Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 4. Sitzung / Seite 44

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stammt vom britischen Arbeitsminister – auch nicht von jenem der konservativen Regierung, sondern von einem britischen Arbeitsminister aus den fünfziger Jahren.

Alles, was über ein halbes Prozent Arbeitslosigkeit hinausgeht! – Das sind harte Maßstäbe, meine Damen und Herren! Ich habe noch keinen Redner hier am Pult erlebt, der auch nur mit einem Wort das Thema Vollbeschäftigung angesprochen hätte. Es wurde viel über die Arbeitslosigkeit gesprochen, das gebe ich zu, aber über Vollbeschäftigung hat noch keiner gesprochen. (Abg. Koppler: Das haben sie dir überlassen!) – Danke, Kollege Koppler. Aber ich hätte mir eigentlich erwartet, daß auch sozialdemokratische Abgeordnete dazu reden. (Abg. Koppler: Es kommen ja noch welche!)

In den sechziger und siebziger Jahren galt die Formel: Vollbeschäftigung ist dann gegeben, wenn es nicht mehr als 3  Prozent Arbeitslose gibt. In einer Anfragebeantwortung an die Grünen hat Sozialminister Hums ebenfalls von 3 Prozent-Vollbeschäftigung gesprochen. Nur: Inzwischen sind die 3 Prozent andere 3 Prozent geworden. Das sind nicht mehr die alten 3 Prozent von etwa 100 000 oder etwas weniger Arbeitslosen. Die 3 Prozent Arbeitslosen sind auch nicht mehr jene nach den OECD-Richtlinien, sondern das sind inzwischen die nach den ILO-Richtlinien. Das heißt, 3 Prozent Arbeitslose sind in dieser Diskussion schon annähernd 200 000 Menschen. Das stört aber offensichtlich niemanden in diesem Land, denn 3 Prozent sind ja noch immer irgendwie erträglich. Wir haben uns in diesem Land anscheinend an vieles gewöhnt. Aber an eines sollten wir uns tatsächlich nicht gewöhnen: an die Arbeitslosigkeit und an die Tatsache, daß diese Arbeitslosigkeit noch weiter steigen wird.

Wenn ich mir näher ansehe, was in den letzten Monaten von den Wirtschaftsforschern gesagt wurde: Wir haben mit unseren knapp 300 000 Arbeitslosen im Jänner dieses Jahres noch lange nicht den Gipfel der Arbeitslosigkeit erreicht, sagen sie. Ein Schub droht auf dem Sektor Arbeitslosigkeit. Das hat Herr Wörgötter vom Institut für Höhere Studien bestätigt, das wurde schon im November vom Wifo bestätigt. Es wurde gesagt, es sei damit zu rechnen, daß wir noch weit mehr als diese derzeitigen Arbeitslosen, nämlich zwischen 8 und 9 Prozent Arbeitslosigkeit nach herkömmlicher österreichischer Zählung, wie wir sie noch vor ein paar Jahren gewohnt waren, bekommen werden. 8 bis 9, möglicherweise auch 10 Prozent!

Eines ist nämlich noch nicht in diese Berechnungen eingerechnet, und auch darüber wurde heute noch nicht gesprochen: Was passiert eigentlich dann, wenn das Sparpaket 1, dessen Auswirkungen erst jetzt spürbar werden, und das Sparpaket 2, dessen Auswirkungen wir vermutlich erst in den nächsten Monaten kennenlernen werden, greifen werden? Was passiert dann, wenn auf europäischer Ebene die Sparpakete aller europäischen Länder zu greifen beginnen, wenn nicht nur das Wachstum, sondern auch die Beschäftigungsraten in allen europäischen Ländern entsprechend sinken werden und die Arbeitslosigkeit hochschnellen wird?

Wifo-Chef Kramer hat schon im November gesagt, auf längere Sicht sei eine Annäherung an den europäischen Durchschnitt zu befürchten. – Meine Damen und Herren, was heißt denn das? Ist das ein Naturgesetz, gegen das wir uns nicht wehren können? Ist das das Gesetz der Angst, mit dem wir einfach zu rechnen haben, mit dem hier in diesem Land Politik gemacht wird, mit dem den Leuten erzählt wird: Es nützt ohnehin nichts, was sollen wir denn machen?, wie wir es in der Sendung "Zur Sache" am Sonntag ähnlich gehört haben: Was nützt es schon, sich dagegen zu wehren? Wir sind doch nur ein kleines Land, was können wir denn auf dem internationalen Sektor, auf internationaler oder auf europäischer Ebene ausrichten?

Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen vorlesen, was hier in diesem blauen Büchlein (der Redner hält die EU-Broschüre "Das Buch" in die Höhe) zum Thema "Arbeitslosigkeit und EU" gestanden ist: "Die hohe Arbeitslosenrate in einigen Mitgliedstaaten der EG ist eine Folge der Wirtschaftspolitik dieser Länder und nicht der EG-Mitgliedschaft."

Nehmen Sie diesen Satz ernst, meine Damen und Herren, auch von der Regierung? – Dann müssen Sie sich selbst den Vorwurf machen, daß Sie in der Frage Beschäftigungspolitik, Arbeitslosigkeit versagt haben. Es ist nicht die EU, sondern es ist die Wirtschaftspolitik hier in diesem Land, und es sind damit Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, die die


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