Parlamentskorrespondenz Nr. 32 vom 13.01.2011

Verfassungsausschuss für Verankerung der Kinderrechte in Verfassung

Zweidrittelmehrheit im NR-Plenum scheint gesichert

Wien (PK) – Nach einer jahrelangen öffentlichen Diskussion um die Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung sowie nach einem gescheiterten ersten Anlauf der Koalitionsparteien im Vorjahr aufgrund des geschlossenen Oppositionsboykotts im Nationalrat einigten sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses heute mehrheitlich auf einen Text. Grundlage dafür war ein neuerlicher Antrag der Koalitionsparteien betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, der vom Ausschuss am 9. November 2010 vertagt worden war und nun unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ angenommen wurde. Damit stehen die Chancen für die nötige Zweidrittelmehrheit und somit für die Beschlussfassung des Gesetzesantrags bei der kommenden Nationalratssitzung am 20. Jänner gut.

Der Vorschlag sieht unter anderem einen Rechtsanspruch von Kindern auf Schutz und Fürsorge, ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, altersgerechte Mitspracherechte und ein Verbot von Kinderarbeit vor. Kinder sollen außerdem grundsätzlich Anspruch auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen haben. Allerdings ist eine gesetzliche Beschränkung von Kinderrechten aus bestimmten Gründen möglich, wobei in den Erläuterungen konkret z.B. straf- und fremdenrechtliche Maßnahmen und berücksichtigungswürdige Elterninteressen genannt werden.

Durch den Abänderungsantrag wird der Anspruch des Kindes auf bestmögliche Entwicklung durch den "Anspruch auf Entfaltung, sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit" erweitert. Darüber hinaus wird die Bedeutung des familiären Umfelds für die Kinder besonders unterstrichen.

In einer – ebenfalls gegen die Stimmen der Grünen mehrheitlich angenommenen - Ausschussfeststellung wird festgehalten, dass das Ziel des Artikel 5 der Schutz jedes Kindes unter anderem vor körperlicher Bestrafung ist.

Den Grünen geht das alles nicht weit genug. Sie fordern, die UN-Kinderrechtskonvention vollständig in den Verfassungsrang zu heben. Diese Intention ist auch Inhalt ihres Entschließungsantrags zu diesem Thema, der ebenfalls auf der Tagesordnung stand, jedoch von den anderen mit dem Argument abgelehnt wurde, die UNO-Kinderrechtskonvention sei einfachgesetzlich und nunmehr auch verfassungsgesetzlich in Österreich voll umgesetzt. Die Konvention gelte für über 190 Staaten, mit sehr unterschiedlichen Standards, die oft weit hinter dem österreichischen Recht liegen. Vieles sei innerstattlich selbstverständlich, wie z.B. unentgeltlicher Besuch der Grundschule, in Österreich herrsche sogar Schulpflicht, was über das Recht auf Bildung hinausgehe. Außerdem gebe es in der Konvention Hinweise auf islamisches Recht, sodass eine wortwörtliche Übernahme zu absurden Rückschlüssen führen und Irritationen hervorrufen würde, wie Staatssekretär Josef Ostermayer ausführte.

Experten Grabenwarter und Hesse beurteilen Gesetzesvorschlag positiv

Dem Beschluss im Ausschuss ging ein Expertenhearing voran, zu dem Sektionschef Gerhard Hesse (Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts), Universitätsprofessor Christoph Grabenwarter (Mitglied des Verfassungsgerichtshofs und Universitätsprofessor für Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Völkerrecht am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien), Dietmar Payrhuber (Verein Kindergefühle), Helmut Sax (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und Netzwerk Kinderrechte) und Martin Stiglmayr (Verein "Väter ohne Rechte") eingeladen waren.

Die beiden Verfassungsexperten Hesse (BKA) und Grabenwarter (VfGH) bewerteten die Gesetzesvorlage positiv. Hesse sprach von einem "bemerkenswerten verfassungsrechtlichen Schritt", Grabenwarter von einem "sinnvollen Schritt der Weiterentwicklung der Grundrechte", auch im Hinblick auf die europäische Rechtslage, wie sie durch den Lissabon-Vertrag und die Grundrechts-Charta geschaffen wurde. Beide hielten der Kritik an den Vorbehalten im Artikel 7 entgegen, dieser sei dem Artikel 8 der EMRK nachgebildet und auch die Grundrechts-Charta enthalte einen ähnlichen Vorbehalt. Sogar in der UN-Kinderrechtskonvention gebe es Gesetzesvorbehalte, bemerkten sie.

Hesse und Grabenwarter zeigten sich auch überzeugt davon, dass dieses neue Bundesverfassungsgesetz Auswirkungen auf einfachgesetzliche Regelungen haben wird, wie zum Beispiel auf die Jugendwohlfahrt oder auch auf Obsorgeregelungen im ABGB. Die Bestimmungen würden nicht nur Maßstab für Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshof sein, sondern auch Einfluss auf die Familiengerichtsbarkeit haben, insbesondere hinsichtlich des Sorgerechts. Für beide stand fest, dass die nun formulierten Grundrechte die Gebietskörperschafen binden, ausreichend Vorsorge für eine effiziente Jugendwohlfahrt zu treffen.  

Grabenwarter betonte, dass es weder verfassungsrechtlich noch völkerrechtlich geboten sei, die gesamte UN-Konvention in Verfassungsrang zu heben. Nicht jede Regelung passe in das österreichische Rechtssystem, sagte er, und weniger könne oft mehr sein. Der Rechtsexperte bedauerte zwar, dass die ohnehin zersplitterte Grundrechtssituation in Österreich nun durch ein weiteres Bundesverfassungsgesetz fortgesetzt werde, gleichzeitig meinte er, es sei positiv, wenigstens die Kinderrechte in einem geschlossenen Gesetz zusammenzufassen als diese verstreut in unterschiedlichen Gesetzesmaterien zu verankern. Grabenwarter bestätigte auch aus seiner Sicht, dass der Text der Kinderrechtskonvention nicht mehr ganz neu sei, sogar älter als alle Minderjährigen heute, wie er feststellte, und dass daher einige Bestimmungen unter den gegenwärtigen Standards bleiben. Er verlieh in seinem Statement auch der Hoffnung Ausdruck, dass durch die Kinderrechte das Rechtsbewusstsein und das Verfassungsbewusstsein gestärkt wird. Dies werde viel eher der Fall sein, wenn die Bestimmungen einen "österreichischen Maßanzug" erhalten.

Sektionschef Hesse befürwortete den Gesetzesvorschlag auch deshalb, weil er nicht nur dem Kernbestand der UN-Kinderrechtskonvention, sondern auch dem Lissabon-Vertrag und dem Ergebnis des Österreichkonvents entspreche. Zentrale Bedeutung maß er der Bestimmung des Artikel 1 bei, wonach bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen müsse. Das Recht der Kinder auf Partizipation und Berücksichtigung halte er für einen bedeutenden Fortschritt, denn dieses Recht stünde nun bereits auch kleineren Kindern entsprechend deren Alter und Entwicklung zu. Hesse hob weiters die Bedeutung des Gleichbehandlungsgebots für behinderte Kinder hervor.

Payrhuber und Stiglmayr: Recht der Kinder auf beide Elternteile

Auf die Bedeutung beider Elternteile für die psychologische und soziale Entwicklung des Kindes wiesen insbesondere Dietmar Payrhuber (Verein Kindergefühle) und Martin Stiglmayr (Verein "Väter ohne Rechte") hin. Die Folgen der Trennung der Eltern und das Fernhalten des Kindes von einer Bezugsperson zeigten sich durch Angst- und Panikzustände und tiefgreifende Entwicklungsstörungen bei den betreffenden Kindern, die auch unter Loyalitätskonflikten litten. Payrhuber nannte dies eine "Sonderform des Kindesmissbrauchs".

Stiglmayr seinerseits plädierte dafür, den Begriff Kindeswohl genauer zu definieren und unterstrich das Recht der Kinder auf Familienleben. Konkret forderte er eine gemeinsame Obsorge. Grundsätzlich erwartete sich Stiglmayr durch das Verfassungsgesetz eine Trendwende in dieser Frage und sah in der Verankerung eigenständiger Grundrechte von Kindern einen richtigen Weg, auch wenn ihm das Recht auf Gesundheit und Bildung, sowie der Schutz vor Kinderarmut im Text fehlen.

Sax: Entwurf ist unvollständig und unzureichend

Im Gegensatz zu seinen Vorrednern lehnte Helmut Sax (Netzwerk Kinderrechte) den vorliegenden Entwurf als unvollständig und unzureichend ab. Darin würden nur einzelne Kinderrechte aufgenommen, wichtige Rechte, wie jenes auf Gesundheit und materielle Absicherung fehlten jedoch, kritisierte er. Außerdem wandte er sich strikt dagegen, dass etwa das Recht auf Partizipation und Gleichbehandlung sowie der Vorrang des Kindeswohls einem Gesetzesvorbehalt ausgesetzt sind, was Sax als unsachlich bewertete. Er vermisste auch eine Diskussion über eine effektive Umsetzung dieses Verfassungsgesetzes. Die UN-Kinderrechtskonvention gehe von einem ganzheitlichen Ansatz aus und sollten daher uneingeschränkt verfassungsrechtlich verankert werden, hielt er aus seiner Sicht fest.

SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ: UN-Konvention ist in Österreich voll umgesetzt

In der Diskussion zeigten sich die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ zufrieden mit der vorliegenden Einigung. Die Abgeordneten Wilhelm Molterer (V), Peter Wittmann (S) und Angela Lueger (S) führten ins Treffen, dass die UN-Kinderrechtskonvention durch einfachgesetzliche Regelungen und nun auch durch das Verfassungsrecht umgesetzt ist. Man werde nichts finden, was nicht bereits österreichischer Rechtslage entspricht, betonte der Ausschussvorsitzende Wittmann. Die Forderung nach einer wortwörtlichen Übernahme der Konvention lehnte er mit dem Hinweis ab, dass die Standards der Konvention oft hinter das innerstaatliche Niveau zurückgehen.

Wer für eine uneingeschränkte Übernahme der Konvention ist, der habe diese nicht gelesen, bemerkte Abgeordneter Wilhelm Molterer (V). Darin gebe es etwa Hinweise auf die islamische Rechtsordnung, was nicht in unserem Interesse liegen könne. Molterer meinte auch, dass etwa die freie Meinungsäußerung ohne Einschränkung dazu führen werde, dass das Verbotsgesetz für unter 18-Jährige nicht gelte. Er sah in diesem Zusammenhang auch Probleme in Hinblick auf die Religionsfreiheit. Grundsätzlich hielt er den KritikerInnen des Gesetzes entgegen, Österreich sei keine "terra inkognita" bei den Kinderrechten und weise diesbezüglich ein respektables Niveau auf.

Diese Auffassung wurde auch von Abgeordnetem Ewald Stadler (B) geteilt. Es sei vernünftig, das zu regeln, was für unser Land adäquat ist, sagte er, die Regelung für unsere Gesellschaft lebensferner Sachverhalte hat für ihn wenig Sinn.

Stadler hob in seiner Wortmeldung aber insbesondere die Bedeutung der Staatszielbestimmungen hervor, die nicht zu unterschätzen sei. Hätte es das Verfassungsgesetz schon vor zwei Monaten gegeben, hätte man nicht verhindern können, dass ein dreijähriges Kind brutal erschlagen wird, erklärte er. Aber durch die vorliegenden Staatszielbestimmungen seien die Gebietskörperschaften nun verpflichtet, ausreichend Mittel für die Wohlfahrt zur Verfügung zu stellen, um präventiv eingreifen zu können, stellte er fest. Auch der Hinweis auf die Generationengerechtigkeit werde sich auf die einfache Gesetzgebung auswirken, zeigte sich der Mandatar überzeugt. Er halte es auch für richtig, dass aufgrund der nun zu beschließenden Bestimmungen im Rahmen des Außerstreitgesetzes Kinder unter 8 Jahren adäquat in das Verfahren einbezogen werden müssen.

Auf mögliche Konsequenzen für das Sorgerecht machte Abgeordneter Harald Stefan (F) aufmerksam. Er verteidigte auch die Gesetzesvorbehalte als richtige Maßnahme, da Kinder oft missbraucht würden, um Druck auszuüben. Stefan meinte damit insbesondere die Gefahr, ohne derartige Schranken das Asylrecht mit Hinweis auf das Kindeswohl aushebeln zu können.  

Mit dem Verfassungsgesetz setze man ein gesellschaftspolitisches Zeichen bekräftigte Abgeordnete Angela Lueger (S). Die nächste Aufgabe werde es nun sein, zu analysieren, welche Schritte dem Verfassungsrecht nun folgen müssen. Der Kritik von Abgeordneter Tanja Windbüchler-Souschill (G), man habe die Kinder- und Jugendorganisationen bei der Erarbeitung des Antrags nicht gehört, wies Lueger mit dem Hinweis zurück, dass die VertreterInnen der Organisationen mehrmals im Verfassungsausschuss geladen waren. Dies wurde auch von Abgeordneter Silvia Fuhrmann (V) sowie vom Ausschussvorsitzenden Peter Wittmann (S) bekräftigt.

Grüne: Gesetzesantrag ist verstümmelte Version der UN-Konvention

Dieser positiven Beurteilung konnten sich die beiden G-Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill und Alev Korun in keiner Weise anschließen. Für Korun stellt der vorliegende Gesetzesantrag eine "verstümmelte Version" der UN-Kinderrechtskonvention dar. Der Entwurf sollte daher weiter diskutiert werden. Beide Mandatarinnen plädierten für eine vollständige Aufnahme der Konvention in Verfassungsrang.

Sie übten insbesondere harte Kritik am Gesetzesvorbehalt und machten geltend, dass im Österreich-Konvent ein solcher Vorbehalt nicht vorgesehen war. In diesem Zusammenhang zitierten sie den Generalsekretär von Amnesty International Heinz Patzelt aus dem gestrigen Petitionsausschuss, der gemeint hatte, Österreich setze Kinderrechte nur dort um, wo man es wolle.

Korun und Windbüchler-Souschill fehlten auch Begleitmaßnahmen zur Umsetzung der Kinderrechte sowie ein Monitoring und eine entsprechende Evaluierung. Es bleibe auch die Frage, welche Auswirkungen der Gesetzestext nun auf Abschiebungen und das Bleiberecht hat, bemerkten sie. (Schluss Verfassungsausschuss)