Parlamentskorrespondenz Nr. 527 vom 13.06.2013

Gesetzesbeschwerde passiert Nationalrat einstimmig

Mehr Rechtsschutz für Bürgerinnen und Bürger

Wien (PK) – Als eine weitere große Reform bezeichneten im heutigen Nationalrat RednerInnen aller Parteien die Einführung der Gesetzesbeschwerde. Demnach können sich künftig Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren an den Verfassungsgerichtshof wenden, wenn sie der Meinung sind, dass im Verfahren anzuwendende Gesetze verfassungswidrig sind. Der Verfassungsausschuss hat einen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag, der auf einem FPÖ-Antrag basiert, nach mehrmonatigen Verhandlungen plenumsreif gemacht. Er passierte das Plenum unter Berücksichtigung eines während der Debatte eingebrachten Abänderungsantrags einstimmig. Miterledigt wurden damit zwei ursprüngliche Fünf-Parteien-Anträge zur Gesetzesbeschwerde (2031/A, 2032/A). Gleiches gilt für einen weiteren FPÖ-Antrag aus dem Jahr 2009 (337/A).

Ziel ist es, nicht nur den Rechtsschutz für die BürgerInnen auszubauen, sondern auch die Rechtsbereinigungsfunktion des Verfassungsgerichtshofs zu stärken. Voraussetzung für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) soll das Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils sein. Der "Parteienantrag auf Normenkontrolle" ist demnach aus Anlass einer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zu stellen, wobei die genaueren Fristen einfachgesetzlich geregelt werden sollen. Die Bestimmungen gelten analog auch bei vermeintlich gesetzeswidrigen Verordnungen. Bestimmte Materien bleiben allerdings von der Gesetzesbeschwerde ausgenommen, welche das genau sind, soll ebenfalls in einem einfachen Gesetz geregelt werden. Dieses noch zu erarbeitende Bundesgesetz hat auch die Folgen für den Fall zu bestimmen, dass der VfGH der Gesetzes- bzw. Verordnungsbeschwerde stattgibt.

Wie bei Individualbeschwerden kann der Verfassungsgerichtshof bei unzureichender Erfolgsaussicht die Behandlung einer Gesetzesbeschwerde ablehnen.

Was die geplanten Ausführungsbestimmungen zur "Gesetzesbeschwerde" betrifft, werden in Form einer Entschließung bereits einige Eckpunkte vorgegeben. So soll die Bundesregierung die einfachgesetzlichen Begleitmaßnahmen dem Nationalrat so rechtzeitig zuleiten, dass die Gesetzesbeschwerde mit 1. Jänner 2015 in Kraft treten kann. Ferner ist eine Viermonatsfrist vorgesehen, innerhalb derer der Verfassungsgerichtshof über die Ablehnung einer "Gesetzesbeschwerde" entscheiden soll. Um mutwillige Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, ist sicherzustellen, dass das gerichtliche Verfahren während dieser viermonatigen Frist bloß durch das Einbringen eines Antrags auf Normprüfung nicht unterbrochen wird. Eine Unterbrechung soll grundsätzlich nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall und innerhalb der genannten viermonatigen Frist erfolgen. Ausnahmen im Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung soll es jedenfalls für Angelegenheiten des Exekutions- und Insolvenzrechts geben. Man will auch dafür vorsorgen, dass es im Grundbuch oder Firmenbuch nicht zu nachträglichen Änderungen von Eintragungen aufgrund eines verfassungsrechtlichen Erkenntnisses kommen kann.

Mit Gesetzesbeschwerde wird neues Kapitel im Verfassungsrecht aufgeschlagen

Die Gesetzesbeschwerde sei das Ergebnis von Entschließungsanträgen anlässlich der Einführung der Landesverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichtshofs erinnerte Abgeordneter Peter WITTMANN (S) eingangs seiner Ausführungen und dankte allen, die mit der schwierigen Materie befasst waren. Man habe eine einstimmige Lösung des Problems der Gesetzesbeschwerde gefunden, sagte Wittmann und erläuterte die Genese des Gesetzes. Das Thema sei sehr kontrovers gewesen, da es darum ging, einen Weg zwischen den außerordentlich konträren Positionen von Verfassungsgericht und Oberstem Gerichtshof zu finden. Den Parteien sei nun in einem ordentlichen Rechtsmittelverfahren eine Gesetzesbeschwerde gegen eine Entscheidung in erster Instanz möglich. Das erhöhe den Rechtsschutz der BürgerInnen, war Wittmann überzeugt, der die gefundene Lösung als angemessen bezeichnete. Einwände wie etwa, dass es keine Verfahrensverzögerungen geben dürfe oder dass das Vertrauen in die öffentlichen Bücher gewahrt bleiben müsse, seien berücksichtigt worden.  

Das Gesetz stelle den Schlussstein einer Reihe großer Verfassungsreformen dieser Legislaturperiode dar, unterstrich Abgeordneter Wolfgang GERSTL (V). Das Parlament könne auf das Erreichte stolz sein, betonte er und merkte an, die Gesetzesbeschwerde habe bereits im Österreich-Konvent 2004 eine Mehrheit gefunden. Es gehe darum, dass niemand mehr aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes verurteilt oder in einem Zivilprozess beurteilt werden könne. Die Umsetzung sei ein Meilenstein in der Rechtsstaatlichkeit und gebe hohe Rechtssicherheit, auch für Investoren, die sich auf den Rechtsstaat in Österreich verlassen können. Nun könne und müsse jede Partei, nicht nur wie vorher ein Richter bzw. eine Richterin, bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes an den Verfassungsgerichtshof herantreten. Die BürgerInnen seien damit nicht mehr Bittsteller, sondern können ihr Recht selbst wahrnehmen. Das Zwischenverfahren schließe Verfahrensverzögerungen aus, auch eine so genannte Urteilsbeschwerde und damit die Überordnung des Verfassungsgerichts über den Obersten Gerichtshof habe man ausschließen können, zeigte sich Gerstl zufrieden. Ein Systembruch sei vermieden und mehr Rechtssicherheit geschaffen worden.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt sei ein neuer Rechtszugang im Verfahrensrecht, verknüpft mit dem Verfassungsrecht, geschaffen worden, hielt Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) fest. Das sei von höchster Bedeutung. Eine Partei in einem Verfahren könne nun erzwingen, dass die zur Anwendung kommende Norm vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft wird. Bisher habe es so etwas im Verfassungsrecht nicht gegeben. Damit werde in der österreichischen Verfassungsgeschichte ein neues Buch aufgeschlagen, zeigte er sich überzeugt. 2009 habe er mit Abgeordnetem Stefan einen Entschließungsantrag eingebracht. In Kontext der Erneuerung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sei ein Fünf-Parteien-Entschließungsantrag entstanden, erläuterte Fichtenbauer und würdigte die Arbeit der ReferentInnen der Klubs. Er lobte auch jene Abgeordneten, die trotz größter Schwierigkeiten aus den eigenen Reihen die Verhandlungen fortgeführt haben. Fichtenbauer erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die großen Widerstände der obersten Gerichte. Dass ohne Regierungsvorlage aus eigener Kraft eine neue Dimension des Rechtsschutzes geschaffen wurde, sei ein großer Erfolg des Parlamentarismus, bemerkte Fichtenbauer abschließend stolz.

Auch Abgeordnete Daniela MUSIOL (G) begrüßte die Einführung der Gesetzesbeschwerde als Verbesserung des Rechtsschutzes für die BürgerInnen und schilderte die lange Vorgeschichte der heutigen Beschlussfassung sowie die schwierigen Verhandlungen über die Ausnahmen, etwa im Bereich des Strafrechts. Den Grünen war es wichtig, bei künftigen Beschlüssen über Ausnahmen für eine entsprechende Publizität zu sorgen. Zu klären war auch, wer Gesetzesbeschwerden einbringen können soll. In letzter Minute sei es gelungen, jene Verbesserungen bei der Erweiterung des Rechtsschutzes zu erreichen, die es auch den Grünen ermöglichen, ihre Zustimmung zu geben.

Ebenfalls als einen wichtigen Fortschritten beim Rechtsschutz der BürgerInnen bezeichnete Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) die Gesetzesbeschwerde und berichtete mit Freude von den konstruktiven Verhandlungen im Verfassungsausschuss über diese schwierige Materie. Besonders unterstrich er die Arbeit der Fachabgeordneten in den Ausschüssen gemeinsam mit ExpertInnen der Ministerien. So konnten in Verhandlungen bis zur letzten Minute viele Detailfragen zur Zufriedenheit aller Fraktionen geklärt werden. Als wichtige Voraussetzung für die heutige Einigung sah Scheibner, dass die Regierungsparteien über keine Zweidrittelmehrheit verfügen.

Abgeordneter Christoph HAGEN (T) hob die Verbesserung der Rechtssicherheit für die BürgerInnen hervor und bezeichnete es als positiv, dass zugleich Verfahrensverzögerungen ausgeschlossen werden und die Höchstgerichte gleichgestellt werden.

Abgeordnete Sonja STESSL-MÜHLBACHER (S) brachte einen Sechs-Parteien-Abänderungsanträge mit zahlreichen Detailbestimmungen ein und beantragte Ergänzungen zur Ausschussentschließung mit präzisen Vorgaben für die Bundesregierung bei der Umsetzung des Gesetzesbeschlusses.

Schließlich erläuterte Abgeordneter Harald STEFAN (F) die neue Möglichkeit, gegen ein verfassungswidriges Gesetz, das in einem Verfahren angewendet wird, Beschwerde einzubringen. Bisher konnte diese Beschwerde nur von Gerichten, nicht aber von den Rechtsparteien eingebracht werden. Mit diesem Recht auf Gesetzesbeschwerde werde nun eine Rechtsschutzlücke geschlossen. Zugleich konnten Verfahrensverzögerungen ausgeschlossen werden. Der Redner schloss mit dem Ausdruck der Freude über eine aus seiner Sicht besonders gelungene Reform, die der Verfassungsausschuss in überaus konstruktiven Verhandlungen erarbeitet hat.

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf in der Fassung des vorgelegten Zusatz- und Abänderungsantrags einstimmig, also mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen. Einstimmig verabschiedete das Plenum auch die dazugehörige Ausschussentschließung samt den beantragten Änderungen. (Fortsetzung Nationalrat) jan/sox/fru