Parlamentskorrespondenz Nr. 597 vom 05.07.2012

"Gesetzesbeschwerde": Verfassungsausschuss holt Stellungnahmen ein

Fünf Parteien haben gemeinsam zwei Gesetzesvarianten vorgelegt

Wien (PK) – Im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben sich die fünf Fraktionen des Nationalrats auch darauf verständigt, Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren die Möglichkeit einzuräumen, sich direkt an den Verfassungsgerichtshof zu wenden, wenn sie die Meinung vertreten, dass im Verfahren anzuwendende Gesetze bzw. Verordnungen verfassungswidrig sind. Nun liegen zwei gemeinsame Anträge der Parteien zur gesetzlichen Umsetzung dieser so genannten "Gesetzesbeschwerde" vor. Vor dem Start der parlamentarischen Beratungen wollen die Abgeordneten dazu noch Stellungnahmen von außen einholen, ein entsprechender Beschluss wurde vom Verfassungsausschuss heute einstimmig gefasst.

In Begutachtung geschickt werden zwei unterschiedliche Umsetzungsvarianten, die auf Entwürfen des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts basieren. Die Ausgestaltung der Gesetzesbeschwerde ist dabei in beiden Varianten gleich geregelt (siehe Antrag 2031/A), der zweite Antrag sieht aber vor, im Gegenzug die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs in Zusammenhang mit Verwaltungsverfahren zu beschneiden und Artikel 144 aus der Bundesverfassung zu streichen.

Die Voraussetzungen, unter denen eine betroffene Person künftig eine Gesetzesbeschwerde beim VfGH einbringen können soll, sind eng gefasst. So soll ein "Subsidiarantrag auf Normenkontrolle", wie es genau heißt, erst im Anschluss an eine letztinstanzliche Gerichtsentscheidung möglich und nur dann zulässig sein, wenn bereits im Rahmen der Gerichtsverhandlung ausdrücklich Bedenken gegen die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bzw. die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung vorgebracht wurden, das Gericht der Anregung, diese Frage dem VfGH vorzulegen, aber nicht nachgekommen ist. Neue Bedenken können später nicht mehr dargelegt werden.

Darüber hinaus soll der Verfassungsgerichtshof bei einem aufgrund eines Subsidiarantrages eingeleiteten Gesetzes- bzw. Verordnungsprüfungsverfahrens an die Auslegung der angefochtenen Norm durch das letztinstanzliche Gericht gebunden sein und ausschließlich über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bzw. die Gesetzesmäßigkeit der Verordnung in der interpretierten Form entscheiden. Sollte der VfGH den Bedenken der Antragsteller stattgeben, ist an eine Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens bzw. ein ähnliches verfahrensrechtliches Institut gedacht.

Im Gegenzug zur Einführung der Gesetzesbeschwerde könnte die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofs (Art. 144 B-VG) aufgehoben werden, da diese, wie es in den Erläuterungen zur Antragsvariante 2 heißt, ihr ursprüngliche Bedeutung weitgehend verloren hat. Gemäß dieser Verfassungsbestimmung können BürgerInnen derzeit beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde einbringen, wenn sie sich durch einen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt fühlen und der Instanzenzug ausgeschöpft ist, wobei der VfGH die Behandlung der Beschwerde wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnen bzw. unter bestimmten Voraussetzungen dem VwGH abtreten kann. Zuletzt landeten jährlich rund 1.500 bis 1.800 derartiger "Bescheidbeschwerden" beim VfGH.

Eingeladen zur Abgabe einer Stellungnahme sind mehr als 100 Stellen und Institutionen, angefangen von den Höchstgerichten, über die Ministerien und die Länder bis hin zu den rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten. Als Frist ist der 14. September vorgesehen. Die Stellungnahmen sollen auf der Website des Parlaments veröffentlicht werden.

Ziel der "Gesetzesbeschwerde" ist den beiden Fünf-Parteien-Anträgen zufolge die Stärkung der Rechtsbereinigungsfunktion des Verfassungsgerichtshofs. (Schluss)