Bundesrat Stenographisches Protokoll 646. Sitzung / Seite 122

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etwas wie eine EU-Außengrenze gibt, die deshalb besonders scharf kontrolliert werden muß, weil die Grenzkontrollen innerhalb der EU zurückgenommen wurden, dann, so muß man sagen, gibt es dort einen höheren Standard, als wir in der Vergangenheit schaffen konnten. Wenn es bei allen Mißverständnissen oder nicht ganz verständlichen Verhaltensweisen von Partnern in der EU, also auch innerhalb des Raums, der durch die Schengen-Kontrollen abgeschirmt wird, eine Zusammenarbeit, die wirkungsvoll ist, gibt, also die Möglichkeit von Schleierfahndungen zu Aufgriffen dieser Größenordnung besteht, dann weiß ich nicht, woraus sich die Argumentationsweise, daß Schengen gescheitert ist, logisch ableitet.

Die Wahrheit ist – das hat der Herr Bundesminister in seiner Antwort sehr deutlich zum Ausdruck gebracht –, daß wir nicht den Punkt erreicht haben, daß wir – gerade wir und auch gerade er – mit der europäischen Entwicklung zufrieden sein können. Es ist keine Frage, daß ein einheitliches System mit unterschiedlichen Standards nicht befriedigend sein kann. Es kann keine Frage sein, daß einheitliche Kriterien und möglicherweise auch ein einheitliches Verfahren vorhanden sein müssen. Den Vorstoß des Innenministers, dies auf die Tagesordnung der Europäischen Union zu setzen, sollten wir eigentlich gemeinsam unterstützen.

Ich hätte das auch zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt sagen können und dies eigentlich auch vorgehabt, aber es ist ein gutes Beispiel für die Wurzel der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind.

Sie haben darauf hingewiesen, daß der türkische Staatspräsident Österreich besucht. Dieser Staatspräsident hat, wie die offizielle türkische Politik generell, gemeint, daß es in der Türkei kein kurdisches Problem gäbe, sondern ein Problem – jetzt interpretiere ich das, was Sie zitiert haben –, das mit militärischen Mitteln lösbar sei. Es gibt also eine Regierung, die offensichtlich tatsächlich glaubt, daß es ein Schritt nach Europa ist, wenn sie einen Teil ihrer Bevölkerung gegen den anderen aufhetzt.

Ich habe heute entsetzliche Bilder von kurdischen Staatsbürgern der Türkei gesehen, die in der Türkei – nicht in Europa, aber das hätte es auch geben können – von rechtsradikalen Demonstranten zusammengeschlagen wurden, ohne von den Sicherheitsorganen in Schutz genommen worden zu sein. Es darf niemanden verwundern, daß diese Menschen legal oder illegal einen Versuch unternehmen werden, ihr Leben zu schützen. Aber es gehört auch dazu, daß wir folgendes klar sagen – und wir sagen nicht das, was Sie hier der Europäischen Union unterstellt haben –: Ein Staat, der so agiert, ist kein Partner. Wir haben an sich Verständnis für den Wunsch der Türkei, sich an die Europäische Union anzunähern. Es ist ein nahegelegenes Land, das ist keine Frage, aber es darf nicht auf diesem Standard der Menschenrechte, nicht auf diesem Standard der Minderheitenpolitik, nicht auf diesem Standard der Rechtssicherheit geschehen.

Eines ist klar auszusprechen: Dieses Europa hat gemeinsame Standards hinsichtlich jener Werte, die uns allen gemeinsam sind. Wer in diese Gemeinschaft hineinwill, mehr noch, wer dieser Gemeinschaft auch nur in die Nähe will, der muß diese Standards erfüllen! Das hat die Europäische Union beschlossen! (Allgemeiner Beifall.)

Diese Kriterien hat die Europäische Union beschlossen, und sie wird die politischen und menschenrechtlichen Kriterien nicht vergessen. – Aber es ist natürlich so, daß es viele Gesellschaften dieses Typs auf der Welt gibt. Es ist nicht so, daß wir es nur mit Armutsflüchtlingen zu tun haben, sondern daß wir es mit Menschen aus vielen Gegenden der Welt zu tun haben, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe dort keine Lebensmöglichkeit sehen. Das ist keine Frage.

Dieses Land, aber auch Europa, ist nicht in der Lage, ganzen Volksgruppen in Millionengröße, die unter Verfolgung leiden, Zuflucht zu gewähren. Aber wir haben die politische Aufgabe – ein bißchen auch in unserem eigenen Interesse, das gebe ich zu, aber vor allem aus humanitären Gründen –, offensiv Außenpolitik zu betreiben, wenn es sein muß, sogar herumzureisen, um klarzumachen und dazu beizutragen, daß es in den Ländern, in denen Menschen heute keine Hoffnung mehr sehen, zu einer Änderung der Bedingungen kommt. Das erscheint mir die vor


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