Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 20. Sitzung / Seite 156

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streitiges oder außerstreitiges Verfahren – alle Zivil- und Handelssachen. Nicht erfaßt werden jedoch Personenstandsachen, eheliches Güterrecht, Erbrechtsangelegenheiten, Insolvenzverfahren, der Bereich der sozialen Sicherheit und die Schiedsgerichtsbarkeit. Voraussetzung für die Anwendung ist ferner, daß die beklagte Partei – auch Gesellschaften oder juristische Personen – ihren Wohnsitz beziehungsweise Sitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat.

Wohnt der Beklagte außerhalb eines Vertragsstaates, so bestimmt sich die internationale Zuständigkeit des jeweiligen Vertragsstaates nach dessen eigenen autonomen Gesetzen. Ausgenommen davon sind lediglich die Fälle der ausschließlichen Zuständigkeit nach Artikel 16 LGVÜ. Die besonderen Zuständigkeiten des zweiten Abschnittes begründen Wahlgerichtsstände außerhalb des Wohnsitzstaates. Sie regeln sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit. Zu erwähnen ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, der Gerichtsstand für Unterhaltssachen, der Gerichtsstand für Gerichtsklagen, der Gerichtsstand für Adhäsionsverfahren und der Gerichtsstand der Niederlassung.

Artikel 6 des Übereinkommens enthält einen Katalog von Wahlgerichtsständen, die es ermöglichen, Klagen mit Sachzusammenhang vor ein Gericht zu bringen, um einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, der Gerichtsstand der Gewährleistungs- und Interventionsklage, der Gerichtsstand der Widerklage und der Gerichtsstand für Immobiliengeschäfte. Besondere Schutzbestimmungen sind in Artikel 7 und folgende für Versicherungsnehmer, in Artikel 13 und folgende für Verbraucher sowie in Artikel 5 Abs. 1 zweiter Satz und in Artikel 17 Abs. 5 für Arbeitnehmer vorgesehen.

Dazu ist noch zu sagen, daß es besondere Bedürfnisse der Arbeitnehmer, zu ihrem Recht kommen, erforderlich machen, daß über das aktuelle Übereinkommen hinaus Initiativen auf EU-Ebene gesetzt werden, wie auch vom Europäischen Gewerkschaftsbund gefordert, daß so bald wie möglich Verhandlungen mit den EFTA-Staaten aufgenommen werden, mit dem Ziel, daß vor Inkrafttreten der Entsenderichtlinie die Zuständigkeitsregeln des Luganer Übereinkommens mit der Entsenderichtlinie in Übereinstimmung gebracht werden, damit ein entsandter Arbeitnehmer sowohl im Beschäftigungsstaat als auch in seinem Heimatstaat den Arbeitgeber zu gleichen Bedingungen klagen kann. (Beifall bei der SPÖ.)

Artikel 17 gibt den Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, die Möglichkeit, Vereinbarungen über die Zuständigkeit zu schließen. Gerichtsstandsvereinbarungen sind jedoch unwirksam, wenn sie den Schutzbestimmungen der Versicherungs- und Verbrauchersachen zuwiderlaufen – oder wenn eine Zwangszuständigkeit vorliegt. Bei individuellen Arbeitsverträgen darf eine Zuständigkeitsvereinbarung nur nach Entstehung der Streitigkeit getroffen werden.

Titel III des Übereinkommens regelt schließlich die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen, Titel IV jene von öffentlichen Urkunden und Prozeßvergleichen.

Zur Gewährleistung einer einheitlichen Vertragsauslegung haben sich die EFTA-Staaten im Protokoll Nr. 2 zum LGVÜ verpflichtet, die Rechtsprechung des EuGH sowie die Rechtsprechung der Vertragsstaaten des EuGVÜ zu respektieren. Umgekehrt haben die Vertragsstaaten des Brüsseler Übereinkommens die Judikatur der Höchstgerichte der EFTA-Staaten zu beachten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wie Sie meinen Ausführungen entnehmen konnten, ist diese Rechtsmaterie sehr kompliziert und sperrig und wird bei der Umsetzung, bei der mehr als ein Dutzend Staaten beteiligt sind, einen schier unerschöpflichen Quell für wissenschaftliche Dispute und praktische Anwendungsfragen liefern. Trotz dieser zu erwartenden Anfangsschwierigkeiten muß es vorrangiges Ziel sein, daß in einem schon verwirklichten Wirtschaftsraum, in dem die vier Grundfreiheiten gelten, auch ein einheitlicher Rechtsraum für Zuständigkeit und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen geschaffen wird. Dieser Rechtsraum, der über die EU hinaus die EFTA-Staaten miteinschließt und auch den Reformstaaten die Mög


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