Parlamentskorrespondenz Nr. 100 vom 08.02.2016

Flüchtlingspolitik: Europäische Union sucht intensiv nach Lösungen

Asylfragen aus Sicht von Bundeskanzler Faymann und Kanzleramtsminister Ostermayer zentral im aktuellen EU-Arbeitsprogramm

Wien (PK) - Das Flüchtlingsthema wird 2016 die Politik der Europäischen Union in so gut wie allen Bereichen dominieren. Deutlich zeigt das einmal mehr das heurige Arbeitsprogramm von Europäischer Kommission und Europäischem Rat, über das Bundeskanzler Werner Faymann und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer in Bezug auf ihre Zuständigkeiten berichten (III-234 d.B. und III-571-BR/2016 d.B.). Vorangetrieben werden sollen nicht nur die Arbeiten an einem verbesserten Schutz der EU-Außengrenzen, sondern auch jene an einem Neuansiedlungsprogramm von Flüchtlingen in den EU-Mitgliedstaaten. Ein Paket zum besseren Migrationsmanagement kündigt die Kommission für März an.

Der Jahreswachstumsbericht zur EU-Haushaltspolitik 2016 zeigt in Verbindung mit der Asylfrage Chancen und Herausforderungen für den Arbeitsmarkt der Union auf. Abgesehen davon gewinnen dem Bundeskanzleramt (BKA) zufolge in der wirtschaftspolitischen Steuerung der Europäischen Union sozial- und beschäftigungspolitische Aspekte zunehmend an Bedeutung. Die Pläne zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion umfassen dementsprechend auch Überlegungen zu einem europaweiten Arbeitnehmerschutz, der nationale Regelungen ergänzen soll. Weiterhin aufrecht bleiben allerdings die bestehenden Wachstumsprioritäten: Investitionsoffensive, Umsetzung von Strukturreformen und verantwortungsvolle Haushaltspolitik.

Die europäische Integration bleibt jedoch besonders im Sozialbereich umstritten, wie die Diskussion über Sozialleistungen an EU-BürgerInnen in Großbritannien zeigt, das davon letztlich seinen Verbleib in der Staatengemeinschaft abhängig macht. Konsensualer geben sich die Mitgliedstaaten vorerst in der Bekämpfung des Klimawandels. Der Europäische Rat ersuchte die Kommission, Vorschläge zu erstellen, wie von der EU die Begrenzung der Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius unterstützt wird. Im Rahmen der Klima- und Energiepolitik bis 2030 soll damit das aktuelle UN-Klimaschutzabkommen Beachtung finden. In den Kulturagenden der EU nimmt die Digitalisierung des europäischen Kulturerbes breiten Raum ein, was wiederum der Umsetzung des digitalen Binnenmarkts nützen soll. Vor dem Hintergrund aktueller Konflikte weltweit sind Erhebungen zum illegalen Handel mit Kulturgütern aus Kriegsregionen angedacht.

Ratstagungen kreisen um Flüchtlingsfrage

Bei allen geplanten Treffen der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat hat die Asylpolitik oberste Priorität. Im Bericht des Bundeskanzleramts heißt es, die Tagung am 18. und 19. Februar werde sich mit den Fortschritten der Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise auseinandersetzen, die seit Dezember 2015 laufen. Dazu zählen unter anderem die Sicherstellung einer rechtskonformen Flüchtlingsregistrierung in Hotspots an den EU-Außengrenzen sowie Entscheidungen zur Rückführung Asylwerbender in die Herkunftsländer und zur Um- bzw. Neuansiedlung von Flüchtlingen in der EU. Unter niederländischem Ratsvorsitz soll eine Einigung auf ein europäisches Grenz- und Küstenschutzsystem erzielt werden. Von der EU-Kommission erwartet der Europäische Rat eine Analyse des Dublin-Systems für Asylverfahren, bis zur Ratstagung am 17. und 18. März soll ein Kommissionspapier zum besseren Migrationsmanagement vorliegen. Eine globale EU-Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik wird beim Europäischen Rat am 23. und 24. Juni angepeilt.

Weitere Schwerpunkte des Märztreffens sind die Auswirkungen des UN-Klimaschutzabkommens von Paris auf die EU-Klimapolitik und die Bemühungen um einen vertieften und faireren Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen. Zur Ankurbelung von Investitionen werden als zentrale Initiativen die Digitalisierung und die Realisierung der Kapitalmarktunion genannt. Beim Juni-Gipfel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs übereinkommen, in welche Reformen die für Mai 2016 erwarteten und auf Ministerebene diskutierten länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission zur Haushaltsplanung in den Mitgliedstaaten münden sollen. Ziel dabei ist, gemäß der politischen Leitlinien von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker neue Impulse für Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu geben. In Verbindung mit der wirtschaftspolitischen Koordinierung begrüßen Faymann und Ostermayer die Einbeziehung sozialpolitischer Themen, wollen aber diesbezügliche Governancefragen noch weiter behandelt wissen. In finanzpolitischer Hinsicht soll es im Juni einen Ratsbeschluss über einen Fahrplan zum Kommissionsvorschlag für ein Europäisches Einlagensicherungssystem von Spareinlagen geben.

Sicher scheint schon jetzt, dass bei den Ratstreffen im Oktober und Dezember erneut die Asylpolitik brennendes Debattenthema sein wird, genauso wie der Kampf gegen Terrorismus, die Vollendung des Binnenmarkts und der Energieunion sowie die Klimapolitik. Bis Ende des Jahres soll die Evaluierung des mehrjährigen Finanzrahmens durch die Kommission erfolgt sein, mit Bedacht auf die makroökonomische Situation der EU.

Präsidenten zeigen Weg zu echter Wirtschafts- und Währungsunion

Aufbauend auf einem 2015 vorgelegten Bericht der Präsidenten Jean-Claude Juncker (Europäische Kommission), Donald Tusk (Euro-Gipfel), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe), Mario Draghi (Europäische Zentralbank) und Martin Schulz (Europäisches Parlament) zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) befasst sich der Europäische Rat heuer weiter mit der Reform der wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerung, um unter anderem die Bankenunion zu vervollständigen. Auf Basis bestehender Verträge sollen in einem ersten Schritt Maßnahmen wie die Neugestaltung des Europäischen Semesters in der Haushaltsplanung bis 2017 realisiert werden. Weitere Maßnahmen zur engeren Zusammenarbeit im Euroraum bedürfen nach Dafürhalten des Kanzleramts jedenfalls noch intensiver Diskussionen. Skeptisch steht Österreich beispielsweise der Idee gegenüber, angedachten EU-Ausschüssen für Wettbewerbsfähigkeit direkte Mitwirkungsrechte bei der heimischen Wettbewerbspolitik zu geben, was auch die Lohnverhandlungen der Sozialpartner betreffen würde.

Angeregt wird im Fünfpräsidentenbericht überdies eine Stärkung der EU-Institutionen zur Erhöhung ihrer demokratischen Rechenschaftspflicht und Legitimität. Auf dieser Grundlage wird die Verwirklichung einer vertieften, echten und fairen WWU bis 2025 angestrebt. Sollten dabei umfassende Vertragsänderungen notwendig werden, verlangt die österreichische Regierungsspitze einen Konvent.

Die Kohäsionspolitik zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts wird 2016 weitergeführt. Mit der Förderung nationaler und regionaler Programme will die EU Investitionen für mehr Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen ankurbeln. Das Investitionsvolumen beträgt laut BKA-Bericht rund 325 Mrd. €. Schwerpunkt im Aktionsplan ist dieses Jahr die Vereinfachung der Förderabwicklung, nachdem der Prozess zur Genehmigung der Projekte im Rahmen der Europa 2020-Strategie 2015 abgeschlossen worden ist.

Großbritannien stellt EU-Grundwerte auf die Probe

Die Forderungen des Vereinigten Königreichs zur Neuverhandlung seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union werden mit Sicherheit bei den Ratstreffen Anlass für kontroverse Diskussionen geben. Bis spätestens 2017 will ja Großbritannien ein Referendum über den Austritt aus der EU abhalten. Österreich trägt laut Bundeskanzler Faymann die Reformforderungen nur dann mit, wenn die Grundprinzipien der europäischen Integration gewahrt bleiben. Als heikelster Punkt stellt sich dabei eine mögliche Einschränkung der Freizügigkeit dar, falls die britische Regierung ihren Plan, Zuwanderern erst nach vier Jahren Erwerbstätigkeit Sozialleistungen zuzuerkennen, durchsetzt. Mehr Verhandlungsspielraum gibt es wahrscheinlich bei der Neuorganisation der Beziehung von Euro- und Nicht-Euro-Staaten zum Rechtsschutz Letzterer, bei der Stärkung nationalstaatlicher Parlamente sowie der Wettbewerbsfähigkeit. Wettbewerbsfördernd soll zum einen die Entlastung von Unternehmen durch eine verbesserte Rechtsetzung wirken, zum anderen wird hierbei auf die Bedeutung von Handelsabkommen verwiesen.

Schwierig gestalten sich die Verhandlungen über einen Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), zu dem sie sich vertraglich verpflichtet hat. Aus einem jüngsten Gutachten des Europäischen Gerichtshofs geht hervor, dass ein diesbezügliches Übereinkommen mit dem Europarat dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Hüter der EMRK, vielfach Vorrechte geben würde, die die Autonomie des Unionsrechts zu beeinträchtigen drohen. Sensible Punkte sind demnach der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der EU-Länder und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, weswegen diese Bereiche vorerst ausgespart bleiben. Ungeachtet dessen strebt man an, die Inhalte des Übereinkommensentwurfs an die Erkenntnisse des EuGH anzupassen.

Zu den Grundwerten der EU gehört nicht zuletzt die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, die im Zeitalter der Digitalisierung gerade hinsichtlich Meinungsfreiheit, Interne Governance, Datenschutz und Cybersicherheit mit neuen Herausforderungen konfrontiert ist. Die kommenden Sitzungen des zuständigen Rats Allgemeine Angelegenheiten befassen sich mit diesen Punkten, wie das Bundeskanzleramt hervorhebt und in diesem Zusammenhang vorschlägt, die Grundrechteagentur einzubinden.

Datenschutz-Vorschläge verließen Rat ohne Zustimmung Österreichs

Der Sicherstellung und Beibehaltung eines hohen Datenschutzniveaus in Österreich verschrieben haben sich Bundeskanzler Faymann und Bundesminister Ostermayer auch bei den vergangenen Verhandlungen auf EU-Ebene zum anvisierten Datenschutzpaket. Den Vorschlag für eine neue Datenschutz-Grundverordnung lehnte Österreich aufgrund von Bedenken, das bestehende Schutzniveau werde damit eingeschränkt, ab. Der gleichzeitig verhandelte Entwurf für eine neue Datenschutz-Richtlinie entsprach ebenfalls nicht den Vorstellungen der heimischen Verhandlungsteilnehmer, weswegen sie sich der Stimme enthielten. Noch zur Debatte steht derzeit ein Datenschutz-Abkommen mit den USA, das die Weitergabe personenbezogener Daten für Strafverfolgungszwecke ermöglicht. Berücksichtigt wird dabei das EuGH-Urteil gegen das Safe Harbor-"Zertifizierungsprogramm". Dieses zwischen EU und USA vereinbarte Programm hätte ohne behördliche Genehmigung ermöglicht, dass personenbezogene Daten von europäischen Firmen an US-amerikanische Unternehmen weitergegeben werden. In den Neufassungen der datenschutzrechtlichen Übereinkünfte mit Washington soll nun auch das Recht natürlicher Personen auf gerichtliche Überprüfung enthalten sein.

Kulturerbe-Digitalisierung braucht Finanzierungssicherheit

Die Digitalisierung von europäischem Kulturerbe in Verbindung mit der digitalen Bibliothek "Europeana" gehört zu den kulturpolitischen Vorhaben, die der niederländische und der slowakische Ratsvorsitz angekündigt haben. Neu ist das Bestreben, Kultur und Wissen auf digitalem Weg einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, nicht: dem BKA-Bericht zufolge begann die EU schon vor 15 Jahren, Überlegungen in diese Richtung anzustellen. Hürden, die eine vollständige Implementierung der Europeana bislang verhindert haben, sind nicht nur ihre mangelnde Sichtbarkeit, sondern auch urheberrechtliche Beschränkungen und natürlich die angespannte Finanzierungssituation. Für Österreich ist klar, dass die Finanzierung der Infrastruktur vorwiegend durch die EU zu erfolgen hat, während die Mitgliedstaaten für die Digitalisierung ihres nationalstaatlichen Kulturerbes verantwortlich zeichnen. Vor allem die Niederlande drängen auf eine Klärung der Zukunft von Europeana, weil sie nach der EU zweitgrößter Fördergeber dieses Projekts sind, das wiederum in der niederländischen Nationalbibliothek verortet ist.

Der EU-Arbeitsplan Kultur sieht zudem zwei neue Expertengruppen vor, die sich den Themen "Innovationspotential des Kultursektors" sowie "Kultur und Flüchtlinge" widmen. Von der Kommission soll es eine Mitteilung zur Kulturdiplomatie in den EU-Außenbeziehungen geben, ebenso wie eine Studie über den unrechtmäßigen Handel mit künstlerisch oder archäologisch wertvollen Werken aus Kriegsregionen. (Schluss) rei