Bundesrat Stenographisches Protokoll 645. Sitzung / Seite 88

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und das Anti-Bild zur Demokratie ist. Er ist in der Kommission in letzter Zeit vor allem dadurch aufgefallen, daß er mit Betrugsaffairen in Milliardenhöhe zu tun gehabt hat, bei denen Hilfsgelder für Bosnien und Afrika in die Taschen von Verwandten, Freunden und sonstigen Günstlingen verschiedener Kommissare gewandert sind, ohne daß es irgendwelche Konsequenzen daraus gegeben hätte. – Auch das wäre übrigens ein lohnendes Thema für diesen Gipfel, bei dem es um Bürgernähe und um Ehrlichkeit geht. Man könnte überlegen, was in diesem Fall zu geschehen hat. (Zwischenruf des Bundesrates Steinbichler. )

Ich weiß, daß Sie all das furchtbar lächerlich finden, Herr Kollege, aber ich muß Ihnen sagen, in Europa gibt es eine Diskussion über die Subsidiarität, und zwar gerade auch unter Mitgliedern Ihrer Partei. Fragen Sie einmal Ihre Landeshauptleute, wie viele Sitzungen des Ausschusses der Regionen es in Brüssel schon gegeben hat, bei denen man gefordert hat, das Subsidiaritäsprinzip endlich auch in der Praxis umzusetzen! Und genau darum sollte es bei diesem Gipfel gehen.

Aber wenn man sich anschaut, was der Herr Bundeskanzler unter dem Wort "Subsidiariät" versteht – so wie er das gestern vor dem Europäischen Parlament erklärt hat –, dann kommt einem das Fürchten! Der Herr Bundeskanzler erklärt den Begriff "Subsidiarität" nämlich so:

"Subsidiarität ist die Stärkung jener Politikfelder, in denen ein Mehr an Europa im Interesse der Bürger liege." – Wenn er das ernst meint, dann hat er es überhaupt nicht verstanden! Das ist nämlich genau das Gegenteil von Subsidiarität! (Zwischenruf des Bundesrates Steinbichler. ) Und wenn Sie es auch nicht wissen, Herr Kollege, dann erkläre ich es Ihnen gerne. (Rufe bei der SPÖ: Frau Lehrerin!) Subsidiarität heißt, das politische ... (Anhaltende Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP. – Unruhe im Saal.) – Er hat gefragt! Wenn Sie es wissen, dann ist es schön. Ich gehe davon aus, Sie wissen das, aber der Herr Kollege weiß es nicht, und deswegen erkläre ich es ihm.

Subsidiarität heißt im Sinne der Demokratie, daß die Probleme dort gelöst werden, wo sie dem Bürger am nächsten sind und wo sie am besten gelöst werden können. (Bundesrat Dr. Tremmel in Richtung ÖVP: Wahrscheinlich dürft ihr nichts sagen!)

Es ist auch interessant, wie man in Brüssel, wie man auf Brüsseler Ebene ... (Neuerliche, anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ und den Freiheitlichen. – Unruhe im Saal.) Frag’ bitte einmal deinen Landeshauptmann, damit er dir erklärt, was Subsidiarität ist und was er von diesem Gipfel hält. Da wirst du dich wundern, denn er wird ziemlich einer Meinung mit mir sein!

Wie definiert Brüssel die Ziele für Pörtschach? – Brüssel sagt, die Subsidiarität soll so marginal wie möglich behandelt werden. Subsidiarität heißt Mitspracherecht der Bürger, und das ist furchtbar lästig, denn da muß man immer vorher fragen, wenn man etwas tun will. Der Gipfel soll sich vielmehr Gedanken darüber machen, wie der Nutzen des Binnenmarktes den Bürgern besser vermittelt werden kann, sagt man in Brüssel. Das ist auch der eigentliche Zweck dieses Gipfels: nicht der Inhalt, sondern nur die Propaganda, Fassade statt konkreter Ergebnisse, Performance statt Politik und Aktionismus statt Substanz. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Staatssekretär! Sie und diese Regierung haben in Pörtschach eine Chance vertan. Es hätte, wenn man es ernst genommen hätte, wahrscheinlich der wichtigste Gipfel der letzten Jahre werden können, weil es dabei nämlich um das Thema geht, das Europa wirklich bewegt. Sie hätten der Demokratie und den Bürgern Europas einen echten Dienst erweisen können, aber statt dessen haben Sie ein pompöses Medienspektakel inszeniert. Herr Kommissionspräsident Santer hat in bewundernswerter Offenheit vor wenigen Tagen dargelegt, was in Pörtschach passieren wird. Er hat gesagt: "Wir werden gemeinsam nachdenken, obwohl wir nicht wissen, worüber." (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Staatssekretär! Ich hätte es als angebracht empfunden, daß Sie sich, bevor Sie 50 Milliarden Schilling an Steuergeldern für solch einen Gipfel verwenden (Bundesrat Konecny: Schon wieder "Milliarden"! Millionen!  – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP. – Ruf: Rosenstingl beraten! – Bundesrat Konecny: Reden Sie sich in keinen Wirbel hinein!), 50 Millionen für diesen Gipfel und 1 Milliarde für den Ratsvorsitz, vielleicht vorher einmal Gedanken darüber machen,


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