Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 1. Sitzung / Seite 9

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alle großen Kräfte in diesem Land ohne Zensur dort vertreten sind und am Wohl der Republik mitgestalten. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Wir gehen daher von einem politischen Anspruch aus, daß die drittstärkste Partei in diesem Haus das Recht hat, daß die Dritte Präsidentin oder der Dritte Präsident aus ihren Reihen kommt.

Ein gewisses Licht des Zweifels ist auf dieses Recht durch die "Krumpendorfer Erklärung" und ihre nachfolgende Erklärung im ORF geworfen worden. Es ging dabei um die glaubwürdige Distanzierung vom Nationalsozialismus. – Für uns sind diese Zweifel behoben, für uns ist diese Distanzierung glaubwürdig erfolgt.

Niemand in diesem Land sollte und dürfte ein Interesse daran haben, 1 Million Österreicherinnen und Österreicher durch einen Geschäftsordnungsbeschluß in das Eck des Nationalsozialismus zu stellen. Das verlangt auch der Patriotismus von uns. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Die Sozialdemokraten – und auch andere – haben vor 13 Monaten bereits das Recht der Freiheitlichen auf den Dritten Präsidenten bestritten; mit den gleichen Worten wie heute. Damals gab es keine "Krumpendorfer Erklärung". In beiden Fällen erklären Gründe der politischen Opportunität das Vorgehen der Sozialisten in diesem Haus. Aber dafür ist uns die Verfassung zu schade, dafür ist uns der Konsens in diesem Land zu schade. Wir wollen ein Österreich, das im Konsens und nicht im Konflikt regiert wird. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Mein Vorredner hat den Begriff "Verfassungsbogen" herangezogen. Meine Damen und Herren! Damit hier keine Mißverständnisse entstehen! So wie es mein Parteiobmann gestern in der "Pressestunde" definiert hat: Es ist das ein politischer Begriff und kein Rechtsbegriff. Es ist ein Begriff, der zeigt, daß es eine Partei gibt, die im Wege, wie es die Verfassung vorsieht, eine grundlegende Verfassungsänderung anstrebt, mit der wir nicht einverstanden sind. Wir wollen keine "Dritte Republik". Aber es ist in diesem Land jeder Partei unbenommen, die Reform, die Änderung dieser Verfassung mit rechtmäßigen Mitteln anzustreben. Deswegen ist sie nicht rechtswidrig, deswegen ist sie nicht verfassungswidrig, denn es kann keine verfassungswidrigen Parteien geben; sie müßten sofort von Amts wegen verboten sein.

Wenn wir daher heute einem Kandidaten der drittstärksten Partei unsere Stimme geben, so heißt das, daß wir einen Präsidenten oder eine Präsidentin, also ein Staatsorgan, das wichtige Funktionen zu erfüllen hat, wählen. Es heißt das aber nicht, daß wir uns mit den Zielen dieses Mannes oder dieser Frau, mit der politischen Partei, die hinter ihnen steht, identifizieren. Das gilt auch für den Ersten Präsidenten. Wir wollen Zusammenarbeit und Konsens, soweit dies möglich ist, und wir wollen heute nicht ein Parlament konstituieren, das von vornherein von einem ungerechten Konflikt geprägt ist.

Meine Damen und Herren! Wir haben für alle Kandidaten ein Anforderungsprofil: Verfassungstreue, Gesetzestreue, souveräne und objektive Vorsitzführung, Unparteilichkeit, Abstand zur Tagespolitik und Abstand zum Parteienstreit. Dieses Profil legen wir an alle Kandidaten für den Ersten Präsidenten ebenso an wie an den Kandidaten für den Zweiten und für den Dritten Präsidenten. Bei allen gilt hier das gleiche; wir messen alle daran!

Es ist in unserer Wahlpraxis sehr gut verankert, daß es bei den Präsidentenwahlen keine formellen Wahlvorschläge gibt, sondern daß jede Abgeordnete und jeder Abgeordneter einen Namen seiner/ihrer Wahl hinschreibt. Daher wird es von meiner Fraktion her keine Unterstützungserklärung geben, denn wir respektieren – so wie das Cordula Frieser gestern abend im Fernsehen gesagt hat –, daß wir frei gewählte Abgeordnete sind, die ihrem Gewissen und der Verfassung verpflichtet sind.

Die Volkspartei wird aber prinzipiell so vorgehen, daß wir, entsprechend dem guten Grundsatz aus der Kreisky-Zeit, den Ersten Präsidenten aus den Reihen der stärksten Partei, den Zweiten Präsidenten aus der zweitstärksten Partei und den Dritten Präsidenten aus der drittstärksten


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