Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 69

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Der andere Bereich – Kollege Böhm hat das bereits richtigerweise ausgeführt – ist, es wird hier immer von Kleinkriminalität gesprochen. Meine Damen und Herren! Angesichts einer Strafdrohung von fünf Jahren handelt es sich in diesem Fall nicht um Kleinkriminalität. Hier ist etwas passiert, was üblicherweise in Österreich nicht immer passiert. Wir haben bei solchen Dingen sonst immer schaumgebremst reagiert, die grundsätzlich im Ansatz richtig sind. In diesem Fall hat man überreagiert.

Ich persönlich glaube, daß da bereits ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und daß man darangeht, das Strafverfahren, die Wiedergutmachung letztlich der staatlichen Oberaufsicht, den Juristen zu entziehen und es den Mediatoren, den Streetworkern zu überlassen.

Bitte stellen wir uns einen Fall aus der Praxis vor. Der Arme, der überfallen wurde und Schaden erlitten hat, stellt einen Schadenersatzanspruch. Dann wird ihm durch den Betreuer gesagt: Das Strafverfahren dauert so lange. Machen wir bitte einen außergerichtlichen Tatausgleich. – Und das Opfer kommt um vieles, was ihm vielleicht zustehen würde, einfach aus Angst, daß dieses Verfahren zu lange dauert. Es ist also zu beachten, daß die Opfer – vom Vorredner wurde das Opferprinzip hervorgehoben – tatsächlich Opfer bleiben. Daß das passieren könnte, befürchte ich, weil all das, also die Diversion, bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung stattfindet, und zwar vom Staatsanwalt eingeleitet. Der Richter, der ohnehin überfordert ist, wird dazu natürlich ja sagen. Das ist das eigentliche Problem.

Herr Bundesminister! Unter einem der nächsten Tagesordnungspunkte behandeln wir ein Thema, dem wir zustimmen werden, nämlich der Ausweitung der Bezirksgerichte in Wien. Wenn man bedenkt, daß es im Jahr um rund 14 000 Fälle geht, dann muß ich sagen, das wäre ein hervorragender Bereich, der Anlaß für eine Änderung der Gerichtsorganisation in Richtung Bezirksgerichte, Eingangsgerichte, geben könnte, damit diese Fälle immer unter wirklicher Obhut des Gerichtes behandelt werden.

Uns, Herr Bundesminister, geht diese Novellierung zu weit, zu weit auch deswegen, weil hier vordergründig gesagt wird, dadurch komme der Bürger früher zum Recht. Ich persönlich und Freunde von mir glauben, daß er dadurch erstens eher weniger recht bekommt, daß, wie ich ausgeführt habe, eine gewisse Pression entsteht. Zweitens entziehe ich durch die Diversion dem bewährten Instrumentarium, das teilweise natürlich überfordert ist, nämlich unserer Justiz, die Möglichkeit, entsprechend einzugreifen.

Drittens – das hat Kollege Böhm mit Beispielen ausgeführt – spricht man in diesem Fall von Kleinkriminalität. Dem ist nicht so. Es geht bis zu Strafdrohungen bis zu fünf Jahren, ergo dessen ist für uns diese Grenze zu hoch gesetzt.

Aus rechtlichen Gründen, aus Achtung vor dem Recht des Bürgers können wir dieser Vorlage unsere Zustimmung nicht geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.57

Vizepräsident Jürgen Weiss: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Nikolaus Michalek. Ich erteile es ihm.

12.57

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht nur so viel Selbstbewußtsein, sondern auch durchaus maßgeblichen Zuspruch, daß ich meine, mit Recht davon überzeugt sein zu können, daß das Bundesministerium für Justiz unter meiner Leitung und alle meine Mitarbeiter nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im Strafrecht erfolgreiche, der gesellschaftlichen Realität entsprechende Justizpolitik betreiben, wie sie von Herrn Professor Böhm angesprochen wurde. Und das meine ich nicht, weil ich von irgendeiner Ideologie durchdrungen wäre oder ein Illusionist oder utopischer Sozialromantiker wäre, sondern gerade weil ich ein von rationalem Kalkül durchdrungener Realist bin. Ich stehe dazu, daß dieses Gesetz ein Meilenstein mit bemerkenswerten innovativen Schritten ist. (Beifall bei der SPÖ.)


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