Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 192

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der Sorgen von 2 000 Industriebeschäftigten populistisch ist, dann kann Populismus nichts Schlechtes sein. (Beifall bei den Grünen und den Freiheitlichen.) Meine Kollegen werden sagen: Beifall von der falschen Seite!, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. (Heiterkeit.) Aber in diesem Sinne bin ich selbst hin und wieder nicht ungern populistisch.

Aber jetzt im Ernst: Ich möchte ein paar Worte über die Strategie des Conti-Konzerns als exemplarischem Fall einer Industriepolitik verlieren und die möglichen österreichischen Gegenstrategien nennen. Und ich möchte das ganz nüchtern und nicht moralisch sehen. Ich glaube, daß es eine Spur mehr Möglichkeiten gibt, als Kollege Haselsteiner angedeutet hat. – Ich sage offen: Meine Überlegungen sind nicht reines Copyright Van der Bellen, sondern sind inspiriert von einem Artikel von Stephan Schulmeister im "Standard" vom Samstag.

Wie ist die Ausgangstatsache? – Die Ausgangstatsache, die unbestreitbar zu sein scheint, ist, daß Conti-Semperit in Österreich einen sehr, sehr hohen Marktanteil bei den Reifen hat. Welche ist die Ausgangshypothese? – Die Ausgangshypothese ist erstens, daß Conti-Semperit in Österreich hohe Gewinne macht, nach allem was ich weiß. Zweitens glaubt Conti-Semperit, diesen Gewinn durch Auslagerung der Produktion noch erhöhen zu können, möglicherweise durch Verkauf der Produktionsstätten. Drittens besteht aber die Nebenbedingung, daß der Markenname "Semperit" unter keinen Umständen verkauft werden darf, weil dieser die Basis des hohen Marktanteiles in Österreich ist. Alles kann verkauft werden: die Maschinen, die Gebäude, die Grundstücke, die Menschen, wenn ich das, symbolisch gemeint, so bezeichnen darf. Alles kann verkauft werden, nur der Markenname nicht.

Ich sage ausdrücklich: Ich kann in die Manager von Conti nicht hineinschauen, ich habe auch gar keine besondere Lust, sie kennenzulernen. Ich spreche über eine Hypothese oder eine Theorie, von der die Engländer sagen würden: It fits the facts. Sie ist mit dem, was wir beobachten können, voll kompatibel.

Was folgt aber dann daraus? – Erstens folgt daraus, was Präsident Verzetnitsch schon gesagt hat – wie ich den Medien entnommen habe –: Das ist Kapitalismus pur. – Ja, das ist Kapitalismus pur. Diese Aussage läßt mich als Ökonomen zunächst einmal ziemlich kalt. Sie scheint mir ein bißchen moralisch zu sein, aber sie hilft uns noch nicht wirklich weiter. Denn was soll ich jetzt damit anfangen? – Soweit ich Unternehmensleiter kenne, haben die wenigsten von ihnen den Ehrgeiz, Säulenheilige der Moraltheologie zu werden. Ihr Interesse ist ein anderes, nämlich Gewinne zu machen. (Abg. Dr. Graf: Damit wollte er den Futterneid schüren!)

Nun meine ich, daß die Strategie von Conti oder von Conti-Semperit eine Achillesferse hat, und zwar genau dort, wo auch ihre Stärke liegt, nämlich beim hohen Marktanteil in Österreich. (Abg. Mag. Stadler: Das ist richtig!) Dieser hohe Marktanteil ist, wenn ich dem "Kurier" glauben darf, wirklich extrem: nämlich bei PKW-Reifen insgesamt 48 Prozent, wenn man alle Marken zusammenzählt, bei Semperit allein 32 Prozent, aber da kommen noch einige andere Markennamen dazu, die auch Conti zugehören; und bei LKW-Reifen beträgt der Marktanteil insgesamt nicht weniger als 60 Prozent, davon allein 49 Prozent Semperit!

Wieso bezeichne ich diesen hohen Marktanteil als Achillesferse? Wenn Conti-Semperit in Österreich einen Marktanteil von 2 Prozent hätte, dann würde ich sagen: Die Sache ist chancenlos. Sie lagern ihre Produktion aus, weil ihnen das aus irgendwelchen Gründen besser gefällt. Was soll man dagegen machen? Das ist die Unternehmerentscheidung, die eben im Kapitalismus frei ist.

Der hohe Marktanteil läßt allerdings andere Möglichkeiten offen, die ich jetzt plakativ als die Greenpeace-Shell-Strategie bezeichnen möchte, denn da gibt es gewisse Parallelen.

Ich möchte Ihnen vorlesen, was Kollege Schulmeister dazu schreibt. Das muß man nicht wörtlich nehmen, aber dem Sinn nach ist es sehr interessant. "Angesichts der extrem unkooperativen Strategie der Continental AG wäre zu erwägen, ob den Interessen der Arbeitnehmer des Traiskirchen-Werks nicht mehr gedient wäre" – statt eines Streiks, meint er –, "wenn die Gewerkschaft auf Bundesebene stärker die Macht der Arbeitnehmer auf den Gütermärkten ins


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