27.10.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 357/35


EMPFEHLUNG (EU) 2020/1563 DER KOMMISSION

vom 14. Oktober 2020

zu Energiearmut

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 168 und 194,

gestützt auf die Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (1) („Neufassung der Elektrizitätsrichtlinie“), insbesondere auf Artikel 29,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

„Energiearmut“ bezeichnet eine Situation, in der Haushalte keinen Zugang zu essenziellen Energiedienstleistungen haben. Angesichts der Tatsache, dass 2018 fast 34 Mio. Menschen in Europa nicht in der Lage waren, ihre Wohnung ausreichend warm zu halten (2), stellt Energiearmut eine große Herausforderung für die EU dar.

(2)

Wie die Legislativorgane bestätigt haben, ist eine angemessene Energieversorgung für Heizung, Kühlung und Beleuchtung sowie für den Betrieb von Haushaltsgeräten entscheidend für einen angemessenen Lebensstandard und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Der Zugang zu Energiedienstleistungen ist zudem eine wesentliche Voraussetzung für soziale Inklusion. Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut sind daher mit zahlreichen Vorteilen verbunden, wie z. B. niedrigeren Gesundheitsausgaben, einer geringeren Luftverschmutzung (durch den Austausch ungeeigneter Heizungsanlagen), mehr Komfort und Wohlbefinden und einer besseren Finanzlage der Haushalte. Insgesamt werden dadurch auch Wirtschaftswachstum und Wohlstand in der Europäischen Union unmittelbar gefördert.

(3)

Nach der vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission am 17. November 2017 gemeinsam verkündeten europäischen Säule sozialer Rechte hat jede Person das Recht auf Zugang zu essenziellen Dienstleistungen, zu denen auch die Energieversorgung zählt. Hilfsbedürftigen ist daher Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen zu gewähren (3).

(4)

Ein fairer Übergang zu einer klimaneutralen Union bis 2050 ist das zentrale Element des von der Kommission im Dezember 2019 vorgelegten europäischen Grünen Deals (4). Einer der wichtigsten Bausteine dieses Grünen Deals ist die „Renovierungswelle“ (5), eine umfangreiche Initiative, die zur strukturellen Renovierung privater und öffentlicher Gebäude anregen soll, um Emissionen zu reduzieren, die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen und Energiearmut zu verringern. Diese strukturellen Renovierungen sollen die EU-Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels unterstützen. Daher wurde es für wichtig erachtet, die Renovierungswelle und die vorliegende Empfehlung gleichzeitig zu verabschieden, um der Aufforderung zu Maßnahmen in Bezug auf Energiearmut und die am wenigsten effizientesten Gebäude noch mehr Nachdruck zu verleihen.

(5)

Energiearmut ist ein zentraler Aspekt des gesamten Legislativpakets „Saubere Energie für alle Europäer“, das eine faire Energiewende unterstützen soll. Nach der Verordnung (EU) 2018/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates (6) („Governance-Verordnung“) und der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie muss die Kommission Leitlinien zu geeigneten Indikatoren für die Erfassung der Energiearmut (7) und zur Definition des Begriffs „erhebliche Anzahl von von Energiearmut betroffenen Haushalten“ (8) bereitstellen. Da es keine Standarddefinition des Begriffs „Energiearmut“ gibt, bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, unter Berücksichtigung der nationalen Situation ihre eigenen Kriterien zu entwickeln. Das kürzlich verabschiedete Legislativpaket enthält jedoch hilfreiche allgemeine Grundsätze und Erkenntnisse zu möglichen Ursachen und Folgen von Energiearmut. Zudem wird darin auf die Bedeutung von Strategien zur Behandlung dieses Problems hingewiesen, insbesondere im Zusammenhang mit den nationalen Energie- und Klimaplänen und den langfristigen Renovierungsstrategien (9).

(6)

In ihren nationalen Energie- und Klimaplänen müssen die Mitgliedstaaten die Anzahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte schätzen. Gelangt ein Mitgliedstaat zu der Überzeugung, dass in seinem Hoheitsgebiet eine erhebliche Anzahl von Haushalten von Energiearmut betroffen ist, so muss er ein nationales Ziel sowie Strategien und Maßnahmen für die Verringerung der Energiearmut in seinen Plan aufnehmen. Im Zusammenhang mit dem fünften Bericht zur Lage der Energieunion hat die Kommission Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen für jeden Mitgliedstaat veröffentlicht, die eine Bewertung jedes einzelnen endgültigen nationalen Energie- und Klimaplans enthalten. Darin wird auch behandelt, wie die Empfehlungen der Kommission aus dem Jahr 2019 — auch zum Thema Energiearmut — in den endgültigen Plänen berücksichtigt wurden, und es werden Leitlinien für die Umsetzung der nationalen Energie- und Klimapläne bereitgestellt.

(7)

Nach der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen gegen Energiearmut treffen, wenn sie diese feststellen; dazu zählen auch Maßnahmen im breiteren Kontext der Armut. Zudem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, schutzbedürftige Kunden, insbesondere in abgelegenen Gebieten, zu schützen. Die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (10) enthält ähnliche Bestimmungen.

(8)

Der neue Rechtsrahmen enthält die neue Verpflichtung, die Anzahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte zu ermitteln. Nach Artikel 29 der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet einzuschätzen, wie viele Haushalte von Energiearmut betroffen sind, und die dabei zugrunde gelegten Kriterien zu definieren und zu veröffentlichen. Wenn es eine erhebliche Anzahl solcher Haushalte gibt, müssen die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Energie- und Klimaplänen ein Richtziel für die Verringerung der Energiearmut festlegen, einen Zeitrahmen bestimmen und relevante Strategien beschreiben. Anschließend müssen sie der Kommission gemäß der Governance-Verordnung über ihre Fortschritte bei der Verringerung der Anzahl der von Energiearmut betroffenen Haushalte Bericht erstatten.

(9)

Nach der Richtlinie 2012/27/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Energieeffizienz (11) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/2002 (12) geänderten Fassung müssen die Mitgliedstaaten der Notwendigkeit, Energiearmut zu verringern, Rechnung tragen, wenn sie ihren Verpflichtungen zur Verbesserung der Energieeffizienz nachkommen. Nach Artikel 7 Absatz 11 müssen sie einen angemessenen Teil der Energieeffizienzmaßnahmen vorrangig bei sozial schwachen Haushalten, einschließlich von Energiearmut betroffener Haushalte, umsetzen (13). Die Governance-Verordnung enthält ähnliche Verpflichtungen.

(10)

Nach der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden in der durch die Richtlinie (EU) 2018/844 geänderten Fassung müssen die Mitgliedstaaten in ihren langfristigen Renovierungsstrategien, mit denen die Renovierung des nationalen Wohngebäude- und Nichtwohngebäudebestands gefördert werden soll, relevante nationale Maßnahmen beschreiben, die zur Verringerung der Energiearmut beitragen (14).

(11)

Darüber hinaus enthält der Rechtsrahmen der EU Schutzmechanismen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Maßnahmen zur Verringerung der Energiearmut die Öffnung oder den Betrieb des Marktes nicht behindern. Reibungslos funktionierende Endkundenmärkte sind für eine faire Energiewende von entscheidender Bedeutung. Diese Schutzmechanismen sind in Artikel 28 der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie verankert und werden insbesondere in Artikel 5 Absatz 5 präzisiert.

(12)

Artikel 27 der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie stärkt diesen Grundsatz, da er die Mitgliedstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass alle Haushaltskunden und, soweit die Mitgliedstaaten dies für angezeigt halten, Kleinunternehmen in ihrem Hoheitsgebiet über eine Grundversorgung verfügen, d. h. das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu angemessenen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen haben. Zur Gewährleistung der Bereitstellung der Grundversorgung können die Mitgliedstaaten einen Versorger letzter Instanz benennen.

(13)

Wie in Erwägungsgrund 59 der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie dargelegt, entsteht Energiearmut durch eine Kombination aus niedrigem Einkommen, hohen Energiekosten und geringer Energieeffizienz der Häuser. Angesichts volatiler Preise am Energiemarkt, einer schlechten Energieeffizienz — insbesondere hinsichtlich der Gesamteffizienz von Gebäuden — sowie zahlreicher sozioökonomischer Faktoren im Zusammenhang mit allgemeiner Armut und Problemen aufgrund der Wohnbesitzverhältnisse ist dies ein komplexes Problem.

(14)

Im Jahr 2018 waren 6,8 % der Menschen in Privathaushalten in der gesamten EU (30,3 Mio. Menschen (15)) nicht in der Lage, die Rechnungen ihrer Versorgungsunternehmen, einschließlich der Energieversorger, pünktlich zu bezahlen, sodass sie von Versorgungsunterbrechungen bedroht waren. Gleichzeitig waren 7,3 % der EU-Bevölkerung (37,4 Mio. Menschen) in ihren Wohnungen von unangenehmen Umgebungstemperaturen betroffen.

(15)

Die COVID-19-Krise hat die Dringlichkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut noch verstärkt, da es nur so gelingen kann, ein soziales Europa zu schaffen, das den Bedürfnissen aller Menschen gerecht wird. Angesichts der Tatsache, dass mehr Menschen in Europa sich insbesondere aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit essenzielle Energiedienstleistungen nur schwer leisten könnten, wird auch das Ausmaß der Energiearmut in den Mitgliedstaaten noch stärker deutlich. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, trotz der derzeitigen beispiellosen wirtschaftlichen Störungen in Europa die einzelnen Meilensteine des europäischen Grünen Deals zu erreichen.

(16)

Das Aufbaupaket „Next Generation EU“ (16) soll als „Richtschnur dienen und ein nachhaltigeres, widerstandsfähigeres und faireres Europa für die nächste Generation schaffen“. Die europäischen Aufbaupläne müssen sich an den Grundsätzen ökologische Nachhaltigkeit, Solidarität, Kohäsion und Konvergenz sowie an dem Ziel orientieren, keine Mitgliedstaaten, Regionen oder Bevölkerungsgruppen zurückzulassen. Im Aufbauinstrument „Next Generation EU“ wird die wichtige Rolle der Renovierungswelle für einen umweltfreundlichen Aufbau bestätigt.

(17)

Die langfristigen nationalen Renovierungsstrategien und andere Instrumente zur Erreichung der Energieeffizienzziele für 2030 und 2050 sollten darauf abzielen, von Energiearmut betroffene Haushalte zu schützen und die Stellung schutzbedürftiger Energieverbraucher zu stärken; sie sollten die Möglichkeiten der Menschen verbessern, Energiekosten zu sparen, und dazu beitragen, gesündere Lebensbedingungen sicherzustellen und Energiearmut zu verringern.

(18)

Durch die Ermittlung der schutzbedürftigsten Haushalte sowie der am stärksten renovierungsbedürftigen Wohnungen können öffentliche Maßnahmen genauer ausgerichtet und besser verwaltet werden, was einen praktischen Nutzen für die Verbraucher hat und dazu beiträgt, die Energieeffizienz zu verbessern und Verzerrungen, die sich auf die Funktionsweise des Energiebinnenmarktes auswirken, zu minimieren.

(19)

Mit der Vorlage dieser Empfehlung und der Bereitstellung von Leitlinien zu Energiearmut für die Mitgliedstaaten in einer beigefügten Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen kommt die Kommission der vorstehend genannten Verpflichtung nach und unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der neuen Bestimmungen zur Energiearmut. Zudem stellt die Kommission Informationen zu neuen bewährten Verfahren bereit (17).

(20)

Die Hauptschwierigkeit für die Festlegung einer Definition liegt in der Erhebung verlässlicher numerischer Daten. Auf EU-Ebene wurde daher eine Reihe statistischer Indikatoren zur Messung der mutmaßlichen Faktoren für Energiearmut und deren Folgen entwickelt. Dabei handelt es sich um aggregierte Indikatoren. Da Energiearmut mehrere Dimensionen aufweist, kann ein einzelner Indikator nicht alle ihre Aspekte vollständig widerspiegeln.

(21)

Auf europäischer Ebene wurden aggregierte Indikatoren entwickelt, die im Anhang dieser Empfehlung aufgeführt sind. Diese vom Statistischen Amt der Europäischen Union (EUROSTAT) und der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut entwickelten und aus harmonisierten EU-Datensammlungen abgeleiteten Indikatoren ermöglichen es, die Situation EU-weit zu beobachten und nationale Besonderheiten zu ermitteln, auf effizientere Weise voneinander zu lernen und den Austausch bewährter Verfahren zu fördern. Nationale Indikatoren können diese Indikatoren ergänzen und dazu beitragen, Energiearmut gegebenenfalls noch genauer zu bestimmen.

(22)

Voraussetzung hierfür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den relevanten zuständigen Behörden; insbesondere bedarf es gut koordinierter Maßnahmen auf regionaler und lokaler Ebene, die nach einem Bottom-up-Konzept einen Gegenpol und eine Ergänzung zu der auf EU-weite oder nationale Indikatoren gestützten Analyse darstellen. Regionale und lokale Behörden sind gut in der Lage, die wichtigsten finanziellen und sozialen Herausforderungen zu ermitteln, denen von Energiearmut betroffene Haushalte gegenüberstehen; sie können damit bei der Gestaltung und Umsetzung einer für alle Menschen in Europa fairen, inklusiven und nachhaltigen ökologischen Wende eine wichtige Rolle spielen.

(23)

Die Kommission wird den Austausch über bewährte Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten sowohl in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss für Sozialschutz als auch auf andere Weise fördern. So können Finanzierungsprogramme der EU, z. B. im Rahmen der Kohäsionspolitik, das Instrument für technische Unterstützung und andere Formen der EU-Unterstützung mobilisiert werden, um Herausforderungen anzugehen, die z. B. über die Plattform der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut oder des Konvents der Bürgermeister ermittelt werden.

(24)

Auch im vierten Bericht der Europäischen Kommission über Energiepreise und ‐kosten wird die besondere Situation von Menschen, die von Energiearmut betroffen sind, sowie von schutzbedürftigen Verbrauchern (18) behandelt. Besondere Aufmerksamkeit wird die Kommission zudem der Umsetzung des Artikels 5 der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie durch die Mitgliedstaaten widmen, nach dem öffentliche Eingriffe in die Festsetzung der Stromversorgungspreise zum Schutz der von Energiearmut betroffenen und der schutzbedürftigen Haushaltskunden zulässig sind —

EMPFIEHLT DEN MITGLIEDSTAATEN:

(1)

einen systematischen Ansatz für die Liberalisierung der Energiemärkte zu entwickeln, damit alle Gesellschaftsschichten, insbesondere die bedürftigsten, an den Vorteilen dieser Liberalisierung teilhaben können;

(2)

die begleitende Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, in der Leitlinien zu Indikatoren für Energiearmut sowie zur Definition des Begriffs „erhebliche Anzahl von von Energiearmut betroffenen Haushalten“ enthalten sind, besonders zu berücksichtigen. Auch bei der Umsetzung und Aktualisierung ihrer aktuellen Energie- und Klimapläne gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) 2018/1999 über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz sollten die Mitgliedstaaten die Leitlinien der Kommission nutzen;

(3)

die im Anhang dargelegten Indikatoren bei ihrer Einschätzung zur Energiearmut zu nutzen;

(4)

gemäß dem Erwägungsgrund 60 der neu gefassten Elektrizitätsrichtlinie im Rahmen der Energie- und Sozialpolitik integrierte politische Lösungen zu entwickeln. Diese sollten sich gegenseitig verstärkende sozialpolitische Maßnahmen und Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz miteinander kombinieren, insbesondere im Wohngebäudebereich;

(5)

die Verteilungseffekte der Energiewende zu prüfen, insbesondere hinsichtlich Energieeffizienzmaßnahmen im nationalen Kontext, und Strategien festzulegen und umzusetzen, um die damit verbundenen Probleme anzugehen. Dabei sollten Hindernisse für Investitionen in energieeffiziente Wohngebäude und das Profil der Wohnungen, die besonders dringend renoviert werden sollten, im Einklang mit den langfristigen nationalen Renovierungsstrategien angemessen berücksichtigt werden;

(6)

bei der Entwicklung aller Strategien zur Verringerung der Energiearmut zielführende Verfahren anzuwenden, die eine ausreichende Rechenschaftspflicht, die Beteiligung der Öffentlichkeit sowie eine breite Einbeziehung der verschiedenen Interessengruppen gewährleisten;

(7)

Maßnahmen zur Verringerung der Energiearmut zu entwickeln, die eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Verwaltungsebenen vorsehen, und insbesondere eine enge Zusammenarbeit zwischen regionalen und lokalen Behörden einerseits und zivilgesellschaftlichen Organisationen und privaten Einrichtungen andererseits zu fördern;

(8)

das Potenzial für die Nutzung von Unionsmitteln und -programmen einschließlich der Kohäsionspolitik vollständig auszuschöpfen, um Energiearmut zu verringern; dabei sollten sie die Verteilungseffekte von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Energiewende analysieren und auf schutzbedürftige Gruppen ausgerichteten Maßnahmen Priorität einräumen, um für Unterstützungsmöglichkeiten zu sorgen;

(9)

sich bei der Zuteilung öffentlicher Mittel, insbesondere von Zuschüssen, besonders auf einkommensschwache Haushalte zu konzentrieren, die zu den Kategorien von Empfängern zählen, die sehr geringe eigene Ressourcen und nur begrenzten Zugang zu kommerziellen Krediten haben. Zudem sollten sie prüfen, welche Rolle Energiedienstleistungsunternehmen und Energieleistungsverträge bei der Bereitstellung von Finanzierungslösungen spielen könnten, die es von Energiearmut betroffenen Haushalten ermöglichen, das Hindernis der hohen anfänglichen Kosten bei der Gebäuderenovierung zu überwinden.

Brüssel, den 14. Oktober 2020

Für die Kommission

Kadri SIMSON

Mitglied der Kommission


(1)  ABl. L 158 vom 14.6.2019, S. 125.

(2)  Daten aus dem Jahr 2018, Eurostat, SILC [ilc_mdes01]).

(3)  Europäische Säule sozialer Rechte, Grundsatz 20 „Zugang zu essenziellen Dienstleistungen“: https://ec.europa.eu/commission/priorities/deeper-and-fairer-economic-and-monetary-union/european-pillar-social-rights/european-pillar-social-rights-20-principles_de.

(4)  COM(2019) 640 final — Mitteilung der Kommission zum europäischen Grünen Deal.

(5)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine Renovierungswelle für Europa — umweltfreundlichere Gebäude, mehr Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen“ (COM(2020) 662 final).

(6)  Verordnung (EU) 2018/1999 des Europäischen parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 663/2009 und (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 94/22/EG, 98/70/EG, 2009/31/EG, 2009/73/EG, 2010/31/EU, 2012/27/EU und 2013/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2009/119/EG und (EU) 2015/652 des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 1).

(7)  Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2018/1999.

(8)  Artikel 29 der Richtlinie (EU) 2019/944.

(9)  Gemäß Artikel 2a der Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (ABl. L 153 vom 18.6.2010, S. 13) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/844 geänderten Fassung (ABl. L 156 vom 19.6.2018, S. 75).

(10)  Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. L 211 vom 14.8.2009, S. 94).

(11)  Richtlinie 2012/27/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009/125/EG und 2010/30/EU und zur Aufhebung der Richtlinien 2004/8/EG und 2006/32/EG (ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 1).

(12)  Richtlinie (EU) 2018/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 210).

(13)  Dies knüpft an die bestehenden Verpflichtungen im Rahmen der Richtlinie 2012/27/EU an. Siehe auch den Anhang der Empfehlung C(2019) 6621 final der Kommission zur Umsetzung der Energieeinsparverpflichtungen nach der Energieeffizienzrichtlinie.

(14)  Dies knüpft an die bestehenden Verpflichtungen gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz an, die in die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden übernommen und im Hinblick auf die Verringerung der Energiearmut erweitert wurden. In Erwägungsgrund 11 der Richtlinie (EU) 2018/844 wird darauf hingewiesen, dass der Notwendigkeit zur Verringerung der Energiearmut im Einklang mit den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien Rechnung zu tragen ist. Zudem wird in diesem Erwägungsgrund klargestellt, dass die Mitgliedstaaten in ihren Renovierungsstrategien zwar nationale Maßnahmen beschreiben müssen, die zur Verringerung der Energiearmut beitragen, dabei aber das Recht haben festzulegen, was sie als einschlägige Maßnahmen ansehen.

(15)  Auf der Grundlage einer geschätzten Bevölkerungszahl von 446 Mio. in der EU-27 zum 1. Januar 2018: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Population_and_population_change_statistics

(16)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Stunde Europas: Schäden beheben und Perspektiven für die nächste Generation eröffnen, 27. Mai 2020.

(17)  Nach dem Erwägungsgrund 59 der Richtlinie (EU) 2019/944 sollte die Kommission die Durchführung der Bestimmungen der genannten Richtlinie über die Energiearmut tatkräftig unterstützen, indem sie den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten fördert.

(18)  Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Energiepreise und -kosten in Europa (COM(2020) 951) und zugehörige Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (SWD(2020) 951).


ANHANG

INDIKATOREN FÜR ENERGIEARMUT

Die Mitgliedstaaten können die nachstehend aufgeführten Indikatoren zur Abschätzung des Ausmaßes der Energiearmut beim Statistischen Amt der Europäischen Union und der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut einsehen.

Zudem stellt die Kommission Leitlinien zur Interpretation dieser auf EU-Ebene entwickelten Indikatoren bereit (1), um es den Mitgliedstaaten zu erleichtern, eine „erhebliche Anzahl von von Energiearmut betroffenen Haushalten“ anhand der nationalen Definition von Energiearmut zu quantifizieren.

Die Mitgliedstaaten können einige der unter den Nummern 1 und 2 aufgeführten Indikatoren noch weiter aufschlüsseln, um mögliche Faktoren der Energiearmut auf nationaler Ebene noch genauer zu analysieren.

Die Indikatoren lassen sich vier Gruppen zuordnen:

(a)

Auf einen Vergleich der Energieausgaben mit dem Einkommen gestützte Indikatoren: Diese Indikatoren quantifizieren Energiearmut durch einen Vergleich des Betrags, den die Haushalte für Energie ausgeben, mit dem Einkommen (z. B. Prozentsatz oder Anzahl der Haushalte, die mehr als einen bestimmten Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Haushaltsenergiedienstleistungen aufwenden).

(b)

Indikatoren auf der Grundlage eigener Einschätzung: Diese Indikatoren beruhen auf einer direkten Befragung der Haushalte, inwieweit sie der Ansicht sind, sich Energieversorgung ausreichend leisten zu können (z. B. hinsichtlich der Möglichkeit, die Wohnung im Winter ausreichend warm und im Sommer ausreichend kühl zu halten).

(c)

Indikatoren auf der Grundlage direkter Messungen: Diese Indikatoren beruhen auf der Messung physischer Variablen (z. B. der Raumtemperatur), mit denen die Angemessenheit von Energiedienstleistungen bestimmt wird.

(d)

Indirekte Indikatoren: Diese Indikatoren quantifizieren Energiearmut anhand damit verbundener Faktoren wie Rückständen bei Rechnungen von Versorgungsunternehmen, der Anzahl der Versorgungsunterbrechungen und der Wohnqualität.

1.   Indikatoren mit dem Schwerpunkt Bezahlbarkeit von Energiedienstleistungen

Anteil der Bevölkerung, der nicht in der Lage ist, die Wohnung angemessen warm zu halten (auf der Grundlage der Frage „Kann Ihr Haushalt es sich leisten, seine Wohnung angemessen warm zu halten?“), an der von Armut bedrohten Bevölkerung (weniger als 60 % des nationalen verfügbaren Medianäquivalenzeinkommens) (Eurostat, SILC [ilc_mdes01])

Anteil der Bevölkerung, der nicht in der Lage ist, die Wohnung angemessen warm zu halten (auf der Grundlage der Frage „Kann Ihr Haushalt es sich leisten, seine Wohnung angemessen warm zu halten?“), an der Gesamtbevölkerung (Eurostat, SILC [ilc_mdes01])

Rückstände bei Rechnungen von Versorgungsunternehmen: Anteil der Bevölkerung, der Rückstände bei Rechnungen von Versorgungsunternehmen hat, an der von Armut bedrohten Bevölkerung (weniger als 60 % des nationalen verfügbaren Medianäquivalenzeinkommens) (Eurostat, SILC, [ilc_mdes07])

Rückstände bei Rechnungen von Versorgungsunternehmen: Anteil der Bevölkerung, der Rückstände bei Rechnungen von Versorgungsunternehmen hat (Eurostat, SILC, [ilc_mdes07])

Ausgaben für Strom, Gas und andere Brennstoffe als Anteil der Gesamthaushaltsausgaben

Prozentsatz der Haushalte, deren Anteil der Energieausgaben am Einkommen mehr als das Doppelte des nationalen medianen Anteils beträgt (Quelle: Eurostat, Household Budget Surveys, 2015)

Anteil der Haushalte, deren absolute Energieausgaben weniger als die Hälfte des nationalen Medianwerts betragen (Eurostat, Household Budget Surveys, 2015)

2.   Ergänzende Indikatoren

Strompreise für Haushaltskunden — mittlere Verbrauchsspanne (Eurostat, [nrg_pc_204])

Gaspreise für Haushaltskunden — mittlere Verbrauchsspanne (Eurostat, [nrg_pc_202])

Gaspreise für Haushaltskunden — niedrigste Verbrauchsspanne (Eurostat, [nrg_pc_202])

Anteil der Bevölkerung, der von Lecks, Feuchtigkeit oder Fäulnis in der Wohnung betroffen ist, an der von Armut bedrohten Bevölkerung (weniger als 60 % des nationalen verfügbaren Medianäquivalenzeinkommens) (Eurostat, SILC, [ilc_mdho01])

Anteil der Bevölkerung, der von Lecks, Feuchtigkeit oder Fäulnis in der Wohnung betroffen ist, an der Gesamtbevölkerung (Eurostat SILC, [TESSI292])

Endenergieverbrauch pro Quadratmeter im Wohngebäudesektor, klimabereinigt (Odyssee-MURE-Projektdatenbank)


(1)  „EU Guidance on Energy Poverty“ (SWD(2020) 960).