Bundesrat Stenographisches Protokoll 654. Sitzung / Seite 106

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Ich sage sehr offen, daß unsere Rolle auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union nicht und nicht in erster Linie darin bestehen kann, eine weitere im Strom mitschwimmende Stimme zu sein, sondern daß wir wie auch in den vergangenen 40 Jahren, in mehr als 40 Jahren, eine wichtige Rolle dort spielen wollen, wo wir ohne Paktbindung, ohne militärische Bedrohung, ohne Androhung von Gewalt, aber denselben humanitären und demokratischen Zielen verpflichtet in der internationalen Arena auftreten. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Kollege! Die Aufregung um den angeblichen Widerspruch zwischen den Auffassungen des Bundeskanzlers kann ich nicht nur nicht teilen, weil ich seiner Partei angehöre, sondern ich kann sie auch deshalb nicht teilen, weil sie ein absolutes Mißverständnis über das Wesen internationaler Politik verrät. Gerade dann, wenn man gegen diese Vertreibungen im Kosovo ist, gerade dann, wenn man gegen diesen Völkermord ist, muß es mehr als einen Zugang auf der internationalen Ebene geben! (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Den gibt es eh! Aber da sind keine Österreicher dabei!) Was ist der andere? (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Da verhandelt Tschernomyrdin ...!)

Herr Kollege! Sie wissen – nein, Sie wissen wahrscheinlich nicht, wieviel über Wien läuft. Ich werde es auch nicht sagen, weil das der Sache nicht guttut. (Heiterkeit des Bundesrates Mag. Himmer. ) Herr Kollege! Verzeihen Sie, wegen "dumm" würde ich jetzt einen Ordnungsruf bekommen, also lasse ich es weg. Aber Sie können ruhig lachen. Sie wissen nichts. Es tut der Sache wahrscheinlich gut, daß Sie es nicht wissen. (Bundesrätin Haunschmid: Gut, daß Sie es wissen!) Was an Verhandlungen über Wien läuft, ist vielleicht nicht entscheidend – das kann ich nicht sagen –, aber es ist in höchstem Maße bedeutsam. Herr Kollege! Aus kurzsichtigen Parteimotiven einer Initiative, die der Sache dient, Gelächter hinterherzuschicken, ist ein betrübliches Zeugnis von Niedrigkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ich bin ... (Bundesrat Mag. Himmer: Sie wissen überhaupt nicht, worüber ich gelacht habe! Das ist der Wunschtraum!) Es interessiert mich auch nicht. Darf ich weiterreden, Herr Kollege? – Sie haben gelacht, als ich sagte: Es bewegt sich in der Vermittlung des Kosovo eine Menge über die Wiener Drehscheibe. (Zwischenrufe.) Der Punkt ist: Es muß einfach außer den Bomben noch eine andere Ebene der Auseinandersetzung geben! (Beifall bei der SPÖ und des Bundesrates Mag. Gudenus. )

Wir müssen in der Lage sein, mit Menschen zu reden, die von anderen mit Recht militärisch bedroht werden. Wenn Sie wollen, ist es eine Doppelstrategie, zu deren Teil ich hier solche Initiativen erkläre, aber es ist notwendig, daß jemand sprechen kann. Dazu ist ein neutrales Land sehr viel besser in der Lage als ein Mitglied des Militärbündnisses NATO, selbst dann, wenn es an den unmittelbaren Angriffen auf Serbien nicht beteiligt ist.

Die österreichische Verfassungsordnung erlegt uns mit der Neutralität eine klare politische Zielrichtung auf. Sie ist verfassungsrechtlich abgesichert, und sie wird, solange sich nicht eine große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher sowie selbstverständlich auch der österreichischen politischen Parteien dazu entschließen, diese Grundlage bleiben. Was ein in einer Werbeaktion begriffenes Wochenmagazin dazu schreibt, interessiert mich in diesem Zusammenhang als Meinungsäußerung, aber es ist kein Argument.

Die Mehrheit der Österreicher hat mit diesem System gute Erfahrungen gemacht. Sie hängt an ihm, nicht aus einer Sentimentalität, nicht aus einem Mangel an Information, sondern deshalb, weil es das für unser Land erfolgreiche Modell ist. Es kann – theoretisch gedacht – andere und bessere Modelle als die Neutralität geben, aber sie liegen von niemandem auf dem Tisch. Als Revanche an der Geschichte – posthum, möchte ich fast sagen – noch der NATO beizutreten, ist mit Sicherheit keine sicherheitspolitische Alternative zur Neutralität.

Konstruktiv darüber mitzudiskutieren, wie die Neutralität – wenn wir an dem Wort hängen – der Zukunft aussehen kann und welche Rolle wir in einer europäischen Sicherheitsarchitektur spielen können, dazu ist der Bundeskanzler, dazu ist die Sozialdemokratie aus vollem Herzen bereit. Aber die Neutralität durch tägliche Nadelstiche – durch Debatten und Anfragen wie diese, durch Meinungsäußerungen wie diese – ein Stückchen – sozusagen zizerlweise, wie der Wiener


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