20.12.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 336/20


VERORDNUNG (EU) Nr. 1332/2011 DER KOMMISSION

vom 16. Dezember 2011

zur Festlegung gemeinsamer Anforderungen für die Nutzung des Luftraums und gemeinsamer Betriebsverfahren für bordseitige Kollisionswarnsysteme

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, zur Aufhebung der Richtlinie 91/670/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und der Richtlinie 2004/36/EG (1), insbesondere Artikel 8 Absatz 1, Artikel 8 Absatz 5 und Artikel 9 Absatz 4,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Betreiber von Luftfahrzeugen, die in einem Mitgliedstaat eingetragen sind oder in einem Drittstaat eingetragen sind und von einem Luftfahrzeugbetreiber der Europäischen Union betrieben werden, sowie Betreiber von Luftfahrzeugen, die von einem Luftfahrzeugbetreiber eines Drittstaats innerhalb der Union genutzt werden, sollten Sicherheitsanforderungen unterliegen.

(2)

Nach einer Reihe von Beinahe-Zusammenstößen, bei denen die Sicherheitsabstände unterschritten wurden, und den Unfällen 2001 in Yaizu (Japan) und 2002 in Überlingen (Deutschland) sollte die bestehende Systemsoftware für bordseitige Kollisionswarnsysteme (ACAS) verbessert werden. Studien zufolge beträgt die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes in der Luft mit der bestehenden Software für bordseitige Kollisionswarnsysteme 2,7 × 10-8 pro Flugstunde. Daher gilt die derzeitige Version 7.0 von ACAS II als mit einem unvertretbaren Sicherheitsrisiko behaftet.

(3)

Zur Vermeidung von Zusammenstößen in der Luft zwischen Luftfahrzeugen, die in dem Luftraum verkehren, für den die Verordnung (EG) Nr. 216/2008 gilt, muss eine neue Version der Software für bordseitige Kollisionswarnsysteme (ACAS II) eingeführt werden.

(4)

Zur Gewährleistung der höchstmöglichen Sicherheitsstandards sollte in Luftfahrzeugen, die nicht von der verbindlichen Ausrüstungsanforderung erfasst werden, aber vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung mit ACAS II ausgerüstet wurden, ACAS II mit der neuesten Version der Kollisionswarnsoftware installiert sein.

(5)

Um zu gewährleisten, dass der mit der neuen Softwareversion verbundene Zugewinn an Sicherheit realisiert wird, müssen sämtliche Luftfahrzeuge so bald wie praktisch möglich damit ausgerüstet werden. Es ist jedoch notwendig, für die Luftfahrtindustrie unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit neuer Ausrüstung einen realistischen Zeitrahmen zur Anpassung an diese neue Verordnung vorzusehen.

(6)

Die Agentur hat den Entwurf von Durchführungsvorschriften ausgearbeitet und der Kommission als Stellungnahme gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 vorgelegt.

(7)

Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des nach Artikel 65 der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 eingesetzten Ausschusses der Europäischen Agentur für Flugsicherheit —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Gegenstand und Geltungsbereich

Mit dieser Verordnung werden gemeinsame Anforderungen für die Nutzung des Luftraums und gemeinsame Betriebsverfahren für bordseitige Kollisionswarnsysteme festgelegt, denen folgende Akteure entsprechen müssen:

(a)

Betreiber von Luftfahrzeugen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben b und c der Verordnung (EG) Nr. 216/2008, die Flüge mit Start- und/oder Zielflughafen in der Europäischen Union unternehmen, und

(b)

Betreiber von Luftfahrzeugen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EG) Nr. 216/2008, die Flüge im Luftraum über dem Gebiet unternehmen, auf das der Vertrag Anwendung findet, sowie in jedem anderen Luftraum, in dem die Mitgliedstaaten die Verordnung (EG) Nr. 551/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) anwenden.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Verordnung gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

1.

„Bordseitiges Kollisionswarnsystem“ (Airborne Collision Avoidance System, ACAS) bezeichnet ein System in Luftfahrzeugen auf Grundlage von Transpondersignalen des Rundsicht-Sekundärradars (Secondary Surveillance Radar, SSR), das von bodenseitigen Systemen unabhängig arbeitet und dem Piloten Hinweise zu potenziell konfligierenden Luftfahrzeugen liefert, die mit SSR-Transpondern ausgerüstet sind;

2.

„Bordseitiges Kollisionswarnsystem II“ (ACAS II) bezeichnet ein bordseitiges Kollisionswarnsystem, das zusätzlich zu Verkehrshinweisen vertikale Ausweichempfehlungen bereitstellt;

3.

„Ausweichempfehlung“ (resolution advisory — RA) bezeichnet einen Hinweis an die Flugbesatzung, mit dem ein Manöver zur Staffelung im Hinblick auf jegliche Bedrohung oder eine Manöverbeschränkung zur Wahrung der bestehenden Staffelung empfohlen wird;

4.

„Verkehrshinweis“ (traffic advisory — TA) bezeichnet einen Hinweis an die Flugbesatzung, dass die Annäherung an ein anderes Luftfahrzeug eine potenzielle Bedrohung darstellt.

Artikel 3

Bordseitiges Kollisionswarnsystem (Airborne Collision Avoidance System – ACAS)

(1)   Die in Abschnitt I des Anhangs dieser Verordnung genannten Flugzeuge sind gemäß den im Anhang aufgeführten Vorschriften und Verfahren auszurüsten und zu betreiben.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass beim Betrieb der in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 genannten Flugzeuge die im Anhang aufgeführten Vorschriften und Verfahren im Einklang mit den Bestimmungen jenes Artikels eingehalten werden.

Artikel 4

Sonderbestimmungen für der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates (3) unterliegende Luftfahrzeugbetreiber

(1)   Abweichend von den Bestimmungen von OPS 1.668 und 1.398 des Anhangs III der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 gelten Artikel 3 und der Anhang dieser Verordnung für Betreiber der in Artikel 1 Buchstabe a genannten Luftfahrzeuge.

(2)   Jegliche andere Verpflichtung in Bezug auf die Genehmigung, den Einbau oder den Betrieb von Ausrüstungen, die Luftfahrzeugbetreibern durch die Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 auferlegt wird, gilt für ACAS II weiterhin.

Artikel 5

Inkrafttreten und Gültigkeit

(1)   Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

(2)   Die Artikel 3 und 4 gelten ab 1. März 2012.

(3)   Abweichend von Absatz 2 gelten die Bestimmungen von Artikel 3 und 4 für Luftfahrzeuge mit einem vor dem 1. März 2012 ausgestellten individuellen Lufttüchtigkeitszeugnis ab 1. Dezember 2015.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 16. Dezember 2011

Für die Kommission

Der Präsident

José Manuel BARROSO


(1)  ABl. L 79 vom 19.3.2008, S. 1.

(2)  ABl. L 96 vom 31.3.2004, S. 20.

(3)  ABl. L 373 vom 31.12.1991, S. 4.


ANHANG

Bordseitige Kollisionswarnsysteme (Airborne Collision Avoidance Systems — ACAS) II

[Teil-ACAS]

Abschnitt I —   ACAS-II-Ausrüstung

AUR.ACAS.1005   Leistungsanforderungen

1.

Die nachfolgend genannten turbinengetriebenen Flugzeuge müssen mit Kollisionswarnsoftware Version 7.1 von ACAS II ausgerüstet sein:

a)

Flugzeuge mit einer höchstzulässigen Startmasse von mehr als 5 700 kg;

b)

Flugzeuge, die zur Beförderung von mehr als 19 Fluggästen zugelassen sind.

2.

In Nummer 1 nicht genannte, aber auf freiwilliger Grundlage mit ACAS II ausgerüstete Luftfahrzeuge müssen über Kollisionswarnsoftware Version 7.1 verfügen.

3.

Nummer 1 gilt nicht für unbemannte Luftfahrzeugsysteme.

Abschnitt II —   Betrieb

AUR.ACAS.2005   Einsatz von ACAS II

1.

Sofern in der Mindestausrüstungsliste gemäß Anhang III der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 nichts anderes bestimmt ist, wird das bordseitige Kollisionswarnsystem ACAS II während des Fluges in einer Betriebsart genutzt, die die Ausgabe von Ausweichempfehlungen für die Flugbesatzung ermöglicht, wenn eine unzulässige Annäherung an ein anderes Luftfahrzeug festgestellt wird, es sei denn, die Sperre der Betriebsart „RA“ (und die ausschließliche Verwendung von „TA“ oder einer gleichwertigen Betriebsart) ist aufgrund eines außergewöhnlichen Verfahrens oder aufgrund leistungsbeschränkender Bedingungen erforderlich.

2.

Gibt ACAS II eine Ausweichempfehlung aus,

a)

muss der steuernde Pilot unverzüglich den Hinweisen der Ausweichempfehlung Folge leisten, selbst wenn diese im Widerspruch zu Anweisungen der Flugverkehrskontrolle stehen, es sei denn, dies würde die Sicherheit des Luftfahrzeugs bedrohen;

b)

muss die Flugbesatzung, sobald es die Arbeitsbelastung erlaubt, die zuständige Flugverkehrskontrollstelle über jede Ausweichempfehlung informieren, die eine Abweichung von der geltenden Anweisung oder Freigabe der Flugverkehrskontrolle erforderlich macht;

c)

muss das Luftfahrzeug nach Beendigung der Konfliktsituation

i)

unverzüglich zu den Bedingungen zurückkehren, die in den bestätigten Anweisungen oder der Freigabe der Flugverkehrskontrolle vorgegeben waren, und die Flugverkehrskontrolle muss über das Manöver informiert werden, oder

ii)

allen geänderten Freigaben oder Anweisungen der Flugverkehrskontrolle Folge leisten.

AUR.ACAS.2010   ACAS-II-Schulung

Luftfahrzeugbetreiber müssen ACAS-II-Betriebsverfahren und -Schulungsprogramme festlegen, um Flugbesatzungen angemessen für die Vermeidung von Zusammenstößen und die kompetente Nutzung von ACAS II zu schulen.