Parlamentskorrespondenz Nr. 845 vom 03.11.2010

Konsolidierung des Staatshaushaltes bedarf eines langen Atems

Aktuelle Aussprache mit Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny

Wien (PK) - Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank Ewald Nowotny stand heute dem Finanzausschuss des Nationalrats zu einer Aussprache über die erfolgten geld- und währungspolitische Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die europäische und österreichische Wirtschaftsentwicklung für das zweite Halbjahr 2010 zur Verfügung. Nationalbankgouverneur Nowotny betonte, dass die EZB aufgrund der weiterhin schwierigen wirtschaftlichen Lage bei einer Niedrigzinspolitik und einer Politik der Preisstabilität bleibe. Gegenüber dem Dollar müsse man sich auf schwankende Wechselkurse einstellen. Große Herausforderungen würden sich aus der notwendigen Sanierung der öffentlichen Haushalte ergeben. 

Ewald Nowotny leitete seine Darstellung mit dem Hinweis ein, dass für das zweite Halbjahr 2010 die Fortsetzung der Erholung der Wirtschaft in Europa erwartet wird. Dies vollzieht sich allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau und die Entwicklung innerhalb der EU ist sehr uneinheitlich. Seit Mitte 2009 ist die Wirtschaft des Euroraums auf Wachstumskurs, für 2010 wird ein BIP-Wachstum von etwa 1,6 % prognostiziert. Die niedrigen Inflationsraten im Euroraum hängen unmittelbar mit der nur moderaten Wachstumsentwicklung zusammen, sie liegen derzeit überall unter 2 %. Als Jahresinflation erwartet die OeNB 2010 für Österreich eine Rate von 1,7 %, wobei die einnahmenseitigen Maßnahmen im Konsolidierungspaket für 2011 die Inflationsrate vorübergehend erhöhen dürften, erläuterte Nowotny.

Der EZB-Rat geht von der Einschätzung aus, dass mittelfristig keine Inflations- oder Deflationsrisiken in Sicht sind. Die Leitzinsen im Eurosystem bleiben weiter auf dem seit Mai 2009 bestehenden historisch tiefen Niveau. Nowotny betonte jedoch, dass diese Situation nicht von Dauer sein kann und es in Zukunft wieder höhere Zinsen geben wird. Er gab zu bedenken, dass das dann auch auf die öffentlichen Haushalte Auswirkungen haben werde. 

In der Weltwirtschaft setzt sich die Erholung fort. Für den Euroraum könnten aber die in den kommenden Jahren erforderlichen Haushaltskonsolidierungen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben. Ein bestimmtes Risiko sah Nowotny durch die Entwicklung des Euro gegenüber dem US-Dollar gegeben. Stand vor einem halben Jahr noch die Euro-Schwäche im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, so habe sich die Tendenz umgekehrt, ein zu starker Eurokurs belaste die europäischen Exporte und könne damit den wirtschaftlichen Aufschwung dämpfen. Für Österreich erwartet die OeNB im Jahr 2010 ein BIP-Wachstum von rund 2 %. Als zentrale Stütze des Aufschwungs erwies sich der Außenhandel. Die Arbeitslosenquote war mit 4,3 % nach EU-Definition die niedrigste im Euroraum.

Herausforderungen für die Fiskalpolitik bleiben gewaltig

Die Fiskalpolitik stellt alle Industriestaaten vor gewaltige Herausforderungen. Nach Schätzungen des IWF dürfte gegen Ende 2011 der Schuldenstand im Euroraum bei 87 % liegen, diese Entwicklung ist nur mit einschneidenden Korrekturen zu stoppen, um mittelfristig ein nachhaltiges Wachstum zu erreichen. Die Euro-Länder brauchen durchwegs Haushaltskonsolidierungen, um die Maastricht-Kriterien bei der Staatsverschuldung wieder zu erreichen, die aufgrund der Finanzkrise überall überschritten wurden. Hier müsse jede Möglichkeit der Konsolidierung genützt werden, ohne dabei das Wachstum zu gefährden.

Österreich werde 2012 zwar voraussichtlich mit einem Budgetdefizit von 3 % bereits wieder innerhalb der Maastricht-Kriterien liegen. Aber selbst wenn man im nächsten Schritt auf 1,5 % Neuverschuldung komme, werde voraussichtlich erst 2025 die angestrebte Quote von 60 % der Staatsverschuldung erreicht. Für eine nachhaltige Budgetkonsolidierung bedürfe es also eines langen Atems, sagte Nowotny. 

Bankensektor zeigt Erholungstendenzen

Ewald Nowotny sah eine Rückkehr der Banken an den Interbankenmarkt und damit eine Normalisierung des Bankengeschäfts. Die Ertragslage der österreichischen Banken erholte sich im ersten Halbjahr 2010 leicht. Trotz der aufkeimenden wirtschaftlichen Erholung bleiben Risiken und Unsicherheiten hinsichtlich des Wirtschaftswachstums und der Fremdwährungsentwicklung bestehen. Mit Basel III wurden am 12. September neue regulatorische Maßnahmen beschlossen. Damit verbunden zeichne sich ein gewisses Risiko ab. Die österreichischen Banken, die eine im europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Eigenkapitalausstattung aufweisen, könnten auf die durch Basel II erforderliche Erhöhung der Eigenmittel mit einem Rückzug aus dem Kreditgeschäft reagieren. Mit dem 1. Januar 2011 tritt überdies eine neue Aufsichtsarchitektur für den Bankensektor in Kraft.

Eine Fragerunde der Abgeordneten des Finanzausschusses gab Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny Gelegenheit, einige Präzisierungen zu seinen Ausführungen anzubringen. In seiner Antwort auf Abgeordneten Robert Lugar (B), der die Finanzkrise als Folge einer Niedrigzinspolitik sah, meinte er, zweifellos enthalte eine solche Politik Risiken. Die EZB sei aber nicht mit der Federal Reserve in den USA zu vergleichen. Diese stehe, vor allem als Reaktion auf die Arbeitsmarktentwicklung, derzeit unter Druck zu reagieren. Die EZB gehe für Europa noch immer davon aus, dass die Konjunkturlage instabil sei und die derzeitigen Zinssätze deshalb der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation angemessen sind. Konrad Steindl (V) erkundigte sich ebenfalls nach den von der EZB geplanten Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung.

Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) sprach die europäische Bankenabgabe an und fragte, wann hier an eine Vereinheitlichung gedacht sei. Abgeordneter Alois Gradauer (F) befürchtete ein Abwälzen auf die Bankkunden und sah eine Benachteiligung kleinerer Banken. Hierzu meinte Ewald Nowotny, eine einheitliche europäische Regelung der Bankenabgaben brauche noch einen größeren Zeithorizont. Durch die Abgabe auf den Derivatehandel habe man in Österreich eine Regelung gefunden, die vor allem größere Banken betreffe, meinte er zu Abgeordnetem Gradauer. Es sei nicht zwangsläufig damit zu rechnen, dass Basel III sich auf das Kreditgeschäft der Banken negativ auswirke, es werde vieles von der Umsetzung ins nationale Recht abhängen. Man sei von Seiten der OeNB bemüht, dass die Besonderheiten des als solide zu bezeichnenden österreichischen Bankensystems im europäischen Regelwerk ihre Berücksichtigung finden.

Zur von Abgeordnetem Kai Jan Krainer (S) angesprochenen Frage der ungleichen Vermögensverteilung als einem Faktor, der die Instabilität im Finanzsystem verschärfe, meinte Nowotny, dieser Befund treffe stärker auf die USA zu. Dort sei etwa die Abhängigkeit der Pensionssysteme von den Aktienmärkten wesentlich stärker als in Europa. Zu der von Abgeordnetem Martin Bartenstein (V), Günter Stummvoll (V) und auch Abgeordnetem Christoph Matznetter (S) angesprochenen derzeitigen Finanzpolitik der USA und die zu erwartenden Auswirkungen auf Europa verwies Nowotny ebenfalls auf grundsätzliche Unterschiede zwischen den USA und Europa. In den USA stehe die Fed unter Druck, durch eine monetäre Politik unmittelbar den Arbeitsmarkt zu stimulieren, von dem die soziale Lage der Bevölkerung viel unmittelbarer abhänge, als in Europa, wo ökonomische Schwierigkeiten durch einen ausgebauten Sozialstaat abgefedert werden. Dies zeige sich gerade in der gegenwärtigen Lage. Einen "Währungskrieg" zwischen dem US-Dollar und dem Euro wollte Nowotny darin nicht erkennen. Die EZB ziele vielmehr in ihrer Politik auf Preisstabilität ab und gehe dabei von einem flexiblen Wechselkurs aus. (Schluss)