Parlamentskorrespondenz Nr. 631 vom 20.06.2011

Medienexperten: JournalistInnen haben zu wenig Zeit für ihre Arbeit

Rasches Interview statt langer Recherche - Qualität leidet

Wien (PK) – In der Diskussion um die geplante Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute (Basel III) hat der Direktor einer österreichischen Bank "die Politiker" kürzlich pauschal als "blöd und feig" bezeichnet und ihnen "wirtschaftliche Ahnungslosigkeit" vorgeworfen. Die drastische Ausdrucksweise des Bankers löste eine heftige öffentliche Debatte aus - über den Zustand der Politik und das Ansehen der PolitikerInnen sowie über die Rolle und die Verantwortung der Medien bei der öffentlichen Wahrnehmung von Politik und Staat. Zu diesen wichtigen Themen diskutierten heute Abend PR-Experten und PolitikerInnen im Pressezentrum des Hohen Hauses. Eingeladen hatten Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und die Vereinigung der ParlamentsredakteurInnen im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Forum Medien.Macht.Demokratie".

"Blöd und feig" – fördern Medien den Republikfrust? lautete der Titel und die generelle Fragestellung für die von Fritz Jungmayr (ORF) geleitete Diskussion, die ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf und die PR-Fachleute Josef Kalina (Unique Relations), Wolfgang Rosam (Rosam Change Communications GmbH) und Klaus Schönbach (Universität Wien) mit Thesen-Inputs eröffneten.

ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf lehnte einleitend die pauschale Abqualifizierung von PolitikerInnen durch die genannte Wortwahl als inakzeptabel ab und analysierte die unerfreuliche Situation mit der Feststellung, es herrsche eine Krise aller vier Gewalten im Staat. Unversöhnliche Interessengegensätze machten es der Regierung schwer, Konsens zu finden und Maßnahmen zu setzen, was bei den Menschen das Bild erzeuge, PolitikerInnen könnten notwendige Entscheidungen nicht durchsetzen. In der Justiz dauern die Verfahren zu lange und bei den Medien klagte Kopf über eine Tendenz zur Boulevardisierung. Kopf kritisierte die Politisierung des ORFs, sprach von "gekauften Medien" und begrüßte in diesem Zusammenhang die Absicht der Bundesregierung, Maßnahmen für mehr Transparenz auf dem Mediensektor zu setzen. Kopfs Mahnung an die Journalisten lautete, in der Berichterstattung über komplexe Sachverhalte mehr Fakten zu transportieren und auf unzulässige Vereinfachungen zu verzichten.

Wolfgang Rosam machte auf das geringe Interesse vieler Medienkonsumenten an Parteiprogrammen, politischen Ideen und Inhalten, insbesondere auch an Wirtschaftsberichterstattung aufmerksam. Rosam registrierte ein starkes und zunehmendes Interesse der Öffentlichkeit an Menschen, die den Mut haben, die Wahrheit zu sagen, was offenbar immer mehr zu einem Luxus der SeniorInnen werde, die keine Rücksicht auf ihre Karrieren mehr nehmen müssten. Rosam ortete ein Manko an Authentizität, forderte starke Persönlichkeiten, vor allem auch in der Europäischen Union und erinnerte an die starken Gesten Francois Mitterands und Helmuth Kohls in der Europapolitik. Von den Journalisten wünschte sich Rosam mehr Lob für Parteien und Politiker, die gute politische Arbeit leisten.

Josef Kalina nannte die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung und deren neues Arbeitsprogramm samt Terminvorgaben als Beweis für die harte Arbeit der Politiker. Die Menschen aber nehmen eine völlig andere Realität wahr, wenn sich die Politik nicht darauf konzentriere, was die Leute tatsächlich bewegt. Dieses "Agenda-Setting" können die Medien der Politik nicht abnehmen, sagte Kalina und identifizierte Fragen der Bildung, der Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit sowie der Pensionen als wichtig – dazu erwarten sich die Menschen Antworten von der Politik. Gegenüber Karlheinz Kopf wies Kalina die Behauptung zurück, in Österreich könnten Medien "gekauft" werden. 

Klaus Schönbach warnte in der Diskussion über Politik und Medien vor dem uralten Gemeinplatz, früher wäre alles viel besser gewesen. Auch das Bild des feigen und blöden Politikers sei ein solch falscher Topos, der sich bis in die Antike zurückverfolgen lasse. Die Tendenz zu Personalisierung, Boulevardisierung und Skandalisierung habe bei den Journalisten keineswegs zugenommen, stellte der Wissenschaftler fest und fügte hinzu, die Boulevardisierung sei ebenso untrennbar mit dem Prozess der Demokratisierung verbunden wie die weniger "ehrfürchtige" Haltung der Menschen gegenüber PolitikerInnen. Es interessieren sich heutzutage – trotz Internet - nicht weniger, sondern mehr Menschen für Politik, sagte Schönbach und warnte vor einer Verabsolutierung der Krise. Kritik übte der Medienexperte aber an der Tendenz zur Schlampigkeit bei den Medien, die er mit einem zunehmenden Mangel an Geld, Zeit und anderen Ressourcen für ausreichende Recherchen erklärte. Diese Einschätzung fand in der lebhaften Publikumsdiskussion, an der auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und G-Abgeordneter Karl Öllinger teilnahmen, allgemeine Zustimmung.  

Bilder von dieser Veranstaltung sehen sie auf der Homepage des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum. (Schluss)