Parlamentskorrespondenz Nr. 437 vom 30.05.2012

Tourismus 2011 - eine Branche trotzt der Krise

Wettbewerb um internationale Gäste wird härter

Wien (PK) - In Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen war 2011 ein gutes Jahr für den österreichischen Tourismus, schreibt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner im Vorwort zum aktuellen Bericht über die Lage der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich, der dem Nationalrat seit kurzem vorliegt. 126 Millionen Nächtigungen verzeichneten die Beherbergungsbetriebe, fast um 1 Prozent mehr als im Jahr davor. Bei den Ankünften bedeuteten 34,6 Millionen Gäste in Österreich einen neuen Rekord, wobei die Umsätze auf hohem Niveau gehalten werden konnten, erfahren die LeserInnen des Berichts. Dokumentiert werden Stärken, aber auch problematische Entwicklungen des Tourismus-Standorts Österreich, der wachsende internationale Wettbewerbsdruck, die hohe Verschuldung der vielen kleinen Betriebe und deren relativ großes Insolvenzrisiko im Falle eines Ansteigens der derzeit historisch niedrigen Zinsen. Minister Mitterlehner setzt auf die Innovationskraft der Unternehmen, auf den Einsatz der Beschäftigten und auf die Umsetzung der neuen Tourismusstrategie von Bund und Ländern, die beim Tourismusmarketing intensiv zusammenarbeiten, mit der neuen Förderpyramide eine klare Aufgabenverteilung bei den Subventionen gefunden haben und die Innovationsbereitschaft in der Branche gezielt stärken.

Entwicklungstendenzen des Tourismus in Europa und Österreich 

Die relativ guten Tourismusdaten des Jahres 2011 können mit der zeitverzögerten Reaktion des Tourismus auf die dramatische Verschlechterung der Konjunktur in der Eurozone erklärt werden. So verdoppelte sich in Europa im Durchschnitt des Jahres 2011 das Wachstum des Tourismussektors, die internationalen Touristenankünfte nahmen gegenüber dem Vorjahr um 6% zu. Der europäische Tourismus entwickelte sich damit deutlich stärker als der globale (+4,4%). 2012 muss Europa rezessionsbedingt aber mit einem langsameren Wachstums rechnen. Bezogen auf die Einnahmen im internationalen Reiseverkehr gingen die Auslandseinnahmen Österreichs 2011 real um 1 % zurück, während in der EU ein Anstieg von real 5 % verzeichnet werden konnte. Auch die Nächtigungsentwicklung lässt das Stagnationsbild nur um Nuancen günstiger erscheinen: So lag 2011 das Nächtigungsvolumen zwar um 1,3 % über dem Rezessionsniveau, konnte jedoch in keiner Weise mit der dynamischen touristischen Entwicklung in Europa oder mit der gesamtwirtschaftlichen Dynamik mithalten. So sind die Nächtigungen in der EU 2011 um 4 % gestiegen, wogegen Österreich mit einer Steigerungsrate von 1 % zu den Ländern mit der schwächsten Entwicklung gehörte. 2011 war durch einen weiteren deutlichen Rückgang der Aufenthaltsdauer gekennzeichnet. Mit Ausnahme der Entwicklung im Burgenland und in Oberösterreich zeigten sich in jedem Bundesland rückläufige Tendenzen.

2011 nahm die Nächtigungsnachfrage inländischer Gäste mit +0,8 % zu, jene ausländischer Gäste stieg um +0,9 % geringfügig stärker. Von den für Österreich wichtigen Herkunftsmärkten nahmen die Übernachtungszahlen der Russen und Polen (+6,7 %), der Ungarn (+6 %), der Tschechen (+5,3 %), der Belgier (+4,3%), der Rumänen (+3,7 %) und der Franzosen (+2,7 %) überdurchschnittlich zu. Nächtigungsrückgänge ergaben sich für Großbritannien (-4,6 %), Dänemark (-3,4 %), USA (-3,2 %), Niederlande (-1,9 %), Deutschland (-1,6 %) und Schweden (-1,1 %). Die Nächtigungen der Italiener stagnierten.

Die regionale Entwicklung des Tourismus in Österreich zeigte große Entwicklungsunterschiede zwischen tourismusintensiven und tourismusextensiven  Bundesländern. Tourismusextensive Bundesländer (mit Ausnahme des Burgenlands) zeigten relativ kräftige Zuwachsraten, tourismusintensive Länder (mit Ausnahme Kärntens) stagnative oder rückläufige Tendenzen. Wachstumsdifferenzen zeigten Landeshauptstädte und ländliche Gebiete. Der Wachstumsvorsprung der Städte verkleinerte sich gegenüber 2010, betrug 2011 aber noch immer 4 bis 5 Prozentpunkte (2010: 9 Prozentpunkte). Kräftige Zuwachsraten verzeichneten Wien, Graz, Salzburg, Linz und Klagenfurt.

Ähnlich wie 2010 nahmen die Nächtigungen in der Sommersaison 2011 mäßig zu und entwickelten sich günstiger als in der Wintersaison 2010/2011, die leicht rückläufige Ergebnisse brachte. Rückgänge in der Wintersaison sind mit der gesunkenen Nachfrage ausländischer TouristInnen zu erklären. Die Umsätze blieben in der Wintersaison deutlich hinter der nominellen Umsatzsteigerungsrate der Sommersaison zurück.

Seinen Anteil an den Tourismusexporten der EU 15 konnte Österreich 2011 nicht halten. Nach einem leichten Ausbau 2009 mussten 2010 geringe Einbußen in Kauf genommen werden, die sich 2011 fortsetzten. Gegenwärtig liegt der österreichische Marktanteil bei 5,98 %. Das relativ gute Ergebnis 2009 resultierte unter anderem aus Österreichs "Nahmarktstärke". In der Krise suchen die TouristInnen nahe gelegene, mit dem Auto leicht erreichbare Urlaubsziele auf. Die Marktanteilsverluste seit der Rezession 2009 sind teilweise darauf zurückzuführen, dass in der Konjunkturerholung der Geschäftstourismus kräftig ansteigt, wovon Österreich weniger profitieren kann als typischere Business-Destinationen. Zudem werden im Aufschwung neue Ziele aufgesucht, was traditionelle Destinationen benachteiligt. Daher raten Tourismusexperten zur Fortsetzung der doppelten Orientierung im Österreich-Marketing: Traditionelle Angebote UND "zeitgeistorientierte" Inhalte für relevante Zielgruppen, wobei Probleme eher in der Produkt- und Angebotsentwicklung geortet werden. Eine langfristige Analyse des Tourismus  seit 2000 zeigt eine starke Wintersportorientierung des österreichischen Tourismus.

Touristischer Arbeitsmarkt

Im Jahresdurchschnitt 2011 waren 184.550 unselbstständig Beschäftigte im Tourismus tätig, um 2 % mehr als im Vorjahr. Ihr Anteil an den aktiv unselbstständig Beschäftigten (gesamt: 3.323.325; +1,8 %) macht 5,6% aus. 59 % der Beschäftigten sind Frauen. Mit einem Anteil von 37,9 % (gesamt: 14,3%) war der Anteil der im Tourismus beschäftigten AusländerInnen 2011 relativ hoch. Hoch ist auch der Anteil junger Menschen an den Beschäftigten im Beherbergungs- und Gaststättenwesen: 23,7 % (gesamt: 14,4 %) der unselbstständig Beschäftigten sind unter 25 Jahre alt. 2011 waren in der Tourismusbranche im Durchschnitt 33.000 (2010: 32.760) Arbeitslose vorgemerkt, 35,1 % von ihnen hatten eine Einstellzusage für eine Arbeitsaufnahme. Die Arbeitslosenquote lag 2011 im Tourismus mit 15,2 % weit über der gesamten Quote von 6,7 %. 13,4% aller Arbeitslosen stammten im Jahr 2011 durchschnittlich aus der Tourismusbranche. Durchschnittlich belief sich die Dauer der Arbeitslosigkeit im Tourismus auf 77 Tage; 73 % der Arbeitslosen waren weniger als drei Monate vorgemerkt. Seit 1. Mai 2011 gelten Saisonkontingente für Arbeitskräfte aus Drittstaaten sowie aus Rumänien und Bulgarien. Daher wurde das Sommertourismuskontingent von 4.117  (2010) auf 1.500 (2011) und das Wintertourismuskontingent von 6.320 (2010/11) auf 2.225 (2011/12) reduziert, wobei eine Präferenz für rumänische und bulgarische Arbeitskräfte und Asylwerber gilt. Der Tourismus gehört zu jenen Branchen, die den Liberalisierungseffekt genutzt und Stellen vermehrt mit Arbeitskräften aus den neuen EU-Mitgliedstaaten besetzt haben.

Im Jahresdurchschnitt 2011 standen in den Tourismusberufen 472 Lehrstellensuchenden (-7,5 % gegenüber dem Vorjahr) 1.720 offene Lehrstellen (+5,7 %) gegenüber. 732 Lehrstellen wurden gefördert, 80 % davon entfielen auf die Förderung benachteiligter Jugendlicher.

Die wirtschaftliche Lage der Hotels und Gastronomiebetriebe 

Die Hotels sind größer geworden und durchwegs besser ausgelastet. Die Preise konnten im Durchschnitt stärker angehoben werden als die Inflationsrate, was auch mit dem qualitativ verbesserten Angebot zusammenhängt. Gegenüber Umsatz und Fremdkapital gingen die Erträge jedoch zurück. Immer größere Investitionen wirken sich negativ auf die Kapitalverzinsung im Tourismus aus. Die Hotels konnten die wirtschaftlich turbulenten Jahre dennoch gut meistern und haben durchschnittlich gute Auslastungen erzielt, die sich in den oberen Qualitätsklassen seit mehreren Jahren auf hohem Niveau bewegt. Der Umsatzzuwachs rührt aus Preisanpassungen, die jedoch nicht ausreichen, die Aufwandssteigerungen aufzuwiegen, vor allem auch, weil die Kosten für Energie oder Werbung weit über der Inflationsrate gestiegen sind. Das wirkt sich auf die Umsatzrentabilität aus, die bei allen Unternehmen in den letzten Jahren abgenommen hat (in der 5/4-Sterne-Kategorie von 25,7 % im Jahre 2000 auf 22,7 % im Jahr 2010 und von 24 % auf 23 % bei den 3-Sterne-Betrieben). Dieser Ertragsrückgang wird die wirtschaftliche Stabilität einiger Unternehmen auf eine harte Probe stellen, liest man im Tourismusbericht.

Nach wie vor hoch ist die Verschuldung der Betriebe, nur Unternehmen der oberen Qualitätsklassen können im Durchschnitt als wirtschaftlich stabil bezeichnet werden, weil nur sie die notwendige Eigenkapitalausstattung und eine maximale Entschuldungsdauer von 15 Jahren erreichen. Dies gilt nicht für die Unternehmen der 3-Sterne-Kategorie. Das schlechteste Quartal der 3-Sterne-Hotels weist eine Eigenkapitalausstattung von -44 % und eine Entschuldungsdauer von 25 Jahren oder mehr aus. Diese Betriebe sind bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gefährdet. Sobald die seit 2009 sinkenden Zinsen wieder ansteigen, sind bei hoch verschuldeten Unternehmen Zahlungsengpässe zu befürchten. Besonders groß ist der Druck für Betriebe mit suboptimalen Betriebsgrößen der unteren Qualitätsklassen. Qualitätsbetriebe haben gute Chancen, sich nach den gegenwärtigen wirtschaftlichen Turbulenzen weiter zu entwickeln; sie sind laut Tourismusbericht 2011 die Hoffnungsträger für die weitere Entwicklung im Fremdenverkehr.

Bei Restaurants, Gasthäusern, Imbiss-Stuben, Cafehäusern, Bars und Eissalons weisen haben mehr als 37 % der Betriebe eine Größe von weniger als 0,3 Mio. € Jahresumsatz auf. 82 % der Betriebe erzielten 2011 einen Umsatz von weniger als 1 Mio. €. Eigenkapitalausstattung und Schuldentilgungsdauer bewegten sich in der Gastronomie auf dem Niveau der Vorjahre. Die Schulden können innerhalb von 15 Jahren zurückgeführt werden. Auch bei den Gastronomen korrelieren Erfolg und Stabilität mit der Betriebsgröße. Das erklärt den Förderungsschwerpunkt "Betriebsgrößenoptimierung" in der TOP-Tourismus- Förderung und bei der Übernahme von Haftungen für Tourismus- und Freizeitbetriebe.

Die Anfang 2012 veröffentlichten Insolvenzzahlen in der Hotellerie und Gastronomie zeigen einen leichten Anstieg im Jahr der Finanzkrise und einen leichten Rückgang im vergangenen Jahr. Dies gilt für das Gastgewerbe und für die gesamte Wirtschaft. Der Tourismus war im konjunkturellen Abschwung weniger betroffen, wodurch der Rückgang der Insolvenzen 2011 weniger deutlich ausgefallen ist. Die Insolvenzzahlen des Gastgewerbes, die sowohl Gastronomie als auch Hotellerie umfassen, sind wesentlich von der Gastronomie geprägt. Unternehmen des Gastgewerbes müssen, falls sie zahlungsunfähig werden, im Durchschnitt nur einen Schuldenstand von 0,4 Mio. € bereinigen. Das ist etwa die Hälfte des durchschnittlichen Schuldenstandes in der Gesamtwirtschaft. Der volkswirtschaftliche Schaden einer Insolvenz im Gastgewerbe fällt also deutlich geringer aus.

Investitionen in der Tourismusbranche

2011 ist es mittels Förderungen gelungen, das Investitionsvolumen zu steigern. Dies ist auch auf Nachzieheffekte der Konjunkturbelebungsmaßnahmen 2009 und 2010 zurückzuführen. Die geförderten Gesamtinvestitionen erreichten mit 880 Mio. € einen Rekord. 65 % der unterstützten Unternehmen sind Beherbergungsbetriebe, etwa 27 % zählen zur Gastronomie. Bei den restlichen Förderungsfällen handelt es sich um Freizeitbetriebe, Reisebüros oder infrastrukturelle Einrichtungen wie Beschneiungs- oder Golfanlagen. In der Hotellerie sind Betriebsgrößenoptimierung und Qualitätsverbesserung weiterhin die beherrschenden Themen. Investitionen der Hotellerie dienen der Qualitätsverbesserung im Wettbewerb, der Wetterunabhängigkeit und Zusatzeinrichtungen. Das Ziel der Saisonverlängerung spielt eine bedeutende Rolle (Wellness- und Seminareinrichtungen in der Hotellerie) und wirkt sich positiv auf Offenhaltungszeiten und Beschäftigungsdauer aus. 3-Sterne- und 5/4-Sterne-Hotels steigerten ihre Offenhaltungstagen seit 2000 von 280 auf 300 Tage. Nach wie vor bedeutsam sind Investitionen in Beschneiungsanlagen, die bereits 70 % der Pisten Österreichs weitgehend schneesicher machen.

Es ist im Tourismus gelungen, den Umbau des Angebotes durch Investitionsförderungen des Bundes in Richtung höherwertiger Qualität zu forcieren. Beträchtliche Fortschritte wurden beim Umbau der Qualitäten des Bettenangebots und bei der Erhöhung der durchschnittlichen Betriebsgröße von durchschnittlich 40 Betten pro Betrieb im Jahr 2000 auf 43 Betten im Jahr 2010 erzielt. Trotz dieses Fortschritts besteht im internationalen Vergleich bei den Betriebsgrößen aber nach wie vor ein beträchtlicher Rückstand. Die durchschnittliche Betriebsgröße beträgt in der EU-27 57 Betten und die in Österreich tätigen Kettenbetriebe weisen im Durchschnitt 225 Betten, die Interconti-Gruppe sogar mehr als 300 Betten auf. Bei den 5/4-Sterne-Kategorie ist die Größe der Betriebe kontinuierlich auf durchschnittlich 99 Betten gewachsen, während die 2/1-Sterne-Kategorie seit Jahren bei 22 Betten stagniert. Das Erreichen wirtschaftlicher Betriebsgrößen ist ein Anliegen der österreichischen Förderungspolitik, das auch zukünftig mit Nachdruck verfolgt wird, erfährt man im Tourismusbericht 2011.

Die Änderungen im Investitionsverhalten spiegeln sich auch in einem Anstieg der Fremdkapitalaufnahme in der Verschuldungsstatistik der OeNB wider. Die Zunahme des Fremdkapitals in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in den vergangenen Jahren ist auf die ständig hohe Investitionsbereitschaft zurückzuführen, von der auch umliegende Unternehmen profitieren. 2011 kam es allerdings – wie in der Gesamtwirtschaft auch – trotz massiver Zinssenkung durch die EZB zu einer Verlangsamung des Investitionswachstums. Die Unternehmen haben große Projekte zurückgestellt und in eher kleinem Umfang dringend notwendige Investitionen durchgeführt. Im Gegensatz zum Konjunkturabschwung 2009, als Hotellerie und Gastronomie ihre Investitionen kaum reduzierten, haben im vergangenen Jahr die Unternehmen erstmals auch mit entsprechender Zurückhaltung bei Investitionen reagiert. (Schluss)


Themen