Parlamentskorrespondenz Nr. 581 vom 06.07.2005

PLENUM BESCHLIESST VERANKERUNG DER GEBÄRDENSPRACHE IN DER VERFASSUNG

Gebärdensprache als eigenständige und vollwertige Sprache anerkannt

Wien (PK) – Auf Basis folgender Vorlagen wurde die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen debattiert: Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, der Änderung des B-VG, der Anträge 89/A (E), 156/A, 431/A, 449/A sowie der Bürgerinitiative 5/BI und der Petitionen 11/PET und 27/PET.

Abgeordnete Mag. LAPP (S) kritisierte das Behindertengleichstellungsgesetz als zu wenig weitgehend, um den behinderten Menschen echte Gleichstellung zu ermöglichen. Defizite ortete sie vor allem hinsichtlich des Abbaus von räumlichen Barrieren, wobei sie meinte, die dafür vom Gesetz vorgesehenen Fristen seien zu lang bemessen. Der bei der Verbandsklage gewählte Weg erschien Lapp als viel zu kompliziert, der Behindertenanwalt wiederum war ihrer Einschätzung nach mangels Weisungsfreiheit zu schwach. Lapp brachte einen umfangreichen Abänderungsantrag ein, der diese Kritikpunkte enthält.

Abgeordneter Dr. HUAINIGG (V) sprach hingegen von einem Tag der Freude für behinderte Menschen, sei es doch gelungen, mit dem Gleichstellungsgesetz und der Anerkennung der Gebärdensprache jahrzehntelange Forderungen zu erfüllen. Das Behindertengleichstellungsgesetz qualifizierte Huainigg als Paradigmenwechsel weg von den Almosen und hin zu einer offensiven behindertenfreundlichen Politik. Ausdrücklich begrüßte er die Barrierefreiheit und den Behindertenanwalt und merkte an, für die Zukunft werde es nun verstärkt darum gehen, auch die Berufszugänge für behinderte Menschen zu öffnen.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) stellte kritisch fest, das vorliegende Behindertengleichstellungsgesetz verdiene diesen Namen nicht. Das Gesetz sei nichts anderes als eine nette Auflistung von Diskriminierungen, die es nicht mehr geben sollte, enthalte aber keinerlei durchsetzbare Unterlassungs- und Beseitigungspflichten. In einem detaillierten Abänderungsantrag verlangte die Rednerin einklagbare Rechte für Behinderte, insbesondere in Bezug auf Barrierefreiheit nach dem letzten Stand der Technik in sämtlichen Bereichen des Lebens.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) erwartete sich von der Anerkennung der Gebärdensprache eine Verbesserung der Integration gehörloser Menschen und sprach wie Abgeordneter Huainigg von einem großen Tag. Erfreut zeigte sie sich auch über das Behindertengleichstellungsgesetz, wobei sie der Opposition vorwarf, "mit Gewalt" Kritikpunkte zu suchen und alles "herunterzumachen". Das Gesetz sei jedenfalls ein erster Schritt auf dem richtigen Weg. Sie selbst sei auch nicht voll zufrieden mit dem Abbau der Barrieren und den diesbezüglichen Übergangsfristen, bemerkte Partik-Pable. Handlungsbedarf erkannte die Rednerin aber vor allem bei Freizeit- und Kultureinrichtungen in Wien.

Bundesministerin HAUBNER bezeichnete das Behindertengleichstellungsgesetz nicht als Endpunkt, sondern als wichtigen Zwischenstopp eines Maßnahmenpaketes, das mit der Behindertenmilliarde begonnen hatte. Wesentlich war für die Ministerin, dass das Gesetz im Gegensatz zu ausländischen Regelungen nun nicht nur den beruflichen, sondern auch den privaten Lebensbereich umfasst und den Diskriminierungsschutz auch auf die Angehörigen überträgt.

Auf Kritik der Opposition erwiderte sie, für Neubauten gelte unabhängig von den Übergangsfristen sofortige Barrierefreiheit, der Behindertenanwalt wiederum sei weisungsfrei gestellt und hänge nicht am Gängelband der Ministerin. 

Die Ministerin hob weiters hervor, dass in dieses Gesetz nicht nur die berufliche Ebene, sondern erstmals auch der private Bereich miteinbezogen wurde. Für wesentlich erachtete Haubner, dass der Diskriminierungsschutz auch auf Angehörige übertragen wird. Was den behindertengerechten Zugang angeht, so gelte sofort ab Inkrafttreten des Gesetzes, dass bei allen neu errichteten und generalsanierten Gebäuden auf Barrierefreiheit geachtet werden müsse. Von Seiten des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Verkehrsmittel soll ein Etappenplan bis Ende 2006 vorgelegt werden, in dem genau aufgelistet ist, welche Maßnahmen bezüglich der Barrierefreiheit durchgeführt werden. Ein wichtiges Instrument sei auch die Schlichtungsstelle, führte Haubner weiter aus, weil damit gewährleistet werde, dass behinderte Menschen so schnell wie möglich zu ihrem Recht kommen. Eine Klage sei für sie immer nur das letzte Mittel, zu dem gegriffen wird. Mit Nachdruck wolle sie auch feststellen, dass der Behindertenanwalt, der Sitz und Stimme im Behindertenbeirat hat, absolut weisungsfrei ist. Höchst an der Zeit war es auch, dass die Gebärdensprache als selbständige und vollwertige Sprache anerkannt wird.

Das Behindertengleichstellungsgesetz könne aber nur ein erster Schritt sein, dem weitere folgen, war Haubner überzeugt. Das Sozialministerium wird mit den Ländern verhandeln, um bis spätestens zum Jahr 2007 eine 15a-Vereinbarung in Bezug auf die derzeit noch sehr unterschiedlichen Bauordnungen zu treffen. Auch im Rahmen der Materiengesetze der einzelnen Ressorts soll darüber nachgedacht werden, wie die jeweiligen Benachteiligungen beseitigt werden können. Angesichts dieser vielen positiven Neuerungen bedauere sie es sehr, dass die Opposition diesen wichtigen Schritt nicht mittragen kann, schloss die Ministerin.

Nach Auffassung von Abgeordneter Mag. GROSSMANN (S) ist heute kein schöner Tag für die Behinderten. Sie gab zu bedenken, dass Recht haben und Recht bekommen oft nicht dasselbe sind. Noch immer gebe es viel zu große Hürden, um die gesetzlich vorgesehenen Rechte wirklich durchsetzen zu können. Das größte Problem bei der Rechtsdurchsetzung sei die Beweisführung, gab Grossmann zu bedenken. Doch auch das vorliegende Gesetz leiste dafür keinen adäquaten Beitrag, weil nur Beweiserleichterungen eingeräumt werden.

Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (V) würdigte die Arbeit und das Engagement ihres Kollegen Huainigg, der viel zum Zustandekommen des Gesetzes beigetragen hat. Das heutige Gesetzespaket sei ein sehr wesentlicher Impuls in Richtung mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten für behinderte Menschen. Damit eine Lösung hinsichtlich der unterschiedlichen Bauordnungen in den Ländern gefunden wird, habe man die Ministerin beauftragt, Gespräche über eine 15a-Vereinbarung zu führen. Nach einiger Zeit soll zudem eine Evaluierung des Gesetzes vorgenommen werden, damit man beurteilen könne, in welche Richtung es weitergehen soll.

Abgeordneter BROSZ (G) hielt seiner Vorrednerin entgegen, dass man sich nicht nur auf die Länder ausreden dürfe. Auch bei der Renovierung von Bundesschulen werde noch immer nicht darauf geachtet, dass diese behindertengerecht ausgestattet sind. Seine Fraktion hätte sich daher weitergehende Maßnahmen im Gesetz gewünscht. Was die Gebärdensprache angeht, so werden die Grünen einen Entschließungsantrag einbringen, der eine genaue Frist vorsieht, kündigte Brosz an.

Abgeordneter Mag. HAUPT (F) sprach von einem ersten wichtigen Schritt, auf den man aufbauen könne. Er räumte aber ein, dass natürlich Einiges noch verbessert werden könne. So verstehe er beispielsweise nicht, warum die Gemeinde Wien, die der größte Wohnungseigentümer in Österreich ist, zwar seit 1970 behindertengerechte Wohnbauverordnungen hat, aber diese nicht umsetzt. Nicht nachvollziehbar sei auch, warum die Vorstände der ÖBB kein Interesse daran haben, zeitgerecht behindertenfreundliche Waggons anzukaufen.

In einer tatsächlichen Berichtigung stellte Abgeordneter Dr. HUAINIGG (V) gegenüber Abgeordnetem Brosz fest, dass die Gebärdensprache sehr wohl im österreichischen Schulwesen vorkomme. In Zukunft werde es auch möglich sein, dass die Führerscheinprüfung in der Gebärdensprache abgelegt werden könne. Außerdem seien die Bundesschulen im Etappenplan involviert.

Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) schlug vor, dass in Zukunft bei allen Live-Übertragungen des ORF Gebärdendolmetscher eingesetzt werden. Nach vielen Anträgen der Opposition, die Gebärdensprache als eigenständige Sprache in der Verfassung zu verankern, werde diese Forderung nun heute umgesetzt, zeigte sich die Rednerin erfreut. Nun müsse bei den zuständigen Ressorts darauf gedrängt werden, dass bilingualer Unterricht für gehörlose Kinder in allen Schulen angeboten wird.

Menschen mit Behinderung erhalten durch das vorliegende Gesetz endlich jene Anerkennung, die ihnen auch zusteht, betonte Staatssekretär DOLINSCHEK. Das Behindertengleichstellungsgesetz gehe weit über das allgemeine Gleichstellungsgesetz sowie über die diesbezügliche EU-Richtlinie hinaus, zumal es alle Lebensbereiche umfasse. Nach jahrelangen Diskussionen sei es nun auch so weit, dass die Gebärdensprache als eigenständige und vollwertige Sprache in der Verfassung verankert wird.

In einer tatsächlichen Berichtigung ging Abgeordneter Dr. JAROLIM (S) auf eine Aussage des F-Abgeordneten Haupt ein. Nicht der Betriebsratsvorsitzende Haberzettl, sondern ausschließlich der Vorstand der ÖBB sei dafür zuständig, ob Waggons behindertengerecht ausgestattet werden oder nicht.

Auch Abgeordneter Dr. BRADER (V) zeigte sich erfreut darüber, dass die Gebärdensprache endlich in der Verfassung verankert wird. Damit entspreche man nicht nur einem Wunsch der österreichischen Gehörlosenverbände, sondern es werde auch eine Lücke im Rechtssystem geschlossen. Damit schwerhörige und gehörlose Menschen in Zukunft nicht länger in ihrer Entwicklung gefährdet sind, gelte es eine Fülle von Bedingungen zu erfüllen, gab Brader zu bedenken. Wichtig sei zunächst, dass der Gehörschaden möglichst früh erkannt wird, weshalb verpflichtende Screening-Untersuchungen bei Neugeborenen von großer Bedeutung sind. Bei der Frühförderung sei dann zu entscheiden, in welchem Sprachsystem dem Kind am besten geholfen werden kann.

Abgeordnete Mag. BECHER (S) erinnerte daran, dass der Anerkennung der Gebärdensprache ein langer Diskussionsprozess vorangegangen ist. Österreich sei diesbezüglich aber kein Vorreiter, zumal sieben europäische Länder diesen Schritt bereits gesetzt haben. Mit diesem Ergebnis dürfe man sich auch nicht zufrieden geben, da hörbehinderte Menschen noch immer viele Probleme zu bewältigen haben. Als Beispiel führte die Rednerin an, dass eine gehörlose Frau bei der Führerscheinprüfung keinen Dolmetscher beiziehen bzw. keine Computerprogramme verwenden durfte.

Abgeordneter WALCH (F) erinnerte daran, dass es die SPÖ die letzten 30 Jahre nicht geschafft hat, wesentliche Verbesserungen für die Behinderten durchzusetzen. Unter der V-F-Regierung konnte nicht nur die Behindertenmilliarde verwirklicht, sondern nun auch das Behindertengleichstellungsgesetz umgesetzt werden. Der G-Mandatarin Haidlmayr warf er vor, dass sie viele Maßnahmen, die Verbesserungen für behinderte Menschen bringen, als Verschlechterungen darstellt.

In einer tatsächlichen Berichtigung wies Abgeordnete LAPP (S) darauf hin, dass 1997 Artikel 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes beschlossen wurde, wonach niemand aufgrund seiner Behinderung diskriminiert werden dürfe.

Staatssekretär MORAK wertete die Verbesserungen, die mit dem vorliegenden Gesetz einhergehen, als beeindruckend. Er wiederholte die Eckpunkte der Vorlage und hob insbesondere die Anerkennung der Gebärdensprache in der Verfassung hervor. Was die Sendungen für behinderte Menschen angeht, so habe der öffentliche Rundfunk sein Programmangebot auf Basis des neuen ORF-Gesetzes ausgebaut, betonte der Staatssekretär. Außerdem stehe es allen Parteivertretern im Stiftungsrat frei, entsprechende Anträge einzubringen. Bis dato seien ihm keine Initiativen von Vertretern der Opposition bekannt.

Abgeordnete RIENER (V) sprach im Zusammenhang mit dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz von einem guten Weg. Insbesondere erwähnte sie die Möglichkeit des Schlichtungsverfahrens im Bundessozialamt.

Das Gesetz bringe nicht nur eine Reihe von Verbesserungen, sondern trage auch dazu bei, das Bewusstsein der Menschen zu verändern, meinte Abgeordnete GRANDER (V). Wichtig sei auch, dass die Interessen der Behinderten in Wirtschaftsgremien, wie z.B. dem Wirtschaftsparlament, vertreten werden.

Das Behindertengleichstellungsgesetz regle in vorbildlicher Weise die Barrierefreiheit, meinte Abgeordneter Mag. REGLER (V). Der Bund werde nämlich nun verpflichtet, bis Ende nächsten Jahres einen Etappenplan für die Bundesbauten vorzulegen. Dasselbe gelte auch für Betreiber von Verkehrseinrichtungen oder Verkehrsmitteln. Außerdem sollen auch neue Förderungsrichtlinien erarbeitet werden.

Abgeordnete Mag. HAKL (V) unterstrich das Engagement der Bundesregierung im Behindertenbereich und dankte vor allem Abgeordnetem Huainigg. Dieser habe mit Nachdruck und mit viel Gespür das Gesetz maßgeblich mitgestaltet. Österreich werde in Zukunft über das weitreichendste Behindertengleichstellungsgesetz in Europa verfügen, sagte Hakl.

Abgeordneter Dr. LOPATKA (V) schloss sich dem an und meinte, das Ziel der ÖVP-Behindertenpolitik, ein selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen, werde durch dieses Gesetz nun mit Leben erfüllt. Er kritisierte scharf die SPÖ, die zwar in Bezug auf den Behindertenanwalt mehr fordere, diesen aber in ihrem Abänderungsantrag nicht einmal erwähne. Im Gegensatz dazu mache die Bundesregierung eine glaubwürdige Politik, sagte Lopatka und führte als Beweis die Beschäftigungsoffensive durch die Behindertenmilliarde, die Valorisierung des Pflegegeldes, das Behindertengleichstellungsgesetz und die Anerkennung der Gebärdensprache an.

Abgeordneter PRASSL (V) unterstrich, dass es in Zukunft einen weisungsfreien Behindertenanwalt geben werde. Sollte es trotz des Gesetzes zu Diskriminierungen kommen, müssten Schadenersatzzahlungen geleistet werden. Das Gesetz stelle eine hervorragende Basis dar, für behinderte Menschen vieles zu verbessern. Gelebte Gleichbehandlung bedürfe aber viel Toleranz und Mithilfe.

Abgeordnete STADLER (V) sprach ebenfalls die Notwendigkeit einer Bewusstseinsbildung an und würdigte den Kampfgeist des Abgeordneten Huainigg. Dass das Gesetz gelungen sei, könne man auch als ein Zeichen der Wertschätzung behinderten Menschen gegenüber werten.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) widersprach ihren VorrednerInnen heftig und hielt aus ihrer Sicht fest, es gebe nichts zu feiern. Die Diskriminierung werde es in den nächsten Jahren weiter geben, die Behinderten hätten auch in Zukunft nicht die gleichen Rechte. Sie appellierte nochmals, dem Abänderungsantrag der Grünen zuzustimmen, denn nur dieser würde behinderten Menschen einklagbare Rechte bringen. Die Bundesregierung aber streue den Betroffenen nur Sand in die Augen.

Bei der Abstimmung wurde das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz, das Behinderteneinstellungsgesetz, das Bundesbehindertengesetz, das Bundessozialamtsgesetz, das Gleichbehandlungsgesetz, das Bundesgesetz über die Gleichbehandlungskommission und die Gleichbehandlungsanwaltschaft sowie das Bundesgleichbehandlungsgesetz in der Fassung des Ausschussberichts mehrheitlich angenommen. Der Abänderungs- bzw. Zusatzantrag der Grünen fand ebenso wenig eine Mehrheit wie der Abänderungsantrag der SPÖ. Die Anträge der Opposition wurden abgelehnt. Die dem Ausschussbericht angefügte Entschließung wurde mehrheitlich angenommen.

Die Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes betreffend Anerkennung der Gebärdensprache passierte den Nationalrat einstimmig. Ebenso einstimmig wurde die dem Ausschussbericht angeschlossene Entschließung angenommen. Der Entschließungsantrag der Grünen fand nicht die erforderliche Mehrheit und wurde somit abgelehnt.

Der Bericht des Verfassungsausschusses über die Petition betreffend die Wiedereinführung der einkommensunabhängigen Gebührenbefreiung für gehörlose und gehörbeeinträchtigte Menschen wurde mit Mehrheit zur Kenntnis genommen. (Forts.)