Bundesrat Stenographisches Protokoll 645. Sitzung / Seite 93

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär! Was Sie in Ihrer Antwort verschwiegen haben, ist genau das, was wir eigentlich hören wollten. Wir waren in den letzten Tagen verblüfft Zeugen einer neuen EU-Einladungskultur. Meine Damen und Herren! Der Ratspräsident reist eine Woche lang von Mitgliedsland zu Mitgliedsland, umarmt dort den entsprechenden Regierungskollegen mehr oder weniger herzlich, einmal links, einmal rechts, einmal ein-, einmal zweiarmig, immer freundlich zähnefletschend, um dann hinter einer Türe zu verschwinden und den Heimgesuchten auf Knien zu bitten, doch nach Österreich zum EU-Gipfel zu kommen (Beifall bei den Freiheitlichen), weil seine Partei, die SPÖ, eine furchtbare Opposition gegen, einen unzuverlässigen Koalitionspartner neben und den Wahlkampf aller Wahlkämpfe vor sich hat! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Richau: Den hat sicher Haider vor sich!)

Meine Damen und Herren! Wir erleben derzeit, wie eine einzige Partei eines Mitgliedslandes die gesamte EU um den Finger wickelt, um ihre innenpolitischen Probleme zu lösen. All das, meine Damen und Herren, spricht nicht für die EU und läßt auch für die Entwicklung der Union Böses ahnen! Dem SPÖ-Bundeskanzler dieser Republik gelang es nicht nur, die anderen Mitgliedsländer zu instrumentalisieren, sondern ihnen auch die zu besprechenden Themen zu oktroyieren. Meine Damen und Herren! Das ursprünglich geplante Thema "Subsidiarität in der EU" war nämlich auf einmal zuwenig, weil das – um den Herrn Bundeskanzler zu zitieren – die Menschen "nicht interessiert". Das hat nicht in einem Wahlkampf stattzufinden, das paßt nicht in den Wahlkampf der SPÖ.

Die beiden EU-Politiker Kohl und Chirac – Sie werden sich erinnern – haben in einem Brief festgelegt, welche Themen in Pörtschach und auch nach Cardiff zentrales Anliegen sein sollen. Sie erlauben, daß ich einen kleinen Pressespiegel vorlege – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Vizepräsidentin.

Kohl und Chirac schrieben damals: Es kann nicht die Zielsetzung europäischer Politik sein, einen europäischen Zentralstaat zu begründen.

In dieses Horn stieß auch unser sehr verehrter Herr Bundeskanzler, indem er in einem Interview mit der "Zeit" sagte: Brüssel muß Macht zurückgeben. – Soweit hat der Herr Bundeskanzler unsere Zustimmung.

Allerdings hat es auf einmal einen Richtungswandel gegeben. Auf einmal war das Thema Subsidiarität nicht mehr interessant genug. Meine Kollegin Dr. Riess ist darauf schon eingegangen. So hat der Herr Bundeskanzler plötzlich andere Themen entdeckt, saftigere Themen, die die Menschen "interessieren", um ihn noch einmal zu zitieren. So kam er dazu, am 18. Oktober 1998 gegenüber der APA folgende Aussage zu machen: Keine Diskussion über Renationalisierung und keine stundenlangen Streitereien über technische Details – über die Anzahl der Kommissare, über die Agenda 2000 oder über die Nettozahlungen –, das will doch niemand! In Pörtschach geht es um die Zukunft der Union. – Ich frage mich, was die Zukunft der Union ist, wenn die Agenda 2000 nicht dazugehören soll.

Die Widersprüche waren in den letzten Wochen und Monaten erheblich. Auch der Koalitionspartner hat diese Widersprüche gesehen, und er hat sie beeindruckend aufgedeckt. Dazu haben sich berühmte Abgeordnete aus dem EU-Parlament wie Frau Stenzel geäußert. Sie hat beklagt, daß die Subsidiarität innerhalb der EU von der Tagesordnung dieses Gipfeltreffens gestrichen worden ist: Die Abgeordnete äußerte in einem Pressegespräch am Freitag in Klagenfurt die Befürchtung, daß das informelle Treffen der Regierungschefs zu einer reinen Show wird.

Ich zitiere Frau Stenzel, meine Herren von der ÖVP – um auf Ihre Empörung von vorhin zu replizieren: Frau Stenzel sagt, sie habe die Sorge, daß dieses Treffen der Regierungschefs zu einer reinen Show mit dem designierten deutschen Kanzler Gerhard Schröder verkommen könnte. – Stenzel weiter: Das darf nicht passieren. Dazu gibt es zu viele wichtige Dinge zu besprechen. Man müsse bei dem Gipfel über die Vertiefung der Union nachdenken, außerdem müsse der Begriff der Subsidiarität endlich mit Inhalten gefüllt werden. (Zwischenrufe.)

Meine Damen und Herren! Nicht nur der Koalitionspartner der SPÖ hat darauf repliziert, sondern auch die vielbeschworene unabhängige Presse. Doron Rabinovici hat im "Standard" vom


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite