaten sollten unter Nutzung der Möglichkeiten, die das Gemeinschaftsrecht bietet, wirtschaftliche Anreize für Schiffsbetreiber prüfen, die Landstromversorgung von Schiffen zu nutzen.

5.

Die Mitgliedstaaten sollten lokale, für den Hafenbereich verantwortliche Behörden, Seeschifffahrtsämter, Hafenbehören, Klassifikationsgesellschaften und Industrieverbände für Fragen der Landstromversorgung sensibilisieren.

6.

Die Mitgliedstaaten sollten die Hafenbehörden und Unternehmen auffordern, bewährte Praktiken bei der Landstromversorgung und einschlägige Harmonisierungsverfahren für diesen Dienst auszutauschen.

7.

Die Mitgliedstaaten sollten die Kommission über die von ihnen geplanten Maßnahmen zur Reduzierung der Schiffsemissionen in Häfen unterrichten, insbesondere in den Fällen, in denen die Grenzwerte für die Luftqualität überschritten werden.

Brüssel, den 8. Mai 2006

Für die Kommission

Stavros DIMAS

Mitglied der Kommission


(1)  KOM(2002) 595 endg.

(2)  ABl. C 89 E vom 14.4.2004, S. 107.

(3)  ABl. C 8 vom 13.1.2004, S. 3.

(4)  KOM(2001) 245 endg.

(5)  ABl. L 121 vom 11.5.1999, S. 13. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2005/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 191 vom 22.7.2005, S. 59).

(6)  ABl. L 283 vom 31.10.2003, S. 51. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/75/EG (ABl. L 157 vom 30.4.2004, S. 100, berichtigt in ABl. L 195 vom 2.6.2004, S. 31).


ANHANG

KURZDARSTELLUNG DER LANDSTROMVERSORGUNG

Dieser Anhang enthält Informationen zu den Kosten und zum Nutzen von Landstromanlagen. Weitere Einzelheiten sind in dem jüngst von der Kommission veröffentlichten Bericht „Dienstleistungsauftrag in Bezug auf Emissionen von Schiffen: Zuschreibung, Minderung und marktgestützte Instrumente: landseitige Stromversorgung“ (1) zu entnehmen. Die Zahlenangaben zu den Emissionen und Kosten beziehen sich zwar auf Seeschiffe, können aber ebenso auf Binnenschiffe übertragen werden.

1.   Technische Anforderungen — typische Konfiguration

Die nachstehende Skizze zeigt die typische Auslegung einer Landstromanlage. Je nach Schiff und Liegeplatz sind auch andere Konfigurationen denkbar. Derzeit sind die Internationale Kommission für Regeln zur Begutachtung elektrotechnischer Erzeugnisse und der Internationale Verband der Klassifikationsgesellschaften damit befasst, Industrienormen auszuarbeiten, auf die sich die IMO künftig stützen könnte.

Image

1.

Anschluss an das nationale Stromnetz (20 — 100 kV) über eine lokale Umspannstation für die Umspannung in 6 — 20 kV.

2.

Auf 6 — 20 kV ausgelegte Kabel zur Verbindung der Umspannstation mit dem Hafenterminal.

3.

Gegebenenfalls Frequenzanpassung. (In der Regel haben die Stromnetze in der Gemeinschaft eine Frequenz von 50 Hz. Ein für 60 Hz ausgelegtes Bordnetz eines Schiffes kann möglicherweise Strom mit einer Frequenz von 50 Hz für einige Geräte, wie bordeigene Beleuchtung und Heizung, nutzen, aber nicht für motorbetriebene Geräte, wie Pumpen, Winden und Kräne. Daher muss die Frequenz der 50-Hz-Landversorgung für ein für 60 Hz ausgelegtes Bordnetz angepasst werden.)

4.

Stromkabel zum Terminal. Diese könnten im Boden in bereits vorhandenen oder neuen Schächten verlegt werden.

5.

Ein Kabeltrommelsystem für die Handhabung der Hochspannungskabel. Dieses System, bestehend aus einer Kabeltrommel, einem Schwenkkran und einem Gestell, könnte auf der Landseite installiert werden. Mit Hilfe des Schwenkkrans und des Gestells könnten die Kabel auf das Schiff gehoben bzw. gesenkt werden. Kabeltrommel und Gestell könnten elektromechanisch angetrieben und gesteuert werden.

6.

Steckverbindung an Bord des Schiffes für den Kabelanschluss.

7.

Transformator an Bord des Schiffes für die Umspannung in 400 V.

8.

Das gesamte Schiff wird mit Landstrom versorgt, so dass die Hilfsmotoren abgeschaltet werden können.

2.   Vorteile — Emissionsreduzierung

Die landseitige Stromversorgung ist eine Möglichkeit, die Luftqualität vor Ort zu verbessern. Die sich daraus ergebenden Vorteile hängen von unterschiedlichsten Faktoren ab. Die für diese Empfehlung durchgeführte Folgenabschätzung macht deutlich, welche Vorteile durch einen verstärkten Einsatz dieser Möglichkeit in Europa erzielt werden könnten. Vor der Installation einzelner Anlagen gilt es, eine Kosten-Nutzen-Analyse vor dem Hintergrund der jeweiligen Gegebenheiten durchzuführen.

Die Folgenabschätzung, für die 500 Liegeplätze und mittelgroße Motoren zugrunde gelegt wurden, verdeutlicht die Reduzierung der Luftschadstoffe. Ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung des Nutzens ist der Schwefelgehalt des Schiffskraftstoffs. Ab 2010 gelten nach dem Gemeinschaftsrecht in der Regel strengere Grenzwerte für den Schwefelgehalt des an Liegeplätzen verwendeten Schiffskraftstoffs. Daher gehen die Beispiele von einem Schwefelgehalt von 2,7 % bzw. 0,1 % aus. Es zeigt sich, dass sich bei einem Einsatz der landseitigen Stromversorgung unter der Annahme eines Schwefelgehalts von 2,7 % der geldwerte Vorteil auf 252 bis 708 Mio. EUR pro Jahr beliefe und unter der Annahme eines Schwefelgehalts von 0,1 % auf 103 bis 284 Mio. EUR pro Jahr. Hierbei sind der Nutzen für die Gesundheit und geringere Materialschäden infolge des verringerten Schadstoffausstoßes bereits eingerechnet (2).

Nicht berücksichtigt sind weitere Vorteile, die sich aus der Umstellung auf die Landstromversorgung ergeben. So verringern sich die Kohlendioxidemissionen (CO2) um über 50 %, die Kohlenmonoxidemissionen (CO) um etwa 99 % und die Stickstoffoxidemissionen (N20) um über 50 %. Schwingungen und Lärm der Hilfsmotoren, bei denen in unmittelbarer Nähe 90—120 dB gemessen werden, entfallen, was die Wartungsarbeiten für das Bordpersonal erleichtert.

3.   Kosten — Investitions- und Betriebskosten

Die Kosten für die Installation und Nutzung von Landstromanlagen müssen sowohl von den Häfen als auch von den Schiffen getragen werden und können stark voneinander abweichen, je nachdem, inwieweit Infrastrukturen, vor allem in den Häfen, bereits vorhanden sind. Im Zuge der Folgenabschätzung wurden die jährlich anfallenden Kosten für einen durchschnittlichen Liegeplatz sowohl für neue als auch nachgerüstete Schiffe mit unterschiedlich großen Hilfsmotoren berechnet. Die Kosten sind in Tabelle 1 aufgeschlüsselt.

Dabei zeigt sich auch, dass die Gesamtkosten für Schiffe mit größeren Hilfsmotoren, bei denen sich der Schadstoffausstoß am stärksten verringern dürfte, sehr viel niedriger sind. Auch fallen sehr viel geringere Kosten an, wenn neue Schiffe bereits für die Landstromabnahme ausgerüstet werden, statt umgerüstet werden zu müssen. Bei den Schiffsbetriebskosten fallen die Kosten für Schiffskraftstoffe und Strom sehr stark ins Gewicht. Zwar schwanken die Kraftstoffpreise, doch ist Kraftstoff mit niedrigem Schwefelgehalt teurer als Kraftstoff mit hohem Schwefelgehalt. Eine geringere Besteuerung des landseitig erzeugten Stroms dürfte die Attraktivität der Landstromversorgung von Schiffen noch erhöhen.

Tabelle 1

SCHIFFSTYP

Größe des Hilfsmotors

Jährliche Gesamtkosten

 

mit Steuern

niedriger Kraftstoffpreis

ohne Steuern

hoher Kraftstoffpreis

(EUR/Liegeplatz/Jahr)

(EUR/Liegeplatz/Jahr)

NEUE SCHIFFE

klein

164 659

82 315

mittel

269 416

39 904

groß

521 630

–72 298

NACHGERÜSTETE SCHIFFE

klein

202 783

120 439

mittel

324 402

94 890

groß

617 999

24 071

4.   Kosten-Nutzen-Vergleich

Unter Zugrundlegung von 500 Liegeplätzen dürften sich die geldwerten Vorteile der Verringerung der vier Schadstoffe pro Jahr auf etwa 103 bis 284 Mio. EUR bei einem Schwefelgehalt des Kraftstoffs von 0,1 % belaufen und auf 252 bis 708 Mio. EUR bei einem Schwefelgehalt von 2,7 %. Die Spanne des Einsparungspotenzials hängt von verschiedenen methodischen Faktoren ab, beispielsweise den statistischen Annahmen zur Lebensdauer. Weitere Einzelheiten sind der im Rahmen der thematischen Strategie zur Luftverschmutzung (3) durchgeführten Folgenabschätzung zu entnehmen.

Die in Tabelle 1 dargestellten jährlichen Gesamtkosten für das System je Liegeplatz hängen von drei Faktoren ab: Größe der Schiffsmotoren, Ausrüstung eines neuen Schiffes bzw. Umrüstung eines alten Schiffes, Kosten für Strom und Schiffskraftstoff. So belaufen sich laut Folgenabschätzung die Mehrkosten für die Landstromversorgung gegenüber der Verwendung von Schiffskraftstoffen pro Jahr auf 185 Mio. Euro, geht man von 500 Liegeplätzen, niedrigen Preisen für Schiffskraftstoffe und voller Besteuerung des Stroms aus. Werden jedoch hohe Kraftstoffpreise und eine vollständige Befreiung von der Energiesteuer zugrunde gelegt, sinken die Gesamtkosten um 80 % auf etwa 34 Mio. EUR pro Jahr.

Diese Zahlen zeigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Vorteile der Landstromversorgung die Kosten überwiegen. In vielen Fällen übersteigen die Vorteile die Kosten um ein Vielfaches.

5.   Schlussfolgerung

Kosten und Nutzen der Landstromversorgung hängen in starkem Maße von der vorhandenen Konfiguration und dem Standort des Hafens, vom Liegeplatz und vom Schiff ab. Daher ist bei der Beurteilung der Kosteneffizienz stets der Einzelfall zu betrachten. Auch sollte weiter daran gearbeitet werden, die Emissionen direkt an den Schiffsmotoren zu reduzieren.

Ökologisch betrachtet lassen sich mit der Landstromversorgung sehr viel höhere Emissionsreduzierungen, insbesondere für NOx und Feststoffpartikel, erreichen, als mit der Umstellung auf Kraftstoff mit einem Schwefelgehalt von 0,1 % für Liegeplätze (wie gemäß der Richtlinie 2005/33/EG ab 2010 gefordert). Dies gilt es besonders in Häfen zu berücksichtigen, in denen die NOx- und Feststoffpartikelemissionen von Schiffen lokal die Luftqualität soweit verschlechtern, dass die Grenzwerte für Ozon und Partikel in der Luft überschritten werden.

Die Zahlen lassen darauf schließen, dass bei Schiffen mit großen Motoren, die regelmäßig den gleichen Hafen anlaufen, die Umstellung auf Landstromversorgung ökologisch und ökonomisch sinnvoller ist als die Umstellung auf den Einsatz von Kraftstoff mit 0,1 % Schwefelgehalt. Ökonomisch betrachtet dürfte die Landstromversorgung im Vergleich zu Kraftstoff mit niedrigerem Schwefelgehalt für neu gebaute Schiffe, die regelmäßig denselben Hafen anlaufen, Einsparungen bringen, vor allem, aber nicht nur dann, wenn Strom geringer besteuert wird, wie dies auf der Grundlage der Richtlinie 2003/96/EG möglich ist. Mitgliedstaaten und lokale Behörden können jedoch durchaus auch andere Wege einschlagen, um Häfen Anreize zu geben, in Landstromanlagen zu investieren und deren Nutzung sicherzustellen.


(1)  Siehe: http://www.europa.eu.int/comm/environment/air/pdf/task2_shore-side.pdf

(2)  Siehe http://europa.eu.int/comm/environment/air/cafe/activities/pdf/cafe_cba_externalities.pdf (Seite 4). Bei den Werten handelt es sich um nationale Durchschnittswerte (aus städtischen und ländlichen Gebieten), so dass der Nutzen in innerstädtischen Häfen noch größer ausfallen dürfte.

(3)  SEK(2005) 1133.