Parlamentskorrespondenz Nr. 787 vom 07.07.2015

Nationalrat: Breite Mehrheit für Änderungen im Erbrecht

Bestimmungen werden modernisiert, Pflichtteil für Eltern abgeschafft

Wien (PK) – Das österreichische Erbrecht wird modernisiert. Der Nationalrat stimmte heute mit breiter Mehrheit einem von Justizminister Wolfgang Brandstetter erarbeiteten Gesetzentwurf zu. Mit der Änderung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) und zahlreicher weiterer Gesetze werden nicht nur veraltete Formulierungen sprachlich adaptiert und überholte Bestimmungen abgeschafft, sondern in einigen Punkten auch inhaltliche Neuregelungen getroffen. Gegen das Gesetz stimmten lediglich die FPÖ und das Team Stronach, ihrer Meinung nach sind etliche Punkte zu unpräzise geregelt. Auch Grüne und NEOS sind nicht ganz zufrieden.

Im Konkreten sieht der Gesetzentwurf unter anderem vor, die Enterbung naher Angehöriger unter gewissen Umständen zu vereinfachen, pflegende Angehörige stärker bei der Verteilung des Erbes zu berücksichtigen und Eltern vom Pflichterbe auszunehmen. Nur noch die Nachkommen und der Ehegatte oder eingetragene Partner werden pflichtteilsberechtigt sein. Zudem ist es Erben von Familienbetrieben künftig möglich, ihre Miterben in Raten auszuzahlen. Damit soll der Fortbestand von Klein- und Mittelbetrieben sichergestellt werden.

Testamente zugunsten früherer Ehegatten oder Lebensgefährten werden nach einer Scheidung automatisch als aufgehoben gewertet. Gibt es kein Testament und keine Verwandten, hat ein Lebensgefährte künftig Vorrang vor dem Staat. Beibehalten wird die Bestimmung, dass ein nicht selbst geschriebenes Testament dreier Zeugen bedarf, das fremdhändige Testament soll aber durch verschiedene Maßnahmen fälschungssicherer gestaltet werden.

Im Rahmen der Debatte hoben die Abgeordneten Peter Haubner (V), Beatrix Karl (V), Ruth Becher (S) und Harald Troch (S) die Notwendigkeit hervor, die 200 Jahre alten Bestimmungen zu modernisieren und gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. Das Erbrecht sei in die Jahre gekommen, es sei höchste Zeit für eine Reform, meinten sie unisono, wobei Becher unter anderem die verstärkte Testierfreiheit begrüßte.

Gewisse Bedenken hat Becher, was die künftige Berücksichtigung pflegender Angehöriger bei der Aufteilung des Erbes betrifft. Sie fürchtet, dass dadurch die traditionelle Rollenverteilung, also die überwiegende Erbringung von Pflegeleistungen durch Frauen, weiter einzementiert wird. Überdies sieht sie wie Grün-Abgeordneter Albert Steinhauser die Gefahr von Familienstreitigkeiten. Abgeordnete Karl zeigte sich hingegen ausdrücklich über die ihrer Meinung nach notwendige faire Abgeltung von Pflegeleistungen erfreut. Zur Feststellung von Abgeordnetem Steinhauser, die öffentliche Hand dürfe die künftige Bevorzugung von pflegenden Angehörigen im Erbrecht nicht zum Anlass nehmen, Pflege an die Familie zu delegieren, merkte Karl an, es sei nicht die Intention des Erbrechts, den Staat aus der Verantwortung für ein funktionierendes Pflegesystem zu nehmen. Das bekräftigte auch Abgeordneter Troch.

ÖVP-Abgeordneter Haubner hob vor allem die nunmehr mögliche Pflichtteilstundung hervor. In den nächsten Jahren stünden 58.000 Betriebe zur Übernahme an, zwei Drittel davon innerhalb der Familie, skizzierte er. Familienmitglieder, die den elterlichen Betrieb übernehmen, müssten durch die Stundung nicht große Beträge auf einmal aufbringen, um ihre Miterben auszuzahlen.

Von Seiten der FPÖ gab es Kritik an zahlreichen Detailpunkten des Gesetzes. Man habe zu ungenau gearbeitet und hätte sich länger Zeit nehmen sollen, hielten die Abgeordneten Harald Stefan und Philipp Schrangl fest. Durch die unnötige Eile seien etliche "Fehler" passiert. Konkret kritisierte Stefan die inkonsistente Verwendung von Begriffen, auch im Vergleich zur EU-Erbrechtsverordnung, die hohen Zinsen bei der Pflichtteilstundung und die künftige Berücksichtigung von Lebensgefährten im Erbrecht. Die Definition des Lebensgefährten sei schwierig, es sei fraglich, wann eine Lebensgemeinschaft beginne und wann sie ende, meinte er. Auch beim Pflegevermächtnis, seiner Ansicht nach grundsätzlich ein richtiger Ansatz, erwartet er Probleme, etwa bei der Bewertung von Pflegeleistungen.

Positiv ist für Schrangl die vorgesehene Senkung der Gerichtsgebühren und die moderate Anhebung der Wertgrenzen bei kleinen Erbschaften.

Die hohen Zinsen bei der Pflichtteilstundung sind auch den Abgeordneten Kathrin Nachbaur (T) und Nikolaus Scherak (N) ein Dorn im Auge, wiewohl Nachbaur die Stundungsmöglichkeit insgesamt ausdrücklich begrüßte. Sie sprach sich dafür aus, den vorgesehenen Verzugszinssatz von 4% durch einen variablen Indikator zu ersetzen, konnte sich mit einem entsprechenden Entschließungsantrag aber nicht durchsetzen.

Wäre es nach Scherak gegangen, hätte man dem Erblasser überdies noch mehr Autonomie eingeräumt und die Anrechnung von Schenkungen auf das Erbe anders geregelt. Eine längere Diskussion wäre durchaus sinnvoll gewesen, schloss er sich der Kritik der FPÖ an.

Grün-Abgeordneter Steinhauser bedauerte insbesondere, dass Lebensgefährten im Erbrecht nach wie vor sehr schlecht gestellt sind, auch wenn einige Schritte zur Verbesserung der Situation gesetzt würden. Erbberechtigt seien sie faktisch nur, wenn der Verstorbene praktisch keine Familie hat, kritisierte er. Steinhauser zufolge hätte man Lebensgefährten zumindest bei gemeinsam genutzten Gegenständen wie Autos, Computer oder Haushaltsgeräten besser berücksichtigen sollen.

Brandstetter: Mit dem neuen Erbrecht hat man "goldene Mitte" gefunden

Justizminister Wolfgang Brandstetter zeigte sich überzeugt, dass das Justizressort mit dem Entwurf "die Goldene Mitte" getroffen hat. Es sei höchste Zeit für eine Modernisierung des Erbrechts, sagte er. Der Entwurf sei ausführlich mit ExpertInnen diskutiert worden. Laut Brandstetter werden mehr als 300 Paragraphen geändert.

Brandstetter zufolge wird das Gesetz dazu beitragen, dass Familienunternehmen im Todesfall nicht zerschlagen werden müssen. Das Gericht habe bei der Pflichtteilstundung einen Ausgleich zwischen den Interessen des Erben und seiner Miterben zu suchen, erklärte er. Dass die Berücksichtigung von Pflegeleistungen im Erbrecht auf Verwandte eingeschränkt ist, begründete er damit, dass Nicht-Verwandte für Pflegeleistungen in der Regel eine Gegenleistung erhalten. Der Minister fürchtet auch nicht, dass es dadurch zu vermehrten familiären Streitigkeiten kommen wird. In Richtung FPÖ hielt er fest, man könne Haarspalterei betreiben und dann die Haare in der Suppe suchen. (Fortsetzung Nationalrat) gs