Bundesrat Stenographisches Protokoll 629. Sitzung / Seite 116

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Beim Versuch, sich mit der realen Verfassung unseres Systems auseinanderzusetzen, kommt man aufgrund der Systematik und Begrifflichkeit zum Bundes-Verfassungsgesetz. Auch wenn bereits Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes spätestens seit dem EU-Beitritt nicht mehr stimmt und die Kompetenzartikel in Relation zu Brüssel ihre Bedeutung verloren haben, wird diesbezüglich nicht einmal an ein nachträgliches Fassen der Gegebenheiten gedacht. Meines Wissens, Herr Staatssekretär, haben wir zirka 350 Gesetze mit Verfassungsbestimmungen. Nicht einmal einen Katalog gibt es darüber. Ich weiß nicht einmal, wie die Bundesverfassung durchlöchert ist. Ist sie noch ein Schweizer Käse, oder ist sie überhaupt nur mehr eine Hülle? – Das ist nicht mehr feststellbar.

"Rechtsstaat Österreich – Illusion oder Realität." Ich glaube, wir kommen eher hin zur Illusion. Die Gewaltentrennung in Legislative, Verwaltung und Gerichtsbarkeit gibt es kaum mehr. Die Gesetze werden in Wahrheit von den Sozialpartnern oder von der Regierung gemacht. Mischt der formale Gesetzgeber, das Parlament, tatsächlich noch mit? – Wenn es mitmischt, dann passieren solche Dinge wie bei der Abstimmung über 0,5 Promille, 0,8 Promille, weil wieder die Regierung und andere hineinpfuschen.

Was bedenklich stimmt, ist, daß die Leute das merken. Sie werden mit einem Bereich paralysiert, so wie auch die Abgeordneten paralysiert werden. Sie haben gesagt, die Qualität ist besser geworden. Die Durchschaubarkeit ist besser geworden. Das haben Sie genau zu einem Zeitpunkt gesagt, zu dem Sie das Strukturanpassungsgesetz, im Volksmund "Teuerungspaket" genannt, erlassen haben. 98 Gesetze haben Sie darin. Die Einbringerin Frau Dr. Riess hat erklärt, wie das beim Beamten-Dienstrecht ist. Ich kann Ihnen einen Fall dazu nennen. Aus meinem eigenen Bereich weiß ich, daß eine Beamtin voriges Jahr in Pension gehen hätte können und 63 Prozent bekommen hätte. Sie hat aber gesagt, nein, ich möchte weiterarbeiten. Aufgrund dieses Strukturanpassungsgesetzes, aufgrund der Novellierung des Beamten-Dienstrechtsgesetzes bekommt sie nun 61 Prozent. Die Leute werden bestraft, wenn sie weiterarbeiten. Sie werden bestraft, meine Damen und Herren! Lesen Sie sich ein bißchen in die Materie ein. Was soll der Bürger angesichts dieser Flut an Gesetzen von uns denken? – 10 000 Gesetzblätter, meine Damen und Herren, prasseln auf den einzelnen Bürger nieder!

Ich bleibe beim Strukturanpassungsgesetz. Beinahe 200 Seiten umfaßt es, mit der Regierungsvorlage, mit den Ausschußberichten, mit den Korrekturen sind es 1 400 Seiten. Das mußten die Damen und Herren hier studieren. Und dann wird gesagt, die Qualität der Gesetze ist besser geworden. Wenn Herr Präsident Fischer sagt, eine komplizierte Gesellschaft braucht komplizierte Gesetze, meine Damen und Herren, dann ist das meiner Meinung nach ein Schwächezeichen. – Ein Schwächezeichen dafür, daß diese Koalition, die für diese Vorlagen verantwortlich ist, nicht einmal im ureigensten Bereich in der Lage ist, die Dinge entsprechend zu steuern. Es boardet die Flut aus, und der Bürger weiß immer weniger. Werkvertragsregelung – es ist alles schon genannt worden, was hier passiert – wird beschlossen, wird novelliert, wird aufgehoben, wird novelliert, wird beschlossen. – Wie soll sich der einzelne da noch auskennen?

Meine Damen und Herren! Ich habe in der letzten Sitzung an Herrn Justizminister Michalek, den ich ob seiner fachlichen Qualität durchaus schätze, eine Anfrage wegen der möglichen Sperre der Bezirksgerichte in der Steiermark gestellt. Dabei geht es darum, daß der normale Bürger den Zugang zum Recht findet. Der Herr Minister hat im Sinne der oberhammerischen Thesen, daß man hier linear zusperren sollte, geantwortet, er werde diesbezüglich mit den Landesregierungen weiterverhandeln. Erwähnenswert ist, daß in diesem Fall der Bundesrat parteienübergreifend eine Initiative ergriffen und gesagt hat: Dieser Regelung werden wir solange nicht zustimmen, so lange nicht die Bundesstaatsreform endlich ins Laufen kommt. Aber nicht nur das möchte ich Ihnen bezüglich der Bezirksgerichte mitgeben. Man möge doch endlich einmal überlegen – ich habe es bereits gesagt –, wie paralysiert, wie verdrossen der Bürger ist. Schauen Sie sich die Wahlbeteiligung an! Der Bürger hat heute einfach nicht mehr die Möglichkeit, sein Recht zu finden. 30 000 Fälle – mehr als zwei, drei, vier Jahre. Stellen Sie sich vor, ein Unternehmer oder ein kleiner Gewerbetreibender, der irgend etwas einklagt, kann zwischenzeitlich den Konkurs anmelden.


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