Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 37. Sitzung / Seite 55

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Die Gründe der Wirtschaft liegen ebenfalls seit Jahren auf dem Tisch. Bitte vergessen Sie nicht: Seit 1990 haben mehr als 6 000 Betriebe die Ausbildung von Lehrlingen zur Gänze eingestellt. Es ist die Rede von einem zu starren Berufsausbildungs- und Jugendbeschäftigungsgesetz, überverhältnismäßig hohen Lehrlingskosten, und nicht zuletzt wird auch von den Betrieben der Mangel an geeigneten Bewerbern und Bewerberinnen genannt. Mit diesem Thema wird sich mein Kollege Helmut Peter noch näher beschäftigen.

Auf der anderen Seite ist es sehr erfreulich, daß es einen steigenden Bildungsanspruch der jungen Menschen gibt. Die Lehre in der derzeitigen Form ist für junge Menschen nicht attraktiv genug, sie hat nach wie vor Sackgassencharakter, die Durchlässigkeit zum tertiären Bildungsbereich ist nicht gewährleistet. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Eine Steigerung der schulischen Ausbildungsqualität ist in dieser starren Organisation nicht mehr möglich, weil der Wirtschaft einfach nicht mehr zugemutet werden kann, einer schulischen Ausweitung zuzustimmen. Die Kosten-Nutzen-Relation stimmt nicht. Betriebe müssen gerade in dieser Zeit zumindest wirtschaftlich arbeiten dürfen. Und es ist genau diese zu enge Verbindung von betrieblichen Ausbildungskosten mit dem schulischen Bildungsanspruch unserer jungen Menschen, die einen gordischen Knoten darstellt, der nach unseren Vorstellungen endgültig zerschlagen gehört. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Deshalb fordern wir Liberale eine sozialrechtliche und auch gehaltsmäßige Entkoppelung von Schulzeit und betrieblicher Ausbildungszeit. Das heißt, Lehrlinge sind während ihres Besuches der Berufsschule anderen Schülern völlig gleichzustellen. Das heißt, sie sind mitzuversichern, das heißt aber auch, sie bekommen in dieser Zeit keine Lehrlingsentschädigung. Diese Entkoppelung ist Grundvoraussetzung dafür, daß eine notwendige Flexibilisierung im dualen System greifen kann, daß eine bessere Ausbildung bei Verringerung der Kosten gesichert wird.

Wir stellen uns vor, daß der Berufsschulanteil für alle Lehrlinge unter dieser Voraussetzung der Entkoppelung auf mindestens drei Monate angehoben wird. Selbstverständlich sind individuelle Ausweitungen bis zu sechs Monaten – abhängig von den Eingangsvoraussetzungen der Lehrlinge – durchaus möglich. Das würde dazu führen, daß wir infolge des höheren schulischen Anteils an der gesamten Lehrzeit rasch ein größeres Lehrstellenangebot hätten. Neben der Standardlehre würden wir unseren jungen Menschen höhere Bildungsabschlüsse ermöglichen. Das bedeutet größere Aufstiegschancen für die Jugend und auch qualifiziertere Fachkräfte für die Wirtschaft.

Selbstverständlich müssen wir die Berufsschule dann auch zu wirklich autonomen Berufsbildungszentren entwickeln. Die Berufsschulen müssen zusätzliche Bildungsangebote unterbreiten, und zwar in allen Bereichen: Informatik, Fremdsprachen, Kulturtechniken, Schlüsselqualifikationen, natürlich auch im fachtheoretischen Bereich. Wir müssen in den Berufsschulen von diesem starren Stundenplansystem wegkommen, wir müssen dieses Bildungsangebot in Modulform aufbereiten, weil nur so individuelle Bildungslaufbahnen zwischen Lehrling und Lehrberechtigten auch geplant werden können. Vor allem müssen wir die Berufsschulen für alle Bildungswilligen öffnen. Es soll das Nachholen von Bildungsabschlüssen ermöglicht werden. Der Begriff "lebensbegleitendes Lernen" darf nicht nur Schlagwort sein, sondern muß auch in die Realität umgesetzt werden. (Beifall beim Liberalen Forum.)

Ein solches neues System ist finanzierbar. Wir können Mittel umschichten. Ich denke etwa nur an die hohen Kosten, die ein Schüler an einer berufsbildenden höheren Schule verursacht, in etwa 70 000 S pro Jahr. Es gibt eine Abbrecherquote von rund 40 Prozent. Es gibt irrationale Repetentenquoten in allen Schulbereichen, die Milliarden kosten. Ich möchte dabei noch gar nicht von den sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit sprechen. Wenn sich die österreichische Jugend, wenn sich die österreichische Wirtschaft etwas wirklich nicht leisten kann, so ist es die Reformunfähigkeit der dafür Verantwortlichen. (Beifall beim Liberalen Forum.)

12.17

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Öllinger. Er hat das Wort.


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