Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 65

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wurden, kein Raum verbleibt. Was ist Diversion eigentlich? – Es ist der Verzicht auf ein förmliches Strafverfahren, das mit einem förmlichen Strafurteil beendet wird.

Eines solchen Signals, wie es ein rechtskräftiges Strafurteil ist, bedarf es bei allen schweren und bei allen verwerflichen Delikten. Wir vergessen aber, daß gerade im weiten Raum der kleinen Kriminalität ein Strafurteil oft ein stumpfes Werkzeug ist. Wenn etwa geringfügige Diebstähle mit einer bedingten Geldstrafe geahndet werden, so beeindruckt dies den Täter nicht. Der vom Gesetz und bei jeder Strafe beabsichtigte Hauptzweck, doch den Täter zu bessern und für die Öffentlichkeit ein Fanal zu setzen, bleibt außer Betracht.

Der zweite stillschweigende Gedanke meines Vorredners manifestiert sich darin, daß mit dem Begriff "Strafe" nur die in einem Strafurteil ausgesprochene Strafe gemeint wird. Sicherlich ist Diversion im Sinne der Strafprozeßordnung keinesfalls eine Strafe. Die Diversion ist aber ein Übel, das dem Verdächtigen zugefügt wird. Wenn man viele Stunden seiner Freizeit etwa in einem Heim für Pflegebedürftige oder in sonstigen sozialen Heimen und Anstalten tätig sein und sich dort als Mensch bewähren muß, so ist dies unter Umständen aus der Sicht ein Übel, das es innerlich zu bewältigen gilt. Wenn es gilt, mit dem Opfer einer Straftat Auge in Auge zu stehen und alles unternehmen zu müssen, um die Folgen der Tat aus der Welt zu schaffen, so kann dies in diesem Sinne gesprochen kein Übel sein, das ungleich schlimmer ist als eine Geldstrafe, die womöglich von den Eltern oder von Angehörigen bezahlt wird.

So glaube ich, daß das richtige Verständnis der Diversion, das einen Vorschlag unterbreitet, was aufgrund einer Straftat zu geschehen hat, welcher Ausgleich vom Verdächtigen zu erbringen ist, durchaus im Alltagsgebrauch des Wortes als eine Strafe zu werten und auch psychologisch tatsächlich eine Strafe ist.

Wir wollen letzten Endes auch nicht, daß wir ein Volk der Vorbestraften werden. Es ist nicht zu übersehen, daß fast jeder Mensch in irgendeine Situation – ich denke an den heutigen Straßenverkehr – kommt, in der er sehr schnell zum Vorbestraften wird. Eine Vorstrafe zu haben, ist noch immer ein Makel, der oft weit über die tatsächliche Bedeutung der ihr zugrunde liegenden Straftat hinausgeht. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Böhm. ) Das ist Ihnen – das weiß ich, Herr Professor – wohl bewußt, aber es wurde doch der Eindruck vermittelt, als wäre die Verankerung der Vorstrafe in vielen Fällen im Strafregister unbedingt erforderlich.

Die Diversion wird in einem Register geführt und ist damit dem Gericht und den staatsanwaltschaftlichen Behörden zugänglich. Ich glaube, daß damit tatsächlich etwas Zukunftsweisendes gesetzt wird. Sicherlich findet die Diversion nicht wie ein Strafprozeß im Lichte der Öffentlichkeit oder zumindest nicht im selben Lichte der Öffentlichkeit statt. Die Kritik des Publikums, die Kritik der Medien ist unmittelbar nicht vorhanden, das muß man sehen. (Bundesrat Dr. Böhm: Eben!) Das ist vielleicht auch ein Nachteil dieser Einrichtung. Es wurde uns im Ausschuß versichert, daß diesem Nachteil dadurch, daß im Sicherheitsbericht die Tätigkeit der staatsanwaltschaftlichen Behörden aufgezeigt würde, und durch entsprechende Information der Öffentlichkeit gegengesteuert würde. (Bundesrat Dr. Böhm: Rein quantitativ! Quantitativ! Statistisch!)

Die Voraussetzungen der Diversion sind, wie schon von meinem Vorredner aufgezeigt wurde, ein hinreichend geklärter Sachverhalt. Es gibt keine Diversion, die sozusagen über einen Nebelschleier fährt, das ist das erste. Der Sachverhalt muß erwiesen sein, und die Wahrnehmung der Diversion reicht aus – da haben wir allerdings einen sicherlich sehr weit gefaßten Begriff –, wenn die Wirkungen den Anforderungen der General- und Spezialprävention gerecht werden. Da bedarf es sicherlich eines fundierten Wissens und einer entsprechenden Verantwortung des tätig werdenden Staatsanwaltes, der sagt, da komme Diversion in Frage, weil das, was wir von einem Strafurteil erwarten könnten, nämlich Abschreckung und Besserung, durch Diversion effizienter erzielt wird.

Es wurde schon gesagt, daß die strafbare Handlung nicht in die Zuständigkeit der Schöffen- und Geschworenengerichte fallen darf und daß die Schuld des Verdächtigen nicht schwer sein darf. Ich bin kein Strafrechtler, aber ich glaube, daß der Begriff "schwere Schuld" schon solch eine reiche Rechtsprechung gefunden hat, daß man strafrechtlich festhalten kann, wann eine Schuld


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