Parlamentskorrespondenz Nr. 609 vom 17.09.2001

UNSTERBLICHE OPFER

Zwölf Parlamentarier wurden Opfer des NS-Terrors

Wien (PK) - Rechter Hand vom Eingang in das Obere Vestibül befindet sich eine Gedenktafel für jene zwölf österreichischen Parlamentarier, die zwischen 1938 und 1945 vom nationalsozialistischen Terrorregime ermordet wurden. Diese hatten in der Ersten Republik vier verschiedenen Parteien angehört und die Entwicklung des Landes maßgeblich vorangetrieben. Umso tragischer war ihr Leidensweg, der für manche Mandatare schon 1934 begann.

ROBERT DANNEBERG

Das wohl prominenteste Opfer des NS-Terrors war Robert Danneberg. Geboren am 23. Juli 1885 in Wien, studierte er nach der Matura Ius und promovierte zum Doktor der Rechte. Bereits in jungen Jahren hatte sich Danneberg der Arbeiterjugend angeschlossen und bekleidete wichtige Funktionen im "Verband Jugendlicher Arbeiter", dem Vorläufer der Sozialistischen Jugend. 1907 wurde Danneberg Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale, die ihren Sitz in Wien hatte.

Bis 1918 war Danneberg weiters in der Zentralstelle für das Bildungswesen der Sozialdemokraten tätig und war literarischer Leiter des Parteiverlages. 1919-1932 war er Parteisekretär der SdP. Nachdem Danneberg 1919/20 schon der Konstituierenden Nationalversammlung angehört hatte, war er von November 1920 bis zum Februar 1934 überdies Abgeordneter zum Nationalrat, wo er bald zu den führenden Repräsentanten seiner Fraktion zählte.

Nach den Wiener Landtagswahlen 1932 folgte Danneberg dem überaus erfolgreichen Finanzstadtrat Hugo Breitner nach, dessen Kurs er konsequent fortsetzte. Nicht zuletzt deshalb war er im gegnerischen Lager entschieden eine persona non grata. Im Februar 1934 verhafteten die Austrofaschisten Danneberg prompt und ließen ihn bis 1935 in Haft.

Im März 1938 begann der Leidensweg Dannebergs von Neuem. Er wurde abermals, diesmal von den Nationalsozialisten, verhaftet und mit dem sogenannten "Prominenten-Transport" in das KZ Dachau gebracht. Später kam er in das KZ Buchenwald, ehe er 1942 in das KZ Auschwitz verschleppt wurde, wo er mutmaßlich noch im selben Jahr verstarb.

Danneberg spielte eine hervorragende Rolle im Verfassungsausschuss und trat auch als Schriftsteller hervor. Nicht wenige seiner Werke befinden sich in der Parlamentsbibliothek und sind dort auch zu entlehnen.

ANTON FALLE

Nicht minder bedeutend für die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung war Anton Falle. Geboren am 25. März 1886 in dem kleinen Kärntner Ort Rajach, verbrachte Falle, der nur zwei Jahre lang eine Volksschule besuchen konnte, eine überaus harte Jugend als Knecht, ehe er als Arbeiter beim Bau der Karawankenbahn zum Einsatz kam. Schon früh in die Reihen der Sozialdemokratie gestoßen, verlor er immer wieder seinen Arbeitsplatz, weil er, wie alle führenden Aktivisten jener Tage, von den Unternehmern auf "schwarze Listen" gesetzt wurde. So arbeitete er in der Folge als Magazinarbeiter bei Brown Boveri, als Bäckergehilfe, als Aushilfskraft und sogar als Krankenwärter in der Psychiatrie. Alle diese Beschäftigungen waren immer wieder unterbrochen durch längere Phasen der Arbeitslosigkeit.

Erst 1918 fand Falle ein fixes Einkommen als Bezirksparteisekretär der Villacher Sozialdemokratie. An der Seite des späteren sozialdemokratischen Landeshauptmanns von Kärnten Florian Gröger engagierte sich Falle für die Belange des südlichsten Bundeslandes, als die Zukunft Kärntens einigermaßen ungewiss war. Die jugoslawischen Truppen unter General Rudolf Majster hatten weite Teile Kärntens für die Slowenen in Besitz genommen, und erst nach der Volksabstimmung 1920 war klar, dass Kärnten, abgesehen von Teilen des Mießtales (Mezica) und einigen Gebieten um den Seebergsattel (Jezersko), bei der Republik Österreich verbleiben würde. Wenig später, im Juli 1921, zog Falle in den Nationalrat ein, dem er in der Folge bis zum Februar 1934 angehören sollte. Nach dem Tod von Gröger im Mai 1927 wurde Falle überdies Landesparteiobmann der SP Kärnten.

1934 wie viele führende Sozialdemokraten von den Austrofaschisten verhaftet, wurde er wegen seiner politischen Gesinnung 1935 zu einem Jahr schweren Kerkers verurteilt. 1944 kam Falle neuerlich in Haft, diesmal durch die Nationalsozialisten, die ihn in das KZ Dachau verschleppten, wo Falle, offiziell an einem Lungenemphysem, am 15. Jänner 1945 starb.

OSKAR JANICKI

Ebenfalls der Sozialdemokratie gehörte Oskar Janicki an, der am 21.6.1883 in Radauti in der Bukowina geboren worden war. Janicki besuchte nach der Volksschule fünf Jahre lang das Gymnasium, ehe er auf die Infanteriekadettenschule wechselte. Er absolvierte einen Zollkurs und trat 1909 als Zollassistent in den Staatsdienst ein. Er engagierte sich früh schon in der Gewerkschaftsbewegung und wurde 1923 Sekretär des Bundes der öffentlich Angestellten, des Vorläufers der GÖD. Wenig später übernahm er dortselbst den Vorsitz und gehörte auch dem Vorstand des Bundes Freier Gewerkschaften an.

Im Mai 1927 zog Janicki in den Nationalrat ein, wo er sich primär sozial- und arbeitsrechtlicher Themata annahm. Obwohl er sich bereits im Dezember 1933 aus der Politik zurückgezogen hatte, wurde er im Februar 1934 von den Austrofaschisten verhaftet und verbrachte längere Zeit im Gefängnis. 1944 fiel auch er in die Hände der Nationalsozialisten, die im Gefolge des fehlgeschlagenen Stauffenberg-Attentats alle potentiellen Oppositionellen verhafteten. Janicki wurde wie Falle in das KZ Dachau überstellt, wo er an den Folgen der KZ-Haft am 8. Februar 1945 starb.

KARL KNAPP

Ähnlich erging es Karl Knapp, einem weiteren sozialdemokratischen Mandatar. Geboren am 26.11.1888 in Wien, absolvierte er die Pflichtschulen, um danach in den Postdienst einzutreten. 1919 bis 1931 war er stellvertretender Vorsitzender, danach Vorsitzender der Postgewerkschaft und wurde im Dezember 1933 in den Bundesrat entsandt, dem er bis zur Aberkennung der sozialdemokratischen Mandate durch die Austrofaschisten im Februar 1934 angehörte.

Ab da gleicht Knapps Lebenslauf jenen von Falle und Janicki. 1934 verbrachte er mehrere Monate in austrofaschistischer Haft, 1944 wurde er von den Nationalsozialisten inhaftiert. Auch Knapp kam in das KZ Dachau, wo er am 4. Dezember 1944 an den Folgen der Haftbedingungen starb.

KARL KLIMBERGER

Karl Klimberger wiederum wurde am 14. November 1878 in Wien geboren und übte den Beruf eines Möbelerzeugers aus. Als solcher war er in der Sozialdemokratie seiner Zeit eine Ausnahmeerscheinung, saß er doch als Präsident dem Verband Sozialdemokratischer Gewerbetreibender vor. Überdies hatte er Funktionen im Gremium der Wiener Kaufmannschaft, bei der Wiener Messe AG und bei der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien inne.

Von Mai 1927 bis April 1932 vertrat er die Sozialdemokratie im Nationalrat, danach zog er sich von der politischen Bühne zurück. Von den Nationalsozialisten als Jude eingestuft, wurde er von der Gestapo am 25. Juni 1943 verhaftet und am 12. Oktober 1943 in das KZ Auschwitz verschleppt. Dort verliert sich seine Spur, weshalb Klimberger 1962 amtlich für tot erklärt wurde.

FELIX KANITZ

Ein weiterer bedeutender Sozialdemokrat, der im KZ sein Leben ließ, war Otto Felix Kanitz. Der bedeutende Erziehungswissenschaftler wurde am 5. Februar 1894 in Wien geboren und schloss sich früh der Arbeiterbewegung an. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zählte er zu den Spitzenfunktionären der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). In seiner Broschüre "Kampf und Bildung" (1928) hielt Kanitz den Zusammenhang zwischen Wissen und Verbesserung der Lebensbedingungen anschaulich fest: "Sozialismus lässt sich nicht erwandern und ersingen, sondern nur erkämpfen." Die Arbeiterjugendorganisation werde "ihre Aufgaben nur erfüllen können auf der Grundlage des politisch-wirtschaftlichen Kampfes und der marxistischen Schulung ihrer Mitgliederschaft".

Im Jänner 1926 wurde Kanitz Wiener SAJ-Obmann, 1928 wurde er stellvertretender Bundesobmann der SAJ, und am Eisenstädter Verbandstag der SAJ 1930 wählten die Delegierten Kanitz zum Nachfolger von Karl Heinz als Bundesobmann der SAJ. In dieser Funktion wurde Kanitz ein wichtiger Ratgeber für junge Sozialisten, die sich in jenen Jahren der SAJ anschlossen, allen voran Bruno Kreisky, der Kanitz in seinen Memoiren auch ein ehrendes Andenken bewahrte.

Im Mai 1932 entsandte der Wiener Landtag Kanitz schließlich in den Bundesrat, dem er bis zum Februar 1934, als die Mandate der Sozialdemokratie durch die Austrofaschisten kassiert wurden, angehörte. Wie viele andere prominente Sozialdemokraten musste Kanitz Verfolgung durch das austrofaschistische Regime erdulden, doch mit der Auslöschung Österreichs im März 1938 wurde seine Lage noch dramatischer. Von den Nationalsozialisten gefangen genommen, kam Kanitz ins KZ Buchenwald, wo er am 29. März 1940, gerade 46 Jahre alt, starb.

PAUL SCHLESINGER

Ein Pionier der Arbeiterbewegung war Paul Schlesinger. Geboren am 9. Juli 1874 in Wien, erlernte er den Beruf eines Feinmechanikers. Nach Jahren der steten Wanderschaft, die ihn, immer auf der Suche nach Arbeit, in viele Teile der Monarchie, nach Deutschland, Holland und Belgien sowie in die Schweiz führten, kehrte er 1905 nach Wien zurück, wo er Sekretär des Metallarbeiterverbandes wurde.

Später avancierte er zum Obmann der Badener Gebietskrankenkasse und wurde als Arbeiterkandidat in den Niederösterreichischen Landtag gewählt, nachdem er zuvor immer wieder wegen politischer Betätigung Verfolgung durch die Behörden der Monarchie hatte erdulden müssen. Im März 1926 wechselte Schlesinger in den Nationalrat, wo er sich vor allem in industriepolitischen Angelegenheiten zu Wort meldete.

Dem Nationalrat gehörte er noch im Februar 1934 an, als er von den Austrofaschisten verhaftet wurde. Mehrere Monate verbrachte er im berüchtigten Anhaltelager Wöllersdorf. Im März 1938 wurde er von den Nationalsozialisten in Gestapohaft genommen, aus der er erst 1939 wieder freikam. 1944 neuerlich festgenommen, brachten die Nationalsozialisten Schlesinger ins KZ Groß-Rosen, wo er am 10. Februar 1945 starb.

VIKTOR STEIN

Ebenfalls Funktionär der Metallarbeiter war Viktor Stein, geboren am 9. Juli 1876 im böhmischen Pribram. Lange Jahre leitete Stein die Redaktion des Fachblattes "Der Metallarbeiter" und arbeitete überdies an der Zeitung "Arbeit und Wirtschaft" mit.

1923 zog Stein in den Wiener Landtag ein, im Dezember 1926 wurde er Abgeordneter zum Nationalrat, dem er mit einer Unterbrechung bis zum Februar 1934 angehörte, als er von den Austrofaschisten in Haft genommen wurde. Bereits unmittelbar nach dem Ende Österreichs verschleppten die Nationalsozialisten Stein ins KZ Sachsenhausen, wo er am 28. April 1940 nicht ganz 64jährig starb.

HANS SYLVESTER

Die Nationalsozialisten ermordeten aber auch Vertreter anderer politischer Parteien als der Sozialdemokratie. Das bekannteste Opfer ist hier der ehemalige Landeshauptmann des Burgenlandes Hans Sylvester. Sylvester wurde am 30. November 1897 in Nickelsdorf geboren und absolvierte nach der Matura ein Studium an der Hochschule für Bodenkultur, welches er 1923 mit dem Titel eines Diplomingenieurs abschloss.

Schon 1918 war er mit der Politik in Berührung gekommen, fungierte er doch von November 1918 bis März 1919 als Staatsnotar. Danach arbeitete er einige Jahre als Gutsverwalter, ehe er 1929 Kammeramtsdirektor der Burgenländischen Landwirtschaftskammer wurde.

Schon zuvor war Sylvester Landtagsabgeordneter geworden und gehörte in den Jahren 1926/27 und 1931 bis 1934 der Burgenländischen Landesregierung an, dabei neben Lovro Karall und Ludwig Leser zu den bekanntesten burgenländischen Politikern zählend. Von Dezember 1930 bis Dezember 1931 war Sylvester überdies Abgeordneter zum Nationalrat.

Im so genannten Ständestaat übernahm Sylvester 1934 das Amt des Landeshauptmannes des Burgenlandes, welches er bis zum März 1938 ausübte. Dadurch zählte er auch zu den ersten Opfern des Nationalsozialismus und wurde ins das KZ Dachau verschleppt, wo er am 19. Jänner 1939 im Alter von nur 41 Jahren verstarb.

RICHARD STEIDLE

Ein weiterer Christlichsozialer Mandatar, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde, war Richard Steidle. Geboren 1881 in der Nähe von Meran, studierte Steidle Ius an der Universität Innsbruck und war sodann als Rechtsanwalt tätig.

Unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zog Steidle in die Tiroler Landesregierung - der er bis 1921 angehörte - ein und war überdies seit 1919 Mitglied des Tiroler Landtages. 1920 zählte er zu den Gründern der Tiroler Heimatwehr und wurde 1926 Bundesführer der Heimwehren. Von Jänner 1922 bis April 1931 vertrat Steidle das Bundesland Tirol im Bundesrat, wobei er zweimal, nämlich 1923/24 und 1928, als Vorsitzender der Länderkammer amtierte.

Nach 1930 geriet Steidle immer mehr in Gegensatz zur Christlichsozialen Partei und wurde kurz vor dem Jahreswechsel 1930/31 sogar aus deren Fraktion ausgeschlossen. Steidle spielte daher auch im so genannten Ständestaat keine sonderliche Rolle. Dennoch wurde er im März 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet. Er kam in das KZ Buchenwald, wo er am 30. August 1940 starb.

HANS PRODINGER

Unter den NS-Opfern befindet sich auch ein großdeutscher Abgeordneter. Hans Prodinger wurde am 14. November 1887 in Villach geboren und erlernte nach der Handelsschule den Beruf eines Kaufmanns. Er war zunächst als Auslagendekorateur tätig, später wirkte er als Herausgeber der Zeitschrift "Volksruf".

Im November 1928 zog er in den Nationalrat ein, dem er bis zum 30. April 1934 angehörte, als das Rumpfparlament die Dollfußsche Verfassung annahm. Im Gegensatz zu vielen seiner Parteifreunde in der GDVP schloss sich Prodinger nicht den Nationalsozialisten an, sondern stellte sich dem so genannten Ständestaat zur Verfügung und wurde 1936 Präsident der Versicherungsanstalt der Angestellten. Als solcher wurde er im März 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, wo er am 5. September 1938 starb.

ROBERT STRICKER

Schliesslich wurde auch Robert Stricker ein Opfer des Nationalsozialismus. Stricker vertrat 1919/20 die Jüdische Nationale Partei im Nationalrat, eine der drei Kleinparteien, die es in der Ersten Republik schafften, im Parlament vertreten zu sein.

Stricker wurde am 16. August 1879 in Brno geboren und absolvierte nach der Mittelschule die Technische Hochschule. Er trat in den Dienst der k&k-Staatsbahnen, wo er, wie man heute sagen würde, im Management tätig war. Daneben engagierte sich Stricker für die Ziele des Zionismus und war durch viele Jahre hindurch Vorstandsmitglied der IKG.

Im Februar 1919 kandidierte die Jüdisch-Nationale Partei für die Konstituierende Nationalversammlung und erzielte dabei genug Stimmen, um einen Mandatar entsenden zu können. Dieses Mandat nahm Robert Stricker wahr, der seine Arbeit allerdings kaum voll entfalten konnte, da im Herbst 1920, nach dem Beschluss der Bundesverfassung, Neuwahlen zum nunmehr Nationalrat geheißenen parlamentarischen Gremium ausgeschrieben wurden, bei denen der JNP ein Wiedereinzug verwehrt blieb.

Nach dem sogenannten "Anschluss" waren Juden primäres Ziel nationalsozialistischer Verfolgung. So wurde auch Robert Stricker aus Wien verschleppt. Er starb mutmaßlich 1944 im KZ Auschwitz. (Schluss)