Bundesrat Stenographisches Protokoll 668. Sitzung / Seite 39

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Nunmehr sind wieder sieben Jahre vergangen. In diesen sieben Jahren sind wieder neue Überlegungen aufgetreten, nämlich dass als Ergebnis eines Verzichtes auf eine Anzeigenerstattung wiederum Nachteile geschaffen werden, indem ein Strafanspruch des Staates nicht realisiert wird. Wer ist dadurch begünstigt? – Der Täter. Wenn ich jetzt einen Täter bewusst oder unbewusst, oder weil ich einer groben, gedanklichen Richtung folge, begünstige, muss irgendjemand einen Vorteil davon haben. Das ist einmal eine ganz primitive, grundsätzliche Erwägung. Ich frage, wo der Vorteil ist.

Wenn ich unterstelle, dass in einer Familie oder in einem Verband, der einer Familie ähnlich ist, Übergriffe zum Beispiel sexueller Natur stattfinden und die Jugendwohlfahrtsbehörde, oder wer auch immer davon erfährt, entscheiden muss, ob der Täter verfolgt wird oder nicht, dann wandert der staatliche Strafanspruch von der Staatsanwaltschaft zu einer Jugendwohlfahrtsbehörde. Was kann passieren? – Dass in diesem Fall ein Beamter oder wer auch immer, in der Jugendwohlfahrtsbehörde ein Schulleiter oder andere, die in Frage kommen, eine Anzeige nicht erstatten. Dann ist vielleicht die äußere scheinbare Harmonie in einer Familie oder in einem familienähnlichen Verband hergestellt, aber die Übergriffe finden eine Fortsetzung.

Ich frage jetzt, wer das verantworten kann. Der Staatsanwalt kann es nicht verantworten, weil er den Sachverhalt nicht erfährt. Ich frage mich: Kann es die Jugendwohlfahrtsbehörde verantworten? – Ich frage mich: Können es die anderen Stellen, die Schulleiter verantworten, wenn diese Entwicklung, nämlich das Unterbleiben von Strafverfahren, stattfindet? – Darauf hat mein Vorredner keine Antwort gegeben. Und ich habe mich jetzt sofort gemeldet, weil ich glaube, dass diese Fragen auch ganz konkret beantwortet werden müssen, wenn man diese rechtspolitisch hochsensible Forderung aufstellt. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Was ist das Ziel dieser neuerlichen Novellierung? – Dass dann, wenn es zum Schutze des Verletzten oder anderer Personen vor weiterer Gefährdung erforderlich ist, doch eine Anzeige zu erstatten ist. Warum soll sie zu erstatten sein? – Weil eben die Nichterstattung einen Verletzten noch mehr schädigt oder auch Dritte schädigt. Auch diese Frage muss man, wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, wirklich klar und deutlich beantworten. Man darf in der Argumentation nicht auf halbem Wege stehen bleiben, das halte ich für ganz wichtig.

Wir haben eine große Verantwortung: Die Staatsanwaltschaft hat die rechtspolitisch große und staatsrechtlich sehr gewichtige Verantwortung, die Strafansprüche zu realisieren. Man kann nicht wegschauen, wenn die Realisierung des Strafanspruches zu solchen Behörden wegwandert, die ursprünglich nicht dazu berufen sind. Also alle, die an diesem Gesetz manifeste Kritik üben, müssen meines Erachtens auch diese Fragen beantworten.

Ich weise Sie auf eine weitere Konsequenz hin und strapaziere vielleicht die dogmatische Sauberkeit jener, die Juristen sind und auf das Wert legen: Wir haben im Jugendgerichtsbereich den außergerichtlichen Tatausgleich entwickelt. Der Gedanke, der dem außergerichtlichen Tatausgleich zu Grunde liegt, lautet: Ein entstandener Strafanspruch wird für bestimmte Leistungen wegverhandelt. – Dieser Gedanke, Gegenleistungen des Täters, der in der Diversion fortgesetzt wurde, wurde noch ausgeweitet und ist seit 1. 1. 2000 in Österreich Rechtsbestand. Wir stehen auf dem Boden dieses Rechtsbestandes und wollen überhaupt nicht, dass die Diversion dem Grundsatze nach bekämpft wird, sondern wir wollen nur, dass die Diversion nicht endlos ausufert – das, so glaube ich, wollen wir alle –, weil es nicht sein kann, dass staatliche Strafansprüche unkontrolliert in irgendeiner Form wegverhandelt werden und vielleicht dadurch Dimensionen erreicht werden, die jeden Strafanspruch des Staates zunichte machen.

Nun führe ich zu dem heutigen Thema § 84 StPO zurück. Es ist zweifellos so, wenn in einer Familie ein sexueller Übergriff passiert, dass ein staatlicher Strafanspruch entstanden ist. Wir wollen nicht, dass sexuelle Übergriffe, aus denen ein staatlicher Strafanspruch entstanden ist, durch die Diversion wegverhandelt werden. Ich glaube nicht, dass eine Stimme erhoben wird, dass Sexualdelikte diversionell wegverhandelt werden.


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