Bundesrat Stenographisches Protokoll 634. Sitzung / Seite 64

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ersetzen. Nur diese Terminologie entspräche den Europäischen Verträgen von Brüssel und von Lugano.

Das mag aber als Frage der formalen Etikettierung vernachlässigbar sein. Hingegen verdient in der Sache selbst entschieden Kritik, daß wir keineswegs dem Grundprinzip der Verträge folgen, die für die internationale Zuständigkeit primär an den Wohnsitz beziehungsweise den Sitz der beklagten Partei anknüpfen und nur zugunsten sozial besonders schutzwürdiger Personen, wie des Verbrauchers, des Arbeitnehmers, des Versicherungsnehmers und des Unterhaltsberechtigten, auch Klägergerichtsstände vorsehen.

Damit stimmt die vorliegende Novelle insofern nicht überein, als sie im § 27a Jurisdiktionsnorm den völligen Gleichlauf von örtlicher und internationaler Zuständigkeit anordnet. Das dient zwar zweifellos der Rechtssicherheit; denn die Rechtsprechung versagte bisher in bestimmten Fällen den inländischen Rechtsschutz auch ungeachtet dessen, daß eine örtliche Zuständigkeit eines, besser irgendeines österreichischen Gerichtes gegeben war. Das dann, wenn sie mit dieser keine ausreichende Nahebeziehung der grenzüberschreitenden Rechtssache zum inländischen Rechtsbereich verwirklicht sah.

Der gegenüber der derzeitigen Praxis, die ich kurz dargestellt habe, gewiß einzuräumende Gewinn an Rechtssicherheit beim Zugang zum Gericht wird aber insofern zu teuer erkauft, als eben nicht sämtliche nationalen Gerichtsstände der Jurisdiktionsnorm auch international tragfähig sind, denn die für die interne Zuständigkeitsverteilung im Inland maßgebenden rechtspolitischen Erwägungen laufen mit jenen einer sachgerechten Ordnung der internationalen Zuständigkeit für grenzüberschreitende Rechtssachen nicht durchgehend parallel.

Ginge es also wirklich um die Orientierung des autonomen österreichischen Rechts an den Grundsätzen der europäischen Übereinkommen und dem mit ihnen erreichten Entwicklungsstand des internationalen Zivilprozeßrechts, so müßten zweifellos zuvor etliche Gerichtsstände der Jurisdiktionsnorm – ein Gerichtsstandsdschungel, wie es bezeichnet wurde – ohne einen solchen entsprechende Nahebezug zum Inland beseitigt werden. – Das zumindest dann, wenn sich hinkünftig auch die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte allein an den Tatbeständen der örtlichen Binnenzuständigkeit messen soll.

In diesem Sinne müßten wir uns von einzelnen Klägergerichtsständen, wie etwa dem Fakturengerichtsstand und dem Gerichtsstand für Warenforderungen, um nur zwei Beispiele zu nennen, verabschieden.

Das Bestreben, selbst in exorbitanten, das heißt international unerwünschten Gerichtsständen unseres Rechts auch ausländische Beklagte vor österreichische Gerichte zu ziehen, verletzt meines Erachtens im Grenzfall deren Anspruch auf angemessene Verteidigung und damit zugleich die Garantie des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Daß dies ohnehin im Verhältnis zu EU- beziehungsweise zu EWR-Staaten nicht in Betracht kommt, also "lediglich" auf die Diskriminierung von Drittstaaten und ihren Bürgern hinausläuft, ist dabei kein echter Trost. Es zeigt sich jedoch, daß gerade dabei das Luganer Übereinkommen keineswegs zum Vorbild genommen worden ist. Die Chance zu einer sachgerechten Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit an den heutigen Stand der europäischen Rechtsentwicklung ist somit verpaßt worden.

Ähnliches trifft für die internationale Zuständigkeitsvereinbarung zu, die allzu uneingeschränkt zugelassen werden soll. Will man damit, wie insbesondere meine Fachkollegin Professor Bajons befürchtet, ein "Klägerparadies" Österreich schaffen? Sollen etwa zwei Friulaner, der in Italien nicht endenwollenden Prozesse müde, "Gerichtstourismus" nach Villach betreiben? Oder will man Unternehmen der Oststaaten dazu ermuntern, österreichische Gerichte deshalb zu vereinbaren, um hier erwirkte Urteile sodann im gesamten EU- beziehungsweise EWR-Raum vollstrecken zu können? – Irgendeinen zusätzlichen Nahebezug hätte man hier doch als Korrektiv vorsehen sollen. Nach dem Luganer Übereinkommen müßte zumindest der Kläger seinen Wohnsitz oder Sitz in einem Vertragsstaat haben.


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