3.2.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 37/6


BESCHLUSS (EU) 2021/121 DES RATES

vom 28. Januar 2021

über den im Namen der Europäischen Union in Beantwortung des Rundschreibens der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation bezüglich Änderung 28 zu Anhang 9 Kapitel 9 Abschnitt D des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt zu vertretenden Standpunkt

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 16 Absatz 2 und Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a in Verbindung mit Artikel 218 Absatz 9,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Das Abkommen von Chicago über die internationale Zivilluftfahrt (im Folgenden „Abkommen von Chicago“), das der Regulierung der internationalen Luftfahrt dient, ist am 4. April 1947 in Kraft getreten. Mit diesem Abkommen wurde die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) gegründet.

(2)

Die Mitgliedstaaten der Union sind Vertragsstaaten des Abkommens von Chicago und Mitglieder der ICAO, während die Union in bestimmten ICAO-Gremien Beobachterstatus hat.

(3)

Nach Artikel 54 des Abkommens von Chicago hat der ICAO-Rat internationale Richtlinien und Empfehlungen (SARP) anzunehmen.

(4)

Am 21. Dezember 2017 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (im Folgenden „VN-Sicherheitsrat“) in seiner Resolution 2396 (2017), dass die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Durchführung der Richtlinien und Empfehlungen der ICAO Kapazitäten zur Sammlung, Verarbeitung und Analyse von Daten aus Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records, PNR) aufbauen und dafür sorgen sollen, dass alle ihre zuständigen nationalen Behörden Fluggastdatensätze unter voller Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten nutzen und weitergeben, um terroristische Straftaten und damit zusammenhängende Reisen zu verhüten, aufzudecken und zu untersuchen.

(5)

Ferner wurde die ICAO mit der Resolution 2396 (2017) des VN-Sicherheitsrats nachdrücklich aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den Vertragsstaaten eine Richtlinie zur Sammlung, Nutzung und Verarbeitung von Daten aus Fluggastdatensätzen und zum Schutz dieser Daten festzulegen.

(6)

Richtlinien und Empfehlungen zu Fluggastdatensätzen sind in Anhang 9 Kapitel 9 Abschnitt D des Abkommens von Chicago enthalten. Diese Richtlinien und Empfehlungen werden ergänzt durch zusätzliche Orientierungshilfen, insbesondere das ICAO-Dokument 9944 mit Leitlinien zu Fluggastdatensätzen.

(7)

Am 23. Juni 2020 nahm der ICAO-Rat die Änderung 28 zu Anhang 9 Kapitel 9 Abschnitt D des Abkommens von Chicago an, mit der eine neue Reihe von Richtlinien und Empfehlungen für die Vertragsstaaten mit dem Ziel festgelegt wird, dass diese, unterstützt durch einen geeigneten rechtlichen und administrativen Rahmen, Kapazitäten zur Sammlung, Nutzung und Verarbeitung sowie zum Schutz von Fluggastdatensätzen für Flüge von und nach ihrem Hoheitsgebiet (im Folgenden „Änderung 28“) aufbauen.

(8)

Gemäß Artikel 90 des Abkommens von Chicago tritt Änderung 28 drei Monate nach Ablauf der Frist für die Mitteilung von Ablehnungen in Kraft, sofern nicht die Mehrheit seiner Vertragsstaaten ihre Ablehnung mitgeteilt hat.

(9)

Nach Artikel 38 des Abkommens von Chicago muss jeder Vertragsstaat — wenn er es für undurchführbar erachtet, eine solche internationale Richtlinie oder ein solches Verfahren in jeder Hinsicht zu befolgen oder sein eigenes Regelwerk oder seine Praktiken vollständig an eine internationale Richtlinie oder ein Verfahren anzupassen, nachdem diese geändert wurden, oder wenn er es für notwendig hält, Regeln zu erlassen oder Praktiken anzunehmen, die in irgendeiner Weise von den Vorgaben einer internationalen Richtlinie abweichen — unverzüglich die ICAO über die Abweichung seiner eigenen Praktiken von den Vorgaben der internationalen Richtlinie in Kenntnis setzen. Die Notifikation solcher Abweichungen hat Einfluss auf die Rechtswirkungen der von der ICAO angenommenen Richtlinien. Der Standpunkt der Union in dieser Angelegenheit ist daher gemäß Artikel 218 Absatz 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festzulegen.

(10)

Die Änderung 28 wurde den Vertragsstaaten durch das Rundschreiben EC 6/3-20/71 notifiziert. Nach diesem Rundschreiben sind etwaige Abweichungen von oder die Bestätigung der Einhaltung der Änderung 28 bis zum 30. Januar 2021 zu notifizieren.

(11)

Die Union hat mit der Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates (1), deren Anwendungsbereich sich in großen Teilen mit dem von den Richtlinien und Empfehlungen in der Fassung der Änderung 28 abgedeckten Bereich überschneidet, gemeinsame Vorschriften für Fluggastdatensätze erlassen. Die Richtlinie (EU) 2016/681 umfasst insbesondere ein flächendeckendes Regelwerk zum Schutz der Grundrechte auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten im Zusammenhang mit einer Übermittlung von Fluggastdatensätzen durch Fluggesellschaften an die Mitgliedstaaten und der Verarbeitung solcher Daten zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität.

(12)

Die Union hat ferner Gesetzgebungsakte zum Schutz personenbezogener Daten erlassen, nämlich die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) und die Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates (3), die für die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen durch Fluggesellschaften und andere private Betreiber und Behörden, die für die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten und die Strafvollstreckung, einschließlich für die Zwecke des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, zuständig sind, gelten.

(13)

Darüber hinaus sind derzeit sind zwei internationale Abkommen über die Verarbeitung und Übermittlung von Fluggastdatensätzen zwischen der Union und Drittländern, und zwar Australien (4) und den Vereinigten Staaten (5), in Kraft. Am 26. Juli 2017 legte der Gerichtshof der Europäischen Union ein Gutachten 1/15 zu dem geplanten Abkommen zwischen der Union und Kanada über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen vor, das am 25. Juni 2014 unterzeichnet wurde (im Folgenden „Gutachten 1/15“) (6).

(14)

Die PNR-bezogenen Aspekte von Anhang 9 Kapitel 9 Abschnitt D des Abkommens von Chicago in der Fassung der Änderung 28 betreffen einen Bereich, für den die Union gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die ausschließliche Zuständigkeit besitzt, da die Änderung 28 Auswirkungen auf die gemeinsamen Vorschriften für den Schutz und die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen haben kann.

(15)

Dementsprechend wurde der Standpunkt der Union zu dieser Frage für die Zwecke der Vorbereitung der Änderung 28 im Einklang mit dem Beschluss (EU) 2019/2107 des Rates (7) festgelegt. Dieser Standpunkt wird den Anforderungen des Unionsrechts in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten und die Übermittlung von Fluggastdatensätzen an Drittländer gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinien (EU) 2016/680 und (EU) 2016/681 sowie den sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, insbesondere im Gutachten 1/15, ergebenden Anforderungen gerecht.

(16)

Die mit der Änderung 28 geänderten Richtlinien und Empfehlungen entsprechen weitgehend dem im Beschluss (EU) 2019/2107 festgelegten Standpunkt der Union und legen ehrgeizige Datenschutzbestimmungen, insbesondere hinsichtlich der Rechte der betroffenen Personen, der Aufsicht durch eine unabhängige Behörde, sensibler Daten, der automatisierten Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und der Nichtdiskriminierung, der Zwecke, für die Fluggastdatensätze verarbeitet werden dürfen, sowie der Speicherung, Verwendung, Weitergabe und Übermittlung von Fluggastdatensätzen fest.

(17)

Da die Änderung 28 erhebliche Fortschritte auf internationaler Ebene in Bezug auf die Richtlinien für den Schutz von Fluggastdatensätzen ermöglichen würde, haben die Mitgliedstaaten der Union keine Ablehnung gemäß Artikel 90 des Abkommens von Chicago mitgeteilt.

(18)

Die Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht für die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen ergeben, sind jedoch strenger als die in mit der Änderung 28 geänderten Richtlinien und Empfehlungen.

(19)

Gemäß Richtlinie 9.34(a) der Änderung 28 sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Übermittlung von Fluggastdatensätzen an einen anderen Vertragsstaat, der die Richtlinien und Empfehlungen einhält, nicht zu hemmen oder zu verhindern. Die Vertragsstaaten haben gemäß der Richtlinie 9.34(b) der Änderung 28 weiterhin die Möglichkeit, im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsrahmen ein höheres Schutzniveau beizubehalten oder einzuführen und zusätzliche Vereinbarungen mit anderen Vertragsstaaten zu treffen, um detailliertere Bestimmungen für die Übermittlung von Fluggastdatensätzen festzulegen. Jedoch ist durch den derzeitigen Wortlaut der Richtlinie 9.34 aus Sicht der Union und der Mitgliedstaaten rechtlich nicht hinreichend klargestellt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, diese strengeren Anforderungen aufzuerlegen.

(20)

Unter diesen Umständen sollten die Mitgliedstaaten in Beantwortung des Rundschreibens EC 6/3-20/71 eine Abweichung im Sinne des Artikels 38 des Abkommens von Chicago förmlich notifizieren, um die Einhaltung des Unionsrechts und der Richtlinien und Empfehlungen zu gewährleisten. Diese Abweichung sollte auf Anhang 9 Kapitel 9 Abschnitt D Richtlinie 9.34 des Abkommens von Chicago in der Fassung der Änderung 28 beschränkt sein.

(21)

Es ist daher zweckmäßig, den im Namen der Union zu vertretenden Standpunkt festzulegen.

(22)

Der Standpunkt der Union sollte von den Mitgliedstaaten vertreten werden.

(23)

Irland ist durch die Richtlinie (EU) 2016/681 gebunden und beteiligt sich daher an der Annahme dieses Beschlusses.

(24)

Nach den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieses Beschlusses und ist weder durch diesen Beschluss gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Der Standpunkt, der im Namen der Union in Beantwortung des am 17. Juli 2020 von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation veröffentlichten Rundschreibens EC 6/3-20/71 (8) einzunehmen ist, wird von den Mitgliedstaaten vorgetragen.

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag seiner Annahme in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am 28. Januar 2021.

Im Namen des Rates

Die Präsidentin

A. P. ZACARIAS


(1)  Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 132).

(2)  Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1).

(3)  Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 89).

(4)  Abkommen zwischen der Europäischen Union und Australien über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records — PNR) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an den Australian Customs and Border Protection Service (ABl. L 186 vom 14.7.2012, S. 4).

(5)  Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union über die Verwendung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung an das United States Department of Homeland Security (ABl. L 215 vom 11.8.2012, S. 5).

(6)  Gutachten 1/15 des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 26. Juli 2017, ECLI:EU:C:2017:592.

(7)  Beschluss (EU) 2019/2107 des Rates vom 28. November 2019 über den Standpunkt, der im Namen der Europäischen Union im Rat der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation bezüglich der Überarbeitung des Anhangs 9 (Erleichterungen) Kapitel 9 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt im Hinblick auf Richtlinien und Empfehlungen für Fluggastdatensätze zu vertreten ist (ABl. L 318 vom 10.12.2019, S. 117).

(8)  Siehe Dokument ST 5457/21 unter http://register.consilium.europa.eu.