Parlamentskorrespondenz Nr. 907 vom 13.10.2014

Parlamentarismus zwischen Streitkultur, Klubzwang und Öffentlichkeit

Symposium zum 90. Geburtstag von Wilhelm F. Czerny

Wien (PK) – Soll im Parlament eher der Streit um Positionen und Ideen oder der einhellige und oft vorab errungene Konsens demonstriert werden? Sind parlamentarische Klubs wichtige Wegweiser und zugleich Orientierung für politische Neuankömmlinge im Parlament oder wirken sie doch eher einschränkend, wenn es um die politische Individualität von Abgeordneten geht? Und wie steht es um den schmalen Grat, auf dem sich JournalistInnen oft befinden, wenn sie in der Berichterstattung einerseits zwischen der Verantwortung gegenüber der Institution und damit jener der Demokratie sowie andererseits ihrer ureigenen Aufgabe, nämlich kritisch zu hinterfragen, stehen? Darüber reflektierten im Rahmen des Symposiums im Parlament aus Anlass des 90. Geburtstags des früheren Parlamentsdirektors Wilhelm F. Czerny mit dem Titel "Parlament und Parteien: Ein Blick auf Österreich seit 1989" die Politikwissenschaftlerin Marion Löffler, der ehemalige Zweite Präsident des Nationalrats Heinrich Neisser sowie der stellvertretende Chefredakteur und Innenpolitik-Chef der Salzburger Nachrichten Andreas Koller. Das Diskussionspanel wurde von Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák moderiert.

Löffler: Moderne Streitkultur braucht lebendige Debatten

Die Politikwissenschaftlerin Marion Löffler ging in ihrer Auseinandersetzung auf die politische Kultur beziehungsweise Streitkultur im Nationalratsplenum ein. Das Parlament befinde sich dabei, so Löfflers Feststellung, in einer problematischen Spannung. Kann doch Demokratie in ihrem definitorischen Kern einerseits durch erreichten Konsens, andererseits, und das betone der aktuelle demokratietheoretische Diskurs, durch Widerstreit von unterschiedlichen Positionen definiert werden. Ziel demokratischer Verfahren sei damit nicht die Herstellung von Einigkeit, sondern der Umgang mit Uneinigkeit. Dabei habe sich der Parlamentarismus in Österreich von einem "Legitimationsparlament" über ein "Kontrollparlament" hin zu einem "Arbeitsparlament" gewandelt. Richtig gearbeitet werde jedoch hinter den Kulissen in den Ausschüssen, denn die medialen Darstellungen von Plenardebatten würden oft nicht nach Arbeit aussehen, so die Politikwissenschaftlerin. Deshalb gebe es eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen politischen Arbeit und dem, was öffentlich sichtbar ist. "Das Plenum wird zunehmend zur Bühne, wo Politik nicht stattfindet, sondern inszeniert wird", konstatierte sie. Geht es nach Löffler, ist eine moderne Streitkultur charakterisiert durch lebendige Debatten, die auch humorvoll sein können, ohne zum sogenannten Kasperltheater zu werden. Lebendige Debatten würden Streit und Konflikt zulassen, es müsse aber auch Grenzen geben, betonte sie. Diese Grenzen zu bestimmen, sei aber nicht Aufgabe der Wissenschaft, sondern die einer demokratischen Rede- und Streitkultur.

Neisser spricht sich für autonome Abgeordnete aus

Aus der Sicht des Mandatars beleuchtete der ehemalige langjährige Abgeordnete und Zweite Präsident des Nationalrats Heinrich Neisser die Praxis des Parlamentarismus. Ein Mandatar, der zum ersten Mal ins Parlament gewählt wird, betrete völliges Neuland, berichtete er. Ein Parlamentsklubs biete wesentliche Orientierung, er bestimme aber auch über die politische Existenz wie etwa die Zuteilung zu den Ausschüssen. Seine Erfahrung habe gezeigt, dass sich Abgeordnete relativ rasch ergeben und sich für den parlamentarischen Betrieb einteilen lassen. In der Praxis sei die Möglichkeit, unter Berufung auf das verfassungsmäßig verankerte freie Mandat, eigene Wege zu gehen, stark eingeschränkt. Es sei eine persönliche Herausforderung, ein individueller Abgeordneter zu sein, wenn Inhalte durch die parlamentarischen Klubs vorgegeben werden, so Neisser. Dennoch gebe es die Chance, einen innerfraktionellen Diskurs zu nützen und zu beleben. Aus seiner Sicht brauche es einen autonomen Abgeordneten, der zur selbstkritischen Reflexion fähig ist. Nur so könne das Bild einer Fraktion und damit gleichzeitig das Bild des Parlaments ein anderes werden.

Koller: Parlament steht nicht auf Augenhöhe mit der Regierung

Es sei ein Dilemma, in dem ParlamentsredakteurInnen stecken, subsumierte der Präsident des Presseclubs Concordia Andreas Koller die Situation von JournalistInnen, geht es um die parlamentarische Berichterstattung. Denn wer das Parlament beschädige, und sei es durch kritischen Journalismus, laufe Gefahr, die Demokratie insgesamt zu beschädigen, so die Überlegung. Neben diesem Zwiespalt sei eine weitere schwer lösbare Frage, welche Aspekte des Parlamentarismus dargestellt werden sollen, warf Koller ein. Denn die Berichterstattung aus dem Plenum sei nicht nachhaltig und würde nur der "Showberichterstattung" dienen. Vielmehr habe sich die Parlamentsberichterstattung dorthin verschoben, wo Entscheidungen fallen, nämlich zu den Ausschüssen. Problem sei hier aber auch die fehlende Transparenz, sagte der Innenpolitik-Chef der Salzburger Nachrichten, der beim Ruf nach mehr Transparenz aber auch das Risiko in den Raum stellte, dass unter dem Beisein von JournalistInnen keine politischen Entscheidungen getroffen werden. Zudem habe es das Parlament nicht geschafft, auf die neue Art des Journalismus hinsichtlich Online-Angeboten zu reagieren. Im Umkehrschluss darauf hätten es aber auch die JournalistInnen nicht zu Wege gebracht, den Parlamentarismus in die neue Art des Journalismus zu inkorporieren. Er selbst glaube nicht, dass das Parlament als wirkliches "Machtzentrum der Republik" auf Augenhöhe mit der Regierung stehe, sagte Koller. Durch den Journalismus gebe es aber die Möglichkeit, dem Parlament den Status zu geben, den es haben sollte. (Schluss) keg

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.