Parlamentskorrespondenz Nr. 490 vom 14.06.2012

Bildungsvolksbegehren ist Anstoß für weitere Reformen

Nationalrat setzt sich mittels Entschließungen neue Ziele

Wien (PK) – Erster Punkt der heutigen Debatte im Nationalrat war einmal mehr das Bildungsvolksbegehren. SPÖ, ÖVP brachten teils mit den Grünen, teils gemeinsam mit Grünen, FPÖ und BZÖ Entschließungsanträge ein, die auf den Beratungen im Besonderen Ausschuss basieren. Sie wurden mehrheitlich angenommen und betrafen etwa die Fortsetzung des Reformprozesses im tertiären Bildungssektor, für den unter anderem eine Finanzierung von 2 % des BIP vorgesehen ist. Weitere Forderungen zielen auf Maßnahmen zur Qualitätssteigerung in der Elementarpädagogik ab, auf die Stärkung der Schulautonomie, die schulische Tagesbetreuung und die Schaffung eines neuen Dienst- und Besoldungsrechts für LehrerInnen. Die Debatte fand ohne BZÖ statt.

Abgeordneter Josef CAP (S) leitete die Debatte ein. Er sah im Volksbegehren einen wesentlichen Anstoß für Neuerungen in der Bildungspolitik und sprach von einem breiten Konsens unter den Abgeordneten des Besonderen Ausschusses, ortete allerdings Widerstände auf Länderebene, insbesondere seitens des niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll. Mit Nachdruck plädierte Cap für ein Bildungssystem auf Basis von sozialer Durchlässigkeit, Förderung von Talenten und Chancengleichheit, wobei letztere, wie er betonte, auch für den Universitätsbereich zu gelten habe. Aufrecht hielt der SPÖ-Klubobmann dabei die Forderungen seiner Fraktion nach verbindlichen Ausbau- und Finanzierungsplänen für den Hochschulsektor und sprach sich überdies vehement gegen die Einführung von Studiengebühren aus, die in seinen Augen eine soziale Barriere darstellen. Zu den Resultaten des Sonderausschusses bemerkte er, es hätte schneller und mehr sein können. Die heutige Grundsatzdebatte werde aber kein Ende der Verhandlungen über die Themen des Volksbegehrens, sondern vielmehr eine Fortsetzung sein, bei der es letztlich konkrete Ergebnisse geben werde, so Cap.

Laut Abgeordnetem Werner AMON (V) hat man im Umgang mit dem Bildungsvolksbegehren neue Standards gesetzt. Keine Initiative der Bürgerinnen und Bürger sei bisher so intensiv in quantitativer und qualitativer Hinsicht im Ausschuss behandelt worden, stellte er fest. Amon zeigte Verständnis für den Wunsch der Proponenten des Volksbegehrens nach konkreten Initiativanträgen, er räumte aber ein, dass sich das Parlament in einem Spannungsfeld befinde. Einerseits sei man als Abgeordneter Adressat des Volksbegehrens, man habe aber auch auf einen Interessensausgleich Bedacht zu nehmen. In diesem Sinne verwies der ÖVP-Bildungssprecher auf die laufenden Verhandlungen zur Verwaltungsreform im Schulbereich, zu einem modernen Lehrerdienstrecht sowie auf die Vorbereitungsarbeiten für eine neue Ausbildung von PädagogInnen. Er ersuchte daher die VertreterInnen des Volksbegehrens Verständnis dafür zu haben, dass man derartige Verhandlungen nicht gänzlich präjudizieren könne. Man habe sich aber auf zahlreiche Entschließungsanträge einigen können, mit konkreten Zielsetzungen und einem genauen Zeitplan für deren Umsetzung. Deshalb sei es unrichtig, von einem Begräbnis erster Klasse zu sprechen, entgegnete er den Kritikern.

Amon verwies in weitere Folge seines Debattenbeitrags auf die zahlreichen beschlossenen Reformmaßnahmen, wie etwa Oberstufenreform, Neue Mittelschule, Zentralmatura, Bildungsstandards und Ausbau der Tagesbetreuung, und fügte hinzu, die Reformschritte würden fortgesetzt. In diesem Zusammenhang nannte er die Neuorganisation der neunten Schulstufe, die mittlere Reife, die Konzentration auf Kulturtechniken in der Volksschule, die Stärkung der Schulstandorte und eben Lehrerbildung, Dienstrecht und Verwaltungsreform.

Reformen auch umsetzen

Abgeordneter Walter ROSENKRANZ (F) sprach in einer Replik auf die vorangegangene Geschäftsordnungsdebatte von "einer der schwärzesten Stunden des Parlamentarismus in dieser Gesetzgebungsperiode". Den Koalitionsparteien warf er einen schlechten Umgang mit der direkten Demokratie vor und meinte, diese hätten jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Wären freiheitliche Vorschläge umgesetzt, so hätte man über dieses Volksbegehren bereits eine Volksabstimmung durchführen können, sagte er. Die Vorgangsweise, eine Änderung der Tagesordnung im Zusammenhang mit dem ESM durchzuführen und damit diesen in den nächsten Wochen durchzupeitschen, wertete Rosenkranz ebenfalls als Missachtung der direkten Demokratie. Mit dem ESM wird seiner Meinung nach das Prinzip der Gewaltentrennung ausgehebelt, die Staaten würden in Budgetfragen entmündigt. Man werde mit der Haftung für andere Länder in Zukunft auch kein Geld mehr für Bildungsreformen haben, warnte er. Dennoch ist aus seiner Sicht der Dialog über das Volksbegehren und seine Anliegen mit 31. Mai nicht beendet.

Abgeordneter Harald WALSER (G) wollte zwar nicht von einem schwarzen Tag des Parlamentarismus im Zusammenhang mit Bildungsfragen sprechen, er stellte aber einen diesbezüglichen Stillstand fest. In dieser Hinsicht sei dies "kein guter Tag für die Bildung in Österreich". SPÖ und ÖVP warf er vor, sich dem Diktat von Gewerkschaft und Parteizentralen zu unterwerfen, denn im Ausschuss hätten sich die Abgeordneten der Koalition weitaus positiver gegenüber den ExpertInnen geäußert. Walser urgierte, die notwendigen Reformen umzusetzen, davon sei aber nichts zu bemerken, bedauerte er. Daher sei das, was vor allem die ÖVP im Ausschuss geliefert habe und jetzt vorlege, "beschämend". Man sei von sämtlichen Zielen des Volksbegehrens weit entfernt, so der Befund Walsers, nur bei den Bildungsstandards sei man auf gutem Weg. Die Zentralmatura habe man auf Geheiß der Gewerkschaft sistieren müssen, Walser befürchtete sogar, dass diese zu Fall gebracht wird. Die SPÖ habe dabei ihre Ministerin im "Regen stehen gelassen" und wesentlich zum Desaster beigetragen. Der grüne Bildungssprecher appellierte an die Koalition, sich an Polen ein Beispiel zu nehmen, das durch mutige Reformschritte heute wesentlich bessere Ergebnisse im Bildungsbereich erziele als noch vor zehn Jahren. Die Konzepte dafür liegen auch in Österreich vor, betonte Walser, "setzen wir diese um". Ginge es nach den Grünen, würden alle Forderungen des Volksbegehrens realisiert. Insbesondere wünschte sich Walser ein Ende des Parteienproporzes, eine Verschlankung der Verwaltung, den Ausbau ganztägiger Schulformen und die Individualisierung des Unterrichts. Vor allem dürfe man die Kinder nicht so früh trennen, appellierte er.

Schmied: Bildungsvolksbegehren hat vieles in Bewegung gesetzt

Bundesministerin Claudia SCHMIED zollte den InitiatorInnen des Bildungsvolksbegehrens Respekt und Dank. Das Volksbegehren habe vieles ausgelöst, schon mit dessen Ankündigung sei vieles in Bewegung geraten. Die Ministerin zeigte sich besonders dankbar dafür, dass die vorliegende Initiative dazu beigetragen hat, eine Verländerung des Bildungswesens zu verhindern.

Auch sie verwehrte sich gegen die Kritik, im Bildungsbereich gebe es einen Stillstand, und erinnerte an die zahlreichen Reformschritte. In dieser Gesetzgebungsperiode habe sie bereits 48 Regierungsvorlagen vorgelegt, rechnete sie vor. Dennoch liege viel Arbeit vor uns, merkte sie an, da die Gesetze im Klassenzimmer umgesetzt werden müssen und die Verantwortung auf allen Ebenen einzufordern sei. Was die Schulen brauchen, sei Wertschätzung und Respekt, unterstrich die Ressortchefin, vor allem den LehrerInnen gegenüber. "Wir brauchen eine positive Stimmung, eine Kultur des Gelingens", so Schmied. Deshalb sei sie bestrebt, positive Beispiele hervorzuheben. Die Diskussion "wer hat Schuld?" sei nicht dienlich.

Die Ministerin griff zum Schluss ihrer Stellungnahme fünf Punkte heraus, die ihr ein besonderes Anliegen sind: Die Schule müsse Talente und Fähigkeiten der SchülerInnen fördern und sie zu Spitzenleistungen motivieren, was harte Arbeit bedeute. Es dürfe jedoch kein junger Mensch zurückgelassen werden, bekräftigte sie. Schmied will darüber hinaus ganztägige Schulformen forcieren, sie machte jedoch kein Hehl daraus, dass die gemeinsame ganztägige Schule ihr politisches Ziel ist. Ferner gehe ihr Bemühen dahin, den Lehrberuf aufzuwerten, und dem diene sowohl das neue Dienst- und Besoldungsrecht als auch die neue PädagogInnenausbildung. Auch die Verantwortung der DirektorInnen müsse ausgebaut werden. Bildung dürfe auch keine Sackgasse sein und eine erfolgreiche Bildungspolitik brauche Bundeskompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung, machte die Ministerin unmissverständlich klar. "Vorwärts lautet die Devise für eine bessere Schule", schloss Schmied.

Abgeordneter Elmar MAYER (S) kritisierte zunächst das BZÖ, das sich der inhaltlichen Debatte verweigere. Auch er hätte gerne alle Forderungen des Volksbegehrens umgesetzt, betonte Mayer, und gab der Ministerin recht, dass das Volksbegehren Dynamik in die Bildungsdiskussion gebracht hat. Die Ausschussberatungen seien von hoher Qualität und breiter Übereinstimmung geprägt gewesen, die Bilanz könne sich durchaus sehen lassen, meinte der Vorsitzende des für das Volksbegehren zuständigen Besonderen Ausschusses. Mit den Entschließungsanträgen, die heute eingebracht werden, formuliere man konkrete Zielsetzungen, wobei man auch in einigen Bereichen einen Zeitplan eingebaut habe. Mayer regte auch an, eine Enquetekommission einzusetzen, um konkrete Gesetzesvorlagen aufgrund dieser Entschließungen auszuarbeiten. Er machte sich vor allem für eine Verwaltungsreform im Bildungsbereich stark und skizzierte die nächsten Pläne, um die Schule weiter zu entwickeln. Vor allem bedürfe es einer verstärkten Talenteförderung.

Mehr Qualität und Autonomie für Bildungseinrichtungen

Abgeordnete Katharina CORTOLEZIS-SCHLAGER (V) warf FPÖ und BZÖ vor, einen schlechten Umgang mit der Demokratie zu haben. "Wenn man einander nicht mehr zuhört, dann ist das das Ende der Demokratie", sagte sie. Zum Diskussionsthema meinte die Rednerin, Bildung sei der Schlüssel für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen. "Machen wir jetzt Nägel mit Köpfen", so ihre Forderung, die sie mit der Hoffnung verband, dass dies auch gelingen werde. Cortolezis-Schlager trat in diesem Zusammenhang für einen raschen Ausbau der Schulautonomie ein und forderte für die Pädagogischen Hochschulen die gleiche Autonomie und Qualitätssicherung wie an den Universitäten. Notwendig ist ihrer Ansicht nach auch die rasche Umsetzung der neuen PädagogInnenausbildung, die eine höhere Qualität gewährleisten soll. Schließlich brachte sie einen Entschließungsantrag zur Fortsetzung des Bildungsreformprozesses im tertiären Bildungssektor ein.

Von einem negativen Schauspiel und einer "Schande für den Parlamentarismus" sprach FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian STRACHE im Zusammenhang mit der heutigen Änderung der Tagesordnung zur Implementierung des ESM. Diese sei "mit Hilfe der Grünen im Handstreich" durchgeführt worden, wetterte er, man habe es sogar verhindert, in der Geschäftsordnungsdebatte inhaltlich Stellung nehmen zu können. Der SPÖ warf er "eine marxistische Einstellung" vor, und appellierte, die direkte Demokratie und den Parlamentarismus ernst zu nehmen. Die Behauptung, durch die in Verbindung mit den ESM eingebrachten Anträge würde das Mitspracherecht des Parlaments sichergestellt, ist nach Straches Auffassung unrichtig. Vielmehr schaffe man eine "autoritäre Konstruktion eines Gouverneursrats", das parlamentarische Beschlussrecht werde damit abgeschafft. Strache sprach auch von einer "Zwangsenteignung der SteuerzahlerInnen". Die FPÖ trete dafür ein, das Bildungsvolksbegehren einer verbindlichen Volksabstimmung vorzulegen, er zeigte sich aber zufrieden, dass einige Entschließungsanträge erarbeitet werden konnten, denen auch die FPÖ zustimmt. Abschließend stellte er aber klar, dass sich die FPÖ strikt gegen die Einführung der Gesamtschule wendet, da dies eine Nivellierung nach unten bedeuten würde.

Abgeordnete Daniela MUSIOL (G) bezeichnete den Auszug der FPÖ und des BZÖ aus der Plenardebatte über das Bildungsvolksbegehren als undemokratisches Verhalten und hielt es für unverständlich, gegen einen Antrag aufzutreten, der die demokratischen Mitwirkungsrechte des Parlaments stärken soll. Da Bildung vor Populismus bewahre, sah die Abgeordnete die Bedeutung des Bildungsvolksbegehrens auch durch dieses Vorkommnis unterstrichen. Beim Thema Bildungsvolksbegehren konzentrierte sich Abgeordnete Musiol auf jene Forderungen, die darauf abzielen, allen Kindern in Österreich gleiche Chancen auf Bildungsmöglichkeiten zu bieten. Die Rednerin kritisierte die katastrophale Situation der KindergartenpädagogInnen und betonte das Eintreten der Grünen für eine universitäre Ausbildung aller PädagogInnen. Diesem Verlangen des Bildungsvolksbegehrens entspreche der Antrag der Koalitionsparteien nicht, sagte die Abgeordnete und bemängelte generell die Zögerlichkeit der Koalitionsparteien bei der Umsetzung des Volksbegehrens. Die SPÖ spreche von Chancengleichheit, lasse sich in Bildungsfragen aber immer wieder von der ÖVP über den Tisch ziehen, klagte Musiol und verlangte den Ausbau direktdemokratischer Instrumente, damit künftige Volksbegehren in Volksabstimmungen münden können. "Kinder aus allen Schichten sollen gleiche Chancen auf Bildung haben", schloss Musiol.

Töchterle: Universitäten brauchen Geld von privatem Sektor

Wissenschaftsminister Karlheinz TÖCHTERLE dankte den Initiatoren des Bildungsvolksbegehrens und erklärte ihnen seine Solidarität in vielen ihrer Forderungen. Er stehe zu dem Ziel, 2 % des BIP bis 2020 für die Hochschulen aufzuwenden und fügte hinzu, dass Österreich mit der Hochschul-Milliarde gut auf dieses Ziel hin unterwegs sei, während viele andere europäische Länder ihren tertiären Sektor radikal kürzen. Die Hochschul-Milliarde allein werde aber nicht ausreichen, um das 2 %-Ziel zu erreichen, hielt Töchterle fest und erinnerte an seinen Vorschlag, mehr Geld aus dem privaten Sektor, auch durch Studienbeiträge, zu gewinnen. Studienbeiträge sollten sozial abgefedert sein, merkte der Minister an.

Der Ausbau der Fachhochschulen werde vorangetrieben und die Zahl der Studienplätze dort um 10 % erhöht, teilte der Minister weiters mit. Die Studienplatzfinanzierung befinde sich in Vorbereitung, sie könne aber keine grenzenlose Studienplatzfinanzierung bedeuten, Zugangsregeln seien notwendig, sagte Töchterle an dieser Stelle.

Die Forderung nach einer Erhöhung der Akademikerquote auf 40 % sei plausibel, Österreich erreiche aber derzeit schon 35 %, obwohl viele Berufe, die in anderen Länder akademisiert sind, in Österreich noch nicht zu den Akademikern gerechnet werden.

Eine Absage erteilte der Bundesminister der Auffassung, die Hauptschule oder die Neue Mittelschule seien "Bildungs-Sackgassen". Das sei nicht richtig, weil es falsch wäre anzunehmen, dass nur der Weg durch eine Universität zu einem gelingenden Leben führe.

Ganz wichtig sei ihm eine hochwertige Ausbildung der PägagogInnen, unterstrich Töchterle und betonte die enorme Bedeutung der Kleinkindpädagogik. Abschließend warnte Töchterle davor, die österreichischen Universitäten als desolat zu bezeichnen und die Schulen schlechtzureden. "Wir müssen unsere Stärken sehen und unsere Schwächen stärken", schloss der Wissenschaftsminister.

Abgeordnete Andrea KUNTZL (S) schloss sich den Würdigungen des Bildungsvolksbegehrens an und sprach von einem wichtigen gesellschaftspolitischen Beitrag. Die Initiatoren haben nicht nur Stimmen gesammelt, sondern auch intensiv an der bildungspolitischen Diskussion teilgenommen und einen entscheidenden Beitrag zur Bewusstseinsbildung geleistet, lobte Kuntzl. Das Spektrum der Debatte reichte von der Kleinkindpädagogik bis zu den Universitäten, wobei die Rednerin anerkennend anmerkte, dass die Bundesregierung der Forderung nach mehr Mitteln für die Universitäten mit der Hochschulmilliarde Rechnung getragen habe. Am Studienplatzfinanzierungsmodell werde nach dem Grundsatz einer fairen Verteilung der Mittel an den Universitäten gearbeitet, berichtete Kuntzl und unterstrich das Ziel ihrer Partei, soziale Zugangshürden abzubauen. Daher sei sie im Gegensatz zu Bundesminister Töchterle gegen eine neue Bildungssteuer, hielt Abgeordnete Kuntzl fest und forderte eine Verbesserung der Studienbeihilfen. "Wir können es uns nicht leisten, auf Talente zu verzichten."

Schon Kleinkinder sollen mehr gefördert werden

Abgeordnete Anna FRANZ (V) bekannte sich nachdrücklich dazu, die Bildungsreform fortzusetzen, hielt aber zugleich fest, dass einige Punkte des Volksbegehrens bereits umgesetzt oder in Umsetzung seien. Anna Franz nannte den Ausbau der ganztägigen Betreuung, die Einführung der modularen Oberstufe, die Reduzierung des Sitzenbleibens, das Nachholen von Bildungsabschlüssen, die Integration ab der neunten Schulstufe sowie die intensive Arbeit an einem neuen Lehrerdienstrecht und an einer neuen PädagogInnenausbildung. "Von Stillstand in der Bildungspolitik könne keine Rede sein", sagte Franz. Die Qualität des österreichischen Bildungssystems werde durch die geringe Jugendarbeitslosigkeit belegt. Besonders wichtig sei laut Franz die duale Berufsausbildung, sie wirke dem Facharbeitermangel entgegen und biete jungen Menschen über die Ausbildungsschiene Lehrling-Meister-Master neue Aufstiegschancen. Besonderen Wert legte Anna Franz auf die Kleinkindpädagogik, die nicht erst im Kindergarten, sondern bereits im Elternhaus beginne. Denn schon dort bleiben manche Kinder zurück, weil sie nicht gefördert werden, weil sie ihre Zeit vor dem Fernsehapparat verbringen. "Es ist fatal, Kleinkinder nicht zu fördern", sagte die Abgeordnete und legte einen S-V-Entschließungsantrag zum Thema Elementarpädagogik vor, der darauf gerichtet ist, Ausbildungen in Kindergartenpädagogik im tertiären Sektor anzurechnen.

Harald VILIMSKY (V) warf der SPÖ und den Grünen eine ideologisch motivierte linke Bildungspolitik vor, die darauf ausgerichtet sei, das Schulsystem nach unten zu nivellieren und das Gymnasium auszuschalten. Die FPÖ trete demgegenüber für ein differenziertes Schulwesen und für eine ausreichende finanzielle Dotierung der Schulen ein. Die Finanzierung des Bildungswesens sah der Abgeordnete aber in Gefahr, weil ein Euro-Rettungspaket nach dem anderen beschlossen und finanziert werde. Daher wende sich die FPÖ dagegen, den europäischen Stabilitätsmechanismus durch das Parlament zu peitschen und sie wende sich auch dagegen, die Rechte des Parlaments auszuhöhlen. Viele Experten halten den Euro de facto bereits für tot, sagte Vilimsky, der es für unverständlich hielt, dass die Grünen den Koalitionsparteien die Mauer machen, wenn es darum gehe, demokratische Usancen mit Füßen zu treten.

Abgeordneter Kurt GRÜNEWALD (G) zeigte sich unzufrieden mit der Debatte über das Bildungsvolksbegehren. Zwar sei die Diskussion richtig geführt und von den Medien gut aufgenommen worden, was aber fehle, seien Resultate. "Es wurden Nägel ohne Köpfe gemacht", sagte Grünewald und vermisste Perspektiven für Kinder, Eltern und Forscher, wie sie die Initiatoren des Volksbegehrens verlangt haben. Er habe die Universitäten nicht schlechtgeredet, entgegnete Grünewald dem Wissenschaftsminister, er habe nur darauf hingewiesen, dass alle Universitäten große finanzielle Probleme haben. Die 2 %-Quote am BIP 2020 werde nur mit massiven Anstrengungen erreichbar sein, sagte der Abgeordnete und brachte einen Entschließungsantrag seiner Fraktion ein, der verlangte, breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zu den Hochschulen zu ermöglichen. Die Grünen verlangen keine Vollakademisierung der Gesellschaft, wie ihnen vorgeworfen werde, junge Menschen und Forscher sollen an den Universitäten aber annehmbare Studien- und Arbeitsbedingungen erhalten, forderte Grünewald.

Abgeordneter Ewald SACHER (S) stellte den von Unterrichtsministerin Claudia Schmied gemeinsam mit konstruktiven Kräften des Parlaments eingeleiteten Bildungsreformprozess dar und konzentrierte sich dabei auf den Ausbau ganztägiger Unterrichts- und Betreuungsformen. Das Parlament sollte den bildungspolitischen Rückenwind nutzen, den das Volksbegehren entfacht habe, sagte Der Redner und warb um breite Mehrheit für die zahlreichen Entschließungsanträge des heutigen Tages. Insbesondere gehe es darum, junge Menschen im Bildungssystem zu halten, die die Schulen bislang ohne Abschluss beendet haben. Abgeordnete Sacher legte einen Fünf-Parteien-Entschließungsantrag zur Fortsetzung des Bildungsreformprozesses vor, der den Ausbau schulischer Angebote samt Förderunterricht, Ganztagsschule und Nachmittagsbetreuung, eine neue Lern- und Lehrkultur in den Primarschulen, die Modernisierung des Arbeits- und Lebensraumes Schule, die Förderung von Kreativität und Bewegung sowie den Ausbau der Schulpartnerschaft verlangt.

Kleine Schulstandorte erhalten

Abgeordneter Nikolaus PRINZ (V) hielt die Anregungen des

Bildungsvolksbegehrens für wertvoll und berichtete von den konstruktiven Diskussionen im diesbezüglichen Sonderausschuss. Prinz unterstrich einmal mehr die Bedeutung des dualen Ausbildungssystems, das genauso wichtig für die jungen Menschen sei wie ein guter tertiärer Bildungssektor. Die Schule soll, so Prinz, nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Teamfähigkeit und Leistungsbereitschaft fördern. In diesem Zusammenhang problematisierte der Abgeordnete eine Tendenz bei vielen Eltern, es Lehrern nicht zugestehen zu wollen, dass sie auch Strafen verhängen, weil sie meinen, dass ihre Kinder Strafen nicht verdienten.

Die Hauptschule habe in ländlichen Regionen dieselbe Unterrichtsqualität wie die AHS-Unterstufe in den Städten, hielt Prinz fest und legte ein Bekenntnis zur Erhaltung kleiner Schulstandorte in ländlichen Regionen ab. Die ÖVP verteidigt die Wahlfreiheit der Eltern und tritt für ein Bildungssystem ein, in dem Leistung etwas zählt, schloss Prinz.

Bildungssystem darf nicht wegen Euro-Rettungschirm zu kurz kommen

Abgeordneter Martin STRUTZ (F) verwahrte sich gegen die seiner Ansicht nach intoleranten Aussagen des Abgeordneten Walser, der die FPÖ als rechtsradikal diffamiert habe, weil sie gegen die Ausschaltung demokratischer Rechte durch die Einführung des ESM protestiert habe. Mit dem ESM werde ein undemokratischer Verteilungsapparat eingerichtet, der es Österreich in Zukunft nicht mehr möglich machen werde, sein Bildungssystem ausreichend zu finanzieren, warnte Strutz und wandte sich dagegen, den ESM in einer Panikaktion durch das Parlament zu peitschen.

Beim Thema Bildungsvolksbegehren konzentrierte sich der Abgeordnete auf die Verwaltungsreform im Schulwesen und verlangte, die aus seiner Sicht nicht notwendige Funktion der stellvertretenden Landesschulratspräsidenten abzuschaffen. Grundsätzlich bedauerte Strutz, dass in der Bildungsdiskussion nichts weitergehe, weil SPÖ und ÖVP in der Bildungspolitik nicht an einem Strang ziehen.

Mehr Chancen für SchülerInnen mit Behinderungen

Abgeordnete Helene JARMER (G) begrüßte das Bildungsvolksbegehren, weil es nachdrücklich dafür eintritt, allen Menschen beste Bildungsmöglichkeiten zu bieten - Bildung ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben, hielt Jarmer fest. Behinderte Menschen leiden aber nach wie vor unter mangelnder Chancengleichheit, führte die Rednerin aus und machte darauf aufmerksam, dass es an Sonderschulen zwar viele engagierte Lehrer gebe, diese Schulen aber keine 100 %-ige Chancengleichheit bieten. Auch an Integrationsschulen beobachte sie Mängel, sagte die Rednerin, oft fehlten Stützlehrer, Unterrichtsmaterialien und der Zugang behinderter Schüler zu Freifächern oder zum Turnunterricht. Und beim Zugang behinderter Kinder zur Regelschule fehle es den Eltern oft am notwendigen Kontakt zum Direktor. Keine Bildung führe aber meist in die Arbeitslosigkeit, und das sei für die Gesellschaft teuer, kritisierte Abgeordnete Jarmer. Ihr Vorschlag lautete, dem auch von den Vereinten Nationen geforderten Grundsatz der Inklusion zu folgen. In diesem Zusammenhang kündigte die Abgeordnete eine Veranstaltung mit internationalen ExpertInnen über die Erfahrungen Italiens mit der Abschaffung der Sonderschulen vor 20 Jahren an.

Abgeordneter Harald WALSER (G) hielt mit Nachdruck fest, dass er nicht die gesamte FPÖ-Fraktion als rechtsextrem bezeichnet habe. Es sei seiner Meinung nach aber eine Tatsache, dass sich innerhalb der freiheitlichen Fraktion "eine ganze Reihe von Rechtsextremen befinden". Sodann brachte er noch drei Entschließungsanträge ein, in denen es u.a. um die Umsetzung der Forderungen des Bildungsvolksbegehrens in den Bereichen Schule und Kindergarten geht.

Der Dritte Nationalratspräsident Martin GRAF erteilte dem Abgeordneten Walser für seine Aussage, dass sich innerhalb der FPÖ-Fraktion eine ganze Menge Rechtsextreme befinden, einen Ordnungsruf.

In einer tatsächlichen Berichtigung stellte Abgeordneter Werner NEUBAUER (F) klar, dass es in der FPÖ keine Rechtsextremem gebe.

Abgeordnete Gabriele BINDER-MAIER (S) lobte die ausführlichen und qualitätsvollen Debatten im Unterausschuss zum Bildungsvolksbegehren, wodurch ein wichtiger öffentlicher Meinungsprozess eingeleitet wurde. Schon allein dies sei ein klarer Erfolg für die InitiatorInnen, meinte die SPÖ-Mandatarin, weitere Schritte müssen nun jedoch folgen. Ihre Fraktion unterstützt voll und ganz die Forderungen des Volksbegehrens, die auch im Wesentlichen identisch mit jenen der "Plattform EduCare" sind. Dabei geht es u.a. um den Ausbau von Betreuungsplätzen, die Schaffung von Bildungseinrichtungen für kleine Kinder, die Verabschiedung eines verbindlichen Bildungsrahmenplans sowie um die zeitgemäße Ausbildung von PädagogInnen für den Elementarbereich auf tertiärem Niveau. Sie werde jedenfalls intensiv daran arbeiten, diese Forderungen zügig umzusetzen, versprach Binder-Maier.

Auch Abgeordnete Silvia FUHRMANN (V) hob die konstruktive Diskussion im Unterausschuss Bildungsvolksbegehren positiv hervor. Erfreulich sei zudem, dass es gelungen ist, gemeinsame Ziele zu formulieren und ideologische Barrieren abzubauen. Sie erinnerte an die bildungspolitischen Meilensteine in der Vergangenheit, die beweisen, dass es in diesem Bereich keinen Stillstand gegeben hat. Unser Ziel müsse es sein, mit diesem Tempo und diesem Engagement weiterzuarbeiten, unterstrich Fuhrmann. So müsse etwa bald ein neues, modernes Lehrerdienstrecht beschlossen werden, um den Herausforderungen der Gegenwart gerecht zu werden.

Abgeordneter Josef AUER (S) ist überzeugt davon, dass das Bildungsvolksbegehren sehr positive Auswirkungen gehabt und vor allem zu einer Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung beigetragen hat. Er habe auch den Eindruck gewonnen, dass "Verländerungstendenzen" ein wenig eingedämmt und viele Punkte beschleunigt wurden. Allerdings habe man einiges auch Bundesministerin Schmied zu verdanken, urteilte Auer, da unter ihr eine Trendumkehr eingeleitet wurde. Am Herzen liege ihm besonders die Neue Mittelschule, die seiner Ansicht nach sicher zu einem Erfolgsmodell werden wird. Schließlich brachte er noch einen S-V-Entschließungstrag betreffend neues Dienst- und Besoldungsrecht für LehrerInnen ein.

Abgeordneter Franz-Joseph HUAINIGG (V) sprach die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen an. Dies beinhalte die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebenslagen, also auch im Schulbereich. Problematisch sei seiner Ansicht nach, dass sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund in Sonderschulen sitzen. Diese jungen Menschen brauchen aber weniger einen sonderpädagogischen Unterricht als vielmehr eine Sprachförderung, argumentierte er. Hier müsse rasch etwas getan werden. Ein weiteres Anliegen war ihm die Lehrerausbildung Neu, die in Zukunft auch sonderpädagogische Elemente enthalten soll. Außerdem sollte es möglich sein, dass Lehrer mit Behinderungen unterrichten, forderte Huainigg.

Der Titel des Bildungsvolksbegehrens "Österreich darf nicht sitzen bleiben" könnte nicht treffender gewählt sein, meinte Abgeordneter Franz RIEPL (S). Eine der Forderungen ist nämlich auch das Nachholen von Bildungsabschlüssen, wo es derzeit noch einige Lücken, wie z.B. im Berufsschulbereich, gibt. Er dankte der zuständigen Ministerin für ihre Zusage, dass an einer Verbesserung dieser Situation gearbeitet wird.

Abgeordneter Elmar MAYER (S) forderte einen nationalen Schulterschluss in Sachen Bildung. Statt kleinkarierter ideologischer Debatten sollten gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, um wichtige Materien, wie ein modernes Lehrerdienst- und besoldungsrecht, die PädagogInnenausbildung Neu, der Ausbau der Schulqualität im ganztägigem Angebot und die Abschaffung des Proporzes, noch in dieser Gesetzgebungsperiode verabschieden zu können. Mayer brachte dann noch einen S—V-F-Entschließungsantrag betreffend Effizienzsteigerung der Schulverwaltung ein.

Abgeordneter Erwin PREINER (S) bekannte sich zu den Forderungen des Bildungsvolksbegehrens, wobei viele Inhalte schon umgesetzt wurden bzw. sich in Umsetzung befinden. Im Besonderen befasste er sich mit der Frühkindpädagogik, die einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. Kindergarten sollen keine Aufbewahrungsstätten sein, sondern als erste Bildungseinrichtung betrachtet werden, unterstrich Preiner. Deshalb müsse auch alles getan werden, um ein flächendeckendes Angebot an elementarpädagogischen Einrichtungen in ganz Österreich zu gewährleisten.

Abgeordnete Rosa LOHFEYER (S) erinnerte an die vielen Reformen im Bildungsbereich in den letzten Jahren, wie z.B. Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen, Individualisierung des Unterrichts, Einführung von ganztägigen Schulformen etc., die sich sehr positiv auf die Unterrichtsqualität und das Klima in den Klassen ausgewirkt haben. Sodann ging sie auf die Oberstufenreform ein, die seit 2004 in zahlreichen Schulversuchen erprobt wird und die bis 2017 zur Gänze umgesetzt werden soll. Es handle sich dabei um ein Modulsystem, in dem nicht nur auf die Endnote hingearbeitet, sondern auf einen positiven halbjährlichen Abschluss Wert gelegt wird. Weiters umfasst das neue Konzept individuelle Lernbegleitung, Förderunterricht, Begabungsförderung und ein erweitertes Frühwarnsystem. Abschließend plädierte Lohfeyer noch dafür, dass auch Menschen mit Behinderung die besten Chancen auf Ausbildung in einem möglichst normalen Klassenverband erhalten.

Umfangreiche Abstimmung 

Bei der Abstimmung wurde zunächst der Antrag, den Bericht des Besonderes Ausschusses zur Vorberatung des Volksbegehrens Bildungsinitiative zur Kenntnis zu nehmen, mehrheitlich angenommen.

Der S-V-Entschließungsantrag betreffend Fortsetzung des Bildungsreformprozesses im tertiären Bildungssektor, der S-V-Entschließungsantrag betreffend Elementarpädagogik sowie der S-V-Entschließungsantrag betreffend neues Dienst- und Besoldungsrecht für LehrerInnen wurden mehrheitlich angenommen. Einstimmig angenommen wurden sodann der S-V-F-Entschließungsantrag betreffend Effizienzsteigerung der Schulverwaltung, Beseitigung von Doppelgleisigkeiten und Ausbau der Schulautonomie sowie der S-V-F-G-B-Entschließungsantrag betreffend Fortsetzung des Bildungsreformprozesses schulische Tagesbetreuung.

Die G-Entschließungsanträge betreffend Umsetzung der Forderungen des Bildungsvolksbegehrens im Bereich Hochschulen, betreffend ein modernes, unbürokratisches und autonomes Schulsystem, betreffend Umsetzung der Forderungen des Volksbegehrens Bildungsinitiative im Bereich Bildung sowie betreffend Umsetzung der Forderungen des Bildungsvolksbegehrens im Bereich Kindergarten fanden keine Mehrheit. (Fortsetzung Nationalrat)


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