URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

9. Juni 2021 ( *1 )

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Iran zur Verhinderung der nuklearen Proliferation – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Beibehaltung des Namens des Klägers auf der Liste – Beurteilungsfehler – Art. 266 AEUV“

In der Rechtssache T‑580/19,

Sayed Shamsuddin Borborudi, wohnhaft in Teheran (Iran), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt L. Vidal,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch V. Piessevaux und D. Mykolaitis als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) 2019/855 des Rates vom 27. Mai 2019 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2019, L 140, S. 1), soweit damit der Name des Klägers auf der Liste in Anhang IX der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 961/2010 (ABl. 2012, L 88, S. 1) belassen wird,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni sowie der Richter L. Madise und J. Martín y Pérez de Nanclares (Berichterstatter),

Kanzler: E. Artemiou, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2020

folgendes

Urteil ( 1 )

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

[nicht wiedergegeben]

B.   Aufnahme des Namens des Klägers in die fraglichen Listen

5

Mit dem Beschluss 2011/783/GASP vom 1. Dezember 2011 zur Änderung des Beschlusses 2010/413 (ABl. 2011, L 319, S. 71) änderte der Rat den letztgenannten Beschluss, um die betreffenden restriktiven Maßnahmen auf weitere Personen und Einrichtungen anzuwenden, deren Namen in die Liste in Anhang II des letztgenannten Beschlusses aufgenommen wurden. Der Name des Klägers, Sayed Shamsuddin Borborudi, sowie der Zeitpunkt der Aufnahme seines Namens in diese Liste, vorliegend der 1. Dezember 2011, wurden in Anhang II des Beschlusses 2010/413 mit folgender Begründung aufgenommen:

„Stellvertretender Leiter der von den [Vereinten Nationen] benannten Atomenergieorganisation Irans [(AEOI)], in der er dem von den [Vereinten Nationen] benannten Feridun Abbasi Davani untersteht. Borborudi ist seit mindestens 2002 am iranischen Nuklearprogramm beteiligt, unter anderem als ehemaliger Leiter der Abteilung Beschaffung und Logistik des AMAD[-Projekts], wo er für den Einsatz von Scheinfirmen (wie beispielsweise Kimia Madan) für die Beschaffung von Ausrüstung und Material für das iranische Kernwaffenprogramm verantwortlich war.“

[nicht wiedergegeben]

C.   Beibehaltung des Namens des Klägers auf den fraglichen Listen

[nicht wiedergegeben]

11

Mit Schreiben vom 15. April 2014 stellte der Kläger beim Rat einen neuen Antrag auf Streichung aus den in Rede stehenden Listen (im Folgenden: Schreiben vom 15. April 2014). Der Inhalt dieses neuen Antrags war im Wesentlichen derselbe wie der des oben in Rn. 9 genannten Schreibens vom 31. Januar 2013. Neben dem Inhalt dieses Schreibens beinhaltete das Schreiben vom 15. April 2014 auch einen Hinweis auf den am 24. November 2013 in Genf (Schweiz) vereinbarten gemeinsamen Aktionsplan. Der Kläger machte geltend, dass die AEOI angesichts dieses Plans vom Rat erwartet habe, dass er seinen Beschluss über die Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen Personen und Einrichtungen, die am iranischen Nuklearprogramm beteiligt seien, überdenke. Der Kläger brachte ferner vor, er arbeite in keiner Weise, weder als Berater noch als Verwalter, mit den Unternehmen oder Organisationen, die Gegenstand von Sanktionen seien, oder mit Einrichtungen, die mit der iranischen Nuklearindustrie in Verbindung stünden, zusammen.

12

Nach der Versendung des Schreibens vom 15. April 2014 erfolgte bis zum 27. Mai 2019 kein Austausch zwischen dem Rat und dem Kläger. An diesem Tag erließ der Rat, nach der jährlichen Überprüfung der Liste der Personen und Einrichtungen in Anhang II des Beschlusses 2010/413, wie sie in dessen Art. 26 Abs. 3 vorgesehen ist, den Beschluss (GASP) 2019/870 zur Änderung des Beschlusses 2010/413 (ABl. 2019, L 140, S. 90). Durch Art. 1 des Beschlusses 2019/870 wurde Anhang II des Beschlusses 2010/413 nach Maßgabe des Anhangs des Beschlusses 2019/870 geändert. Der den Kläger betreffende Eintrag in diesem Anhang wurde geändert, um in der Spalte betreffend die Identifizierungsinformationen das Geburtsdatum des Klägers, nämlich den 21. September 1969, hinzuzufügen.

13

Am 27. Mai 2019 erließ der Rat auch die Durchführungsverordnung (EU) 2019/855 zur Durchführung der Verordnung Nr. 267/2012 (ABl. 2019, L 140, S. 1, im Folgenden: angefochtener Rechtsakt). Gemäß Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts wurde Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 geändert, um den Änderungen des Anhangs II des Beschlusses 2010/413 durch den Beschluss 2019/870 Rechnung zu tragen. Insbesondere ist der Name des Klägers in Zeile 25 der Tabelle A des Anhangs IX der Verordnung Nr. 267/2012 unter den Personen und Einrichtungen, die an nuklearen Tätigkeiten oder Tätigkeiten im Zusammenhang mit ballistischen Raketen beteiligt sind, und Personen und Einrichtungen, die die Regierung Irans unterstützen, angeführt.

II. Verfahren und Anträge der Parteien

14

Mit Klageschrift, die am 20. August 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

15

Mit Entscheidung vom 17. Oktober 2019 hat der Präsident des Gerichts gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts die Rechtssache einem neuen, der Vierten Kammer zugeteilten Berichterstatter zugewiesen.

16

Am 22. November 2019 hat der Rat die Klagebeantwortung bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

17

Die Erwiderung und die Gegenerwiderung sind vom Kläger am 14. Februar 2020 bzw. vom Rat am 23. April 2020 eingereicht worden.

18

Das schriftliche Verfahren ist am 23. April 2020 abgeschlossen worden.

19

Im Rahmen der prozessleitenden Maßnahmen nach Art. 89 Abs. 3 Buchst. a der Verfahrensordnung hat das Gericht die Parteien am 6. Oktober 2020 aufgefordert, eine Reihe von Fragen zu beantworten, die sie fristgerecht beantwortet haben.

20

Die Parteien haben in der Sitzung vom 3. Dezember 2020 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

21

Der Kläger beantragt,

den angefochtenen Rechtsakt für nichtig zu erklären, soweit er ihn betrifft;

dem Rat die Streichung seines Namens aus Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 aufzugeben;

dem Rat die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

22

Der Rat beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen;

dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.   Zum ersten Klageantrag

23

Festzuhalten ist, dass der Kläger nicht die Nichtigerklärung des gleichzeitig mit der Durchführungsverordnung 2019/855 erlassenen Beschlusses 2019/870 beantragt hat.

24

In Art. 29 EUV, auf dessen Grundlage der Beschluss 2010/413 erlassen wurde, heißt es: „Der Rat erlässt Beschlüsse, in denen der Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt wird. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den Standpunkten der Union in Einklang steht.“

25

Art. 215 Abs. 1 AEUV bestimmt: „Sieht ein nach Titel V Kapitel 2 des Vertrags über die Europäische Union [(das Kapitel, in dem Art. 29 EUV enthalten ist)] erlassener Beschluss die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern vor, so erlässt der Rat die erforderlichen Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit auf gemeinsamen Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission. Er unterrichtet hierüber das Europäische Parlament.“ Abs. 2 dieser Bestimmung lautet: „Sieht ein nach Titel V Kapitel 2 des Vertrags über die Europäische Union erlassener Beschluss dies vor, so kann der Rat nach dem Verfahren des Absatzes 1 restriktive Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten erlassen.“

26

Nach der Rechtsprechung sind die auf der Grundlage von Art. 29 EUV erlassenen Beschlüsse und die auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erlassenen Verordnungen zwei Arten von Rechtsakten, von denen der erste den Standpunkt der Union hinsichtlich der zu erlassenden restriktiven Maßnahmen festlegt und der zweite das Instrument darstellt, mit dem die Maßnahmen auf Unionsebene umgesetzt werden (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 90).

27

Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die Gültigkeit einer auf der Grundlage von Art. 215 AEUV erlassenen Verordnung voraussetzt, dass zuvor ein gültiger Beschluss gemäß den Vorschriften über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 55). Mit anderen Worten ist der Erlass einer Verordnung auf der Grundlage von Art. 215 AEUV vom Erlass eines Beschlusses nach Art. 29 EUV abhängig.

28

Trotz des engen Zusammenhangs zwischen diesen beiden Arten von Rechtsakten handelt es sich gleichwohl um zwei verschiedene und voneinander unabhängige Rechtsakte, so dass eine klagende Partei nicht daran gehindert ist, nur eine Durchführungsverordnung anzufechten.

29

So steht im vorliegenden Fall der Umstand, dass der Gegenstand der Klage auf einen Antrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts, soweit er den Kläger betrifft, beschränkt ist und nicht auch auf den Beschluss 2019/870 abzielt, der Prüfung des Antrags nicht entgegen, unbeschadet der Folgen, die eine etwaige Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts für diesen Beschluss haben könnte (vgl. unten, Rn. 91 ff).

[nicht wiedergegeben]

C.   Zur Begründetheit

[nicht wiedergegeben]

3. Zur Eigenschaft des Klägers als stellvertretender Leiter der AEOI

52

Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger behauptet, dass er im August 2013 aufgehört habe, für die AEOI zu arbeiten und zu dieser Organisation keine Verbindung mehr habe. Zur Untermauerung dieser Behauptung legt der Kläger erstens eine vom Generaldirektor der AEOI unterzeichnete Bescheinigung vom 5. Mai 2019 vor, wonach der Kläger vom 23. April 2011 bis zum 31. August 2013 als „Vizepräsident der [AEOI] für Verwaltungsangelegenheiten und Stellvertreter für Verwaltungs- und Finanzangelegenheiten der Organisation“ gearbeitet habe. Auf die vom Rat in der Klagebeantwortung geäußerte Kritik, dass die genannte Bescheinigung eine schlechte technische Qualität aufweise und nicht beglaubigt worden sei, hat der Kläger bei der Einreichung der Erwiderung eine neue Bescheinigung der Generaldirektion für Personalentwicklung und Wohlfahrt der AEOI vom 22. Januar 2020 vorgelegt. In dieser Bescheinigung, deren Inhalt mit dem der Bescheinigung vom 5. Mai 2019 übereinstimmt, heißt es, dass der Kläger nach dem 31. August 2013 keine Position, Beschäftigung oder Arbeitsbeziehung mit der AEOI gehabt habe. Zweitens macht der Kläger geltend, seine angebliche Eigenschaft als stellvertretender Leiter der AEOI werde durch eine Pressemitteilung des Außenministeriums des Vereinigten Königreichs vom 23. Juni 2019 widerlegt, nach der sich der Minister für den Nahen Osten u. a. mit dem stellvertretenden Leiter der AEOI, A., getroffen habe. Drittens weist der Kläger in der Erwiderung darauf hin, dass kein Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) seinen Namen enthalte. Die verschiedenen Berichte dieser Organisation erwähnten jedoch regelmäßig die Namen der gesetzlichen Vertreter der AEOI, insbesondere den ihres Präsidenten. Schließlich weist der Kläger viertens darauf hin, dass das iranische Nuklearprogramm seit der Unterzeichnung des gemeinsamen umfassenden Aktionsplans unter der strengen Aufsicht der IAEO und der Union stehe. Folglich hätte der Rat, wenn der Kläger mit der AEOI tatsächlich noch verbunden gewesen wäre, über Beweise dafür verfügt.

53

Trotz der Kritik des Rates an der vom Generaldirektor der AEOI unterzeichneten Bescheinigung vom 5. Mai 2019, die der Kläger vorgelegt hat, und trotz der Einwendungen gegen bestimmte Argumente des Klägers ist darauf hinzuweisen, dass der Rat im Rahmen des vorliegenden Verfahrens im Übrigen nicht bestreitet, dass der Kläger im August 2013 aufgehört hat, für die AEOI zu arbeiten.

54

Dagegen macht der Rat geltend, er habe angesichts bestimmter Umstände zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Rechtsakts vernünftigerweise annehmen können, dass der Kläger weiterhin ein stellvertretender Leiter der AEOI gewesen sei. Dies ergebe sich im Wesentlichen erstens daraus, dass der Kläger keine Beweise zur Stützung seines Vorbringens in seinem Schreiben vom 15. April 2014 vorgelegt habe, zweitens aus dem mehrdeutigen Inhalt dieses Schreibens, das andeute, dass der Kläger es als stellvertretender Leiter der AEOI geschrieben habe, drittens aus dem Umstand, dass der Kläger dem Rat seine Adresse oder anderen Kontaktdaten als die der AEOI nicht mitgeteilt habe, viertens daraus, dass der Kläger seit dem genannten Schreiben keinen Kontakt mit dem Rat aufgenommen habe, und fünftens daraus, dass weder die Internetseite der AEOI noch andere öffentliche Quellen preisgäben, wer die leitenden Positionen der AEOI innehabe, so dass die einzigen Informationen, auf die sich der Rat diesbezüglich habe stützen können, die schriftlichen Beweise des Klägers gewesen seien.

55

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Rat, ohne die Beweislast umzukehren, dem Kläger nicht vorwerfen kann, nicht nachgewiesen zu haben, dass er jede Tätigkeit im Rahmen der AEOI eingestellt habe, indem er fordert, dass der Kläger ihn über diesen Umstand informiere, was erst recht für die Forderung gilt, dem Rat Beweise vorzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Alchaar/Rat, T‑203/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:602, Rn. 152 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vielmehr ist es Sache des Rates, im Rahmen der jährlichen Überprüfung der restriktiven Maßnahmen gemäß Art. 26 Abs. 3 des Beschlusses 2010/413 und Art. 46 Abs. 7 der Verordnung Nr. 267/2012 die Beweise, die die Eintragung des Namens des Klägers in den betreffenden Listen stützen, sorgfältig zu prüfen. Dies schließt es nicht aus, dass der Kläger gemäß Art. 24 Abs. 4 des Beschlusses 2010/413 und Art. 46 Abs. 5 der Verordnung Nr. 267/2012 jederzeit Stellungnahmen oder neue Beweise vorlegen kann. Es handelt sich jedoch um eine Möglichkeit des Klägers, die den Rat nicht von der ihm obliegenden Beweislast entbinden kann.

[nicht wiedergegeben]

62

Zum anderen ist festzustellen, dass jedenfalls der nicht vertrauliche Auszug aus dem Vorschlag für die Eintragung nur einen einzigen Absatz umfasst, dessen Text mit dem in den Gründen für die Eintragung in den betreffenden Listen übereinstimmt. Ihm ist jedoch kein Beweis beigefügt, der die Begründung, dass der Kläger ein stellvertretender Leiter der AEOI sei, stützt.

[nicht wiedergegeben]

5. Zu dem Umstand, dass die in der Begründung für die Eintragung genannten Tätigkeiten des Klägers in der Vergangenheit liegen

[nicht wiedergegeben]

80

Mit der Behauptung, die Belassung des Namens des Klägers auf den in Rede stehenden Listen sei durch dessen frühere Tätigkeiten gerechtfertigt, tauscht der Rat die Gründe, auf die der angefochtene Rechtsakt gestützt ist, aus. Dem kann das Gericht nicht folgen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2012, Oil Turbo Compressor/Rat, T‑63/12, EU:T:2012:579, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81

Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung das Kriterium für die Eintragung in den fraglichen Listen, das sich auf die Bereitstellung von Unterstützung für proliferationsrelevante nukleare Tätigkeiten Irans bezieht, die Feststellung einer unmittelbaren oder mittelbaren Verbindung zwischen den Tätigkeiten der betroffenen Person oder Organisation und der nuklearen Proliferation voraussetzt (Urteil vom 25. März 2015, Central Bank of Iran/Rat, T‑563/12, EU:T:2015:187, Rn. 66).

82

Außerdem ist entschieden worden, dass die verschiedenen Bestimmungen des Beschlusses 2010/413 und der Verordnung Nr. 267/2012, die das Einfrieren von Geldern vorsehen, allgemein gefasst sind („beteiligt sind, direkt damit in Verbindung stehen oder Unterstützung dafür bereitstellen …“), ohne sich auf Verhaltensweisen zu beziehen, die vor einer Entscheidung über das Einfrieren von Geldern an den Tag gelegt wurden (Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 85).

83

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die restriktiven Maßnahmen gegen Iran darauf abzielen, die Entwicklung der nuklearen Proliferation zu verhindern, indem Druck auf diesen Staat ausgeübt wird, damit er seine proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten einstellt. Sowohl aus der Systematik als auch aus dem allgemeinen Ziel des Beschlusses 2010/413, der Verordnung Nr. 961/2010 sowie der Verordnung Nr. 267/2012 ergibt sich, dass sie darauf abzielen, eine „proliferationsrelevante“ nukleare Tätigkeit in diesem Staat zu verhindern, und dass die auf der Grundlage dieser Rechtsakte angeordneten Maßnahmen des Einfrierens von Geldern einen präventiven Zweck verfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Afrasiabi u. a., C‑72/11, EU:C:2011:874, Rn. 44).

84

Daraus folgt, dass die Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen eine Person nicht voraussetzt, dass diese zuvor ein konkretes verfolgbares Verhalten an den Tag gelegt hat, sondern dass die bloße Gefahr, dass sich diese Person in Zukunft so verhalten wird, ausreichend sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 84).

85

Wenn somit eine tatsächliche Beteiligung am iranischen Nuklearprogramm vor dem Erlass restriktiver Maßnahmen nicht erforderlich ist, so ist das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Verbindung zwischen den Tätigkeiten einer Person und der nuklearen Proliferation eine Voraussetzung für die Eintragung des Namens dieser Person in den in Rede stehenden Listen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2017, Neka Novin/Rat, T‑436/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:142, Rn. 30).

86

Im vorliegenden Fall können die früheren Funktionen des Klägers innerhalb der AEOI und – ihren Nachweis unterstellt – seine frühere Teilnahme am iranischen Nuklearprogramm bei isolierter Betrachtung die Eintragung seines Namens in den in Rede stehenden Listen nicht rechtfertigen. Wenn sich der Rat nämlich auf die früheren Funktionen des Klägers und seine frühere Beteiligung am iranischen Nuklearprogramm sowie auf die Gefahr, dass der Kläger aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die proliferationsrelevanten iranischen Nukleartätigkeiten unterstützt, stützen wollte, wäre es Sache des Rates gewesen, gewichtige und übereinstimmende Indizien vorzulegen, die vernünftigerweise die Annahme zuließen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Rechtsakts Verbindungen zur AEOI und zum iranischen Nuklearprogramm oder allgemeiner zu den proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten aufrechterhielt, die die Eintragung seines Namens in den streitigen Listen nach der Beendigung seiner Tätigkeiten innerhalb dieser Organisation und nach dem Ende seiner Beteiligung am iranischen Nuklearprogramm rechtfertigen würden (Urteil vom 18. Februar 2016, Jannatian/Rat, T‑328/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:86, Rn. 40).

[nicht wiedergegeben]

D.   Folgen des vorliegenden Urteils für den Beschluss 2019/870

91

In Beantwortung einer vom Gericht gestellten Frage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass der Rat, falls das Gericht den angefochtenen Rechtsakt für nichtig erklären sollte, den Beschluss 2019/870 zurücknehmen müsse.

92

In Beantwortung derselben Frage weist der Rat darauf hin, dass der Kläger die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts nur insoweit beantragt habe, als sie ihn betreffe. Falls das Gericht diesen Rechtsakt für nichtig erklären sollte, gelte die Nichtigerklärung im Übrigen nur für ihn. Ferner sei das Gericht an die Anträge des Klägers gebunden und dürfe nicht darüber hinausgehen. Schließlich sei der Beschluss 2019/870 durch den Beschluss (GASP) 2020/849 zur Änderung des Beschlusses 2010/413/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. 2020, L 196, S. 8) ersetzt worden.

93

Es ist anzumerken, dass mit dem vorliegenden Urteil nur der angefochtene Rechtsakt, d. h. die Durchführungsverordnung 2019/855, für nichtig erklärt wird. Es kann daher nicht automatisch die Nichtigerklärung des Beschlusses 2019/870 zur Folge haben.

94

Der Umstand, dass der Beschluss 2019/870 anwendbar bleibt, selbst wenn der angefochtene Rechtsakt für nichtig erklärt wird, kann indessen eine ernsthafte Beeinträchtigung der Rechtssicherheit herbeiführen, da mit diesen beiden Rechtsakten gegen den Kläger identische Maßnahmen verhängt werden (Urteil vom 17. April 2013, TCMFG/Rat, T‑404/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:194, Rn. 43).

95

Der Rat kommt dem vorliegenden Urteil im Übrigen nur dann nach und führt es nur dann voll durch, wenn er nicht nur den Tenor des Urteils beachtet, sondern auch die Gründe, die ihn in dem Sinne tragen, dass sie zur Bestimmung der genauen Bedeutung des Tenors unerlässlich sind. Diese Gründe benennen zum einen die Gründe für die Eintragung des Namens des Klägers in den fraglichen Listen, die als rechtswidrig angesehen werden, da sie mit Beurteilungsfehlern behaftet sind, und lassen zum anderen die konkreten Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen, die der Rat zu beachten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat, T‑256/07, EU:T:2008:461, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

96

Wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit, die aus den Gründen des Nichtigkeitsurteils hervorgeht, das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, in erster Linie verpflichtet, diese Rechtswidrigkeit in dem Akt zu beseitigen, der an die Stelle des für nichtig erklärten Aktes treten soll, so kann sie doch für dieses Organ auch weitere Folgen nach sich ziehen, soweit sie eine Vorschrift mit einem bestimmten Inhalt auf einem gegebenen Sachgebiet zum Gegenstand hat (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat, T‑256/07, EU:T:2008:461, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

97

Geht es, wie im vorliegenden Fall, um die Nichtigerklärung einer Durchführungsverordnung zur Änderung der gemäß Art. 46 Abs. 7 der Verordnung Nr. 267/2012 regelmäßig zu überprüfenden Liste in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012, so ist das erlassende Organ zunächst verpflichtet, darauf zu achten, dass eventuelle spätere, nach dem Nichtigkeitsurteil zu erlassende Beschlüsse über das Einfrieren von Geldern für spätere Zeiträume nicht die gleichen Rechtswidrigkeiten aufweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat, T‑256/07, EU:T:2008:461, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98

Es ist noch anzuerkennen, dass kraft der Rückwirkung von Nichtigkeitsurteilen die Feststellung der Rechtswidrigkeit ab dem Inkrafttreten des für nichtig erklärten Aktes wirkt (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2008, People’s Mojahedin Organization of Iran/Rat, T‑256/07, EU:T:2008:461, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass der Rat nach Art. 266 AEUV auch verpflichtet sein könnte, aus den im Zeitpunkt des Nichtigkeitsurteils bereits erlassenen Rechtsakten die Gründe für die Eintragung des Namens des Klägers zu streichen, die mit der für rechtswidrig erklärten Bestimmung inhaltsgleich sind, wenn diese Gründe durch dieselben Beweise gestützt werden, d. h. die vom Gericht im vorliegenden Urteil geprüften (vgl. entsprechend Urteil vom 26. April 1988, Asteris u. a./Kommission, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, EU:C:1988:199, Rn. 30). Dies gilt somit für die nach dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts ergangenen Rechtsakte, die Eintragungsgründe enthalten, die mit den im vorliegenden Nichtigkeitsurteil für rechtswidrig befundenen identisch sind, und auf dieselben Beweise gestützt sind (vgl. entsprechend Urteil vom 26. April 1988, Asteris u. a./Kommission, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, EU:C:1988:199, Rn. 31), ebenso wie für den Beschluss 2019/870, der an demselben Datum wirksam wurde wie der angefochtene Rechtsakt, sofern er Gründe enthält, die mit den im vorliegenden Nichtigkeitsurteil für rechtswidrig befundenen identisch sind, und auf dieselben Beweise gestützt ist.

[nicht wiedergegeben]

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Durchführungsverordnung (EU) 2019/855 des Rates der Europäischen Union vom 27. Mai 2019 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran wird für nichtig erklärt, soweit sie Herrn Sayed Shamsuddin Borborudi betrifft.

 

2.

Der Rat trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gervasoni

Madise

Martín y Pérez de Nanclares

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Juni 2021.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.