Bundesrat Stenographisches Protokoll 630. Sitzung / Seite 104

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auf Personen, die außerhalb der USA tätig werden, sofern ihr Verhalten substantielle und vorhersehbare Auswirkungen auf das Staatsgebiet der USA haben kann. Zwar bestehe eine Vermutung dafür, daß der Kongreß im Zweifel nicht beabsichtigt, durch seine Gesetzgebung das Völkerrecht zu verletzen – amerikanische Gerichte müßten freilich eklatant völkerrechtswidrige Gesetze dennoch anwenden –, und daß der Kongreß grundsätzlich keine extraterritoriale Anwendung der von ihm erlassenen Gesetze intendiere. In zwei Sachgebieten sind die Gesetze aber stets auch extraterritorial angewendet worden, und zwar im Bereich des Anti-Trust-Rechts und des Wertpapierrechts. Insbesondere der bekannte "Sherman-Act" wird nach der "Alcoa Effects Doctrine" im Anti-Trust-Recht immer dann angewendet, wenn irgendein Verhalten, wo auch immer und durch wen auch immer gesetzt, darauf abzielte, den zwischenstaatlichen Handels- und Wirtschaftsverkehr auf eine nach amerikanischem Recht gesetzwidrige Weise zu beschränken.

Wie der führende österreichische Völkerrechtler Professor Seidl-Hohenveldern betont, erheben die USA aber darüber hinaus auch sonst sehr weitreichende Ansprüche bezüglich der extraterritorialen Wirkungen ihrer Rechtsordnung, zum Beispiel im Rahmen des Wirtschaftskrieges. Diese Auffassung hat schon früher zu schweren Differenzen zwischen den USA und ihren Kontrahenten geführt. Die westeuropäischen Staaten haben als Gegenmaßnahme ein Nachgeben gegenüber solchen Forderungen ohne ihre Genehmigung mit Strafe bedroht.

Bemerkenswerterweise war es vor allem das Vereinigte Königreich von Großbritannien, das mit dieser Methode der Abwehrgesetzgebung bahnbrechend war. Das wirksamste "blocking statute" in diesem Sinn war der "United Kingdom’s Protection of Trading Interests Act". In der englischen Parlamentsdebatte wurde dessen Zweck klar ausgesprochen – ich gebe den Text des Protokolls deutsch wieder –: "Es sei unerläßlich, sich gegen Übergriffe von Staaten zu wehren, die ihre Handels- und Wirtschaftspolitik dem eigenen Land völlig einseitig aufzwingen, so durch extraterritoriale Anwendung innerstaatlicher Gesetze. Es werde in keiner Weise das Recht dieser Staaten bestritten, Gesetze welcher Art auch immer zu erlassen, um die Wirtschaft in ihrem eigenen Land völlig zu dirigieren. Doch darf dies nicht in einer Weise geschehen, daß ein Maximum an eigenem wirtschaftlichen Vorteil unter Hintansetzung aller übrigen Länder und ihrer hievon abweichenden Rechtssysteme erreicht wird." – Zitatende.

Auch im sogenannten Justizkonflikt zwischen den USA und einigen europäischen Staaten in den frühen achtziger Jahren brach diese Divergenz voll auf. US-amerikanische Gerichte nahmen nämlich nicht nur ihre internationale Zuständigkeit in Rechtssachen mit Auslandsbeziehungen in exzessiver Weise wahr, sondern sie erstreckten das der Beschaffung der Beweismittel dienende Vorverfahren des amerikanischen Rechts, die "pretrial discovery", auch auf das Ausland. Eine in den USA beklagte Partei wurde demnach zur Vorlage von in ihrem ausländischen Heimatstaat befindlichen Dokumenten beziehungsweise zur Stellung von dort wohnhaften Auskunftspersonen verhalten, und zwar unter Strafandrohung; dies unter Mißachtung der im betreffenden Heimatland geltenden Vorlage- oder Aussageverweigerungsrechte, unter Umgehung bestehender Rechtshilfeverträge und sogar im Durchgriff von der geklagten Muttergesellschaft auf nicht geklagte Tochtergesellschaften.

Bereits in diesem Sachzusammenhang wehrten sich einzelne europäische Staaten dagegen mit Abwehrgesetzen, die den ihrer Gerichtshoheit unterstehenden Parteien bei Strafe untersagten, einer solchen Aufforderung des amerikanischen Gerichts zur Urkundenvorlage nachzukommen; das freilich in der Nebenabsicht, die eigenen Rechtsgenossen durch diese Strafandrohung in eben jene Pflichtenkollision zu treiben, die es dem amerikanischen Gericht erschweren sollte, in der Nichtbefolgung der richterlichen Anordnung einen mit hohen Strafbußen zu ahndenden "contempt of the court" zu erblicken.

Wie Sie aus all dem ersehen können, meine Damen und Herren, gilt die alte Sentenz: Alles schon dagewesen! Die USA überdehnen ihre Regelungs- und Entscheidungskompetenz, indem sie den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz völlig mißachten, daß es für jegliche Jurisdiktion, ob auf der Ebene der Gesetzgebung oder der Vollziehung, einer vertretbaren Anknüpfung an den eigenen Rechtsbereich bedarf. Die europäischen Staaten sind entweder nicht willens oder nicht dazu imstande, diese evidenten Verstöße gegen das allgemeine Völkerrecht im


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