Bundesrat Stenographisches Protokoll 648. Sitzung / Seite 44

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Nach dem neuen Abs. 1a des § 185 ZPO hat das Gericht für den Fall, daß die Partei, die taub, stumm oder taubstumm ist, zur mündlichen Verhandlung weder mit einem geeigneten Bevollmächtigten noch mit einem Dolmetsch für die Gebärdensprache erschienen ist, die Tagsatzung kurzfristig zu erstrecken und zur neuerlichen Tagsatzung einen entsprechenden Dolmetsch beizuziehen.

Bis heute löst die Zivilprozeßordnung die Frage nicht, ob – und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen – ein Verfahrensbeteiligter Anspruch auf die Beiziehung eines solchen Dolmetsches hat. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

So begrüßenswert diese Neuregelung daher ist, so unzutreffend wäre allerdings die Annahme, daß das Sachproblem bis dahin überhaupt nicht erkannt oder gar nicht beachtet worden wäre; denn der Oberste Gerichtshof hat etwa in seinem Erkenntnis vom 27. Februar 1986, veröffentlicht im Evidenzblatt 1987 Nr. 34 – dort allerdings in bezug auf eine der deutschen Amtssprache nicht mächtige Partei –, klar ausgesprochen, daß der Richter im Zivilprozeß dann von Amts wegen zur Beiziehung eines Dolmetsches verpflichtet ist, wenn er erkennt, daß er – sic: der Richter! – infolge sprachlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage ist, sich mit der zu vernehmenden Person zweifelsfrei zu verständigen. Erst wenn der Richter dies nicht erkennt, sei es Sache der zu vernehmenden Person, die Beiziehung eines Dolmetschers zu beantragen, wenn sie sich selbst aus sprachlichen Gründen nicht dazu imstande fühlt, der Aussagepflicht korrekt und in zweifelsfreier Weise nachzukommen. Die Ablehnung eines derartigen Antrages wird, die sachliche Relevanz der Aussage vorausgesetzt, in der Regel einen Verfahrensmangel begründen.

Diese Leitsätze, die der Oberste Gerichtshof auch im Lichte des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention entwickelt hat, gelten zweifellos auch für die durch eine physische Behinderung bedingte Störung der Kommunikation zwischen der davon betroffenen Partei und dem Richter – handelt es sich doch dabei in beiden Fällen um die faktische oder natürliche Verhandlungsunfähigkeit.

Freilich bewirkt die heute zu beschließende Neuregelung in mehrfacher Hinsicht eine eindeutige Verbesserung der Rechtsstellung der tauben, stummen oder taubstummen Partei im Zivilprozeß. Zum einen ist es eine ideelle Verbesserung für sie, und zwar durch die Klarstellung, daß sie im übrigen zu einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Rechtsstreites und der mündlichen Verhandlung fähig sei. Bislang wurde ihr ja diese Fähigkeit gänzlich abgesprochen. Jetzt soll sie selbst und nicht nur durch ihren Vertreter beachtliche Erklärungen abgeben und wirksame Anträge stellen können.

Zum anderen wirkt sich die Verbesserung auch realiter aus. Die vorhin erwähnte Rechtsprechung wird jetzt auch im Gesetz selbst festgeschrieben. Das heißt, das Gericht hat in Hinkunft die Verhandlung kurzfristig zu vertagen und zum nächsten Termin von Amts wegen einen entsprechenden Dolmetsch beizuziehen. Vor allem aber wird normiert, daß der Bund die Kosten dieses Dolmetschers für die Gebärdensprache trägt, und zwar nicht allein für den vom Gericht bestellten, sondern auch für den von der Partei selbst mitgebrachten. Darin liegt eine wesentliche kostenmäßige Entlastung der behinderten Partei, denn bisher mußte sie sich eines geeigneten Bevollmächtigten auf eigene Initiative und zumindest vorerst auf ihre eigenen Kosten bedienen.

Allerdings muß ich gerade insofern an der Textierung eine gewisse legislativtechnische Kritik üben. Die Formulierung bringt nämlich die Intention der Regelung nicht klar genug zum Ausdruck. Die im Bericht des Verfassungsausschusses eindeutig hervorgehobene Absicht ist es, die behinderte Partei von den Kosten des Dolmetschers unabhängig vom Verfahrensausgang zu entlasten und diese Kosten auch nicht auf die Gegenpartei zu überwälzen.

Dabei wurde aber verkannt, daß die Zivilprozeßordnung terminologisch zwischen der Kostentragung und dem Kostenersatz unterscheidet. Jede Partei hat nämlich zunächst einmal, soferne ihr nicht Verfahrenshilfe gewährt worden ist, die Kosten der von ihr gesetzten Prozeßhandlungen selbst zu tragen. Falls sie obsiegt, sind ihr aber dann diese Kosten vom Gegner zu ersetzen.


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