Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 27. Sitzung / Seite 229

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demokratischen Partei! Ich glaube, Sie sind sich nicht darüber im klaren, daß der Bundespräsident bei der Vertragsaufkündigung in ein materielles Recht gesetzt wird, das er bislang nicht gehabt hat. Denn bislang war er nur der Notar bei der Vertragsaufkündigung. Jetzt hat er jedoch die Möglichkeit, die Vertragsaufkündigung, zumindest was den Zeitpunkt betrifft, nach seinem Gutdünken zu gestalten. Denn wir beschließen hier eine Vertragsaufkündigung ohne Datum, meine Damen und Herren. Da steht kein Datum darauf, obwohl es eine sofortige Vertragsaufkündigung sein soll.

Das heißt: Da der Bundespräsident diese Aufkündigung machen muß, obliegt ihm die Entscheidung und nicht mehr dem Parlament. Das Parlament gibt die Entscheidung an den Bundespräsidenten ab, Kollege Cap. Man sollte sich wirklich überlegen, was wir hier beschließen!

Nächster Punkt: Ich halte es ferner wirklich für blamabel, daß Österreich, dieses reiche Land, nicht nur einseitig, sondern auch rückwirkend aufkündigen will. Es ist überhaupt der Clou bei dem Ganzen, daß man sozusagen die ganzen Bösartigkeiten und Sündenfälle der innerstaatlichen Gesetzgebung des Strukturanpassungsgesetzes, bezüglich deren erklärt wurde, daß sie verfassungsrechtlich sehr problematisch sind, und wo alle gesagt haben, daß derartiges nicht mehr vorkommen soll, nun im internationalen Rahmen nachmachen will. Und dann sagt man zu diesen Ländern nicht nur, daß wir kein Geld mehr haben, sondern daß wir auch noch rückwirkend kassieren wollen. Das ist doch lächerlich, meine Damen und Herren! In Anbetracht dessen wird sich beim besten Willen kein einziges Land – Gott sei Dank! – finden, das in seine Geldtasche greift und Österreich die 10 oder 20 Millionen vorstreckt, damit sich dieses "arme" Land sozusagen seinen Staatshaushalt auf Kosten der Familienbeihilfe sanieren kann. Denn das betrifft Menschen, die hier in diesem Land arbeiten, nicht nur als türkische, jugoslawische oder tunesische Staatsangehörige, sondern auch als österreichische Staatsangehörige, deren Kinder daran gehindert werden, hier zuzuziehen.

Das ist der Punkt, meine Damen und Herren, über den wir tatsächlich reden sollten. Es ist zu spät, ich weiß es schon. Trotzdem sage ich Ihnen: Wir haben ein Assoziationsabkommen zu erfüllen. Wir haben Assoziationsverträge mit der Türkei und mit den Maghreb-Staaten geschlossen, die uns dazu zwingen, diese Länder gleichzustellen, auch in familienpolitischen Angelegenheiten. Das ist geregelt. Der Beschluß 380 sieht eine Gleichstellung auch in familienpolitischen Angelegenheiten vor.

Das kümmert uns nicht, sagt Österreich. Wir glauben, daß dieser Vertrag zwar für die EU gilt, aber nicht für uns. – Was sagt die EU dazu? In einer Notiz, die ein österreichischer Diplomat nach Hause geschickt hat, heißt es: Vom Gesprächspartner – nämlich der EU-Kommission – wurde die österreichische Haltung als exzessiver Formalismus bezeichnet. – Es akzeptiert niemand das, was wir hier betreiben.

Die anderen Länder, die mit uns gleichzeitig der EU beigetreten sind, Finnland und Schweden, halten sich selbstverständlich an all diese Vertragsbedingungen. Nur Österreich sagt: Für uns gilt das nicht, wir glauben nicht, daß dieser Teil des EU-Vertrages für uns gilt. – Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt, meine Damen und Herren, den ich noch ganz kurz erwähnen möchte, ist, daß eine EU-Verordnung, soweit ich mich erinnern kann – die Rangfolge der Gesetzgebung habe ich vor dem EU-Beitritt fleißig studiert –, über der Richtlinie steht und unmittelbar rechtswirksam ist auch für die Länder.

In der letztgültigen Fassung der EU-Verordnung 1408/71 heißt es: "Arbeitnehmer oder Selbständige, deren Familienangehörige in einem anderen als dem zuständigen Staat wohnen: Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt, hat vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang 6 für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates."

Unabhängig vom Assoziationsabkommen, das wir mit der Türkei geschlossen haben, besagt diese Bestimmung nichts anderes, als daß wir diesen Rechtsanspruch unmittelbar geltend


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