Parlamentskorrespondenz Nr. 181 vom 16.03.2004

POLITISCHE BILDUNG IM ZEICHEN DER EUROPAIDEE

Europatagung 2004 für Multiplikatoren im Parlament

Wien (PK) - Rund 140 Lehrerinnen und Lehrer folgten auch heuer wieder der Einladung des Pädagogischen Institutes des Bundes für Niederösterreich zur "Europatagung 2004" für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der politischen Bildung. Aus Anlass der Wahl zum Europäischen Parlament am 13. Juni 2004, der EU-Erweiterung am 1. Mai 2004 und der Bundespräsidentenwahl am 25. April 2004 wurden diesmal drei entsprechende Tagungsorte gewählt, nämlich das Parlament, die Präsidentschaftskanzlei und das Bundeskanzleramt.

Die Tagung stand unter der Patronanz des Nationalratspräsidenten Andreas Khol, des Präsidenten des Europäischen Parlaments Pat Cox, des Außenpolitischen Ausschusses des Nationalrates, der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich und des Informationsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich. 

Organisator war, wie die Jahre zuvor, Regierungsrat Anton Salesny. Salesny blickte kurz auf die 30-jährige Tradition dieser Dialogreihe zurück und unterstrich, dass es dabei im Sinne des Grundsatzerlasses "Politische Bildung" in erster Linie darum gegangen sei und gehe, im Gespräch mit qualifizierten Vertreterinnen und Vertretern des staatlichen Lebens die Kompetenz, Wissen über das staatliche Zusammenleben zu vermitteln, weiter zu verbessern.

KHOL: JUNGE MENSCHEN ERMUTIGEN, SICH IN DEN POLITISCHEN PROZESS EINZUSCHALTEN

Nationalratspräsident Andreas Khol dankte den Anwesenden für ihre Bemühungen, das Rüstzeug für den Unterricht "Politische Bildung" auf den letzten Stand zu bringen. Insbesondere würdigte er Anton Salesny für dessen Beharrlichkeit, Geduld und Augenmaß in diesem Zusammenhang. Khol erinnerte an die Entstehung des Grundsatzerlasses in der Ära des damaligen Unterrichtsministers Sinowatz. Er, Khol, habe damals aktiv an der Diskussion, ob man aus der Staatsbürgerkunde ein eigenes Fach "Politische Bildung" oder ein Unterrichtsprinzip machen solle, mitgewirkt und schließlich den Grundsatzerlass mit formuliert. Das Unterrichtsprinzip mache die Vermittlung sicherlich schwieriger, sagte der Nationalratspräsident. Es stelle nicht nur auf die kognitiven Fähigkeiten ab, sondern auch auf affektive Ziele, auf das eigentliche Tun. Und dies sei ein besonders wichtiger Teil der politischen Bildung, nämlich die jungen Menschen aus der Wartestellung herauszuholen und zu ermutigen, sich in den politischen Prozess einzuschalten. Schule und Jugendvereinigungen seien der erste Platz, politisches Verhalten zu lernen, unterstrich Khol und lud die Teilnehmerinnen und Teilnehmer herzlich ein, mit ihren Schülerinnen und Schülern das Parlament zu besuchen. "Dieses Haus ist ihr Haus und steht ihnen zur Verfügung", so der Nationalratspräsident.

PAT COX UNTERSTREICHT WICHTIGKEIT HOHER BETEILIGUNG BEI EUROPAWAHL

In einer schriftlich übermittelten Grußbotschaft des Präsidenten der Europäischen Parlaments, Pat Cox, dankte dieser den Anwesenden für deren Bemühungen um die Weitergabe und Vertiefung der Europaidee und bat sie, in ihrem pädagogischen Wirken die Bedeutung der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament weiter zu tragen. Die anstehende Europawahl werde ein Ereignis paneuropäischen Ausmaßes sein. Sollte die Wahlbeteiligung einen Tiefststand erreichen, so würde man ernsthaft mit der Frage der Legitimität der einzigen europäischen Institution, welche demokratisch gewählt wird, rechnen müssen, warnte Cox.

SCHIEDER: IDEE EUROPA WEITERTRAGEN

Als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses, aber auch als Präsident des Europarates, betonte Peter Schieder ebenfalls die Wichtigkeit einer starken Bürgerbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament. Schieder wies darauf hin, dass die EU und der Europarat bewusst die gleiche Fahne und gleiche Hymne haben, auch wenn die beiden Institutionen unterschiedliche Aufgaben hätten. Fahne und Hymne sollten eben die Idee der Einheit Europas darstellen, und das sei Ziel sowohl des Europarates als auch der EU. Der Europarat wirke vor allem auf kulturellem und sozialem Gebiet und sei insbesondere bemüht, Nichtmitgliedern der EU zu helfen, ihre Rechtsordnungen und Strukturen an das EU-Niveau anzupassen.

BLICK FÜR MÖGLICHE GEFAHREN SCHÄRFEN UND DEMOKRATISCHE FESTIGKEIT UNTER BEWEIS STELLEN

Im Namen des Präsidenten des Landesschulrates für Niederösterreich Anton Stricker machte Landesschulinspektor König auf die wichtige Aufgabe aufmerksam, Schülerinnen und Schüler zur aktiven Teilnahme am öffentlichen Geschehen und kulturellen Leben zu ermutigen. Genauso notwendig sei es aber, den Blick für mögliche Gefahren zu schärfen. Gerade angesichts des Terrors sei Europa gefordert, demokratische Festigkeit unter Beweis zu stellen. Dass Europa in den Schulen tatsächlich gelebt werde, bewiesen die zahlreichen internationalen Projekte, Schulpartnerschaften und die Sprachinitiative an Niederösterreichs Schulen.

Schließlich kam der Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich, Jürgen Frieberger, zu Wort und skizzierte die Aufgabe seiner Institution, Information vor Ort über die Ziele und Aufgaben der EU weiterzugeben und darüber zu informieren, was die EU tatsächlich leistet und leisten kann und was sie nicht leisten kann. Kommission und EU-Parlament seien aber auf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren angewiesen, weshalb derartige Veranstaltungen so wichtig seien. "Was sie mit nach Hause nehmen, behalten sie es nicht für sich, tragen sie es hinaus und erzählen sie es allen", so der Appell Friebergers.

ZUR ZUKUNFT EUROPAS

Im Anschluss an die Eröffnungsrunde fand eine Diskussion der Lehrerinnen und Lehrer mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments Othmar Karas (V) und Daniela Raschhofer (F) sowie den Nationalratsabgeordneten Caspar Einem (S), und Evelin Lichtenberger (G) statt.

Einem umriss dabei die aktuellen Probleme der Union im Lichte der historischen Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses. Die EU sei eine 50-jährige Erfolgsgeschichte zur Verhinderung des Krieges, von welchem Ziel die Gründergeneration sich maßgeblich habe leiten lassen. Mittlerweile aber sei eine neue Generation herangewachsen, bei der die Bereitschaft, etwas beizutragen, ohne dafür etwas zu erhalten, nachgelassen habe. Zudem fühlten viele Bürger nicht, dass es sich bei der EU um ein Projekt in ihrem eigenen Interesse handle. Daher habe die Union an dieser Stelle gegengesteuert und Dokumente wie den Grundrechtskatalog und den Verfassungsentwurf vorgelegt. Und wenn es hier auch noch keinen geglückten Abschluss gebe, so sei er, Einem, doch optimistisch, dass die Union ihre Ziele nicht nur erreichen, sondern auch adäquat vermitteln können werde.

Karas postulierte zunächst, man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass Europapolitik Außenpolitik sei, vielmehr seien wir alle bei jeder Entscheidung in Brüssel eingebunden und auch von jeder dieser Entscheidungen betroffen. Europapolitik sei mithin Innenpolitik. Die nationalen Regierungen bereiteten diese Entscheidungen vor und müssten sie daher auch entsprechend kommunizieren. Derzeit stehe die Union vor drei Scheidewegen. Es stelle sich die Frage, ob die Innenpolitik der Nationalstaaten zunehmend europäisiert oder die EU wieder stärker nationalisiert werde. Weiters müsse man sich fragen, ob die EU in der Gesamtheit ihrer Organe gestärkt werde oder ob Thesen wie jene von einem "Kerneuropa" hegemonial werden. Drittens sei es von großer Relevanz, ob die EU sich zur politischen Union weiterentwickeln könne oder primär eine Wirtschaftsunion bleibe. Die Antworten auf diese Fragen werden, so Karas, die Zukunft des Kontinents entscheidend prägen.

Für Raschhofer ist Europapolitik der mühselige Weg zu Kompromissen. Mehr denn je gehe es vor diesem Hintergrund darum, darüber nachzudenken, was Europa eigentlich sein soll. Die EU brauche eine Konsolidierungs- und Reformphase, um den Bürgern die Sinnhaftigkeit dieses Projekts wieder eindrucksvoller vor Augen zu führen. Daher müsste in dieser Phase nicht nur die Erweiterung der EU entsprechend kommuniziert werden, es brauche auch mehr Bürgernähe und einen stringenten Umgang mit den Finanzen der Union. Schließlich stelle sich die Frage, wie viel Macht die Nationalstaaten bereit seien, abzugeben, gehe es doch um ein Austarieren der Kräfte im Interesse der Zukunft der Union.

Lichtenberger ortete einen Widerspruch zwischen alten Politikrezepten und den Anforderungen der Gegenwart. Es sei nicht nur der Terrorismus, der Europa gefährde, sondern auch die Umweltsituation. Man müsse sich den sozialen und ökologischen Herausforderungen stellen und Antworten auf Themen wie die Verkehrs- oder die Energiepolitik finden. Es gehe also mit einem Wort um Nachhaltigkeit. Europa habe die besseren Konzepte für eine echte Friedenspolitik und müsse sich daher in der Welt entsprechend einbringen. Schließlich müsse man den Bürgern Europas die Türen öffnen, denn Transparenz schaffe auch eine europäische Identität. Ziel sollte es sein, dass jeder Europäer auf Schloss Schönbrunn und die Uffizien gleichermaßen stolz sein könne, meinte Lichtenberger. (Schluss)