Parlamentskorrespondenz Nr. 227 vom 16.04.1998

FPÖ FORDERT IN DRINGLICHEM ANTRAG RASCHEN NATO-BEITRITT ÖSTERREICHS

Klima für Weiterentwicklung der bestehenden Sicherheitspolitik

Wien (PK) - Abgeordneter SCHEIBNER (F) spricht von einem "jämmerlichen Schauspiel" der Regierung in der Sicherheitspolitik und meint, die Koalitionsparteien hätten in unverantwortlicher Weise die Interessen Österreichs gefährdet und durch Falschinformation und Wankelmut die Bevölkerung verunsichert. SPÖ und ÖVP haben sich jahrelang vor einer Entscheidung gedrückt, das Parlament wurde immer wieder auf den Optionenbericht vertröstet. Nun hat es die Regierung nicht geschafft, die Optionen auch nur aufzulisten, geschweige denn Empfehlungen abzugeben. Es ist also an der Zeit, dass das Parlament handelt, die Optionen klar aufzeigt und die entsprechenden sicherheitspolitischen Entscheidungen trifft, folgert Scheibner.

Für den Redner ist die Option klar: Die Zukunft der europäischen Sicherheitspolitik liegt in der Nato als einziger funktionierender Organisation, die Sicherheitsgarantien geben kann. Es gehe nicht darum, einem Militärpakt beizutreten, sondern vielmehr darum, politische Werte im Sinne von Demokratie und defensiver Verteidigungspolitik umzusetzen, meint er. Zur Neutralität bemerkt Scheibner, diese werde heute von niemandem mehr ernst genommen und könne Österreich keinerlei Schutz geben. Er fordert deshalb im dringlichen Antrag die umgehende Aufnahme von Verhandlungen über einen Nato-Beitritt zum frühestmöglichen Zeitpunkt.

Bundeskanzler Mag. KLIMA weist jede Form einer Beleidigung Österreichs als Trittbrettfahrer mit Nachdruck zurück: Österreich ist aufgrund seiner in über vier Jahrzehnten bewährten Sicherheitspolitik, die aus Neutralität und gelebter Solidarität besteht, eines der aktivsten Länder bei der Teilnahme an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Massnahmen, betont er.

Klima bekennt sich zu einer gemeinsamen europäischen Aussen- und Sicherheitspolitik und meint, in der Regierung herrsche Konsens über die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den bestehenden Sicherheitsorganisationen wie UNO, OSZE, EU und Partnerschaft für den Frieden. Der Kanzler konzediert allerdings, dass es Meinungsverschiedenheiten in Sachen Nato gebe. Jetzt, wo wir noch nicht wissen, wie sich dieses Europa entwickeln wird, sollte man sich nicht dem Ziel einer Nato-Mitgliedschaft verschreiben, legt er den Standpunkt der SPÖ klar. Das Ziel müsste vielmehr die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik sein, die es ermöglicht, europäische Krisen friedlich und unabhängig von allfälligen Entscheidungen des US-Kongresses zu lösen. Nur die schrittweise Weiterentwicklung der bestehenden Sicherheitspolitik ist für Klima die Antwort auf die dringenden sicherheitspolitischen Herausforderungen Europas.

Abgeordneter Dr. HAIDER (F) quittiert die Wortmeldung Klimas mit der Bemerkung: Schön hat er geredet, nichts hat er gesagt. Der Kanzler konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regierung den Optionenbericht nicht zustande gebracht hat, betont Haider.

Die europäische Sicherheitspolitik, auf die Klima anspielt, ist bloss ein Phantomwort. Die Regierung lässt Österreich sicherheitspolitisch mit beiden Beinen in der Luft hängen, kritisiert er. Der Bundeskanzler ist in der SPÖ mit seiner Nato-freundlichen Haltung gegen Fischer und Kostelka unterlegen, diagnostiziert er weiters.

Was Österreich braucht, ist eine rechtzeitige Entscheidung. Haider sieht die Gefahr, dass in der Phase der Neustrukturierung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft auf Basis der Nato Österreich draussen bleiben könnte und andere Staaten, wie Slowenien und Kroatien, die entscheidenden strategischen Positionen einnehmen. Er fordert deshalb eine offene und klare Information der Menschen.

Für Abgeordneten Dr. KOSTELKA (SP) besteht kein Grund, der Nato beizutreten, die, wie er sagt, nicht neu ist, sondern bloss mehr Mitglieder hat und nach wie vor den Anspruch des atomaren Erstschlages erhebt. Die SPÖ steht für einen umfassenden Sicherheitsbegriff, der sich nicht nur auf militärische Konzepte bezieht. Für die SPÖ ist Sicherheit nicht die Anwendung von militärischer Gewalt, sondern politischer Mittel. Die Sicherheitspolitik bezieht nach seinen Worten die UNO, die OSZE und die EU ein, sie hat aber vor allem eine europäische zu sein. Was die Kosten eines Nato-Beitritts betrifft, ruft Kostelka zu mehr Ehrlichkeit auf, ein solcher würde 20 % mehr kosten als das derzeitige bündnisfreie Bundesheer.

Abgeordneter Dr. KHOL (VP) schliesst sich der Forderung Klimas nach einem Vorrang für die europäische Sicherheitspolitik an, hält es aber für unbestritten, dass es ohne die Nato in Europa und in der Welt keine Sicherheit geben kann. Für die ÖVP ist die Nato-Mitgliedschaft eine wichtige Perspektive, sie fordert aber nicht den sofortigen Beitritt. Der Optionenbericht ist für den Redner "verschüttete Milch". Nun werde die Stunde des Parlaments kommen, kündigt er an. Die ÖVP habe deshalb ihre Optionen als Antrag eingebracht, über den am 8. Mai im Aussenpolitischen Ausschuss beraten wird.

Dem dringlichen Antrag wird die Volkspartei nicht zustimmen. Den Freiheitlichen geht es dabei nur um Zwietracht, die ÖVP will aber Konsens in der Sicherheitspolitik. Man könne nicht eine Entscheidung wie den Beitritt zur Nato mit knappster Mehrheit beschliessen, meint er und spricht sich für einen intensivierten Dialog aus. Khol vertraut dabei auf die Beratungen im Parlament und auf den Überzeugungsprozess sowie, wie er sagt, auf die Kraft der Geschichte.

Abgeordneter MOSER (L) konstatiert nachhaltige Dringlichkeit, bis zur Vorsitzführung Österreichs in der EU in der Frage der Sicherheitspolitik zu einer Entscheidung zu kommen. Nun sei das Parlament am Zuge, und es stehe zu hoffen, dass die Ausschussberatungen rasch und intensiv aufgenommen werden.

Die Chancen des EU-Beitritts seien bislang nicht wahrgenommen worden, sicherheitspolitisch stehe Österreich heute schlechter dar als so mancher Reformstaat. Niemand bestreite, dass die Neutralität in früheren Jahren eine sinnstiftende Verteidigungsstrategie gewesen sei, doch hätten sich eben seit 1989 die Rahmenbedingungen geändert, weshalb eine rasche und offene Diskussion über alle Optionen nottue. Konkret spricht er sich für einen Beitritt Österreichs zur WEU aus.

Nationalratsratspräsident Dr. FISCHER gibt bekannt, dass G-Abgeordneter Wabl einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betreffend Kurdenmorde eingebracht haben.

Abgeordnete Mag. KAMMERLANDER (G) plädiert für die Schaffung sogenannter "weisser Zonen", die atomwaffenfrei, neutral und paktungebunden sein sollen. Bei der Nato gebe es keine völkerrechtlich verbindliche Erklärung, auf die Stationierung von Atomwaffen zu verzichten. Warum aber habe die Regierung das im Staatsvertrag festgehaltene Atomwaffenverbot für obsolet erklärt, wenn nicht, um den Beitritt zur Nato zu ermöglichen? In Europa lagerten noch immer unzählige Atomwaffen, die gemeinsam eine tausendfach höhere Sprengkraft als die Hiroshima-Bombe hätten. Die einzigen Gewinner einer Nato-Erweiterung seien die Rüstungsfirmen der USA, so Kammerlander, die einen Entschliessungsantrag betreffend Abhaltung einer Volksabstimmung über einen Nato-Beitritt einbringt.

Abgeordneter Mag. HAUPT (F) erinnert an den von Spindelegger und Schieder eingebrachten Antrag, wonach bis spätestens 31.3.1998 die Regierung einen Optionenbericht hätte vorlegen sollen. Für den Zeitdruck habe somit die Regierung selbst gesorgt. Die Standpunkte der Sozialdemokratie seien widersprüchlich und jedenfalls nicht zielführend, erklärt Haupt, der die Frage stellt, ob es nicht Sinn mache, innen mitzuentscheiden anstatt aussen zuschauen zu müssen. Im übrigen solle jenen Österreichern, die Auslandseinsätze absolviert hätten, endlich ein pensionsbegründender Anspruch auf diese Zeit zugestanden werden.

Abgeordneter SCHIEDER (SP) plädiert dafür, zuerst die europäischen Optionen auszuloten. Es spreche sich ja niemand gegen die Existenz der Nato an sich aus, aber es heisse in den Dokumenten zur aussenpolitischen Dimension einer europäischen Verteidigungspolitik, es müssten Antworten auf komplexe Fragen im Zusammenhang mit GASP, WEU etc. gefunden werden. Es bedarf also eines gemeinsamen Vorstosses zur Schaffung einer europäischen Verteidigungsidentität, so Schieder.

Abgeordneter Dr. MAITZ (VP) bezeichnet es als Hochmut derjenigen, die glaubten, internationale Bündnisse müssten sich nach Österreich richten. Die Neutralität sei ein Relikt des Kalten Krieges und daher überholt. Selbst in den Reihen der Sozialdemokraten gebe es ja durchaus divergierende Ansichten. Die VP habe eine klare Linie: Sie wolle einen vertiefenden Dialog mit den Nato-Ländern unter der Perspektive eines späteren Nato-Beitritts Österreichs.

Abgeordnete Dr. GREDLER (L) bringt einen Entschliessungsantrag betreffend den Beitritt Österreichs zur WEU ein. Diesbezügliche Vorarbeiten im Rahmen eines dynamischen Dialogs mit allen Sicherheitsorganisationen sollten bis Anfang 1999 geschehen, damit im Haus gemeinsam nach einer Lösung gesucht werden könne.

Abgeordneter WABL (G) meint, man müsse der Bevölkerung deutlich sagen, was ein Nato-Beitritt wirklich bedeute. Eine Mitgliedschaft impliziere natürlich die Beistandsverpflichtung und führe zu einer Erhöhung der Kosten für die Landesverteidigung sowie zu einer Stationierung von fremden Truppen. In einem Entschliessungsantrag fordert er die Regierung auf, die Budgetmittel, die der Verteidigungsminister für die Panzerbeschaffung vorgesehen hat, der Konsolidierung des Staatshaushaltes zuzuführen. Diese freiwerdenden Gelder sollten vielmehr der Finanzierung friedenserhaltender Einsätze und Entwicklungshilfeprogrammen der UNO zugeführt werden. Zudem könne der Privatisierungserlös im Heeresbereich für arbeitsmarktpolitische Massnahmen und zur Verbesserung der Leistungen für BezieherInnen von Notstandshilfe und Arbeitslosengeld sowie für Kinderbetreuungseinrichtungen verwendet werden.

Die Sozialdemokratie stehe für einen umfassenden Sicherheitsbegriff, der weit über den militärischen Bereich hinausgeht, meint SP-Abgeordneter GAAL. Nur im Falle des Scheiterns aller friedlichen Mittel kann es in letzter Konsequenz erforderlich sein, militärische Mittel einzusetzen. Sowohl die Nato als auch die WEU sind in der jetzigen Form nicht in der Lage, die erforderlichen präventiven Massnahmen für die Gewährleistung der umfassenden Sicherheit zu leisten. Es gebe daher unter den gegebenen Umständen keine zwingende Notwendigkeit, der Nato beizutreten, konstatiert Gaal abschliessend.

Abgeordneter Dr. MOCK (VP) bezeichnet die Sicherheitsdebatte als eines der ganz wichtigen politischen Themen, weil es dabei um Existenzfragen gehe. Man müsse aus der Geschichte lernen, meint Mock und erinnert daran, dass im März 1938 Österreich - mit Ausnahme von Mexiko - niemand geholfen hat. Klubobmann Kostelka, der sich dagegen verwehrt hat, dass Peace-keeping-Aktionen in Washington beschlossen werden, hält Mock entgegen, er sei froh, dass sich Amerika im Zweiten Weltkrieg eingemischt, den Marshall-Plan beschlossen und schliesslich auch in Bosnien eingegriffen hat. Eine europäische Lösung sei anzustreben, "aber in voller Partnerschaft mit jenen, die bewiesen haben, dass ihnen Menschenrechte und Friede ein Anliegen sind".

In einem Entschliessungsantrag spricht sich Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) dafür aus, "die weitere sicherheitspolitische Entwicklung der Republik entlang der Schlussfolgerungen des Optionenberichtes der Grünen" zu behandeln. Sie plädiert u.a. dafür, dass eine Rückkehr zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die aus der Neutralität erwachsen, aus Gründen der Stabilität und Sicherheit der Republik zweckmässig sei. Eine globale Sicherheitsordnung, die diesen Namen verdient, müsse bestrebt sein, den Krieg als Mittel der Politik endgültig zu überwinden. Dafür erscheint ihrer Ansicht nach die Wiederaufnahme einer ständig sich weiterentwickelnden aktiven Neutralitätspolitik als ein bewährtes Instrument.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (SP) bezeichnet die Argumentation von Scheibner als "verklärten Blick auf die Nato", da man den Eindruck gewinne, es handle sich dabei um eine Institution von völlig selbstlosen Pazifisten. Nach wie vor gebe es unveränderte Doktrinen, erinnert Gusenbauer, z.B. was den Ersteinsatz von Atomwaffen oder die Stationierung fremder Truppen betrifft. Eine Kooperation mit den USA soll es geben, meint der Redner, aber man muss auch die unterschiedlichen Interessen sehen. Die österreichische Bevölkerung wünscht sich eine Weiterentwicklung des Konzepts von Neutralität und Solidarität und dies ist auch der politische Auftrag der SPÖ.

Angesichts der Rede von Dr. Mock bedauert Abgeordneter Dr. STADLER (F), dass dieser nicht mehr Aussenminister bzw. Klubobmann der ÖVP ist. Die Ausführungen der Abgeordneten Petrovic und Gusenbauer seien hingegen blanker Zynismus, kritisiert er, für den die Menschen in Bosnien, die Europa auf den Knien um Hilfe gebeten haben, sicher kein Verständnis aufbringen werden. Stadler appelliert an die Volkspartei, dem von ihm eingebrachten Entschliessungsantrag betreffend Österreichs Sicherheit zuzustimmen, um der SPÖ endlich klarzumachen, welche sicherheitspolitischen Prioritäten dieses Landes kennt.

Abgeordneter GAAL (SP) stellt klar, er sei nicht dafür eingetreten, zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit der Nato in Verhandlung zu treten. Vielmehr habe er festgestellt, dass es für einen Beitritt unter den gegebenen Umständen keine Notwendigkeit gebe.

Die Haltung von Khol und Schüssel decke sich mit jener von Dr. Mock, stellt Abgeordneter Dr. LUKESCH (VP) in Richtung der FPÖ klar. Die ÖVP trete für einen breiten Konsens in Sicherheitsfragen und eine gründliche Diskussion im Aussenpolitischen Ausschuss ein, denn der Koalitionspartner soll überzeugt, aber nicht überstimmt werden.

Bei der Abstimmung wird der Dringliche Antrag der FPÖ nur von der antragstellenden Fraktion unterstützt und bleibt somit in der Minderheit. Die Entschliessungsanträge der Grünen und der Liberalen  verfallen der Ablehnung. Auch der F-Entschliessungsantrag betreffend Österreichs Sicherheit wird in einer namentlichen Abstimmung bei 126 Nein- und 36 Ja-Stimmen abgelehnt. (Schluss)