13.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 122/79


EMPFEHLUNG (EU) 2017/820 DER KOMMISSION

vom 12. Mai 2017

zu verhältnismäßigen Polizeikontrollen und zur polizeilichen Zusammenarbeit im Schengen-Raum

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

In einem Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen bedarf es einer gemeinsamen Reaktion auf grenzübergreifende Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit dieses Raums. Das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Raums stützt sich nicht nur auf die einheitliche Anwendung des Besitzstands der Union, sondern auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit im Rahmen der nationalen Zuständigkeiten im Einklang mit den Zielen des Schengen-Besitzstands. Für das reibungslose Funktionieren des Schengen-Raums ist es nicht nur wichtig zu prüfen, wie die Mitgliedstaaten ihre Außengrenzen verwalten, sondern auch, wie sie ihre Polizeibefugnisse in ihrem gesamten Hoheitsgebiet und in den Grenzgebieten ausüben.

(2)

Im Jahr 2012 veröffentlichte die Kommission begleitend zu ihrem ersten Halbjahresbericht über das Funktionieren des Schengen-Raums Leitlinien für die Mitgliedstaaten in Bezug auf polizeiliche Maßnahmen in Gebieten entlang der Binnengrenzen (1). Ausgehend von den Erfahrungen der letzten drei Jahre sollten diese Leitlinien überprüft werden. Die vorliegende Empfehlung dient diesem Zweck. Sie stützt sich auf die Erkenntnisse, die im Laufe der letzten drei Jahre im Kampf gegen Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit gewonnen wurden, sowie auf bewährte Vorgehensweisen bei der Ausübung der polizeilichen Befugnisse und der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit, die einschlägige Rechtsprechung zu den Polizeikontrollen, die bisherigen Schengen-Evaluierungen im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und neue Möglichkeiten infolge des technologischen Fortschritts.

(3)

Im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) berührt das Fehlen von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen nicht die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts, sofern die Ausübung dieser Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat. Die Ausübung polizeilicher Befugnisse sollte insbesondere nicht als mit Grenzübertrittskontrollen gleichwertig angesehen werden, wenn die polizeilichen Maßnahmen keine Grenzkontrollen zum Ziel haben, auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit gründen und insbesondere auf die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität abzielen, so konzipiert sind und durchgeführt werden, dass sie sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterscheiden, und auf der Grundlage von Stichproben erfolgen. Im Lichte des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Adil (3) ist dies weder eine kumulative noch eine abschließende Liste von Kriterien, d. h. diese Kriterien sind nicht als einzig mögliche polizeiliche Maßnahmen in Grenzgebieten anzusehen (4).

(4)

Die Bestimmungen von Artikel 23 der Verordnung (EU) 2016/399 und der Wortlaut von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bestätigen, dass die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen keine Auswirkungen auf die Befugnisse der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit hat.

(5)

Polizeiliche Befugnisse, die im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelten, sind mit dem Unionsrecht vereinbar. Dementsprechend können die Mitgliedstaaten im Rahmen der polizeilichen Befugnisse, die nach nationalem Recht im gesamten Hoheitsgebiet gelten, auch in den Grenzgebieten Polizeikontrollen durchführen, einschließlich der Gebiete an den Binnengrenzen.

(6)

In Anbetracht der derzeitigen Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit durch Terrorismus und sonstige schwere grenzüberschreitende Kriminalität sowie der Gefahr von Sekundärbewegungen von Personen, die die Außengrenzen irregulär überschritten haben, ist die Intensivierung der Polizeikontrollen im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, einschließlich der Grenzgebiete, und die Durchführung polizeilicher Kontrollen entlang der Hauptverkehrsrouten wie Autobahnen und Eisenbahnstrecken als notwendig und gerechtfertigt anzusehen. Die Entscheidung darüber, ob, wo und in welcher Intensität diese Kontrollen durchgeführt werden, bleibt voll und ganz in den Händen der Mitgliedstaaten und sollte stets in einem angemessenen Verhältnis zu den festgestellten Bedrohungen stehen. Diese Kontrollen können sich als wirksamer als Kontrollen an den Binnengrenzen erweisen, insbesondere da sie flexibler als statische Grenzkontrollen an bestimmten Grenzübergangsstellen sind und leichter neuen Gefahren angepasst werden können.

(7)

Grenzgebiete können spezifische Risiken im Hinblick auf grenzüberschreitende Kriminalität aufweisen und auch von bestimmten Straftaten betroffen sein, die im gesamten Hoheitsgebiet begangenen wurden, beispielsweise Einbrüche, Fahrzeugdiebstahl, Drogenhandel, unerlaubte Sekundärmigration von Drittstaatsangehörigen, Schleusung von Migranten und Menschenhandel. Auch kann in Grenzgebieten ein erhöhtes Risiko von Verstößen gegen die Vorschriften über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Hoheitsgebiet auftreten. Unter Berücksichtigung dieser Risiken können die Mitgliedstaaten beschließen, Polizeikontrollen in den Grenzgebieten durchzuführen und zu intensivieren, die an die spezifischen Risiken von Grenzgebieten angepasst sind, solange diese Maßnahmen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben.

(8)

Moderne Technologien zur Überwachung der Verkehrsflüsse, insbesondere an Autobahnen und sonstigen durch die Mitgliedstaaten bestimmten Hauptverkehrsstraßen, können entscheidend sein, wenn es darum geht, Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit zu begegnen. Unter diesem Gesichtspunkt sollte daher der Einsatz von Kontroll- und Überwachungssystemen zur automatischen Nummernschilderkennung für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke gefördert werden, wobei die anwendbaren Vorschriften über die Kameraüberwachung, einschließlich der Datenschutzgarantien, einzuhalten sind. Dies könnte dazu beitragen, die wichtigsten europäischen Verkehrskorridore, die von einer erheblichen Zahl von Reisenden und Fahrzeugen für Fahrten in der Union genutzt werden, zu überwachen, ohne dass sich dies unverhältnismäßig auf den Verkehrsfluss auswirkt.

(9)

Lediglich in Fällen, in denen nach nationalem Recht ausgeübte polizeiliche Befugnisse auf Grenzgebiete beschränkt sind und Identitätskontrollen beinhalten, die auch ohne konkreten Verdacht erfolgen, müssen die Mitgliedstaaten einen speziellen Rahmen vorsehen, um sicherzustellen, dass diese Polizeikontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben. Zwar hat der Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache Melki (5) anerkannt, dass die Mitgliedstaaten den Polizeibehörden eine Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen einräumen können, die auf das Gebiet an der Grenze des Mitgliedstaats zu anderen Mitgliedstaaten beschränkt ist, doch hat er befunden, dass die Mitgliedstaaten in solchen Situationen spezifische Bestimmungen in Bezug auf die Intensität und Häufigkeit dieser Kontrollen vorsehen müssen. Erfolgt eine Kontrolle zudem unabhängig vom Verhalten der kontrollierten Person und vom Vorliegen besonderer Umstände oder Informationen, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit ergibt, müssen die Mitgliedstaaten den erforderlichen Rahmen für die tatsächliche Handhabung dieser Befugnis vorgeben, um zu gewährleisten, dass die polizeilichen Maßnahmen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben können.

(10)

In den letzten drei Jahren haben mehrere Mitgliedstaaten im Kontext der zunehmenden Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit die Polizeikontrollen in den Grenzgebieten verstärkt (namentlich Österreich, Belgien, die Tschechische Republik, Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Italien, Slowenien und die Schweiz). Diese Kontrollen konzentrierten sich manchmal auf bestimmte Verkehrsmittel wie Züge oder auf bestimmte Grenzgebiete. In diesem Zusammenhang werden auch zunehmend technologische Mittel eingesetzt. Die Kommission hat keinen dieser Fälle in Frage gestellt. Einige dieser Fälle sind Beispiele bewährter Vorgehensweisen für den Umgang mit anhaltenden zunehmenden Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit.

(11)

Nach der Verordnung (EU) 2016/399 darf die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen nur in Ausnahmefällen als letztes Mittel erfolgen. In diesem Zusammenhang wurden die Mitgliedstaaten im Durchführungsbeschluss (EU) 2017/246 des Rates (6) ausdrücklich darin bestärkt zu prüfen, ob Polizeikontrollen nicht zu denselben Ergebnissen wie vorübergehende Binnengrenzkontrollen führen würden, bevor sie solche Grenzkontrollen einführen oder verlängern.

(12)

Während es in einigen Fällen von Anfang an klar sein kann, dass Polizeikontrollen alleine nicht ausreichen, um den festgestellten Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit zu begegnen (z. B. Suche nach bestimmten Verdächtigen nach einem Terroranschlag), lassen sich in anderen Fällen Ziele, wie sie mit wieder eingeführten Grenzkontrollen verfolgt werden, durch verstärkte Polizeikontrollen in Grenzgebieten erreichen. Daher sollten zum einen vor einem Beschluss zur vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen grundsätzlich alternative Maßnahmen geprüft werden. Insbesondere im Falle von Beschlüssen über die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen aufgrund anstehender Großveranstaltungen sollten die Mitgliedstaaten nachweisen, dass Alternativen geprüft wurden. Zum anderen kann in besonderen Fällen einer dringenden und ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit auf Ebene des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen oder auf nationaler Ebene die sofortige vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen geboten sein.

(13)

Mit dieser Empfehlung werden die Mitgliedstaaten darin bestärkt, ihre polizeilichen Befugnisse besser zu nutzen und Polizeikontrollen den Vorzug zu geben, bevor die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen beschlossen wird.

(14)

Unabhängig von Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat zur Bewältigung einer besonderen Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder seiner inneren Sicherheit ergreift, sollte dafür Sorge getragen werden, dass die Umsetzung der Maßnahmen zu keinen Hindernissen für den freien Verkehr von Personen und Waren führt, die im Hinblick auf diese Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit nicht erforderlich, gerechtfertigt und verhältnismäßig wären, und dass die Grundrechte — insbesondere der Grundsatz der Nichtdiskriminierung — uneingeschränkt geachtet werden.

(15)

Der Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen stützt sich auch auf die wirksame und effiziente Anwendung von Begleitmaßnahmen im Bereich der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit durch die Mitgliedstaaten. Aus den bisherigen Schengen-Evaluierungen im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit geht hervor, dass — obwohl sich die Mitgliedstaaten generell an den Schengen-Besitzstand halten — eine Reihe von Hindernissen die praktische Nutzung einiger der den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Instrumente behindert. Daher sollten die Mitgliedstaaten darin bestärkt werden, diese Hindernisse zu beseitigen, um grenzüberschreitenden Bedrohungen besser zu begegnen.

(16)

Gemeinsame Polizeistreifen und andere bestehende Instrumente der operativen polizeilichen Zusammenarbeit tragen zur inneren Sicherheit innerhalb des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen bei. Gemeinsame Streifen an Bord von grenzüberschreitend verkehrenden Zügen beispielsweise erhöhen deutlich die Sicherheit, in dem Situationen vermieden werden, in denen ein Ungleichgewicht bei Kontrollen die Bemühungen auf nur einer Seite der Grenze untergräbt. Eine Reihe von Mitgliedstaaten haben Verfahren eingeführt, die gemeinsame Polizeieinsätze erleichtern oder ermöglichen (z. B. die gemeinsamen Polizeidienststellen, die Deutschland und Polen an ihrer Grenze eingerichtet haben und deren Schwerpunkt auf gemeinsamen Streifen und anderen Einsätzen liegt, die für gemeinsame Untersuchungen eingesetzten Kleinstteams an der österreichisch-tschechischen Grenze, gemeinsame Zugstreifen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien und Ungarn oder die Einstellung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten durch die deutsche Polizei, insbesondere für Streifen in den Grenzregionen). Die anderen Mitgliedstaaten sollten sich diese bewährten Vorgehensweisen zu eigen machen.

(17)

Die gemeinsame Analyse der Bedrohungslage und der grenzüberschreitende Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten mit gemeinsamen Grenzregionen können dazu beitragen, effiziente Polizeikontrollen zu konzipieren, um den festgestellten Bedrohungen zu begegnen. Diese Zusammenarbeit kann sich auf Risiken an bestimmten grenzüberschreitenden Verkehrsrouten sowie auf bestimmte, häufig für kriminelle Handlungen genutzte Verkehrsmittel erstrecken, um gezielte Polizeikontrollen im Vorfeld von Grenzgebieten zu ermöglichen. Solche Polizeikontrollen können ein gemeinsames Instrument zur Bewältigung der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit darstellen, der die betroffenen Mitgliedstaaten gegenüberstehen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Mitgliedstaaten darin zu bestärken, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auszubauen.

(18)

Zur Verstärkung der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit können die Mitgliedstaaten die Kommission um Unterstützung bei der Umsetzung dieser Empfehlung ersuchen. Diese Unterstützung kann beispielsweise zur Erleichterung des Austauschs bewährter Vorgehensweisen zwischen Praktikern und Entscheidungsträgern der Mitgliedstaaten beitragen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den einschlägigen Agenturen (Europol und die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache) verbessern. Sie kann ferner dazu beitragen, dass grenzübergreifende Kooperationsstrukturen wie die Zentren für die Zusammenarbeit von Polizei und Zoll weiter ausgebaut werden. Darüber hinaus wird die Kommission auf der Grundlage von Beiträgen der Mitgliedstaaten die Aktualisierung des „Schengen-Katalogs“ von 2011 (7), der unter anderem bewährte Vorgehensweisen im Bereich der grenzüberschreitenden operativen polizeilichen Zusammenarbeit enthält, und der nationalen Merkblätter des „Handbuchs für grenzüberschreitende Einsätze“ (8) unterstützen.

(19)

Die aktuelle Migrationskrise hat gezeigt, dass unkontrollierte Sekundärbewegungen von irregulären Migranten eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit darstellen können. Die ordnungsgemäße Anwendung der bilateralen Rückübernahmeabkommen im Einklang mit Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (9) kann entscheidend zur Bewältigung von Sekundärbewegungen von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen beitragen. Die bilateralen Abkommen können auch dazu beitragen, im Hinblick auf die Bewältigung der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit ähnliche Ergebnisse wie gezielte Kontrollen an den Binnengrenzen zu erreichen und gleichzeitig die Auswirkungen auf Bona-fide-Reisende zu begrenzen. Daher ist es wichtig, dass die Mitgliedstaaten unter Beachtung der Empfehlung (EU) 2017/432 der Kommission (10) die bilateralen Rückübernahmeabkommen effizient anwenden.

(20)

Die Kommission ist der Auffassung, dass es zur Umsetzung dieser Empfehlung einer angemessenen Frist bedarf; daher empfiehlt die Kommission, dass die Umsetzung so bald wie möglich, spätestens aber innerhalb von sechs Monaten erfolgen sollte.

(21)

Diese Empfehlung sollte unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte umgesetzt werden.

(22)

Diese Empfehlung sollte an alle Schengen-Staaten gerichtet sein, die durch Titel III der Verordnung (EU) 2016/399 gebunden sind —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

Wirksamere Nutzung von Polizeikontrollen

(1)

Um die Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit im Schengen-Raum angemessen zu bewältigen, sollten die Mitgliedstaaten, sofern dies erforderlich und nach nationalem Recht gerechtfertigt ist,

a)

die Polizeikontrollen im gesamten Hoheitsgebiet, einschließlich der Grenzgebiete, intensivieren;

b)

Polizeikontrollen an den Hauptverkehrsrouten durchführen, auch in Grenzgebieten;

c)

die Polizeikontrollen in Grenzgebieten auf der Grundlage kontinuierlicher Risikobewertungen anpassen, wobei sicherzustellen ist, dass diese Kontrollen keine Grenzkontrollen zum Ziel haben;

d)

moderne Technologien nutzen, um Fahrzeuge und Verkehrsströme zu überwachen.

Bevorzugung von Polizeikontrollen im Falle einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit

(2)

Ziehen es Mitgliedstaaten in einer Situation einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit in Erwägung, Kapitel II von Titel III der Verordnung (EU) 2016/399 anzuwenden, sollten sie zunächst prüfen, ob der Situation durch eine Intensivierung der Polizeikontrollen im Hoheitsgebiet, darunter in Grenzgebieten, angemessen begegnet werden kann.

Verstärkung der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit

(3)

Um die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit zu verstärken, sollten die Mitgliedstaaten

a)

neu bewerten, inwieweit sie derzeit alle verfügbaren Instrumente der grenzüberschreitenden operativen polizeilichen Zusammenarbeit wie gemeinsame Streifen, gemeinsame Einsätze, gemeinsame Ermittlungsteams, grenzüberschreitende Nacheile, grenzüberschreitende Observationen sowie Zentren für die Zusammenarbeit von Polizei und Zoll nutzen;

b)

mit ihren benachbarten Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um rechtliche oder operative Hindernisse für die uneingeschränkte Nutzung aller Instrumente der grenzüberschreitenden operativen polizeilichen Zusammenarbeit zu beseitigen;

c)

mit ihren benachbarten Mitgliedstaaten gegebenenfalls gemeinsame Analysen der Bedrohungslage entwickeln und grenzüberschreitend Informationen austauschen, um gemeinsame Maßnahmen zur Bewältigung von Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit in gemeinsamen Binnengrenzgebieten zu unterstützen, u. a. durch koordinierte Polizeikontrollen in ihren Binnengrenzgebieten;

d)

prüfen, ob zur Stärkung der gemeinsamen Maßnahmen, insbesondere zu Überwachungs- und Aufdeckungszwecken, technische Investitionen erforderlich sind.

Wirksame Nutzung von bilateralen Rückübernahmeabkommen oder -vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten

(4)

Um sicherzustellen, dass Polizeikontrollen und die polizeiliche Zusammenarbeit zu einer wirksamen Bekämpfung unerlaubter Sekundärmigration führen, wenn diese eine besondere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit darstellt, sollten die Mitgliedstaaten

a)

im Einklang mit Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie 2008/115/EG und gemäß den Bestimmungen der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie (13. Januar 2009) geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen, insbesondere zwischen benachbarten Mitgliedstaaten, Drittstaatsangehörige wieder aufnehmen, die durch ihr Hoheitsgebiet gereist sind, bevor sie in einem anderen Mitgliedstaat aufgegriffen wurden;

b)

alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, einschließlich der Festlegung der operativen Verfahren zwischen den zuständigen Behörden und der Förderung des Informationsaustauschs zwischen ihnen, um sicherzustellen, dass Verfahren im Rahmen entsprechender bilateraler Abkommen oder Vereinbarungen von den betreffenden Mitgliedstaaten zügig abgeschlossen werden, sodass die Überstellungen schnellstmöglich erfolgen können;

c)

sicherstellen, dass Rückkehrverfahren im Einklang mit der Richtlinie 2008/115/EG und der Empfehlung (EU) 2017/432 eingeleitet werden, wenn ein Mitgliedstaat beschließt, die Bestimmungen von bilateralen Rückübernahmeabkommen oder -vereinbarungen nicht anzuwenden, oder wenn die betreffenden Drittstaatsangehörigen von einem anderen Mitgliedstaat wieder aufgenommen werden.

Brüssel, den 12. Mai 2017

Für die Kommission

Dimitris AVRAMOPOULOS

Mitglied der Kommission


(1)  COM(2012) 230, Bericht für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis zum 30. April 2012.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0230:FIN:DE:PDF

(2)  Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1).

(3)  Urteil des Gerichtshofs vom 19. Juli 2012 in der Rechtssache Adil, ECLI:EU:C:2012:508, C-278/12 PPU.

(4)  Urteil in der Rechtssache Adil, ECLI:EU:C:2012:508, Randnr. 65.

(5)  Urteil des Gerichtshofs vom 22. Juni 2010 in den verbundenen Rechtssachen C-188/10 und C-189/10, Melki und Abdeli, ECLI:EU:C:2010:363, Randnrn. 73 und 74.

(6)  Durchführungsbeschluss (EU) 2017/246 des Rates vom 7. Februar 2017 zur Verlängerung zeitlich befristeter Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen, die das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährden (ABl. L 36 vom 11.2.2017, S. 59).

(7)  Ratsdokument 15785/3/10 REV 3.

(8)  Ratsdokument 10505/4/09 REV 4.

(9)  Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98).

(10)  Empfehlung (EU) 2017/432 der Kommission vom 7. März 2017 für eine wirksamere Gestaltung der Rückkehr im Rahmen der Durchführung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 66 vom 11.3.2017, S. 15).